2.227.1 (cun1p): I. [Politische Lage]

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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I. [Politische Lage]

Der Herr Reichspräsident legte dar, für den 29. Juli sei vorgesorgt. Er hätte an sich die allgemeine Reichsverordnung aufgrund des Artikels 48 für zweckmäßig gehalten; nachdem nun aber Landesregierungen einzeln vorgegangen, Nachklappen mit der Reichsverordnung wohl nicht zweckmäßig, wenn nicht besondere Umstände folgen2. Im allgemeinen dürfe man wohl dem Tag[673] mit Ruhe entgegensehen. Er sei bereit, sofern Nachrichten es notwendig erscheinen lassen, mit Reichsmaßnahmen nachzuhelfen3.

Innenpolitische Lage bekannt. Ursprung wirtschaftlicher Art; Hauptsache auf dem Gebiet der Finanzpolitik. Klagen dieser nicht ernst zu nehmen. [!] Sie hätte am 15. schon dies und am 16. jenes verlangt, was nicht geschehen sei. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn das eine oder andere früher geschehen wäre. Aber es sei nicht zu spät4.

Besprechung mit Havenstein an sich deprimierend. Wieviel Kraft daran angewandt werden müsse, um Reichsbank dazu zu veranlassen, was Kabinett und Sachverständige für notwendig halten. Heute früh erklärte Havenstein, die Reichsbank sei bereit, Dollarschatzanweisungen gegen Mark abzugeben. Er bittet, ungefähr 10 Millionen ihm zu belassen, um damit, soweit möglich, noch Devisen herauszuholen5. Er bittet ferner, von Garantien für Anleihen[674] abzusehen. Kredite will er wertbeständig machen; morgen Abschluß von Beratungen zu erwarten, der einen wesentlichen Anfang wertbeständiger Kreditgewährung bedeutet.

Aus politischen Gründen dringend notwendig, innere Anleihe alsbald im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen als Tat der Regierung zu bringen und in geschickter Kundgebung schnell der Öffentlichkeit darzustellen, damit Appell nach verschiedenen Richtungen zu verbinden, so an die Landwirtschaft um rascheste Abgabe von Lebensmitteln6. Havenstein bezeichnet Devisenmangel als Hauptgrund der Not. Welche Möglichkeiten gibt es, zu Devisen zu kommen? Besondere Bedingungen bei Ausfuhrbewilligungen? Rücksichtslose Abdrosselung der Luxuseinfuhr, zweckmäßig auch in der Kundgebung zum Ausdruck zu bringen. Der Herr Reichspräsident betont volle Übereinstimmung mit der Politik des Herrn Reichskanzlers, über die er im einzelnen durchaus unterrichtet sei.

Der Herr Reichskanzler hält es für zweckmäßig, nicht lange darüber zu sprechen, was etwa hätte geschehen können. Die Fragen seien der Aufmerksamkeit nicht entgangen. Oft habe er mit Reichsfinanzminister und Reichswirtschaftsminister darüber gesprochen. Gegen frühzeitige Finanzierungsmaßnahmen sei mit Grund eingewendet worden, daß die Dinge unübersehbar seien, wirksame Steuerreform im Ergebnis schwer behindert, solange 12 Millionen infolge des Ruhreinbruchs der deutschen Steuerverwaltung mehr oder weniger entzogen seien; Schwäche des Steuerapparates. Also nicht Lässigkeit, wenn nicht alles geschehen sei, was heute für die Vergangenheit gefordert werde7.[675] Nun möglichste Beschleunigung! Der Herr Reichswirtschafts- und Reichsfinanzminister sollen in Denkschriften stichwortartig darlegen, was von ihnen bereits bisher geschehen. Dollarschatzanweisungen sollen nun rasch herausgeschüttet werden. Kleinere Beträge können für Deviseneinholung zurückgehalten werden, doch wenig Aussicht.

