2.182 (cun1p): Nr. 182 Der Reichskanzler an den Reichsverkehrsminister. 5. Juni 1923

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[546] Nr. 182
Der Reichskanzler an den Reichsverkehrsminister. 5. Juni 1923

R 43 I /1045 , Bl. 376 Entwurf1

Persönlich!

Betrifft: Bayern und die Reichsbahn2.

Bei der Besprechung vom 30. Mai mit Euer Exzellenz und dem Bayerischen Handelsminister Dr. von Meinel hoben Euer Exzellenz die Besorgnis hervor, daß ein Entgegenkommen gegenüber Bayern auf dem Gebiete der Einrichtung der Behörden der Reichsbahn in Bayern und der Regelung ihrer Zuständigkeit unangenehme und unerfüllbare Berufungen anderer Länder zur Folge haben würde3. Ich würdige durchaus diese Besorgnis, die sich Euer Exzellenz aufdrängt und teile sie nach meiner Kenntnis der Verhältnisse. Gleichwohl möchte ich Euer Exzellenz bitten, bei den weiteren Verhandlungen mit Bayern diese Besorgnis nicht den Ausschlag geben zu lassen. Denn ich glaube nach mannigfachen[547] Anzeichen die Besorgnis sehr ernst nehmen zu müssen, daß wir vor einer schweren Krise des Reichsbahngedankens in Bayern stehen und daß dieser Krise nur durch ein weitgehendes Maß von Entgegenkommen vorgebeugt werden kann. Man verweist von bayerischer Seite darauf, daß die finanziellen Ergebnisse der bayerischen Strecken sich günstig entwickelt haben, günstiger als es dem Durchschnitt der Zeit vor dem Kriege entspreche. Richtig ist auch, daß das bayerische Netz, anders wohl als die Netze der anderen Eisenbahnländer mit Ausnahme Preußens, immerhin eine gewisse selbständige Lebensfähigkeit haben würde. Die Vorteile, die die bayerische Wirtschaft im Tarifwesen aus der Einheitlichkeit der Reichsbahn zieht, werden in der Bevölkerung zum großen Teil verkannt und selbst in der bayerischen Industrie, die früher dem Reichsbahngedanken anhing, nehmen unfreundliche Stimmen zu. Bei dieser Sachlage scheint mir das Zugeständnis einer weitgehenden Ausnahmestellung für das bayerische Netz ein politisches Erfordernis4. Wenn sich hierbei aus anderen Ländern oder aus den Parteien des Reichstags Euer Exzellenz Schwierigkeiten entgegenstellen sollten, bin ich gerne bereit, mich für den hier vertretenen Gedanken einzusetzen und in diesem Sinne auf Parteiführer und Regierungen einzuwirken5.

<Eine freundschaftliche Erledigung der Sache mit Bayern scheint mir besonders wichtig im Hinblick auf die Frage der Verpfändung der Reichsbahn für Reparationsforderungen (Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf das Reich § 8)6.>

C[uno]

Fußnoten

1

Der Entwurf ist von StS Hamm mit zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen versehen worden, die in den sachlich bedeutsamen Fällen angemerkt worden sind.

2

Die bayer. Wünsche zur Verkehrspolitik ergeben sich aus einer Reihe von Erklärungen und Eingaben an die Rkei (in R 43 I /1045  und 1067) sowie aus einigen Berichten des Vertreters der RReg. in München (in R 43 I /2232 ). Danach forderte Bayern vor allem die Ausstattung der Zweigstelle Bayern der RB mit ministeriellen Befugnissen, die Einrichtung eines eigenen zentralen Tarifamtes mit regionalen Zuständigkeiten, stärkere Berücksichtigung der bayer. Interessen im Beschaffungswesen, Neubemessung der Abfindungssumme nach § 3 des Staatsvertrages (RGBl. 1920, S. 775 ) entsprechend der Geldentwertung, Eingliederung der Coburger Eisenbahnstrecken in das bayer. Netz, größere Befugnisse für den Landeseisenbahnrat. Mit einem 23seitigen Schreiben vom 16. 3., in der Rkei am 27. 3. eingegangen, wurde v. Knilling beim RK vor allem in Tariffragen vorstellig, nachdem die Gütertariferhöhungen des RVMin. zum 15. 2. besonders in Bayern eine Welle von Protesten ausgelöst hatten (R 43 I /1067 ). StS Hamm übermittelte dem RVM mit Schreiben vom 27. 3. und 4. 4. die bayer. Proteste und berichtete von der Sorge des RK, „daß hieraus auch politisch unerfreuliche Wirkungen entstehen könnten. Er hält es daher für geboten, diese Angelegenheiten insbesondere auch unter politischen Gesichtspunkten einer näheren Betrachtung zu unterziehen, um allenfalls, je nach dem Ergebnis dieser Beobachtung, für einen friedlichen Austrag dieser Frage sich einsetzen zu können.“ (Schreiben vom 27. 3. in R 43 I /1045 , Bl. 308; 310). Daraufhin legte der RVM dem RK am 26. 4. eine 19seitige Denkschrift über ‚Bayern und die Reichsbahn‘ vor mit drei Anlagen über ‚Die Organisation nach dem Staatsvertrag‘, ‚Finanz- und Tarifpolitik der Reichsbahn‘ und ‚Beschaffungsfragen‘. Darin erklärte sich der RVM zu gewissen Entgegenkommen bereit, sofern vorher mit Preußen darüber Einverständnis erzielt wird und die bayer. Reg. „den Kompromißcharakter einer derartigen Lösung nicht verkennt und deshalb auf der Geltendmachung ihrer Forderungen nur soweit besteht, als sie für mich erfüllbar sind.“ (R 43 I /1045 , Bl. 353-373, hier: Bl. 362).

