2.30.1 (vsc1p): [Arbeitsbeschaffungsprogramm der Reichsregierung.]

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[Arbeitsbeschaffungsprogramm der Reichsregierung.]

Der Reichskanzler erklärte, daß die Sitzung in erster Linie der Konstituierung des Ausschusses diene, der gemäß § 2 der Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsbeschaffung und der ländlichen Siedlung einzusetzen sei1. Er erkläre den Ausschuß für gebildet und zwar aus den anwesenden Reichsministern. Seine Bitte gehe dahin, daß der Ausschuß in Zukunft im allgemeinen unter dem Vorsitz des Reichskommissars für Arbeitsbeschaffung zusammentrete und die ihm obliegenden Aufgaben nach Möglichkeit nachdrücklichst beschleunigen möge. Sofern wesentliche grundsätzliche Fragen zu entscheiden seien, werde er selbstversändlich jederzeit gern zur Verfügung stehen.

Auf Wunsch des Reichskommissars Dr. Gereke wurden sodann noch einige grundsätzliche Fragen erörtert, nämlich 1. die Frage der Finanzierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms, 2. die Frage der Verzinsung der für Zwecke der Arbeitsbeschaffung gewährten Darlehen.

Als Unterlage diente der anliegende Entwurf eines Vorschlages für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm2.

[132] Es wurde beschlossen, daß der Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung diesen Vorschlag für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm unverzüglich dem Reichsbankpräsidenten Dr. Luther übersendet mit der gleichzeitigen Bitte um eine Aussprache über die Beteiligung der Reichsbank an der Finanzierung des Programms. Die Aussprache soll am Mittwoch, dem 21. Dezember d.Js., stattfinden unter Beteiligung des Reichsministers der Finanzen, des Reichswirtschaftsministers und des Reichskommissars Dr. Gereke3. In der Besprechung soll gefordert werden, daß die Reichsbank sich grundsätzlich bereit erklärt, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm im Gesamtvolumen von 2,7 Millionen RM zu ermöglichen4. Dabei soll Dr. Luther insbesondere auf seine entsprechende Zusage in seiner kürzlich gehaltenen Münchener Rede festgelegt werden5. Für das vorliegende Sofortprogramm solle die Bereitstellung von 600 Millionen RM verlangt werden. Dabei waren sich die Mitglieder des Ausschusses intern darüber einig, daß man sich eventuell auch mit 500 Millionen RM werde abfinden können.

Reichskommissar Dr. Gereke wies wiederholt darauf hin, daß die Frage der Fortgewährung von Einstellungsprämien <…>6 für Mehrbeschäftigung in Form von Steuergutscheinen aus dem 700 Millionen-Fonds bei den Verhandlungen mit der Reichsbank voraussichtlich eine große Rolle spielen werde. Die Reichsbank werde in den Betrag von 2,7 Milliarden RM selbstverständlich sowohl die 1,5 Millionen RM reine Steuergutscheine sowie die 700 Millionen RM Steuergutscheine, die für Einstellungsprämien bestimmt sind, einrechnen. Je mehr der 700 Millionen-Fonds durch Einstellungsprämien aufgezehrt werde, um so geringer werde der Betrag werden, den die Reichsbank darüber hinaus für die Finanzierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms zur Verfügung stellen werde. Er empfehle daher dringend, das System der Einstellungsprämien möglichst bald abzubauen, um den 700 Millionen-Fonds möglichst zu schonen, zumal, da auch von großen Teilen der Wirtschaft und ferner von der Landwirtschaft die Einstellungsprämien stark bekämpft würden.

[133] Die übrigen Ausschußmitglieder waren demgegenüber sehr entschieden der Meinung, daß an einen Abbau des Systems der Einstellungsprämien aus politischen und psychologischen Gründen in absehbarer Zeit nicht gedacht werden könne7.

Zur Frage der Verzinsung der Darlehen, die gemäß Teil II Ziffer 1 des Arbeitsbeschaffungsprogramms an die Träger der Arbeit zu gewähren sind8, schlug Reichskommissar Dr. Gereke vor, von einer Zinsforderung gegenüber den Gemeinden und Gemeindeverbänden grundsätzlich abzusehen. Er führte aus, daß die Reichsregierung das größte Interesse daran haben müsse, daß sich gerade solche Gemeinden, die sich in größter finanzieller Bedrängnis befinden, an dem Arbeitsbeschaffungsprogramm beteiligen, damit auf diese Weise das Programm in erster Linie in den Notstandsbezirken wirke. Wenn dieses Ziel gelingen solle, müsse man den besonders verschuldeten Gemeinden einen möglichst starken Anreiz geben, sich neu zu verschulden.

Der Reichsminister der Finanzen hatte grundsätzliche Bedenken dagegen. Er glaubte befürchten zu müssen, daß es der Reichsfinanzverwaltung bei Annahme dieses Vorschlages in Zukunft unmöglich sein werde, Reichskredite verzinslich zu machen.

