1.104 (vpa2p): Nr. 233 Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Kaas am 25. November 1932, 17 Uhr

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[1023] Nr. 233
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Vorsitzenden der Zentrumspartei Kaas am 25. November 1932, 17 Uhr1

R 43 I /1309 , S. 533–541 Abschrift2

[Bericht des Prälaten Kaas über seine ergebnislosen Sondierungen zwecks Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung]

Prälat Kaas übergab zunächst eine Aufzeichnung nachstehenden Inhalts, die er bat, der Presseveröffentlichung zu Grunde zu legen3:

„Angesichts des Wunsches des Herrn Reichspräsidenten, die etwa noch vorhandenen Möglichkeiten zur Bildung einer Not- und Arbeitsmehrheit festzustellen, hatte Prälat Kaas für die endgültige Annahme eines solchen Auftrages sich Bedenkzeit bis Freitagabend 5 Uhr erbeten.

Im Laufe des heutigen Tages hatte Prälat Kaas einleitende Besprechungen mit den Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, der Deutschnationalen Volkspartei, der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei. In diesen Besprechungen hat er an die Führer der genannten Parteien in erster Linie die Frage gerichtet, ob sie ebenso wie die Zentrumspartei bereit seien, sich an Beratungen über ein sachliches Not- und Arbeitsprogramm für eine Mehrheitsregierung zu beteiligen. Diese Frage ist von dem Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei4 und der Deutschen Volkspartei5 bejahend beantwortet worden. Der Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei6 hat die Beteiligung an solchen Beratungen als im Widerspruch mit der Gesamthaltung seiner Partei stehend nicht zugesagt. Der Vorsitzende der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei7 erklärte, an sich entspreche die Feststellung der sachlichen Grundlagen für eine etwaige Mehrheitsregierung durchaus seinen Auffassungen. Auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Tage und der Überzeugung, daß auch einem positiven Ergebnis dieser sachlichen Beratungen seitens einflußreicher Stellen keine Folge gegeben würde, halte er eine Beteiligung seinerseits nicht mehr für vertretbar.

Auf Grund dieser Feststellungen bat Herr Prälat Kaas den Herrn Reichspräsidenten, auf weitere Fühlungnahme mit den Parteien verzichten zu dürfen.“

[1024] Ergänzend fügte Prälat Kaas hinzu: Für die Haltung der NSDAP haben sehr verstimmend und störend Äußerungen gewirkt, die von Vertretern verschiedener Ministerien während der Verhandlungen verbreitet wurden und den Eindruck erweckten, als würde der Auftrag des Herrn Reichspräsidenten nicht ernst gemeint. Diese Gerüchte hätten die Verhandlungen äußerst gefährdet. Z. B. sei während seiner Verhandlungen heute mitgeteilt worden, daß von anderer Seite die umgekehrten Schritte unternommen wären, so daß also verschiedene Strömungen nebeneinander liefen; das habe seinen Verhandlungen den größten Teil der Aussicht genommen. Angesichts dieser Feststellungen sei es für ihn ein Gegenstand aufrichtiger Trauer, den Herrn Reichspräsidenten bitten zu müssen, auf weitere Fühlungnahme mit den Parteien durch ihn zu verzichten.

Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten: „Was nun?“, erwiderte Kaas: Eine Rückkehr zu dem, was war und wie es war, würde ich für einen verhängnisvollen Schritt ansehen. Die Regierung von Papen ist, ohne daß ich ihren guten Willen bezweifle, mir erschienen als ein Experiment; wenn sie wiederkehrt – sei es im Haupt, sei es in ihren Gliedern, wie sie war – würde ich pflichtgemäß meiner Meinung Ausdruck geben müssen, daß dann aus einer experimentierenden Regierung von Papen eine Konfliktsregierung werden müßte mit allen unheilvollen Folgen für das deutsche Volk. Anders wäre die Situation, wenn eine andere Präsidialregierung wiederkehren würde; selbst in der Besprechung mit Hitler konnte ich nach der Seite eine größere Bereitwilligkeit feststellen; ich überschätze die Bedeutung solcher Äußerungen allerdings nicht, aber gerade mit Rücksicht auf die mir erklärte sachliche Verhandlungsbereitschaft der NSDAP würde ich wünschen, daß man zu einer Änderung in der Regierung käme. Eine neue Regierung würde als etwas Neues angesehen werden und psychologisch stärker wirken. Es müßte allerdings eine Neubildung sein, die zu einer engeren Volksverbundenheit führen müßte. Eine solche würde auch für einen späteren Zeitpunkt neue Möglichkeiten eröffnen.

