1.2.2 (ma31p): 2. Wehrpolitik

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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2. Wehrpolitik

Die in der Scheidemann-Rede kulminierenden Enthüllungen über illegale Reichswehraktivitäten, die zum Sturz des dritten Kabinetts Marx geführt hatten, bestärkten die Reichswehrführung in der Überzeugung, daß im Interesse einer diskreteren und zugleich wirksameren Durchführung geheimer Rüstungsvorhaben eine[L] engere Zusammenarbeit mit den zivilen Instanzen des Reichs und Preußens angestrebt werden müsse107. Dies schien um so notwendiger, als der neue preußische Innenminister Grzesinski der Reichswehr illoyales Verhalten vorgeworfen und das „Geßler-Severing-Abkommen“ von 1923 über die Kooperation auf dem Gebiet des Grenz- und Landesschutzes inzwischen förmlich aufgekündigt hatte108. Vor diesem Hintergrund erstatteten der Chef der Heeresleitung Heye und der Chef der Marineleitung Zenker, einer früheren Ankündigung entsprechend, am 26. Februar 1927 dem neuen Kabinett einen Bericht über die strategische Konzeption und den Rüstungsstand von Heer und Marine unter Hervorhebung derjenigen Maßnahmen, die, obwohl durch den Friedensvertrag verboten, nach Auffassung der Reichswehrführung zur Stärkung der Defensivkraft der kleinen Wehrmacht im Konfliktfall unentbehrlich waren109. Bei den Ausführungen Heyes stand die Organisation des Grenz- und Landesschutzes zur Sicherung der als besonders bedroht geltenden Ostgrenze des Reiches im Vordergrund. In diesem Zusammenhang referierte Heye über die bereits in Angriff genommenen oder geplanten Mobilmachungsvorarbeiten, über das System der Bezirks- und Kreisoffiziere, die Bemühungen um eine listenmäßige Erfassung der militärisch ausgebildeten bzw. wehrfähigen Bevölkerung und gab auch freimütig Auskunft über Art und Umfang der geheimen Waffenbestände. Das Ziel dieser Berichterstattung, die vorläufige Billigung der vorgetragenen Maßnahmen durch die Reichsregierung, wurde erreicht. Zwar fand die Anregung Heyes, aus Vertretern der Reichsregierung, der Länder und gegebenenfalls auch der Parteien einen koordinierenden Rüstungsausschuß „unter unauffälligem Namen“ zu bilden, im Kabinett keinen Anklang. Aber der von der Reichswehrführung beantragten Fortsetzung der Rüstungsvorbereitungen stimmte der Reichskanzler, der dem Anliegen der Militärs mit großer Aufgeschlossenheit begegnete, grundsätzlich zu. Darüber hinaus signalisierte er die prinzipielle Bereitschaft der Reichsregierung, die politische Verantwortung und „Deckung“ für geheime militärische Vorhaben zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß die Reichswehrführung das Kabinett vollständig informiere und seine Genehmigung einhole. Das wurde von Heye auch ohne weiteres zugestanden.