Der Herr Reichsminister der Finanzen legt dar, was bisher geschehen ist. Alle Verbrauchssteuern sind Wertsteuern. Fälligkeit nun durch Verordnung, die im Kabinett verabschiedet sei, sehr kurz bemessen (Steuerschulden aus 1. bis 15. d. M. spätestens bis 5. des nächsten Monats; Steuerschulden aus der zweiten Hälfte des Monats bis Ende des nächsten Monats zu begleichen8). Tabaksteuer wird nicht zu Erhöhung des Aufkommens, sondern zu gerechter Lastenverteilung heute geregelt werden. Steuern auf Bier, Branntwein, Zucker, Salz, Süßstoff, Spielkarten haben zwar feste Sätze, aber können nun ohne Reichsrat und Reichstag der Geldentwertung vom Herrn Reichsfinanzminister rasch angepaßt werden, sofern Preiserhöhung über 25% hinausgeht. Nur bei Biersteuer besteht noch Ausnahme, die nun verschwinden muß9. Zucker- und Salzsteuern sollten in Wertsteuern umgewandelt werden. Man hat aber vorerst aus technischen Gründen und wegen wesentlichen Widerstandes der Sozialdemokratie davon abgesehen. Biersteuererhöhung nun vorgeschlagen auf rund 20% des Wertes, also über Friedenssatz hinaus.

Von der Einkommensteuer ist wertbeständig die Lohnsteuer, insbesondere auch dem Unternehmer gegenüber durch die nun eingeführte rasche Abführungspflicht10. Die veranlagte Einkommensteuer wird zum 15. August im 25fachen Betrage des Vorjahres erhoben11, für die weiteren Termine, die vom 15.11.23 und 15.2.24 vorgerückt werden auf 5. Oktober und 5. Januar, ist der Finanzminister zur Feststellung der Vervielfältigungszahlen ermächtigt12. Dies wird für 1924 fortgeführt werden. Im übrigen ist Neuregelung nach manchen[676] Richtungen notwendig, besonders für § 42 a und b13. Sie soll Anfang September vorgelegt werden, ebenso bei Körperschaftssteuer.

Für Vermögenssteuer ist nun im Gesetzentwurf sachlich die Wertbeständigkeit vorgeschlagen14.

Die Umsatzsteuer ist wertbeständig; sie war bisher vierteljährlich im voraus zu bezahlen, jetzt ist für große Betriebe die monatliche Vorauszahlung angeordnet15.

Bedauerlich, daß Wirtschaftsorganisationen manchen notwendigen Reformen Schwierigkeiten machen, so der Landbund, die Bayerische Bauernkammer, die massenhafte Stundungsgesuche der zehnfachen Zwangsanleihe vom 1. August einreichen.

Grunderwerbssteuer, Gewerbesteuer, Börsenumsatzsteuer, Aufsichtsratssteuer sind wertbeständig. Die verschiedenen Stempel- und Beförderungssteuern sind wertbeständig.

Seit Wochen wird im Reichsfinanzministerium an Problemen eines Goldhaushaltsplans gearbeitet. Der Herr Reichsfinanzminister wird morgen zu endgültigen Ziffern kommen und nächste Woche im Kabinett darüber berichten16. Die bisherigen Ergebnisse führen dahin, daß, sobald einigermaßen stetige Verhältnisse erreicht sind, über die Einnahmequellen durchaus Beruhigung bestehen kann.

Dringlich nun vor allem Rhein-Ruhr-Opfer und Steuerzinsgesetz, die unter allen Umständen in der nächsten Woche im Reichsrat verabschiedet werden sollen17. Vermögenssteuer kann für Montag [30. 7.] im Kabinett zurückgestellt werden. Rhein-Ruhr-Opfer beruht auf Grundgedanken der Heranziehung der leistungsfähigen Einkommen, ausgenommen die besetzten Gebiete aus ideellen und praktischen Gründen. Spätere Berücksichtigung dieser Belastung vorbehalten. Vorgeschlagen für Abgabe wird am 31. August 1923 das Doppelte der (aufgrund des Gesetzes vom 9. Juli 1923 Reichsgesetzbl. I S. 556 für das 3.[677] Kalendervierteljahr 1923) zu entrichtenden Vorauszahlung, d.h. das Doppelte des 25fachen Betrages, der sich für Einkommensteuer für das Kalenderjahr 1922 aus dem Steuerbescheid oder der Steuererklärung ergibt. Für 5. Oktober 1923 und 5. Januar 1924 soll der Herr Reichsminister der Finanzen die Vervielfältigungszahlen wie für die Einkommensteuer-Vorauszahlung so auch für das Rhein-Ruhr-Opfer festsetzen.

