2.37 (vpa1p): Nr. 37 Die Deutsche Delegation an die Belgische Delegation. Lausanne, 23. Juni 1932

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Nr. 37
Die Deutsche Delegation an die Belgische Delegation. Lausanne, 23. Juni 1932

R 43 I /482 , Bl. 74–78 Durchschrift1

[Stellungnahme zum belgischen Memorandum vom 22. Juni 19322]

1.) Die Deutsche Delegation stimmt der in der Einleitung dargelegten Auffassung, daß die Wiederherstellung des Vertrauens die Voraussetzung für jede Besserung der wirtschaftlichen Lage ist, aus voller Überzeugung zu. Sie weist aber nochmals mit besonderem Nachdruck darauf hin, daß die unerläßliche[124] Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens eine endgültige Beseitigung aller politischen Zahlungen ist, und daß technische Maßnahmen jedweder Art einen nachhaltigen Erfolg nicht zu zeitigen vermögen, ehe diese Voraussetzung nicht erfüllt ist.

2.) Was Deutschland anlangt, so ist die akute Zuspitzung der Währungs- und Kreditlage darauf zurückzuführen, daß seitens der privaten Gläubiger in den letzten beiden Jahren 5 Milliarden RM aus Deutschland abgezogen worden sind, wobei sich die Währungsreserve der Reichsbank von 3 Milliarden auf 390 Millionen RM verminderte. Der Abzug würde noch größer gewesen sein und zur völligen Zahlungseinstellung geführt haben, wenn es nicht gelungen wäre, durch verschiedene Stillhalteabkommen3 diese Bewegung einzudämmen. Der Erfolg dieser Maßnahmen reicht aber nicht aus; die Abwicklung der kurzfristigen Schulden auf der bisher vereinbarten Grundlage sowie der Dienst der langfristigen Auslandsanleihen ist bei Fortdauer der gegenwärtigen Lage ernsthaft in Frage gestellt.

3.) Die Deutsche Delegation stimmt dem belgischen Vorschlag darin zu, daß es die erste Sorge sein muß, die Währungsreserve der Reichsbank wieder auf einen normalen Stand4 zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, genügt es aber nicht, der Reichsbank Deckungsmittel zuzuführen. Vielmehr muß die Sicherheit bestehen, daß diese Deckungsmittel nicht in Verfolg von Reparationszahlungen oder auf dem Wege über die Zurückziehung kurzfristiger Guthaben des Auslandes wieder abgefordert werden.

4.) Angesichts des Umstandes, daß die letzte Verschärfung der deutschen Währungs- und Finanzlage auf der Zurückziehung zahlreicher privater Kredite beruht, würde nach Auffassung der Deutschen Delegation die beste Methode zur Wiederauffüllung der Währungsreserve der Reichsbank darin bestehen, daß die Kreditgewährung auf dem natürlichen Wege privater Kreditbeziehungen erfolgen würde. Diesen Weg wird die Privatwirtschaft ohnehin einschlagen, sobald ein wirkliches Vertrauen in die Zukunft der deutschen Wirtschaft wieder hergestellt ist.

5.) Auch nach Auffassung der deutschen Delegation würden diese natürlichen Vorgänge durch eine größere Anleihetransaktion gefördert und beschleunigt werden können. Denn ein Geschäft dieser Art, auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage abgeschlossen, würde die Wiederherstellung des Vertrauens in die wirtschaftliche Lage Deutschlands offensichtlich machen. Als Träger einer solchen Anleihe stehen in Deutschland auch abgesehen von dem Reich und der Reichsbank eine größere Zahl geeigneter Organisationen zur Verfügung, so daß es nach Auffassung der Deutschen Delegation nicht erforderlich erscheint, einen neuen Anleiheträger für diesen Zweck zu schaffen.