Im Vergleich zu der unter Seeckt befolgten Praxis bedeutete diese Vereinbarung einen Fortschritt in Richtung auf eine Kontrolle geheimer Reichswehrpolitik durch die Regierung. Einen sicheren Schutz vor den gefürchteten Enthüllungen über militärische Vertrags- und Gesetzesverstöße konnte die Absprache naturgemäß nicht bieten110. Bereits Anfang August 1927 geriet die Geheimrüstung der Reichswehr erneut ins Kreuzfeuer der Kritik, als durch Presseveröffentlichungen bekannt wurde, daß die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Phoebus-Filmgesellschaft erhebliche Subventionen durch Vermittlung des Leiters der Seetransportabteilung der Marineleitung, des Kapitäns Lohmann, erhalten hatte. Der Präsident[LI] des Rechnungshofs Saemisch, vom Reichskanzler mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragt, stieß im Verlauf seiner behördeninternen Nachforschungen auf ein Gewirr von geheimen militärischen sowie von privatwirtschaftlichen Unternehmungen, die Lohmann teils mit, teils ohne Wissen seiner Vorgesetzten aufgezogen oder betreut hatte, die geschäftlichen Transaktionen zumeist in der trügerischen Hoffnung, daß sie einen Gewinn abwerfen und die ihm aus Geheimfonds und außeretatmäßigen Krediten zur Verfügung stehenden Mittel verstärken würden. Nachdem Saemisch dem Reichskanzler über das vorläufige Ergebnis seiner Ermittlungen berichtet hatte, stimmten beide darin überein, daß wegen der innen- und außenpolitischen Brisanz der „Lohmann-Affäre“ („Phoebus-Affäre“) die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und damit eine öffentliche Durchleuchtung des Gesamtkomplexes unbedingt vermieden werden müsse. Bei der Unterrichtung des Kabinetts durch den Rechnungshofpräsidenten kamen neue unerfreuliche Tatbestände zur Sprache. Um einer Wiederholung der aufgedeckten groben Etatverstöße vorzubeugen, faßte das Kabinett auf Vorschlag Saemischs den grundsätzlichen Beschluß, in Zukunft alle geheimen Ausgaben der Wehrmacht von der Genehmigung der Reichsregierung abhängig zu machen und ihre Kontrolle einem speziellen Ausschuß zu übertragen, der aus je einem Vertreter des Rechnungshofs, des Reichsfinanz- und des Reichswehrministeriums gebildet werden sollte – ein Verfahren zur „Legalisierung“ illegaler Ausgaben, das bis zum Ende der Weimarer Republik praktiziert worden ist. Im übrigen kamen die Minister überein, die parlamentarische Erörterung des Lohmann-Skandals, die sich schon wegen der Notwendigkeit einer etatmäßigen Abdeckung der entstandenen Verluste nicht vermeiden ließ, so lange wie möglich hinauszuzögern und auf die wirtschaftlichen Projekte Lohmanns zu beschränken, die geheimen Maßnahmen der Marine hingegen in den Hintergrund treten zu lassen. Bei den informatorischen Vorbesprechungen mit den Parteiführern zeigten sich nicht nur die Vertreter der Koalitionsparteien, sondern auch der DDP und der Sozialdemokraten bemerkenswert kooperationsbereit und machten von sich aus Vorschläge, wie durch eine „sehr vorsichtige“, die Reichsinteressen schonende Darstellung des Falles die Diskussion eingegrenzt werden könne111.

Noch vor dem Beginn der Haushaltsberatungen des Reichstags im Januar 1928, die mit einer Regierungserklärung über den Lohmann-Fall eingeleitet werden sollten, reichte Reichswehrminister Geßler sein Entlassungsgesuch ein112. Geßler war nach fast achtjähriger Ministerzeit amtsmüde geworden und hatte sich schon seit längerem auch aus persönlichen Gründen mit Rücktrittsabsichten getragen. Nun war er zu der Überzeugung gelangt, daß ein neuer Mann an der Spitze des Ministeriums, der nicht in die Affäre verwickelt und politisch nicht so umstritten war wie er, die Belange der Reichswehr in den kommenden Auseinandersetzungen viel wirkungsvoller würde vertreten können. Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger war schwierig. Die DVP erhob wie schon bei der Kabinettsbildung so auch jetzt einen Anspruch auf die Besetzung des Ministerpostens, aber auch von seiten anderer[LII] Parteien wurden Kandidaten genannt, ohne daß man sich auf einen gemeinsamen Bewerber einigen konnte. Wahrscheinlich auf Empfehlung des Leiters der Wehrmachtabteilung im Reichswehrministerium, Schleicher, fiel die Wahl schließlich auf den parteilosen Generalleutnant a. D. Wilhelm Groener, den Generalquartiermeister und engen Mitarbeiter Hindenburgs in der letzten kaiserlichen Obersten Heeresleitung. Groener verfügte als ehemaliger Reichsverkehrsminister in den Kabinetten Fehrenbach, Wirth und Cuno über Erfahrung in der Leitung eines Ressorts und hatte gegenüber seinen Mitbewerbern außerdem den Vorzug, daß er als sozial gesinnter Vernunftrepublikaner auch von den Sozialdemokraten respektiert wurde und infolgedessen auch in einem Nachfolgekabinett der Großen Koalition im Amt bleiben konnte, was dem Wunsch der Reichswehrführung nach Kontinuität in der Leitung des Ministeriums entgegenkam. Am 19. Januar 1928 wurde Groener trotz des Widerspruchs der volksparteilichen und deutschnationalen Fraktion von Hindenburg zum Reichswehrminister ernannt113.