Die übrigen Mitglieder des Ausschusses empfahlen demgegenüber jedoch dem Vorschlage des Reichskommissars Dr. Gereke aus den von ihm angegebenen Gründen zu entsprechen. Sie waren der Meinung, daß es gelingen müsse, die Kreditgewährung für das Arbeitsbeschaffungsprogramm als eine geschlossene Sonderaktion zu behandeln und demgemäß ausnahmsweise andere Grundsätze darauf anzuwenden.

Sofern die Träger der Arbeit aus den mit Mitteln des Reichskommissars hergestellten Arbeiten eine Rente erzielen, soll das Reich an den Erträgen der in Frage kommenden Unternehmen angemessen beteiligt werden. Dies soll in Ziffer 4 der Bestimmungen über die Finanzierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms noch besonders zum Ausdruck gebracht werden.

Fußnoten

1

Einzelheiten s. Dok. Nr. 24, P. 5.

2

Anlage nicht abgedruckt. – Der von RKom. Gereke am 19. 12. vorgelegte Entw. baute auf den Ergebnissen der Chefbesprechungen vom 6. und 9. 12. auf (s. Dok. Nr. 3 und 13), ging in den Einzelheiten jedoch über sie hinaus. Im ersten Teil waren „allgemeine Grundsätze“ des in Angriff genommenen Arbeitsbeschaffungsprogramms niedergelegt: „1) Für Arbeiten im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms kann Trägern der Arbeit auf ihren Antrag von der Rentenbank-Kreditanstalt ein Darlehen gewährt werden. 2) Träger der Arbeit können nur Reich, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie gemischt-wirtschaftliche Versorgungsbetriebe sein. 3) Die Arbeiten müssen a) volkswirtschaftlich eine erhebliche Bedeutung haben, b) nach Meinung der Öffentlichkeit notwendig sein, c) in der Hauptsache im Laufe des Jahres 1933 beendet werden, d) sich vorwiegend auf Instandsetzung und Verbesserungen vorhandener Anlagen erstrecken. Es muß sich insbesondere um Arbeiten handeln, die von den Trägern bereits vorgesehen waren, aber aus Mangel an Geldmitteln bisher nicht ausgeführt werden können. Es muß daher festgestellt werden, daß der Träger der Arbeit nicht aus eigener finanzieller Leistungsfähigkeit (nach Prüfung seiner Steuer- und Beitragskraft) in der Lage ist, die Arbeiten zu finanzieren. Ist er hierzu nur teilweise imstande, so kann ihm für den Rest ein entsprechendes Darlehen gewährt werden. 4) Die Verteilung der Arbeiten darf nicht in erster Linie bestimmt werden nach der örtlichen Anhäufung der Arbeitslosen. Bei gleichwertiger Arbeit sind Bezirke mit besonders großer Arbeitslosigkeit bevorzugt zu berücksichtigen.“

Für die in der Ausschußsitzung speziell behandelten Fragen sah der zweite Teil des „Vorschlags“ die generelle Einschaltung der Rentenbank-Kreditanstalt vor, deren landwirtschaftlicher Aufgabenkreis um die allgemeine Arbeitsbeschaffung erweitert werden sollte, damit sie als Darlehnsgeberin tätig werden konnte. Die Darlehnsgewährung selbst sollte mit Hilfe von Wechseln geschehen: „Die Vorfinanzierung von Mitteln erfolgt auf der Grundlage von Wechselbeziehungen. Der Träger der Arbeit stellt die Wechsel aus, die Rentenbank-Kreditanstalt akzeptiert diese.“ Sie sollten durch besondere „Aufbauschuldbriefe“ abgesichert werden. „Diese Schuldbriefe sind erstklassig auszugestalten. Sie sind für mündelsicher zu erklären, an der Börse einzuführen und in die erste Klasse der lombardfähigen Papiere bei der Reichsbank aufzunehmen.“ (R 43 II /540 , Bl. 7–10).

3

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 32.

4

RbkVizePräs. Dreyse hatte in einem Schreiben an den StSRkei vom 15.12.1932 bereits seiner Sorge Ausdruck gegeben, „es könnte hier über alles vertretbare Maß hinaus, insbesondere über die Summe von 2,7 Mrd hinaus […] eine Aktion eingeleitet werden, die öffentliche Finanzen und Währung gefährden muß“ (R 43 I /2046 , Bl. 120).

5

Vgl. Dok. Nr. 3, Anm. 8.

6

Im Manuskript gestrichen: „an die Wirtschaft“.

7

Siehe dazu auch Dok. Nr. 32.

8

In dem vom RKom. vorgelegten „Vorschlag“ wurde die Frage der Verzinsung nicht im einzelnen behandelt. Die Tatsache, daß jedoch vorerst eine Verzinsung der Darlehen nicht ausgeschlossen werden sollte, ergab sich indirekt aus der uneingeschränkten Einschaltung der Rentenbank-Kreditanstalt, deren Geschäftsbedingungen eine Verzinsung der gewährten Darlehen vorsahen.

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