2.146.2 (cun1p): II. Innere Politik. Wirtschaft.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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II. Innere Politik. Wirtschaft.

Becker: Versorgung mit Kohle hat sich im Einbruchsgebiet schwierig gestaltet. Eisenbahnverkehr liegt still bis auf die von den Franzosen militarisierten Strecken. Der ganze Autoverkehr und der ganze übrige Fuhrwerksverkehr sollen eingestellt werden. Ein Teil von Betrieben ist stillgelegt, andere sind zur Kurzarbeit übergegangen. Trotzdem denkt man in der Wirtschaft nicht an Aufgabe des passiven Widerstandes. Die Reichsregierung unterstützt die Wirtschaft mit Geldmitteln oder Darlehen in weitestem Umfang. Selbstverständlich kann nicht alles gegeben werden. Im übrigen unbesetzten Deutschland ist die Kohlenversorgung gut. Es haben sich aber andere Schwierigkeiten ergeben. Markstützungsaktion. Der Stand der Mark ist länger auf der Höhe von 22 000 geblieben, als die Reichsbank erwartet hat. Wir haben auch im Zusammenhang damit versucht, die Preise zu senken oder nicht weiter steigen zu lassen, auch das ist uns nicht einmal gelungen19. Senkung der Kohlenpreise, der Eisenpreise, der Preise für künstlichen Dünger und auch auf dem freien Markt. Starker Einbruch in dieses System durch die Entwicklung des Devisenmarktes. Damit neue Preiserhöhung und neue Lohnerhöhungen. Man darf die Hoffnung und Erwartung haben, auch nach Reichsbank und Reichsfinanzministerium, daß die Mark wieder etwas gehoben werden kann. Andererseits hat die Markentwicklung nach unten den Vorteil, daß die deutsche Wirtschaft wieder exportfähig geworden ist. Wir sind wieder etwas unter Weltmarktpreis gekommen. Freilich hat jede künstliche Hebung des Markwertes nur eine beschränkte zeitliche Dauer. Wir haben jeden Monat eine passive Handelsbilanz von zwei Millionen Goldmark, die nur durch Notenpresse gedeckt werden kann.

Brauns: Die Summen für Kredithilfe waren in den ersten Monaten höher als für die Lohnhilfe, weil wir die Arbeiter in den Betrieben halten wollten. Jetzt ändert sich das Bild. Durch die allmähliche Einstellung der Betriebe wird stärkere Lohnhilfe nötig. Es kann mit der Kredithilfe vielleicht Mißbrauch getrieben werden, aber auch mit der Erwerbslosenunterstützung. Wir haben zur Zeit 250 000 Vollunterstützte, abgesehen vom besetzten Gebiet. Die Zahl der Erwerbslosen wächst aber von Tag zu Tag. Wir tun mit Notstandsarbeiten, was wir tun können. Produktive Erwerbslosenfürsorge. Allerdings kostet das dem Reich mehr als die bloße Erwerbslosenfürsorge. Morgen im Arbeitsministerium Zusammentritt der Sozialminister der Länder.

Braun: Die wirtschaftliche Kraft Deutschlands nimmt in rasendem Tempo durch die Besetzung des Ruhrgebietes ab. Geht auf die innenpolitischen Zustände ein. Der Widerstand kann nur bleiben, wenn die Zusammenfassung aller Kräfte bestehen bleibt.

Sitzung in Münster, in der unter Vorsitz eines Reichsbeamten darüber beraten worden ist, in welcher Weise man Sabotageakte gegen den französischen[453] Ruhreinbruch wirksam durchführt20. Man versucht, dazu Elemente heranzuziehen, die eher lähmend und hindernd wirken können, Selbstschutz, auch die Kräfte des oberschlesischen Selbstschutzes. Organisationen und Personen berufen sich darauf, daß sie mit Einwilligung der Reichsregierung junge Leute ausbilden, die für ein aktivistisches Vorgehen in Frage kommen21.

