2.115.1 (mu11p): [1.] Denkschriften.

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[1.] Denkschriften1.

ReichskanzlerMüller: Nach den Besprechungen in Hythe haben die englischen Sachverständigen begonnen, sich mit unserer Finanzlage zu beschäftigen. Es frage sich daher, ob man angesichts dieses Umstandes die Denkschriften schon längere Zeit vor dem Konferenzbeginn, als in früheren Kabinettssitzungen in Aussicht genommen, überreichen solle.

Staatssekretär Schroeder hält es für wünschenswert, alle drei Denkschriften den Mächten sobald als möglich vorzulegen. Auf demselben Standpunkt stehe auch der Unterstaatssekretär Bergmann. Die Sachverständigen der Alliierten, die jetzt unter sich berieten, müßten Gelegenheit erhalten, das Material auch in unserer Beleuchtung kennen zu lernen.

Ministerialdirektor von Simson kann sich dieser Ansicht nicht anschließen. Er ist im Gegenteil der Ansicht, daß es gefährlich sei, den feindlichen Kommissionen unser Material jetzt zu geben. Auf eine wohlwollende Prüfung könne mindestens bei den Franzosen nicht gerechnet werden, er halte es daher für empfehlenswert, unser Material möglichst spät zu überreichen.

[282] ReichskanzlerMüller ist der Ansicht, daß die Frage nur geringe praktische Bedeutung habe, da die Übersetzung der Bonnschen Denkschrift kaum vor dem 7. Juni versendungsreif vorliegen würde. Ein besonders beschleunigtes Herausbringen sei daher doch nicht möglich.

Staatssekretär Schroeder würde die Ausführungen des Herrn v. Simson dann für zutreffend halten, wenn die Denkschriften positive Vorschläge enthielten. Dies sei aber nicht der Fall. Wir setzten uns durch zu späte Übersendung der Denkschriften dem Vorwurf der Illoyalität und des Überrumpelungsversuchs aus.

ReichskanzlerMüller stellt fest, daß ein positiver Vorschlag durch die neue Regierung gemacht werden könnte.

Staatssekretär von Haniel meint, daß man uns den Vorwurf der Illoyalität deshalb nicht machen könnte, weil wir ausdrücklich aufgefordert seien, unsere Vorschläge auf der Konferenz zu machen. Wohlwollende Ausländer, die die Verhältnisse beurteilen könnten, hätten auch geraten, unser Material nicht zu früh zu bringen, da schon vorher bekanntgewordene Gründe auf der Konferenz nicht mehr stark genug wirken würden.

Reichsminister Dr. David: Die Überreichung des Materials sei die erste Aktion für Spa. Daher könnten wir zu ihr erst schreiten, wenn der Wahlausfall bekannt sei.

Professor Bonn: Die Denkschrift brächte für die gegnerischen Sachverständigen wenig Neues, neu sei eigentlich nur der Aufbau und die Zusammenfassung des Materials. Auch eine neue Regierung würde ein wesentlich anderes Bild der wirtschaftlichen und finanziellen Lage nicht geben können.

ReichskanzlerMüller: Die Bedenken des Ministers David teile er nicht. Bevor wir das Material überreichten, müßten wir Stellen, die uns wohlgesinnt seien, wie z. B. Nitti, das Material zugänglich machen. Wenn eine weitere Vertagung der Konferenz eintrete, so sei eine erneute Stellungnahme des Kabinetts erforderlich.

Geheimrat Brecht regt an, durch Interviews und Veröffentlichungen in der Presse dem Publikum gewisse Grundwahrheiten einzuhämmern, so beispielsweise, daß die Zahlung von 100 Milliarden nicht mehr möglich sei, und ferner, daß wir die auf Grund des Vertrages auszuführenden Kohlen nach innen bezahlen müßten, wodurch eine schwere Belastung unseres Budgets eintrete.

Staatssekretär Boyé macht darauf aufmerksam, daß die Gesandtschaften auf diese Gesichtspunkte bereits aufmerksam gemacht worden seien; im übrigen teile er die Ansicht des Geheimrats Brecht.

ReichskanzlerMüller stellt fest, daß die Denkschriften etwa in der Zeit vom 8. bis zum 10. Juni überreicht werden sollen2.

Fußnoten

1

Zur Vorgeschichte s. Dok. Nr. 94. Inzwischen war auf der Konferenz von Hythe (15./16.5.20) zwischen der brit. und der frz. Regierung vereinbart worden, auf eine schnelle Lösung der Wiedergutmachungen zu drängen und den den Alliierten annehmbar erscheinenden deutschen Minimalbeitrag festzustellen. Außerdem sollte ein Schlüssel für die Verteilung der deutschen Reparationen unter den Alliierten gefunden werden (Berliner Tageblatt Nr. 228 v. 17.5.20; Schultheß 1920 II, S. 368 f.; s. a. DBFP 1st ser. vol. VIII, pp. 253 sq.). Ein weiteres Ergebnis dieser Konferenz war die Mitteilung des britischen Geschäftsträgers in Berlin, Lord Kilmarnock, an den RK namens der alliierten Regierungen: „Die Aufmerksamkeit der Alliierten Regierungen ist auf die Tatsache gelenkt worden, daß die Wahlen zum Deutschen RT am 6. Juni stattfinden sollen. Der Hauptzweck der Konferenz von Spa besteht darin, die Chefs der Alliierten Regierungen instand zu setzen, gemeinschaftlich mit den Chefs der Deutschen Regierung in eine Erörterung einmal der schwerwiegenden Fragen einzutreten, die sich aus der Versäumnis Deutschlands ergibt, den feierlichen Verpflichtungen nachzukommen, die es auf sich genommen hat, als seine Vertreter den Vertrag von Versailles unterzeichnet und ratifiziert haben, und weiter, Vereinbarungen zur Sicherung der zukünftigen Ausführung dieses Vertrages zu treffen. – Es ist von allergrößter Wichtigkeit, daß die Konferenz, einmal zusammengetreten, nicht durch äußere Einflüsse gestört oder verzögert wird. Die Alliierten Regierungen halten es deshalb für angebracht, daß die Konferenz, die gemäß dem in dem Schreiben vom 27. 4. gemachten Vorschläge die Ausführung des Vertrages von Versailles erörtern soll und der die Deutsche Regierung zugestimmt hat, auf Montag, den 21. 6. verlegt wird. Sie würde die Zustimmung der Deutschen Regierung zu dieser Verlegung begrüßen“ (22.5.20; R 43 I /401 , Bl. 206). Im Zusammenhang mit der Konferenz von Hythe erfolgte auch der Rücktritt Poincarés als Vorsitzender der Reparationskommission, die er durch die Regierungsberatungen in ihren Funktionen als behindert betrachtete (Schultheß 1920 II, S. 69 f.).

2

Weitere Niederschriften über Besprechungen dieses RKab. zur Vorbereitung der Konferenz von Spa wurden nicht ermittelt. Zur weiteren Entwicklung der Angelegenheit s. Dok. Nr. 133.

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