Die bisherigen Gesamtverpflichtungen des Reichs aus dem Ruhreinbruch einschließlich Mindereinnahmen der Reichsbahn und Post betragen 10 Billionen.

Ertrag aus dem Rhein-Ruhr-Opfer kann, wenn am 5. Oktober 1923 und 5. Januar 1924 das siebzigfache erhoben wird, auf 20 bis 24 Billionen veranschlagt werden.

Der Herr Reichsminister Albert erinnert an die Ausführungen des Herrn Reichsernährungsministers über die beginnende Hungerblockade. Die Steuern werden erst im September wirksam. Wir müssen vorher zu tiefen Eingriffen zum Zwecke der Deflation kommen, das auch aus innenpolitischen Gründen18, da die Angelsachsen den Grund der deutschen Währungszerrüttung immer, als es zeitlich nicht zutraf, in der Inflation gesehen haben. Anleihe kann 400 Millionen Goldmark erbringen19. Die Hälfte davon soll in Devisen bezahlt werden. Mindestens dafür müßte trotz innenpolitischer Bedenken Steuerfreiheit und Amnestie gewährt werden. Unser Steuerwesen begegnet im Ausland stärkstem Mißtrauen. Man glaubt nicht, daß wir Steuern richtig veranlagen, bemessen, erheben können und wollen. Wir müssen den Anleihegedanken in den Mittelpunkt rücken. Notwendig ist dann allerdings auch Umgestaltung der Einkommensteuer und der Abbau der bei Steuerehrlichkeit auf die Dauer undurchführbaren hohen Tarifsätze und Umbau der Einkommensteuer auf Gold20.

Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes erhebt Bedenken hiergegen. Innenpolitisch kann namentlich eine solche gewinnbringend ausgestattete Anleihe nicht der Steuerpflicht vorangestellt werden.

Herr von Rosenberg hält Aufzeichnung unserer Lage in Depesche für England für den 30. Juli für notwendig. Wir müssen schwere Lage, zugleich aber auch Willen, aus eigener Kraft zu helfen, aufzeigen. Dazu Anleiheerfolg dringend notwendig. Er regt an, Anleihe mit Garantien auszustatten, sei es mit aktiver Beteiligung des Reiches, sei es aus Grundbelastung, dieses letztere nach vorheriger Anfrage bei England, das vielleicht dem zustimmen würde, daß wir vor der in Aussicht genommenen Reparationsgarantie von 10 Milliarden noch eine Anleihegarantie von 500 Millionen Goldmark einschieben21.

[678] Reichsminister Dr. Becker: Außenpolitisch kann Steueraufwertung gut gegenüber Mißtrauen in unsere Steuerpolitik verwertet werden. Innenpolitisch wirkt Steuer viel stärker als eine dem Zeichner Gewinn bringende Anleihe. 200 Millionen Gold bedeuten nach Kurs vor einigen Tagen 30 Billionen Papiermark. Wie soll das aus der Wirtschaft herausgezogen werden? Auch wenn man – auf Einwand von Minister Albert – annimmt, daß der Anleiheerfolg der Deflation zu starker Kurssenkung führt, bleibt die Notwendigkeit, solche Papiermassen dem Verkehr zu entziehen, da das mit Umlaufbedürfnis unvereinbar ist. Es ist aber auch unmöglich, 200 Millionen Devisen aus der Wirtschaft herauszuziehen. Als die Devisenschatzanweisungen aufgelegt wurden22, vereinigten sich die 11 größten Werke der Eisenindustrie auf die Abgabe von 2½ Millionen Dollar, was damals Banken, Reichsbank und andere für sehr beträchtlich hielten. Gleichwohl ist auch Herr Minister Becker dafür, die Anleihe nicht auf 100 Millionen zu begrenzen, sondern will möglichst weit darüber hinausgehen und hierzu die Anleihe besser ausstatten. Genügen 5% Zinsen? Steueramnestie sehr erwünscht. Steuerfreiheit innenpolitisch bedenklich. Erbschaftssteuerfreiheit außerordentlich erwünscht. Zeichnungskurse vielleicht verschieden für Einzahlung in Mark und Devisen.

Herr Minister Oeser schließt sich im wesentlichen Hermes gegenüber Albert an, Heinze im wesentlichen Albert gegenüber Hermes.

