2.28 (bau1p): Nr. 27 Vermerk des Geheimen Regierungsrats Schlettwein über den Entwurf eines Betriebsrätegesetzes, 16. Juli 1919

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[129] Nr. 27
Vermerk des Geheimen Regierungsrats Schlettwein über den Entwurf eines Betriebsrätegesetzes, 16. Juli 19191

R 43 I /2064 , Bl. 116 Abschrift

Herrn Unterstaatssekretär geh[orsamst].

Der neue Entwurf über die Betriebsräte2 hat auch im Ausschuß vielfachen Widerspruch gefunden. Die Arbeitgeber halten das in dem Entwurf festgelegte Mitwirkungsrecht der Betriebsräte nach wie vor für viel zu weitgehend3, insbesondere bekämpfen sie das Einspruchsrecht der Betriebsräte[130] bei Einstellung höherer Angestellter. Einem Teil der Arbeitnehmerverbände geht das Mitbestimmungsrecht nicht weit genug. Sie fordern das volle Kontroll- und Mitbestimmungsrecht über alle Angelegenheiten des Betriebes und der Verwaltung des Unternehmens4. Abgelehnt wird der Entwurf auch von den oberen Bankbeamten, die außer den Gruppen der Arbeiter und Angestellten noch eine dritte Gruppe der „leitenden Angestellten“ verlangen5. Von vielen Seiten wurde Protest dagegen erhoben, daß der Entwurf überhastet durchberaten werden müsse und den Interessenten nicht genügend Zeit zur Bearbeitung des Entwurfs gelassen werde.

Wie mir im Reichsarbeitsministerium mitgeteilt wurde, ruht zur Zeit die Angelegenheit6.

gez. Schlettwein

Fußnoten

1

Schlettwein beobachtete als Vertreter der Rkei die federführend vom RArbMin. betriebenen Vorarbeiten an einem Betriebsrätegesetz, das – obwohl seit dem 5. 5. in der Fassung eines ersten Referentenentwurfs vorliegend (R 43 I /2064 , Bl. 29–49) – vom Kabinett Scheidemann nicht behandelt worden war. Über den Referentenentw., der nach dem Willen des früheren RArbM Bauer später in einen umfassenderen GesEntw. über Arbeiter- und Wirtschaftsräte eingefügt werden sollte, hatte am 15. 5. eine Besprechung mit Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen der Industrie, des Handels, der Banken und der Landwirtschaft im RArbMin. stattgefunden. „Grundsätzlich als ausreichend“ war die Vorlage nur von Vertretern der freien Gewerkschaften bezeichnet worden, während der Entw. von anderen Arbeitnehmervertretern (Christliche Gewerkschaften) als unzureichend für die Anbahnung einer neuen Arbeitsverfassung kritisiert und von den Unternehmern im wesentlichen abgelehnt wurde (Protokoll in: R 43 I /2064 , Bl. 54–63). Danach war der Entw. einem Ausschuß der beteiligten Verbände zur weiteren Beratung übergeben worden. Das RArbMin. leitete kommissarische Besprechungen mit Behördenvertretern des Reichs, Preußens und der Kommunen sowie den Organisationen der öffentlich Bediensteten ein. Als Ergebnis der Beratungen übersandte RArbM Schlicke mit Anschreiben vom 1. 7. der Rkei den überarbeiteten, zweiten Referentenentw. eines Betriebsrätegesetzes (R 43 I /2064 , Bl. 91–105) und lud zu dessen Besprechung für den 7. und 8. 7. in das RArbMin. ein. Ein Protokoll dieser Sitzungen konnte in R 43 I nicht ermittelt werden. Der nachstehend abgedruckte Vermerk Schlettweins über den Stand der Interessenten- und Sachverständigenberatungen, der naturgemäß nur einen kleinen Ausschnitt aus der Diskussion dieses Themas in Politik und Wirtschaft widerspiegelt, wurde UStS Albert am 16. 7. im Original vorgelegt (Kanzleivermerk). – Zu den vorangehenden Bemühungen der RReg., die politischen Ansprüche der revolutionären Arbeiterräte zurückzudrängen, sie aber durch Zuweisung sozialpolitischer und wirtschaftlicher Aufgaben in die zukünftige RV einzubeziehen, s. in den Akten der Rkei R 43 I /1940 –1943, 2064; diese Edition: Das Kabinett Scheidemann, S. XLIII mit weiteren Hinweisen; die historischen Abrisse in den Begründungen zum „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Artikels 34 des Entwurfs einer Verfassung des Deutschen Reichs“ vom 10.6.19 (NatVers.-Bd. 335 /II, Drucks. Nr. 385) und zum „Entwurf eines Gesetzes über Betriebsräte“ vom 16.8.19 (NatVers.-Bd. 338 , Drucks. Nr. 928 ). Vgl. auch Eberhard Kolb: Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918–1919; Peter von Oertzen: Betriebsräte in der Novemberrevolution.