3

Über die Besprechung vom 30. 5. findet sich ein siebenseitiges Protokoll in R 43 I /1045 , Bl. 378-385, hier: Bl. 383. Danach betonte der RVM ausdrücklich den vorbereitenden Charakter dieser Besprechung über die bayer. Wünsche. „Er nehme an, daß die bayerische Regierung nunmehr in der ihr geeignet erscheinenden Weise an ihn herantreten werde, worauf das RVMin. mit den am Staatsvertrag beteiligten Ländern, insbesondere Preußen, Fühlung nehmen wird.“ Der Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahn auf das Reich war am 31.3.1920 mit den Ländern Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg geschlossen worden (RGBl. I, S. 773  ff.). Schon mit Schreiben vom 26. 4. hatte der RVM dem RK erklärt: „Die politische Notwendigkeit, mit Bayern auf dem Gebiete des Verkehrs zu einem gedeihlichen Zustande zu gelangen, führt mit Rücksicht auf den bei der Vereinheitlichung der Eisenbahnen abgeschlossenen Staatsvertrag über die an diesem Vertrag beteiligten Länder, insbesondere über Preußen.“ (R 43 I /1045 , Bl. 352).

4

Ursprünglich sah der Entwurf hieran anschließend folgenden Passus vor: „Wenn in anderen Ländern und im Reichstag sich dagegen Stimmen erheben sollten, bin ich gern bereit, mich mit ganzer Kraft für den hier vertretenen Gedanken einzusetzen. Denn immer zwingender drängt sich mir auf, daß mit der restlosen Gleichstellung Bayerns mit allen anderen Ländern politisch nicht durchzukommen ist, sondern daß besser dem Gedanken zu folgen ist, im wesentlichen die notwendige Einheit festzuhalten, in Fragen aber, bei denen die einheitliche Behandlung nicht Lebensnotwendigkeit des Reiches ist, Bayern den Übergang möglichst zu erleichtern.“

5

Der folgende Satz ist von StS Hamm handschriftlich hinzugefügt worden.

6

§ 8 des Staatsvertrages lautet: „Zu einer Veräußerung oder Verpfändung der durch diesen Vertrag erworbenen Eisenbahnen bedarf das Reich der Zustimmung der Landesregierungen.“ (RGBl. 1920, I, S. 777 ).

Zu einer Neuregelung der Eisenbahnfragen mit Bayern kommt es unter Cuno nicht, obwohl die Proteste in der bayer. Presse, angeregt durch eine Denkschrift des Landtagsabgeordneten Rothmeier (R 43 I /1045 , Bl. 334-348), an Schärfe noch zunehmen. Ende Juli bringt die BVP im bayer. LT den Antrag ein, „mit der RReg. in Verhandlung zu treten, um eine Neugestaltung der Rechtsverhältnisse der bayerischen Bahnen zu vereinbaren, die den außenpolitischen Notwendigkeiten des Reiches Rechnung tragend, die zur Wahrung der Lebensinteressen Bayerns unerläßliche Selbständigkeit der bayerischen Bahnen gewährleistet.“ (R 43 I /1046 , Bl. 19). In einer Gegendenkschrift des RVMin. vom 27. 7. werden die Behauptungen Rothmeiers und des BVP-Gutachtens zur Eisenbahnfrage scharf zurückgewiesen. „Man spricht von angeblichen Lebensnotwendigkeiten Bayerns, um die es sich dabei handle, man fragt aber nicht im geringsten nach den Lebensnotwendigkeiten des Reichs. Man kümmert sich auch nicht um die Reichsverfassung, die gerade die Reichseisenbahnen geschaffen hat als ein wichtiges neues Band der Einheit und zugleich zum Besten für das deutsche Wirtschaftsleben.“ (R 43 I /1046 , Bl. 26-34, hier: Bl. 34).

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