Der Herr Reichspräsident Es komme darauf an, schnell zu handeln, um die innenpolitischen Schwierigkeiten zu überwinden. Erleichterung der Einkommensteuersätze würde innenpolitisch schwere Kämpfe bringen. Gedanke möglichst hoher Anleihe sehr erwägenswert, aber Steuerfreiheit an sich odiös, und Garantien würden einen jetzt sehr erheblichen Zeitaufschub bedeuten. An sich Fundierung sehr erwünscht.

Ergebnis: Zustimmung zur Vorlage über Rhein-Ruhr-Opfer mit der Maßgabe, daß der erste Zahlungstermin auf den 31. August vorgerückt und die Erhebung einer Steuer aus der Ausfuhr fallengelassen wird23. Ferner Zustimmung zum Steuerzinsgesetz24. Vermögenssteuergesetz wird Montag [30. 7.] beraten.

Der Herr Reichskanzler stellt Fragen der Devisenwirtschaft zur Erörterung25. Er hält für notwendig,

1) Beschränkung der Devisenbanken,

2) Devisenabgabe nur bei Bar- oder Kreditdeckung,

3) Verpflichtung der Banken zur Nachprüfung der Devisenbeträge,

[679] 4) möglichste Beschränkung der Handelskammer-Erlaubnisscheine26.

Der Herr Reichswirtschaftsminister hält Nachprüfung des Devisenbedarfs durch Banken für nicht möglich.

Fußnoten

2

Zum Vorgehen der Länder s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 220. Über die Einstellung Bayerns vermerkte Wever am 26. 7.: „Der Bayerische Gesandte v. Preger teilte wegen des Erlasses einer VO des RPräs. im Auftrage der Bayerischen Regierung folgendes mit: „Für die Bayerische Regierung wäre eine Maßregel im Sinne des Wunsches der RReg. nicht tragbar, und zwar um so weniger, als die Bayerische Regierung ohnehin aufgrund der VO vom 11. Mai 1923 politische Veranstaltungen unter freiem Himmel verbieten könne; es sei in Bayern auch gar nicht bekannt, daß von rechts aus Unternehmungen gegen die Kommunisten beabsichtigt seien. Sollten sich solche Unternehmungen wider Erwarten zeigen, so würde dagegen natürlich eingeschritten, zumal sie widerrechtliche Einbrüche in die Polizeihandhabung darstellen würden. Gegen die Kommunisten sei ein Verbot bereits ergangen.“ (R 43 I /2708 , Bl. 142). Zum Verlauf des 29. 7. in Bayern s. Dok. Nr. 233. Zur Einstellung Sachsens s. hier Anm. 26.

3

In einer handschriftlichen Notiz vom 28. 7. bittet Hamm Wever, mit Kuenzer folgendes zu besprechen: „Eine VO der RReg. soll nach Art. 48 nicht erlassen werden, und es ist für den Fall von Unruhen die sofortige Durchführung des Ausnahmezustandes vorzubereiten. Sind die Verordnungen bereit?“ Dazu Wever handschriftlich: „Ja“. (R 43 I /2670 ). Tatsächlich verläuft der 29. 7. ohne größere Zusammenstöße, wie ein Bericht Kuenzers vom 29. 7. ergibt (R 43 I /2708 , Bl. 144).

4

In einer Denkschrift über die politische Lage schreibt Stresemann am 28. 7. u. a. an Brockdorff-Rantzau: „Das Reichskabinett hat sich offenbar nur mit den außenpolitischen Problemen beschäftigt und eine Sanierung der inneren Verhältnisse, vor allem der wirtschaftlichen und der finanziellen, vor einer Klärung der außenpolitischen Lage nicht für möglich gehalten. Der Gegensatz Hermes – Becker hat im Gegeneinanderarbeiten jede Maßnahme ihrer Ressorts unwirksam gemacht. Zweifellos trägt der RPräs. ebenso wie der RT an dieser Verantwortung mit; aber das Kabinett, das ja gerade eine möglichst große Aktionsfreiheit erhalten sollte, trägt eine ungeheure Verantwortung für die Entwicklung der Dinge. […] Wenn nötig, Ersatz von Hermes und Becker durch geeignetere Persönlichkeiten. Im übrigen aber Unterstützung des Kabinetts Cuno in allen nationalen Fragen.“ (Stresemann-Nachlaß Bd . 260, Film-Nr. 3098). In einem Schreiben an den DVP-Generalsekretär Truchseß erklärt Stresemann am 3. 8., daß die Maßnahmen der RReg. zwar reichlich spät kämen, eine Kritik an den Versäumnissen helfe aber nicht weiter, zumal sie sich vor allem auch gegen eigene Minister richte, insbesondere Becker (ebd.).

