2.51 (bau1p): Nr. 50 Eingabe oberschlesischer Zentrumsabgeordneter an die Reichsregierung. Weimar, 19. August 1919

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[201] Nr. 50
Eingabe oberschlesischer Zentrumsabgeordneter an die Reichsregierung. Weimar, 19. August 1919

R 43 I /349 , Bl. 106 handschriftlich1

[Betrifft: Oberschlesische Autonomie.]

Die unterzeichneten Abgeordneten halten es für ihre Pflicht, nochmals auf die große Gefahr hinzuweisen, welche angesichts der bevorstehenden Volksabstimmung dem Verbleib Oberschlesiens beim Deutschen Reiche droht2.

Wenn nicht sofort etwas Durchgreifendes geschieht, um dem Selbständigkeitsstreben der oberschlesischen Bevölkerung entgegenzukommen, halten wir Oberschlesien für verloren.

Die Provinzialautonomie, welche Preußen geben will3, genügt nicht und wird ihre Wirkung auf die Stimmung der Bevölkerung gänzlich verfehlen. Nur unverzüglich gewährte Gliedstaatautonomie gibt noch einige Hoffnung, Oberschlesien bei[m] Deutschen Reiche zu erhalten. Artikel 18 der Verfassung bietet[202] den Weg dazu auch ohne Sperrfrist4. Halbe Maßnahmen, zu denen die Provinzialautonomie gehört, sind zwecklos.

Wir haben den Autonomiebestrebungen bis in die neueste Zeit völlig ferngestanden; nachdem wir uns aber überzeugt haben, daß sich in ihnen ein klarer fester Volkswille ausspricht, dessen Verkennung und Nichterfüllung das oberschlesische Volk vom Deutschen Reiche abdrängt und in die Arme der Polen treibt, so halten wir es für unsere Pflicht, für die weitgehendste Autonomie innerhalb des Deutschen Reiches einzutreten.

Parteipolitische Interessen liegen uns hierbei vollständig fern5, wir lassen uns lediglich von der Sorge um das Reich und das oberschlesische Volk leiten.

Wir glauben die gliedstaatliche Autonomie umsomehr fordern zu können, weil in Anbetracht der unverkennbar sich vollziehenden Umwandlung des Reiches in den deutschen Einheitsstaat die Entlassung Oberschlesiens aus dem bisherigen staatlichen Verbande für Preußen kein zu großes Opfer ist.

Wir treten mit diesen unseren Vorstellungen, obwohl sie bisher fruchtlos gewesen sind, nochmals und vielleicht zum letzten Male an die Reichsregierung heran, damit uns nicht, wenn Oberschlesien verloren gehen sollte, der Vorwurf gemacht werden kann, daß wir nicht alles getan hätten, um dieses wertvolle Gebiet dem Deutschen Reiche zu erhalten.

Ehrardt

Puschmann

Ulitzka

Grunau

Szczeponik

Dr. Herschel

Zawidzki

Fußnoten

1

Handschrift des MdNatVers. Ulitzka; die Mitunterzeichner haben eigenhändig unterschrieben.

2

Der Vorsitzende der oberschles. Zentrumspartei, Ulitzka, hatte sich in dieser Angelegenheit bereits am 14. 7. an die RReg. gewandt (R 43 I /349 , Bl. 24) und am 13. 8. erneut an die RReg. appelliert, „mit oder ohne Zustimmung der preußischen Regierung durch ein Gesetz Oberschlesien die staatliche Autonomie“ zu geben (R 43 I /349 , Bl. 45). Als Gründe für den in Lage- und Stimmungsberichten aus Oberschlesien wiederholt angezweifelten positiven Ausgang der Volksabstimmung werden die Sorgen oberschles. Montanindustrieller und Großgrundbesitzer über die Entwicklung der Sozial- und Wirtschaftsordnung sowie die Befürchtungen der katholischen Bevölkerung angeführt, die „im heutigen sozialen Deutschland ihre religiöse Stellung und die Kindererziehung nicht genug geschützt sieht und dadurch leicht der in diesen Fragen mehr versprechenden polnischen Agitation anheimfällt“. Sollte in letzter Stunde noch geholfen werden, „so könne es nur durch schleunige Zugeständnisse in Form weitgehender Selbstverwaltungsrechte für Kirche und Wirtschaftsleben“ geschehen. Für den Fall einer Abstimmungsniederlage werde sich für ein wiedererstarkendes Deutschland in den an Polen abzutretenden Gebieten umso leichter ein Weg zum Anschluß an das Dt. Reich finden lassen, „je mehr das Reich überhaupt einer Zusammensetzung aus Bundesstaaten, in denen völkische Eigenart gewahrt bleibt, den Vorzug gibt vor starren Großstaaten, in denen alles über einen Kamm geschoren wird“ (Lagebeurteilung der Gr. Reichswehrbrigade 8 vom 11.7.19; Abschrift durch GenKdo VI. AK an die RReg., 14.7.19; R 43 I /349 , Bl. 23; weitere Materialien ebd.).

3

Durch den weitgehende Kulturhoheit gewährenden GesEntw. über die Provinzialautonomie, den die PrReg. der LV am 14. 7. vorlegte (vgl. Dok. Nr. 12, Anm. 14), wären die oberschles. Forderungen einerseits nur zum Teil erfüllt, vor allem aber dilatorisch behandelt worden. Danach sollte der bisherige pr. RegBezirk Oppeln erst nach der Volksabstimmung den Status einer Provinz Oberschlesien erhalten. Ein daraufhin am 17. 7. in der PrLV eingebrachter Initiativantrag, der die Errichtung einer eigenständigen pr. Provinz Oberschlesien zum 1.10.19 anstrebte (PrLV-Drucks. Nr. 652, Bd. 647), wird am 14.10.19 angenommen (vgl. GS S. 169). Der Gedanke, ein von Preußen unabhängiges Land Oberschlesien zu schaffen, wird durch das ReichsGes. betr. Oberschlesien vom 27.11.20 weiterverfolgt (RGBl. S. 1987 ). Siehe dazu diese Edition: Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 92, P. 1.

4

Die Abgeordneten beziehen sich auf folgende Bestimmungen des umfangreichen Art. 18 RV, wonach einer beabsichtigten Neubildung von Ländern in einer Volksabstimmung drei Fünftel der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit der Wahlberechtigten zustimmen müßten. Nach Feststellung der Zustimmung hätte die RReg. dem RT im Falle der ablehnenden Haltung der PrReg. ein verfassungsänderndes oder – wenn „ein überwiegendes Reichsinteresse“ die Neubildung erfordert – ein einfaches Reichsgesetz zur Beschlußfassung vorzulegen. Allerdings suspendiert Art. 167 RV Teile dieser Bestimmungen auf die Dauer von zwei Jahren nach Verkündung der RV.

5

Vgl. jedoch die Ausführungen des sozialdemokr. RuStKom. Hörsings vor dem RKab. am 28. 8. (Dok. Nr. 55).

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