2.72 (ma11p): Nr. 72 Richtlinien für die Verhandlungen mit dem Sachverständigen-Komitee. [25. Januar 1924]

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Nr. 72
Richtlinien für die Verhandlungen mit dem Sachverständigen-Komitee. [25. Januar 1924]1

R 43 I /40 , Bl. 282 f. Umdruck

Nur für die Herren Minister persönlich!

1) Das Komitee2 hat nicht die Aufgabe erhalten, die Reparationsschuld neu festzusetzen oder einen Reparationsplan aufzustellen, sondern die Methode und die Voraussetzungen für die Sanierung der Währung und des Budgets festzustellen. Nur im Rahmen dieser Feststellung wird Deutschlands Reparationsverpflichtung als Inzidentpunkt erörtert werden können.

2) In der Annahme, daß das Komitee bei seinen praktischen Vorschlägen unterscheiden wird

A) zwischen solchen Maßnahmen, die sofort wirken sollen und

B) solchen, die für eine längere Dauer berechnet sind,

sind unsere Richtlinien folgende:

Zu A.

1) Währung.

Da die Rentenmark eine auf normaler Grundlage ruhende Währung nicht ersetzen kann und den Anforderungen einer wiederauflebenden Wirtschaftstätigkeit schwerlich gewachsen wäre, bedürfen wir für den internationalen Verkehr eines durch mobile Goldwerte fundierten Zahlungsmittels. Die aus den kleinen Stücken der Goldanleihe und wertbeständigem Notgeld bestehende schwebende Schuld ist in eine fundierte Schuld umzuwandeln.

[273] 2) Budget 1924.

Trotzdem die Steuern stark angespannt werden und zum Teil in die Vermögenssubstanz eingreifen und trotzdem die Ausgaben in einer Weise beschnitten worden sind, die auf wichtigen Gebieten auf die Dauer nicht ertragen werden kann, besteht keine Aussicht, die Besatzungskosten, die Kosten für die interalliierten Kommissionen oder gar sonstige äußere Leistungen aus dem Vertrag von Versailles aus laufenden Einnahmen zu bestreiten. Auch für die unabweisbaren inneren Leistungen aus dem V.v.V. fehlt ein Teil der Deckung.

Gehen die Steuern und Abgaben aus dem besetzten Gebiet im Rechnungsjahr 1924 in gleich geringem Maß ein, wie jetzt, so sind die laufenden inneren Ausgaben durch die Einnahmen auch nicht annähernd mehr gedeckt.

Unser Ziel ist daher: schnellste Wiederherstellung der Wirtschafts- und Finanzhoheit im besetzten Gebiet und für eine Übergangszeit Befreiung von den äußeren Leistungen des Vertrags von Versailles.

Werden diese Ziele nicht erreicht, so ist eine auch nur auf kurze Frist wirksame Reform der Währung nicht möglich.

Zu B.

1) Wir sind der Überzeugung, daß Deutschland zu stabilen Verhältnissen in Bezug auf Wirtschaft, Finanzen und Währung gelangen und Leistungen an die Alliierten wieder aufnehmen und weiter bewirken kann, wenn

a)

seine Staatshoheit im besetzten Gebiet und die Einheit der deutschen Wirtschaft und des Eisenbahnwesens wieder hergestellt werden (siehe A. 2),

b)

sein Außenhandel nicht durch einseitige Maßnahmen des Auslandes gehemmt wird,

c)

das Verhältnis zwischen Deutschland und den Alliierten in Bezug auf die Ausführung des Vertrags von Versailles so geregelt wird, daß Deutschlands Kredit wieder aufleben kann (Höhe und Abtragung der Leistungsverpflichtung, „Sanktionen“).