Gewisse Vorkommnisse in einzelnen Ländern können Auswirkungen auf die innenpolitischen Verhältnisse in anderen Ländern haben, die es nötig machen, diese Dinge zu besprechen. Gewisse Strafbestimmungen kommen in Süddeutschland nicht zur Anwendung. Weshalb wird in München der § 130 RStGB nicht angewendet? Aufhetzung zu Gewalttätigkeiten verschiedener Bevölkerungsklassen gegen andere.

Cuno: Die Festigung und Stützung der Mark ist das wesentliche Kampfmittel, das wir im Ruhrkampf haben. Die Reichsbank muß andererseits mit ihren Mitteln haushalten. Als infolge der Dawes-Spekulation der Dollar von 20 auf 30 000 sprang22, sah sich die Reichsregierung vor der Frage, ob sie 50 – 70 Millionen Goldmark opfern soll oder ob sie einen späteren, besseren Tag dazu wählen soll. Auch waren wohl französische Versuche maßgebend, die Mark zu werfen. Die Reichsbank und die Reichsregierung werden die Stützung der Mark fortsetzen. Anmeldungspflicht für Devisen. Drosselung des Reichsbedarfs an Kohle und Getreide, soweit immer möglich.

Das Thema der Sabotage eignet sich nicht zur öffentlichen Diskussion. Gegen jeden Ruhestörer, der gegen die Staatsautorität etwas sich zur Schuld kommen läßt, kann mit äußerster Energie nicht nur gegen rechts, sondern auch[454] gegen links vorgegangen werden. Die politischen Hundertschaften23 sind Gefahren für den Staat und das Reich.

Frölich: Sind die Kredite nach dem Nominalwert oder als wertbeständig an die Industrie gegeben worden?

Landessteuergesetz muß von der Reichsregierung gefordert werden. Steuereinbringung von den Besitzenden.

Geht auf die bayerischen Verhältnisse ein. Vorstoß der Nationalsozialisten in Bayern gegen Thüringen und Sachsen.

Oeser: Verbot der Nationalsozialistischen Partei durch den Staatsgerichtshof. Prozeß gegen die Deutschvölkische Partei. Man muß sich den Dingen gegenüber nicht parteipolitisch, sondern staatspolitisch einstellen. Auflösung der illegalen Bestandteile der Parteien. Versammlungsschutz.

Geßler: Innenpolitische Lage wird wesentlich beeinflußt durch die außenpolitische Lage. Vom passiven Widerstand darf nicht abgegangen werden. Jede militärische Aktion wäre ein Unglück für Deutschland, da bei den derzeitigen Verhältnissen auch ein Abwehrkampf mit Waffen nur für relativ kurze Zeit durchgeführt werden könnte. Das war auch die Auffassung der obersten militärischen Heeresleitung. Aber man mußte vorsorgen für den Fall, daß ohne unseren Willen die Gewehre losgingen, namentlich im Osten aufgrund des Bündnisses zwischen Frankreich und Polen. An der Ostgrenze ist das Gefühl der Wehrlosigkeit außerordentlich stark.

Die Frage der Reichsverteidigung wurde grundsätzlich durchgedacht. Die Reichsverteidigung ist wie die Außenpolitik Sache des Reichs. Verbot der Mobilmachungsvorarbeiten durch den Vertrag von V[ersailles]. Nicht ist uns durch den Friedensvertrag verboten, daß wir unser Land im Fall eines Angriffs verteidigen, um die Bevölkerung vor dem Äußersten zu schützen. Das zu tun, ist die Pflicht der Reichsregierung24.