Auf eine Frage des Herrn Reichspräsidenten, was das Zentrum eigentlich an der Regierung des Herrn von Papen zu tadeln habe, antwortete

Kaas: Bei den Schwierigkeiten der Lage müßte der Kanzler des Reichs ein Mann sein, der über Finanz- und Wirtschaftsfragen aus eigener Erfahrung und eigenem Wissen so viel leisten könne, daß er die auf diesem Gebiete liegenden Arbeiten des Kabinetts führen könne. Diese Eigenschaft bringe Herr von Papen nicht mit. Herr von Papen sei nur Politiker.

Der Herr Reichspräsident richtete darauf die zweite Frage an den Prälaten Kaas, ob er selbst ein Hindernis sei. „Ich bin gern bereit, jederzeit zu gehen, wenn ich im Inland und Ausland das Vertrauen nicht habe, das ich verlangen muß. Ich will mich auch nicht anbieten, das verbietet mir mein Stolz.“

Kaas: „Ich verstehe durchaus die innere Bitternis, die den Herrn Reichspräsidenten beherrschen muß. Ich kann aber nur in voller Überzeugung antworten: Am Tage, wo Sie, Herr Reichspräsident, uns verlassen, würde die letzte Hoffnung auf Sammlung und Zusammenfassung uns entschwinden. Wenn es etwas gibt, was über den Parteien steht und uns eint, so ist es Ihre Persönlichkeit. Ich bitte Sie inständig in aller Ehrfurcht, diesen Gedanken nicht über die Tür des Hauses kommen zu lassen.“

[1025] Der Herr Reichspräsident „Man zeigt mir immer mit der einen Hand das Zuckerbrot, mit der anderen die Peitsche.“ –

Auf eine Frage des Unterzeichneten, unter welchen Voraussetzungen das Zentrum und die Bayerische Volkspartei zur Unterstützung einer Präsidialregierung bereitständen, erwiderte Kaas: Eine neugebildete Präsidialregierung würde bei seinen Leuten wie auch bei anderen Parteien eine neue Haltung auslösen. Diese Regierung würde zwar keine Mehrheit, aber eine wesentlich erweiterte Basis haben, und sie würde vielleicht eine Brücke bilden für eine Vertagung und den Weg offen lassen, so daß man ohne Konflikt durchkäme.

Der Herr Reichspräsident „Ich komme in eine immer schwierigere Position. Man will mir den Mann meines Vertrauens wegnehmen und mir einen Kanzler aufzwingen.“

Kaas: „Das ist nicht unsere Absicht. Die persönlichen Rechte des Herrn Reichspräsidenten erkennen wir durchaus an.“

Der Herr Reichspräsident dankte dem Prälaten Kaas für seine Bemühungen. Er müsse mit sich zu Rate gehen und sich weitere Entschließungen vorbehalten.

Für die Niederschrift:

Meissner

Staatssekretär

Fußnoten

1

Abgedr. auch in: Goßweiler, Karl Dietrich Brachers „Auflösung der Weimarer Republik“, in: ZfG 6 (1958), S. 554 ff.; Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1914 b; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 101.

2

Von Meissner am 25. 11. an den RK „zur vertraulichen Kenntnisnahme“ übersandt.

3

Die durch WTB (Nr. 2530, Ausschnitt in R 43 I /1309 , S. 635) am 25. 11. verbreitete amtl. Mitteilung über diese Besprechung stimmt im Wortlaut mit der nachstehenden Aufzeichnung des Zentrumsvorsitzenden weitgehend überein.

4

StR Schäffer.

5

Dingeldey.

6

Hugenberg.

7

Hitler.

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