2) Was die Regelung der Reparationsverpflichtung betrifft, so wird an den Grundsätzen des Memorandums vom 7. Juni 19233 festgehalten. Bei ihrer praktischen Durchführung ist die inzwischen eingetretene Verschlechterung unserer wirtschaftlichen Lage, insbesondere der weitere Verlust an Vermögen[274] zu berücksichtigen. Zusagen über Zeitpunkt und Höhe von Leistungen können wir nicht machen, schon weil die Lage der Weltwirtschaft und damit die Aussichten für unseren Absatz zu unsicher sind. Wegen unserer inneren wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse brauchen wir für 2–3 Jahre eine Atempause, während welcher keinerlei Leistung zu bewirken wäre. Ist die Atempause z. B. wegen finanzieller Verhältnisse auf der Gegenseite in dieser Vollständigkeit nicht zu erlangen, so sind wir zum Ausgleich auf auswärtige Kredithilfe angewiesen.

3) Wir sind bereit, für die Erfüllung der späteren Lieferungen Sicherheiten zu bestellen, wie dies im Memorandum vom 7. Juni 19234 vorgeschlagen worden ist.

Wir würden es begrüßen, wenn auf der Grundlage dieser Sicherheiten die Reparationsschuld in einem für Deutschland erträglichen und den finanziellen Wünschen der Gegenseite dienlichen Umfang in normale Anleihen umgewandelt werden könnte.

Was die belgischen Gedanken über Schaffung und Verpachtung von Monopolen5 betrifft, so halten wir es für zweckmäßig, daß diese Gedanken im Rahmen solcher Anleihepläne erörtert werden. Wir machen den Vorbehalt, daß wir vielfache Bedenken gegen die Art der Sicherheitsleistung haben.

Die Haftung der Erwerbsstände6 darf nicht so ausgestaltet werden, daß den deutschen Verhafteten nicht mehr das Reich, sondern die Entente oder eine unter ausländischem Einfluß stehende Stelle als Gläubiger gegenübersteht, [die] durch Geltendmachung des Forderungsrechts wirtschaftliche Macht ausüben und eine Zwangsvollstreckung veranlassen kann.

Eine Verwendung der Reichsbahn als Sicherheit ist nur dann erträglich, wenn der fremdländische Einfluß sich auf die Durchführung von Bestimmungen beschränkt, nach welchen ein bezifferter Überschluß abgeführt wird und nur beim Ausbleiben entsprechender Zahlungen eine Mitwirkung bei der obersten finanzpolitischen Leitung eingeräumt wird. Als Instrument der Wirtschaftspolitik darf die Reichsbahn nicht an den ausländischen Einfluß überliefert werden.

5)7 Auf Fragen nach unserer Haltung in Bezug auf eine Finanzkontrolle ist eine allgemeine theoretische Antwort nicht möglich. Es kommt vielmehr darauf an, ob und unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck eine Sanierungsanleihe aufgenommen wird.

Fußnoten

1

Im beiliegenden Aktenvermerk Kieps vom 25. 1. heißt es: „StS Fischer teilt mit, daß die Ressorts (RFMin., RWiMin., AA, RMinWiederaufbau) heute in einer Besprechung der Staatssekretäre Richtlinien entworfen haben für das Verhalten der amtlichen Stellen gegenüber den Mitgliedern der Untersuchungsausschüsse der Repko, welche nächste Woche nach Berlin kommen. StS Fischer bittet, diese Richtlinien in der morgigen Kabinettssitzung, möglichst zu Anfang der Sitzung, kurz vortragen und die Zustimmung des RMin. dazu einholen zu dürfen. Es sei insbesondere von Wichtigkeit, daß die Richtlinien streng geheim gehalten werden.“ (R 43 I /40 , Bl. 280). Die beiden Sachverständigenkomitees treffen am 29. bzw. 31. 1. von Paris kommend in Berlin ein, wo sie mit Vertretern der RReg. und der Wirtschaft Besprechungen aufnehmen.

2

Hier ist speziell auf das 1. Sachverständigenkomitee unter Dawes Bezug genommen; vgl. Dok. Nr. 40, Anm. 6.