Zweifellos hat der Wechsel von Geßler zu Groener dem Kabinett bei der Aufarbeitung des Phoebus-Komplexes eine Entlastung gebracht. Trotzdem geriet die Reichsregierung erneut in Bedrängnis, als sie während der Verhandlungen über den Wehretat im Haushaltsausschuß zur Vorlage der Untersuchungsergebnisse Saemischs aufgefordert wurde. Das Kabinett lehnte eine Veröffentlichung des Saemisch-Berichts strikt ab, hätte seine Publikation doch ein offizielles Eingeständnis friedensvertragswidriger Handlungen hoher Amtsträger des Reiches bedeutet, wodurch die Glaubwürdigkeit der deutschen Verständigungs- und Entwaffnungspolitik erschüttert worden wäre. Der Reichskanzler, der trotz seiner Erkrankung in die Verhandlungen eingeschaltet wurde, entschied in Übereinstimmung mit dem Kabinett, daß dem Ausschuß lediglich „eine ausführliche Darstellung der wirtschaftlichen Maßnahmen [Lohmanns] ohne jede Andeutung der in die Landesverteidigung hineinspielenden Dinge“ zu übermitteln sei. Zu diesem Vorgehen erwirkte Marx die Zustimmung der Vertreter sowohl der bürgerlichen Parteien wie auch der SPD114. Der Haushaltsausschuß hielt den Regierungsbericht zwar nicht für ausreichend und führte eine genauere Untersuchung durch, diese beschränkte sich indessen auf die Feststellung und Verurteilung der haushaltsrechtlichen Verfehlungen und sparte, durchaus im Sinne der Regierung, die geheimen Aspekte weitgehend aus. Mit der Debatte und Annahme des Ausschußberichts am 27. März 1928 zog der Reichstag kurz vor seiner Auflösung einen Schlußstrich unter die Affäre115. In der Folgezeit sind die nutzlosen und spekulativen Geschäfte der Seetransportabteilung liquidiert, die für die Marine militärisch wertvollen Projekte hingegen mit Billigung und finanzieller Unterstützung der verschiedenen Reichsregierungen – teilweise unter veränderter Tarnung – fortgeführt worden. Das Gleiche gilt mutatis mutandis auch für die geheimen Rüstungsvorbereitungen des Heeres.

Fußnoten

107

Siehe dazu die Aufzeichnung über Ausführungen Schleichers von Ende Dezember 1926, Nachl. Schleicher , Nr. 32, abgedr. in: Vorgelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 409 ff.; vgl. auch Carsten, Reichswehr und Politik, S. 287 ff.

108

Dok. Nr. 163.

109

Dok. Nr. 190; zur Vorgeschichte Dok. Nr. 130, P. 1.

110

Bezeichnend ist, daß sowohl Heye wie auch Geßler in der Ministerbesprechung vom 26.2.1927 (Dok. Nr. 190) von der RReg. ein schärferes Vorgehen gegen militärischen „Landesverrat“ forderten. Zum Komplex der Landesverratsverfahren siehe Dok. Nr. 131; 314, P. 2.

111

Dok. Nr. 336; 345; 352; 371; 372; 375; 376; 384. – Zum Verkauf der Phoebus-Film AG: Dok. Nr. 385, P. 4; 386; 388.

112

Dok. Nr. 389.

113

Dok. Nr. 389, Anm. 7.

114

Dok. Nr. 402, P. 5; 412, P. 1; 414, P. 3; 438, P. 1; 439, Ministerbesprechung; 441443445; 446.

115

Dok. Nr. 446, Anm. 2.

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