Wir halten die Selbstschutzorganisationen militärisch für wertlos und innenpolitisch für eine Gefahr. Die Schwierigkeiten lagen darin, daß ein großer Teil der Waffen in den Händen dieser Selbstschutzorganisationen gewesen ist. Wir haben nun versucht, mit den einzelnen Landesregierungen in Verbindung zu treten. Mit einem Teil dieser ist es zu einem ganz gedeihlichen Zusammenarbeiten gekommen in der Form, daß, wenn Waffen gefunden werden oder Beziehungen zu Selbstschutzorganisationen festgestellt werden, die Sachen sofort geklärt werden. Die militärischen Befehlshaber haben klare Richtlinien. Aber wir haben ein Interesse daran, daß die Waffen, die in den Selbstschutzorganisationen gefunden werden, nicht in die Hände der Entente geraten und daß über die Waffenfunde nichts in die Öffentlichkeit kommt.

v. Knilling: weist jede Anklage gegen die Unparteilichkeit der bayerischen Gerichte zurück. Gegen die Nationalsozialisten wird eingeschritten.

Zeigner: Die mitteldeutschen Staaten sind bereit, der Forderung der Reichsregierung Rechnung zu tragen, sofern dies auch in Bayern geschieht. Wir sind einverstanden, daß die Abstimmung der Reichspolitik nicht erfolgt nach[455] den Bedürfnissen der Länder. Sie darf aber auch nicht abgestimmt sein auf die Politik eines Landes.

Fußnoten

19

Vgl. Dok. Nr. 92.

20

Es handelt sich dabei offenbar um Besprechungen, die am 21. und 22. 4. im Oberpräsidium Münster zwischen RKom. Kuenzer, Vertretern des OPräs., des RVMin. und der Abwehrausschüsse der Gewerkschaften stattfanden. Lt. einer fünfseitigen, als geheim gekennzeichneten Aufzeichnung vom 23. 4. wurde dabei insbesondere die Durchführung der VO des RPräs. vom 17.4.23 (RGBl. I, S. 251 ) besprochen, nachdem RKom. Kuenzer nach § 2 vom RIM als Regierungskommissar mit der Durchführung der VO beauftragt worden war. Ziel dieser VO ist es, den Zuzug von Personen ins bes. Geb. zu verhindern, von denen eine Unterstützung der frz.-belg. Maßnahmen zu besorgen ist. Außerdem berichtete ORegR Heiges vom RVMin. in der Besprechung vom 21. 4. ausführlich über den Handstreich von Friedrichsfelde. Hier war es nach sorgfältiger Vorbereitung dt. Eisenbahnern gelungen, in der Osternacht sieben schwerbeladene Güterzüge von Friedrichsfelde/Wesel ins unbesetzte Gebiet zu überführen. Zur Sicherung dieses Unternehmens hatte Heiges vom Reichswehrgruppenkommando in Münster die Gestellung von 100 leicht bewaffneten Zivilpersonen erbeten; stattdessen habe das Gruppenkommando 305 z. T. schwer bewaffnete Leute entsandt, die aus Rechtsorganisationen rekrutiert worden seien. Trotz der Bemühungen, über die Friedrichsfelder Aktion nichts in die Presse gelangen zu lassen, sei dieses Unternehmen bald bekannt geworden. SPD-Abg. hätten sich über die Ausrüstung und Verwendung geschlossener Rechtsorganisationen durch Reichswehrstellen beschwert, pr. Dienststellen insbesondere das Fehlen jeglicher Informationen beklagt (R 43 I /212 , Bl. 307-311). In einem Schreiben an StS Hamm versichert RKom. Kuenzer am 1. 5., daß dem PrIMin. vorher von den Besprechungen in Münster Kenntnis gegeben wurde und keineswegs unter seiner (Kuenzers) Beteiligung in Münster eine Besprechung von Reichsstellen unter Ausschluß pr. Dienststellen stattgefunden habe (R 43 I /213 , Bl. 4).

21

Zur Frage der Sabotage unter Beteiligung von Reichsstellen vgl. Dok. Nr. 184 und 189.

22

Der Begriff „Dawes-Spekulation“ ist in diesem Zusammenhang unverständlich; möglicherweise handelt es sich hier um einen Hörfehler des Protokollanten und gemeint ist: „Dollar-Spekulation“.

23

Gemeint sind offenbar: „die proletarischen Hundertschaften“.

24

Vgl. die Denkschrift v. Seeckts zu dieser Frage (Dok. Nr. 124).

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