3

In ihrem Memorandum vom 7.6.23 hatte die RReg. den Alliierten folgende Sicherheiten für die Durchführung eines endgültigen Reparationsplanes angeboten: a) Die RB, die in ein finanziell und verwaltungsmäßig unabhängiges Unternehmen umzuwandeln ist, gibt Obligationen in Höhe von 10 Mrd. GM aus, die ab 1.7.27 mit 5% zu verzinsen sind, also eine Reparationsjahresleistung von 500 Mio GM sicherstellen. b) Um eine weitere Annuität von 500 Mio GM vom 1.7.27 ab aufzubringen, wird die RReg. die gesamte dt. Wirtschaft zu einer Garantie heranziehen, die als erststelliges Pfandrecht in Höhe von 10 Mrd. GM auf den gewerblichen städtischen, land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz eingetragen wird. c) Außerdem werden die Zölle auf Genußmittel und die Verbrauchssteuern auf Tabak, Bier, Wein und Zucker sowie die Erträge des Branntweinmonopols als Sicherheit für die jährlichen Reparationsleistungen verpfändet. Der Rohertrag dieser Zölle und Abgaben betrug im Durchschnitt der letzten Vorkriegsjahre rd. 800 Mio GM. – Das dt. Memorandum vom 7.6.23 ist abgedr. im Weißbuch des AA „Notenwechsel der Alliierten im Anschluß an die dt. Noten vom 2. Mai und 7. Juni 1923“, Berlin 1923, S. 29 f.; auch in: Ursachen und Folgen, Bd. V, S. 145 f.; Schultheß 1923, S. 408 f. Zur Vorgeschichte des Memorandums vgl. diese Edition, Kabinett Cuno.

4

In ihrem Memorandum vom 7.6.23 hatte die RReg. den Alliierten folgende Sicherheiten für die Durchführung eines endgültigen Reparationsplanes angeboten: a) Die RB, die in ein finanziell und verwaltungsmäßig unabhängiges Unternehmen umzuwandeln ist, gibt Obligationen in Höhe von 10 Mrd. GM aus, die ab 1.7.27 mit 5% zu verzinsen sind, also eine Reparationsjahresleistung von 500 Mio GM sicherstellen. b) Um eine weitere Annuität von 500 Mio GM vom 1.7.27 ab aufzubringen, wird die RReg. die gesamte dt. Wirtschaft zu einer Garantie heranziehen, die als erststelliges Pfandrecht in Höhe von 10 Mrd. GM auf den gewerblichen städtischen, land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz eingetragen wird. c) Außerdem werden die Zölle auf Genußmittel und die Verbrauchssteuern auf Tabak, Bier, Wein und Zucker sowie die Erträge des Branntweinmonopols als Sicherheit für die jährlichen Reparationsleistungen verpfändet. Der Rohertrag dieser Zölle und Abgaben betrug im Durchschnitt der letzten Vorkriegsjahre rd. 800 Mio GM. – Das dt. Memorandum vom 7.6.23 ist abgedr. im Weißbuch des AA „Notenwechsel der Alliierten im Anschluß an die dt. Noten vom 2. Mai und 7. Juni 1923“, Berlin 1923, S. 29 f.; auch in: Ursachen und Folgen, Bd. V, S. 145 f.; Schultheß 1923, S. 408 f. Zur Vorgeschichte des Memorandums vgl. diese Edition, Kabinett Cuno.

5

Gemeint ist die sog. „Belgische Studie“ zur Reparationsfrage vom 9.6.23, abgedr. in „Notenwechsel der Alliierten im Anschluß an die dt. Noten vom 2. Mai und 7. Juni 1923“, 1923, S. 36 ff. Die belg. Studie macht Vorschläge für die Aufbringung bestimmter jährlicher Reparationsleistungen aus der Verpachtung der RB an eine Betriebsgesellschaft, aus der Errichtung von Handelsmonopolen für Tabak, Zucker, Alkohol, Salz usw., aus Kohlenlieferungen sowie aus all. Beteiligung an den Gewinnen der dt. Industrie.

6

Nach dem dt. Memorandum vom 7.6.23 (vgl. Anm. 3 unter b).

7

Die Ziffer 4) fehlt.

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