Andererseits muß nach den Erfahrungen der Vergangenheit das Ausmaß einer etwaigen besonderen Kreditaktion so vorsichtig gewählt werden, daß die[125] damit in Gang kommende Kreditbewegung nicht wieder in wirtschaftlich ungesunder Stärke einsetzt.

6.) Die Deutsche Delegation stimmt mit der Belgischen darin überein, daß die Sanierung der Gemeindefinanzen eine vordringliche Aufgabe der deutschen Finanzpolitik ist. Die Versorgungsbetriebe, die nach dem Vorschlage der Belgischen Delegation als Grundlage der Anleihetransaktion dienen sollen, gehören nach der staatsrechtlichen Gestaltung des Deutschen Reiches zum Aufgabenbereich der Länder und der Gemeinden. (Der Versuch der Durchführung des vorgeschlagenen Verfahrens könnte, zumal bei den gegenwärtigen politischen Verhältnissen Deutschlands, zu erheblichen Schwierigkeiten und Friktionen führen.) Die Deutsche Delegation empfiehlt daher, eine etwaige Kredittransaktion nicht von vornherein auf eine bestimmte Grundlage abzustellen, zumal zur Zeit sich ja noch garnicht übersehen läßt, ob, in welcher Höhe und unter welchen Bedingungen Mittel des Auslandes tatsächlich zur Verfügung gestellt werden würden.

7.) Was die Vorschläge der Belgischen Delegation hinsichtlich der Bildung eines gemeinsamen Fonds zur Kreditgewährung an andere Länder angeht, so ist die Deutsche Delegation vorbehaltlich von Einzelheiten, hinsichtlich deren ihr noch nähere Aufklärung erwünscht wäre, zu Erörterungen auf der vorgeschlagenen Grundlage bereit. Sie setzt dabei voraus, daß bei Gewährung von Krediten der gedachten Art nur finanzielle Bedingungen in Frage kommen, welche die finanzielle Sicherung der zu gewährenden Kredite bezwecken. Sie setzt weiter voraus, daß die Überwachung des Kredits nicht in einer Form erfolgen soll, welche die eigene Verantwortlichkeit des kreditnehmenden Landes in Frage stellen könnte.

8.) Die Deutsche Delegation stimmt mit den Darlegungen und Zielen der Belgischen Delegation hinsichtlich einer Verbesserung des internationalen Güteraustausches völlig überein, insbesondere mit der Auffassung, daß erneut ein Versuch gemacht werden sollte, Kollektivabkommen zur Beseitigung der Handelshindernisse (Einfuhrverbote, Kontingentierungen, Devisenkontrollen, prohibitive Zollsätze) abzuschließen. Sie ist gleichfalls der Auffassung, daß man auf diesem Wege progressiv vorgehen sollte und daß Vereinbarungen zwischen der Mehrheit der europäischen Staaten auf diesem Wege eine besondere Bedeutung zukommt.

Die Deutsche Delegation ist, wie auch schon in der Vergangenheit, so auch weiterhin bereit, an der Verwirklichung des Gedankens mitzuarbeiten, daß allgemein als eine Ausnahme von der Meistbegünstigung anerkannt werden die besonderen Vorteile, die eine Gruppe von Staaten sich in Kollektivabkommen zusagt, sofern allen dritten Ländern der Beitritt offensteht5.

Fußnoten

1

Das Schriftstück ist nicht unterzeichnet. Ein Begleitschreiben fehlt. Am Kopf ist handschrl. vermerkt: „Antwort auf belgisches Memorandum.“