2

Zum Inhalt im einzelnen s. Dok. Nr. 36, P. 1, Anm. 2.

3

Zahlreiche Eingaben von Unternehmerseite sind zu den Akten genommen worden, darunter die des Wirtschaftsrats Hamburg vom 21.3.19 (R 43 I /1943 , Bl. 17–23), des RdI und der Vereinigung der Dt. Arbeitgeberverbände vom 26.9.19 (R 43 I /2064 , Bl. 287 f.) und des DIHT vom 13.12.19 (R 43 I /2065 , Bl. 5–7). Mit unmittelbarem Bezug auf die laufenden Verhandlungen heißt es in dem Protesttelegramm des Vereins der Ledertreibriemenfabrikanten Rheinlands und Westfalens an das RKab. vom 4. 7.: „Es geht zu weit, wenn Personen, die meistens in losem Anstellungsverhältnis stehen und dazu keinerlei Verantwortung tragen, mitbestimmend hinsichtlich der Leitung der Betriebe wirken sollen. […] Die Leitung kann und darf nur den verantwortlichen Leitern der Unternehmen verbleiben; sie darf nicht solchen Persönlichkeiten übertragen werden, denen, nachdem sie etwa den ersten Betrieb durch ihre willkürlichen Maßnahmen ruiniert haben, die Möglichkeit gegeben ist, dann einfach den Staub von ihren Füßen zu schütteln, das Nachsehen anderen zu überlassen und, wenn sie es können, einen anderen Betrieb mit dem von ihnen beliebten Verfahren zu beglücken, ohne daß sie verantwortlich gemacht oder zum Schadenersatz herangezogen werden können“ (R 43 I /2064 , Bl. 110). In ähnlicher Weise wird auf den „krassen und unbilligen Widerspruch zwischen den Normen des vorliegenden Sondergesetzes“ und den Haftpflichtbestimmungen des BGB (§§ 278, 831) in der Eingabe des Centralverbandes des Dt. Bank- und Bankiergewerbes an das RKab. vom 17. 7. hingewiesen (R 43 I /2064 , Bl. 127–130). Der Verein Dt. Eisen- und Stahl-Industrieller rügt in seinem Protesttelegramm an den RMinPräs. vom 10. 7. die unzureichende Durcharbeitung des neuen GesEntw. und verwahrt sich „aufs schärfste gegen derartig überhastete Durchpeitschung eines Gesetzes von schwerwiegender Bedeutung“ (R 43 I /2064 , Bl. 111).

4

Vgl. dazu auch die Beratungen der auf Veranlassung des früheren RArbM Bauer und auf Einladung des Zentralrats vom 8.–10. 7. in Berlin stattfindenden Konferenz von Betriebsräten aus dem ganzen Reich, zu der der RArbM hinzugezogen worden war. Nach einer Vorstellung des neuen GesEntw. beharrte die Konferenz auf ihrer Mindestforderung „des vollen Mitbestimmungsrechts der Betriebsräte in allen Angelegenheiten der Unternehmungen“ und ersuchte die RReg., „falls diese Forderung gegenwärtig nicht durchführbar ist, den Entwurf zwecks Neuberatung mit den Betriebsräten zurückzuziehen“ (Freiheit Nr. 325 vom 11.7.19; Ausschnitt in: R 43 I /2064 , Bl. 106). Regierungsseitig verlautete dazu: Die einheitliche ökonomische und technische Leitung der Betriebe „dürfe durch die gleichberechtigte Mitbestimmung des Betriebsrats in keiner Weise beeinträchtigt werden, vielmehr könne die auch von der Regierung dringend gewünschte Sozialisierung nicht von unten, vom Betrieb aus und durch Eingriffe in die Betriebsleitung, sondern nur von oben, durch die im Entwurf der Reichsverfassung vorgesehenen Bezirkswirtschaftsräte und den Reichswirtschaftsrat erfolgen“. Die RReg. werde an ihrem Entschluß, den GesEntw. der NatVers. in kürzester Frist vorzulegen, festhalten (WTB-Meldung Nr. 1823 vom 11.7.19; Ausschnitt in: R 43 I /2064 , Bl. 107).

5

Vgl. dazu bereits die „Denkschrift über das Mitbestimmungsrecht“ der Vereinigung der Oberbeamten im Bankiergewerbe nebst „Entwurf eines Gesetzes über das Mitbestimmungsrecht“ vom Mai 1919 (R 43 I /1943 , Bl. 102–105) sowie die erneute Pressemitteilung der Vereinigung, in der eine paritätische Behandlung der Arbeiter, der Angestellten und der leitenden Angestellten – „die besten Köpfe unter den Arbeitnehmern“ – im Betriebsrätegesetz gefordert wird (Berliner Tageblatt Nr. 318 vom 14.7.19; Ausschnitt in: R 43 I /2064 , Bl. 115).

6

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 36, P. 1.

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