1.62.3 (vpa2p): 3. Reisen nach Rußland.

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3. Reisen nach Rußland16.

Der Reichskanzler führte aus, daß deutsche Kommunisten in erheblicher Zahl nach Rußland reisen. Sie würden dort von Agenten der Kommunistischen Partei einseitig orientiert. Die Botschaft habe darüber geklagt. Es frage sich, ob[869] ein Ausreisevisum eingeführt werden solle. Die Übersicht über die Ausreisen könnte dann beim Auswärtigen Amt oder beim Reichsministerium des Innern zentralisiert werden. Entscheidung sei dringend, weil die Feier des zehnjährigen Bestehens der Sowjet-Union bevorstände.

Der Reichsminister des Auswärtigen sprach sich gegen ein Ausreisevisum aus. Die Reisen könnten über benachbarte Länder angetreten und abgeschlossen werden. Italien, Holland, England haben Paßkontrollen. Dies würde genügen, um eine Übersicht zu erlangen. Polizeiliche Verordnungen der in Frage kommenden Länder wären ausreichend. Wie in England könnten bei der Aus- und Einreise Karten ausgefüllt werden mit den erforderlichen Angaben17.

Reichsminister Dr. Bracht wies darauf hin, daß städtische Lehrer von freien Schulen nach Rußland beurlaubt würden. Auch er sprach sich für eine Länderverordnung zur Paßnachschau aus.

Die Frage soll beschleunigt in einer Ressortbesprechung geklärt werden18.

Fußnoten

16

Die Behandlung dieser Angelegenheit auf Kabinettsebene war vom RK nach Durchsicht folgender Aktenstücke veranlaßt worden: 1) einer undatierten und nicht signierten, wahrscheinlich im AA gefertigten „Aufzeichnung“ (R 43 I /140 , Bl. 443–449); 2) einer von Thomsen am 31. 10. vorgelegten Ausarbeitung betr. „Verhinderung der Reisen deutscher Kommunisten nach Rußland“ (ebd., Bl. 450–451). In der „Aufzeichnung“ hieß es u. a.: „Unter den mannigfachen Arten der kommunistischen Propaganda in Deutschland spielt die Organisation von Delegationsreisen in die Sowjetunion durch deutsche kommunistische Organisationen [u. a. „Bund der Freunde der Sowjetunion“, „Rote Hilfe Deutschlands“] eine hervorragende Rolle. Die Veranstalter können hierbei das bestechende Argument ins Feld führen, daß die Teilnehmer sich auf einer solchen Reise persönlich von der Richtigkeit der kommunistischen Ideen und von der in der Sowjetunion in der Praxis erfolgten Verwirklichung ihrer Verheißungen überzeugen können. Durch die Wahl der Reiseroute, Besichtigung neuer Industriewerke und Musterwirtschaften aller Art, durch aufmerksame Behandlung und geschickte mise en scène des ganzen Aufenthalts wird in den meisten Fällen der gewünschte Eindruck erreicht, wie das die zahlreichen Äußerungen von Delegierten in der Öffentlichkeit zeigen.“ So hätten viele Delegierte nicht nur während ihres Aufenthalts in Rußland „lügenhafte und tendenziöse Erzählungen über die deutschen innerpolitischen Verhältnisse“ verbreitet, sondern sich auch nach ihrer Rückkehr „zum innerpolitischen Kampf gegen die verfassungsmäßige deutsche Regierung, gegen das System des Privatkapitalismus und gegen die ‚herrschende Klasse‘“ propagandistisch mißbrauchen lassen. Dem müsse in Zukunft durch „schärfere Kontrolle des Reiseverkehrs“ und evtl. durch Beschränkung bezw. Verhinderung von Delegationsreisen entgegengetreten werden.–Zur Frage der Verhinderung solcher Reisen hatte Thomsen in seiner Ausarbeitung vom 31. 10. u. a. dargelegt: Über den Erlaß des PrIM vom 9.9.32 (nicht veröffentlicht; Hauptbestimmung: Verbot der Ausstellung von Reisepässen an Delegationsreisende) hinausgehende „Maßnahmen können nach übereinstimmender Auffassung des RIM und des PrIM mit Aussicht auf vollen Erfolg nicht getroffen werden, weil ein Ausreiseverbot (Notverordnung) und eine verschärfte Grenzkontrolle durch einzelne Reisende leicht umgangen werden können a) durch Verschleierung des wahren Reisezieles, b) durch Ausreise über eine unauffällige Grenze und Besorgung des russischen Einreisesichtvermerks im Ausland, c) durch heimliche Einschiffung auf russischen Dampfern in deutschen Häfen, d) durch Überschreitung der grünen Grenze auf Schleichwegen (die Grenzpolizei ist so stark vermindert worden, daß eine Überwachung der gesamten Grenze praktisch nicht durchzuführen ist).“ Es kämen daher, so Thomsen in der Ausarbeitung abschließend, nur folgende Maßnahmen in Betracht: 1) „Paßprüfung bei der Ausreise über die östliche Reichsgrenze“, 2) „Zentralisierung der Paßausstellung für Reisen nach Rußland, obwohl eine solche Maßnahme wahrscheinlich Widerspruch aus anderen Kreisen (Handel, Industrie, Wissenschaft, Kunst) hervorrufen würde“, 3) „Strafbestimmungen bei falschen Angaben“, 4) „Kontrolle und Vernehmung der aus Rußland zurückkehrenden Reisenden“.

17

Zur engl. Praxis die erwähnte „Aufzeichnung“ (vgl. oben Anm 16) u. a.: Pässe für brit. Staatsangehörige „werden ausschließlich vom Foreign Office in London und einer Zweigstelle dieser Behörde in Liverpool ausgestellt. Engländer, die ins Ausland reisen wollen, müssen bei der örtlichen zuständigen Polizeibehörde die Ausstellung des Passes beantragen. Die Polizeibehörde gibt die Anträge mit ihrer Stellungnahme nach London oder Liverpool weiter. Wenn Engländer nach der Sowjetunion fahren wollen, so werden sie von amtswegen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgeklärt, außerdem wird die Vorlage der mit den Sowjetunternehmen etwa geschlossenen Verträge verlangt. Lauten die Verträge nur auf Rubel, so erhalten die Antragsteller nur dann einen Paß, wenn sie einen bestimmten Betrag in englischem Gelde auf ein Sperrkonto einzahlen. Dieser Betrag ist als Deckung für die etwa entstehenden Heimschaffungskosten gedacht.“ Bei dieser Praxis bleibe allerdings die Möglichkeit, „daß ein Engländer mit einem gewöhnlichen Auslandspaß zunächst etwa nach Dänemark ausreist und sich dort von der Sowjetvertretung ein Visum geben läßt“. Durch Strafbestimmungen könne dem jedoch vorgebeugt werden.

18

Hierzu nichts weiter ermittelt.

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