2

Vgl. Dok. Nr. 35. – Wie aus einer nicht signierten Lausanner Ausarbeitung vom 23. 6. (Überschrift: „Bemerkungen zum belgischen Programm vom 22.6.1932“) hervorgeht, war das belg. Memorandum in der dt. Delegation auf scharfe Ablehnung gestoßen. In der Ausarbeitung hieß es u. a.: „Die Belgier haben dieses Programm mit den Franzosen zusammen ausgearbeitet. Sie haben dies offen zugegeben. Das französische Interesse an dem Plan geht daraus hervor, daß sie heute die ganze ausländische Presse über den Plan und seine Meriten in Kenntnis setzen.“ Gegen die belg. Vorschläge sprächen folgende Erwägungen: 1) „Der Zweck einer Diskussion des Plans im gegenwärtigen Moment ist, wie gesagt, von der Lösung des eigentlichen Problems der Reparationsfrage abzulenken. Durch eine weitgehende Unterstützung des Plans in der Weltöffentlichkeit wird der Eindruck erweckt, als ob durch die in Aussicht gestellte Kredithilfe die wirklichen Schäden kuriert werden können, an denen die Welt und namentlich Deutschland zur Zeit leidet (Aufblähung des Kreditsystems, Überlastung mit Auslandsverpflichtungen). Gelingt es der anderen Seite, diesen Plan in der Weltöffentlichkeit plausibel zu machen, so würde Deutschland, wenn es ihn ablehnt, sich der Gefahr moralischer Isolierung aussetzen. Nehmen wir den Plan an, so sind die Vorbedingungen für die Regelung der Reparationsfrage automatisch verschlechtert. 2) Der Plan läuft auf zusätzliche Vermehrung der deutschen Auslandsschuld hinaus. Bleiben Reparationszahlungen künftig zu leisten, so würden sie zunächst aus auswärtigen Krediten geleistet werden. Auswärtige Kredite bedeuten vorweggenommene erarbeitete deutsche Substanz, die anstelle von laufenden Arbeitserträgnissen vorweg wieder an das Ausland als gegenwertslose Leistungen abgeführt wird. Mit anderen Worten, der Fehler des Dawes-Regimes würde wiederholt werden. 3) Selbst wenn die Reparationen gestrichen oder auf ein denkbar niedriges Minimum herabgesetzt würden, bliebe noch die Frage, ob ausländische Kreditgewährung anzunehmen ist, bevor das Problem der deutschen privaten Auslandsverschuldung klargestellt ist. Im Effekt würde die Kreditgewährung hinsichtlich dieser Auslandsverschuldung das gleiche Ergebnis haben wie hinsichtlich der Reparationen, d. h. in den ersten Jahren würde es den Anschein haben, als wäre die Abtragung der privaten Auslandsverschuldung Deutschlands aus eigener Kraft nunmehr möglich. Angesichts der Verfassung der deutschen Wirtschaft – Mangel an Eigenkapital, überhöhter Zinsfuß, Mangel an Absatzgebieten, Arbeitslosenheer – erscheint es aber ausgeschlossen, daß nach einer Übergangszeit von wenigen Jahren, nachdem der Erlös der auswärtigen Kredithilfe verzehrt ist, Deutschland in seine übrigbleibenden Auslandsverpflichtungen hineingewachsen sein wird.“ (R 43 I /482 , Bl. 70–73).

3

Gemeint sind die „Stillhalteabkommen“ mit den dt. Auslandsgläubigern vom 17.9.31 („Deutsches Kreditabkommen von 1931“, Horkenbach 1931, S. 301 und 304) und vom 17.2.32 („Deutsches Kreditabkommen von 1932“, Text im RAnz. vom 18.2.32).

4

Vgl. Anm. 5 zu Dok. Nr. 35.

5

Am 24. 6. fand eine längere dt.-belg. Besprechung über die Vorschläge des belg. Memorandums statt, an der von dt. Seite Warmbold und Luther, von belgischer Seite Renkin und Franqui beteiligt waren. Die Aussprache, die vornehmlich von Luther und Franqui bestritten wurde, beschränkte sich auf verschiedene technische Einzelaspekte des belg. Planes. Eine Annäherung der Standpunkte wurde nicht erreicht (Protokoll in R 43 I /482 , Bl. 85–90).

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