5

StS Hamm vermerkt am 30. 7. über die Besprechungen mit dem RbkPrs.: „Der Herr RbkPräs. hat nach eingehender Aussprache zwischen dem Herrn RPräs., dem Herrn RK und dem Herrn RbkPräs. am 27. Juli dem Herrn RPräs. und dann dem Herrn RK erklärt, daß das Rbk-Direktorium sich nun in Ansehung der schweren, vom Herrn RK geltend gemachten Gründe, schlüssig gemacht habe, der Veräußerung der Dollarschatzanweisungen gegen Mark zuzustimmen. Dabei lege die Rbk Wert darauf, daß nicht die gesamten 60 Mio GM abgegeben, sondern ein Betrag von etwa 10 Mio zurückbehalten werde.“ (R 43 I /2391 , Bl. 212). Mit Schreiben vom 26. 7. hatte das Rbk-Direktorium dem RK noch erklärt: „Die Abgabe der Dollarschatzanweisungen gegen Mark erscheint uns unzulässig, weil sie unserer Garantieverpflichtung den bankgesetzlichen Boden entzieht; sie erscheint uns wirtschafts- und insbesondere währungspolitisch nachteilig, weil sie das vielleicht einzige Mittel, die unbedingt notwendige Herausholung von Devisen zu fördern, außer Kraft setzt, und weil sie den Erfolg der Emission der geplanten Goldanleihe schwer beeinträchtigt. […] Zur Zeit hat weder das Reich noch die Rbk eine Devisenreserve. Ob es möglich sein wird, in den nächsten Jahren eine solche Reserve zu beschaffen, erscheint höchst fraglich. Die Zahlungsverpflichtungen lasten mithin auf dem Goldbestande der Rbk. Dieser Goldbestand, der noch Anfang Februar rund 1 Mrd. GM betrug, ist zur Zeit hauptsächlich infolge der Stützungsaktion auf ein Minimum reduziert. Ihn weiter zu belasten, und zwar ohne Ausgleichung durch Einzahlung von Devisen weiter zu belasten, um eine Maßnahme zu ermöglichen, die unserer Überzeugung nach bankgesetzlich unzulässig und währungspolitisch nachteilig wäre, können wir nicht verantworten. Wir würden uns andernfalls gegen unsere oberste Pflicht, den Kredit der Rbk und damit auch die lediglich auf dem Kredit der Rbk beruhende Kreditfähigkeit des Reiches unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, schwer verfehlen. Aufgrund dieser Erwägungen hat unser Kollegium heute einstimmig beschlossen, der Veräußerung der Dollarschatzanweisungen gegen Mark nicht zuzustimmen.“ (R 43 I /2391 , Bl. 209-211). Tatsächlich werden dann Dollarschatzanweisungen über 50 Mio GM an die Wirtschaft gegen Devisen abgegeben (vgl. Anm. 1 zu Dok. Nr. 237).

6

Ein derartiger Appell, unterzeichnet vom RPräs., dem RK und sämtlichen RM, ergeht am 28.7.23 (abgedruckt in Schultheß 1923, S. 139 ff.).

