2.58.2 (sch1p): 2. [Finanzlage des Reichs]

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2. [Finanzlage des Reichs]

Reichsminister Dernburg macht längere Ausführungen über die Finanzlage des Reichs und über die Behandlung der Entschädigungsfragen bei den bevorstehenden Pariser Beratungen. Die stenographisch aufgenommenen Ausführungen sind dem Protokoll als Anlage beigefügt2.

Im Anschluß hieran gibt Reichsminister Gothein näheres Material über die möglichen finanziellen Erträge des Reichsschatzministeriums3.

[230] Reichsminister Erzberger bittet dahin zu wirken, daß von der zu zahlenden Entschädigung sämtliche nur irgend möglichen Abzüge für anderweitige Leistungen gemacht werden (Leistungen auf Grund des Waffenstillstandes, an Eisenbahnmaterial, Kriegsmaterial und Schiffen; restituierte Guthaben und Maschinen; Wert etwa aufgegebener Kolonien).

Reichsminister Erzberger weist ferner auf die Maßnahmen zur Vermeidung der Steigerung der Grundstückspreise im Zusammenhang mit der Sozialisierungsfrage hin; man möge in der Öffentlichkeit mehr betonen, in welchem Maße durch diese Maßnahmen und durch die Entwertung des Geldes eine tatsächliche Sozialisierung bereits stattgefunden habe, da beispielsweise eine Dividendenzahlung von 6% dem Sachwerte nach nur den dritten Teil des früheren Wertes habe.

Im Laufe der weiteren Aussprache weist Dr. Melchior auf die innerpolitische Nötigung der feindlichen Regierungen hin, hohe Entschädigungssummen als Endsummen zu erzielen. Man müsse in der Art der diplomatischen Behandlung hierauf möglichst Rücksicht nehmen. Anderseits brauche Deutschland gerade in den ersten Jahren eine Atempause. Im ganzen fasse er die Ansicht des Kabinetts dahin auf, daß es wichtiger sei, Territorien zu retten, wenn auch unter großen finanziellen Opfern.

Das Kabinett stimmte dem zu.

Reichsminister Dernburg erörtert die Frage des deutschen Volksvermögens unter Zurückweisung der übertriebenen Berechnungen Helfferichs u. a.4. Eine Höchstgrenze der Leistungsfähigkeit Deutschlands könne er den Delegierten nicht als Grundlage für die Verhandlungen bezeichnen. Sie hänge insbesondere von dem Gesamtinhalt des Friedensvertrages ab.

[231] Reichsminister Erzberger bittet die Entschädigung keinesfalls in Mark, sondern in Franken festzusetzen, da der Markkurs voraussichtlich steigen, der Frankenkurs voraussichtlich fallen werde.

Der Ministerpräsident faßt das Ergebnis der Aussprache dahin zusammen, daß sich bestimmte Weisungen nicht aufstellen ließen; man müsse im Auge behalten, daß die endgültige Ablehnung des Friedens, ebenso wie seine Unterzeichnung unter Übernahme unerträglicher Lasten, voraussichtlich Deutschland und dann auch ganz Europa dem Bolschewismus ausliefere.

Fußnoten

2

Siehe Dok. Nr. 54 b.

3

Die Ausführungen Gotheins liegen bruchstückhaft im Anhang zum Kabinettsprotokoll vor; diesen Bruchstücken ist zu entnehmen, daß im RSchMin. das Projekt eines Mineralölmonopols bearbeitet wurde, von dem eine jährliche Einnahme von ca. 200 Mio M neben dem bestehenden Einfuhrzoll zu erwarten sei. Die Großeisenindustrie solle zu einem Zwangssyndikat zusammengeschlossen werden; die zu erwartenden Betriebsersparnisse würden dem Reich weitere 200 Mio M erbringen. Der Plan sei freilich noch nicht weit gediehen; auch müsse noch untersucht werden, ob andere Industriezweige in ähnlicher Weise zu Trusts zusammenzulegen seien. Aus dem in der Stickstoffindustrie angelegten Kapital dürfe sich voraussichtlich eine angemessene Verzinsung ergeben. Darüber hinaus bestehe der Plan, sich an der Stickstoffindustrie über Darlehen zu beteiligen; zusammen mit den erwarteten Zinsen und Abschreibungen könne das eine weitere Einnahme von 35 bis 45 Mio M jährlich als Superdividende ergeben. Die dt. Aluminiumfabrikation sei unrentabel; sie sei so schnell wie möglich einzustellen; die dafür gebauten Großkraftwerke seien in Reichsbesitz zu überführen und könnten in einiger Zeit jährlich 50 Mio M erbringen. Aus den reichseigenen Betrieben und den zu bildenden Monopolgesellschaften könne kaum mit einem höheren Ertrag als höchstens 600 Mio M jährlich gerechnet werden. Aus der Verwertung von mobilem Heeresgut sei für das laufende Etatsjahr eine Einnahme von ca. 600 Mio M zu erwarten; der Erlös aus dem Verkauf immobilen Heeresguts könne noch nicht übersehen werden. Demgegenüber stünden noch Zahlungsverpflichtungen der Heeres- und Marineverwaltung gegenüber Privatindustriellen in Höhe von 350 Mio M (R 43 I /1348 , S. 659-673).

4

In seinem Buch „Deutschlands Volkswohlstand 1888–1913“, 6. Aufl. Berlin 1915, S. 122 berechnete Karl Helfferich die Höhe des dt. Volksvermögens im Jahr 1915 mit „mehr als 300 Mrd. Mark“; für die Zukunft rechnete er mit einem jährlichen Zuwachs von ca. 10 Mrd. M. Demgegenüber erklärte Dernburg in einer Aufzeichnung vom 27.4.1919, die in der Anlage zum vorliegenden Kabinettsprotokoll zu finden ist: „Gegenüber den früheren Berechnungen des Volksvermögens in Dtl., wie sie Helfferich und Steinmann-Bucher vorgenommen haben, muß ganz besonders betont werden, daß durch den Krieg und den langdauernden Waffenstillstand eine unsagbare Vermögensverminderung eingetreten ist. Selbst wenn also die Berechnung Helfferichs für Friedenszeiten zutreffend gewesen wäre, würde sie es heute längst nicht mehr sein.“ Nach detaillierten Hinweisen auf die Verluste in den einzelnen Wirtschaftssparten kommt Dernburg zu dem Ergebnis: „Man wird daher nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß der Substanzverlust, den das dt. Volksvermögen im Kriege erlitten hat, auf 35 bis 40% des früheren Wertes zu veranschlagen ist.“ (R 43 I /1348 , S. 675-681).

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