7

Im Laufe des Juli hatten sich die Presseangriffe von allen Seiten gegen die Währungs- und Finanzpolitik der RReg. und Rbk wesentlich verschärft (Ausschnitte in R 43 I /2435 , Bl. 334, 336-344, hier: Bl. 336f.). So hatte Georg Bernhard am 22. 7. in der ‚Vossischen Zeitung‘ u. a. geschrieben: „Man täusche doch die öffentliche Meinung nun endlich nicht mehr darüber, daß dieser Ruhrkampf ohne jeden finanziellen Plan unternommen worden ist. Es soll dem RFM daraus gar kein Vorwurf gemacht werden, daß er infolge der schiefen Einstellung des AA zunächst die Dauer der Ruhraktion unterschätzt hat. (Es ist die Wiederholung der Unterschätzung der Kriegsdauer bei Kriegsanfang). Aber nach einer gewissen Zeit mußte das Versäumte doch nachgeholt werden. Da war es doch die Pflicht derjenigen, die die Regierungsverantwortung tragen, nun endlich in gemeinsamer Arbeit einen Finanzierungsplan herzustellen. Abgesehen davon, daß von diesem Augenblick an der Ruhrindustrie kein anderer Kredit als in wertbeständiger Form gegeben werden durfte, mußte man die Deckung dieses im vaterländischen Interesse notwendigen Kampfes durch wertbeständige Steuern beschaffen. Nichts dergleichen ist geschehen. Das RFMin., das seit Jahren sich sämtlichen Plänen zu einer wirklichen Bekämpfung der deutschen Geldkrankheit widersetzt (der Finanzminister Hermes trägt dafür die politische, ganz andere Personen aber tragen dafür die faktische und moralische Verantwortung), hat keine derartige Vorsorge getroffen. Und der RWiM und der RArbM haben sich damit begnügt, der immer tiefer greifenden Misere zuzuschauen und durch VO sowie durch Entscheidungen in Schlichtungsausschüssen an den Symptomen herumzudoktern. Die größte Verantwortung aber trägt der Präsident der Rbk. […] An ihm war es, spätestens nach zweimonatiger Dauer des Ruhrkampfes die Übernahme weiterer Schatzanweisungen davon abhängig zu machen, daß binnen kürzester Frist Goldsteuern erhoben würden (die natürlich eine Umarbeitung der bestehenden Steuertarife notwendig gemacht hätten). Aber bis in den Anfang August ist nichts derartiges geschehen, und die Notenpresse arbeitet lustig weiter. Mit 500 Mrd. Zuwachs an künstlicher Kaufkraft hat es angefangen. Bei über 6 Billionen sind wir glücklich angelangt.“ Die zitierten Absätze sind von StS Hamm unterstrichen worden.

8

Der am 25. 7. vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf wird im RR noch dahingehend verändert, daß die Zahlungsfristen spätestens auf den 25. desselben Monats bzw. den 10. des folgenden Monats verkürzt werden (vgl. Anm. 8 zu Dok. Nr. 223).

9

Geschieht durch Art. I Ziff. 3 des Gesetzes über Abänderung einzelner Verbrauchssteuergesetze vom 11.8.23 (RGBl. I, S. 771 ).

10

Durch Erlaß des RFM vom 10.7.23 waren die Unternehmer verpflichtet worden, Lohnsteuern für die ersten beiden Wochen des Monats bis spätestens zum 20. d. M. abzuführen, für die letzten beiden Wochen bis spätestens zum 5. des folgenden Monats (handschriftliche Anmerkung am Rande des Protokolls).

11

Aufgrund des Gesetzes über die Erhöhung der Vorauszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer vom 9.7.23 (RGBl. I, S. 556  f.). Durch neue gesetzliche Regelung vom 11.8.23 wird die Vorauszahlung auf das 400fache erhöht (RGBl. I, S. 773 ).

12

Das Vorrücken der Termine wird in Art. III des Gesetzes über die Rhein-Ruhr-Abgabe vom 11.8.23 festgelegt (RGBl. I, S. 776 ).

13

Es handelt sich um die §§ 42 a und b des Gesetzes über die Berücksichtigung der Geldentwertung in den Steuergesetzen vom 20.3.23 (RGBl. I, S. 206 ).

14

Der am 30. 7. dem Kabinett vorliegende Gesetzentwurf sieht als wertbeständigen Faktor die Einführung der „Vermögenseinheit“ in § 20 vor. Vgl. Dok. Nr. 231.

15

Durch VO vom 4.8.23 werden die Umsatzsteuerpflichtigen, deren Umsatz im Jahre 1922 den Betrag von 1,5 Mio M überstiegen hatte, verpflichtet, jeweils bis zum 10. eines Monats, erstmalig zum 15. August 1923, eine monatliche Vorauszahlung entsprechend der vereinnahmten Entgelte des Vormonats zu entrichten (RGBl. I, S. 761 ).

16

Vgl. Ministerbesprechung vom 4.8.23 (Dok. Nr. 238).

17

Der Gesetzentwurf über die Erhebung eines Opfers für Rhein und Ruhr war in der Erstfassung vom RFM am 22. 7. dem RK nach Aumühle nachgesandt worden. Am 24. 7. folgte der überarbeitete Entwurf für die Kabinettsberatung (R 43 I /2404 , Bl. 224-230, 246-248). Am 27. 7., 21.30 h telegrafierte der RK an die MinPräs.: „Dem RR sind heute Entwurf des Gesetzes über die Erhebung eines Opfers für Rhein und Ruhr, Entwurf eines Gesetzes über Änderung einzelner Verbrauchssteuergesetze und Entwurf eines Steuerzinsgesetzes vorgelegt. Da ihre beschleunigte Verabschiedung aus innen- und außenpolitischen Gründen dringend erforderlich ist, wird RT zwecks Beschlußfassung schon zum 8. oder 9. August einberufen. Entwürfe müssen daher im RR spätestens bis 6. August verabschiedet werden. Erbitte Einverständnis mit diesem Termin und rechtzeitige Instruktion der dortigen Bevollmächtigten.“ (R 43 I /2410 ). Am 4. 8. kann der RFM nach erfolgter Beratung im RR die Gesetzentwürfe an den RT leiten (RT-Drucks. Nr. 6124 , 6125 , 6131379 ), der am 8. 8. mit den Reden des RK und des RFM in die 1. Lesung eintritt (RT-Bd. 361, S. 11748  ff.); am 11.8.23 werden die drei Gesetze verkündet (RGBl. I, S. 770  ff.).

18

Muß offenbar heißen: „aus außenpolitischen Gründen“.

19

Ursprünglich sollte die Anleihe auf 20 – 25 Mio GM begrenzt werden (s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 225). Zu den näheren Bedingungen der Anleihe s. Dok. Nr. 234, insbes. Anm. 2.

20

Vgl. hierzu das von Albert und Henrich aufgestellte Programm (Dok. Nr. 229).

21

In ihrem Memorandum vom 7. 6. hatte die RReg. u. a. angeboten, „die gesamte deutsche Wirtschaft, Industrie, Banken, Handel, Verkehr und Landwirtschaft zu einer Garantie heranzuziehen, die als erststelliges Pfandrecht in Höhe von 10 Mrd. GM auf den gewerblichen, den städtischen und den land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz eingetragen wird.“ (Ursachen und Folgen, Bd. V, S. 146). Eine Kommission unter Vorsitz von MinDir. Ritter, die sog. Ritter-Kommission, war daraufhin gebildet worden, um das Reparationsmaterial zusammenzustellen und entsprechende Gesetzentwürde vorzubereiten. Umfangreiches Material über die Arbeit dieser Kommission in R 43 I /508  und 450.

22

Gemeint ist offenbar die Ausgabe von Dollarschatzanweisungen.

23

Der Entwurf sah den 5. Oktober als ersten Zahlungstermin vor; im RR wird dann statt des 31. 8. sogar der 25. 8. als erster Zahlungstermin eingesetzt und vom RT gebilligt. Art. II des Entwurfs sah eine 2%ige Ausfuhrabgabe vor (R 43 I /2404 ).

24

Der Entwurf eines Steuerzinsgesetzes (RT-Drucks. Nr. 6125, Bd. 379 ) sieht bei nicht rechtzeitiger Entrichtung von Einkommen-, Körperschafts-, Vermögen-, Erbschafts- oder Umsatzsteuerzahlungen die Zahlung eines Zuschlags „nach näherer Anordnung des RFM“ vor. Der RT bezieht außerdem noch Zahlungsversäumnisse aufgrund des Gesetzes zur Sicherung der Brotversorgung vom 23.6.23 mit in das Gesetz ein (RT-Drucks. Nr. 6145, Bd. 379 ), das am 11. 8. verkündet wird (RGBl. I, S. 774 ).

25

Vgl. dazu das Schreiben des RWiM an den RK vom 23. 7. (Dok. Nr. 222) sowie die Denkschrift Hamms vom 25. 7., P. 2 (Dok. Nr. 224).

26

StS Hamm kommt auf die Vorschläge des RK in seiner Denkschrift zur Devisenlage vom 6. 8. eingehend zurück (Dok. Nr. 239).

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