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[Anlage.]

BayerHStA, Bayerische Gesandtschaft Berlin 1510 Abschrift8

In Verhandlungen zwischen der Reichsregierung und den Regierungen der größeren außerpreußischen Länder wurde folgendes Ergebnis erzielt:

1.) Die Reichsregierung ist mit den Länderregierungen einig in der Anerkennung des bundesstaatlichen Charakters des Reichs und der Eigenstaatlichkeit der Länder. Sie sichert zu, daß bei den künftigen Maßnahmen des Reiches auf die ungeschmälerte Erhaltung des Staatscharakters der Länder entsprechend Bedacht genommen wird9.

2.) Die Reichsregierung würdigt den Standpunkt der Länder, daß durch die für Preußen getroffene Regelung eine tiefgreifende Gleichgewichtsverschiebung eingetreten ist, zu deren Behebung ein genügender Ausgleich für die außerpreußischen Länder unerläßlich ist.

3.) Die Reichsregierung sichert zu, daß weder im Wege der ordentlichen Gesetzgebung noch des Notgesetzgebungsrechts nach Art. 48 der Reichsverfassung, noch der Gestaltung der finanziellen Beziehungen Maßnahmen getroffen werden, durch die die Aufgabengebiete der Länder und ihre Hoheitsrechte geschmälert werden.

Insbesondere schließt diese Zusicherung in sich

a) daß die finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern durch den[60] Finanzausgleich so geregelt werden, daß die staatliche Selbständigkeit und die finanzielle Lebensfähigkeit der Länder sichergestellt wird10,

b) daß keine Regelung erfolgt, die das Gemeindewesen in Gesetzgebung oder Verwaltung oder in der Gestaltung der finanziellen Beziehungen der Gemeinden ganz oder teilweise aus dem Hoheitsbereich der Länder ausgliedert und auf das Reich überführt11,

c) daß unbeschadet des Gesetzgebungsrechtes des Reichs und unbeschadet der sachlich erforderlichen Reformmaßnahmen keine Neuordnung auf dem Gebiete der Sozialverwaltung erfolgt, bei der die Versicherungsträger oder die Versicherungsbehörden der dermaligen organisatorischen Eingliederung in die Landesverwaltung oder Landesaufsicht entzogen werden12,

d) daß die Reichswasserstraßenverwaltung als Auftragsverwaltung gemäß den früher abgeschlossenen Staatsverträgen bei den Ländern bleibt13.

4.) Die Reichsregierung sagt zu, daß bei der Gestaltung des Finanzausgleichs, bei der Vergebung der Reichsaufträge und bei der Gestaltung der deutschen Wirtschaftspolitik die Gefahr vermieden wird, daß sich die Personalunion zwischen dem Reich und Preußen einseitig zugunsten Preußens und seiner wirtschaftlichen und finanziellen Interessen auswirkt.

Die Reichsregierung sagt zu, daß die Eisenbahnabfindung14 in einer für die Länder tragbaren Weise geregelt wird.15

Fußnoten

8

Zum Abdruck gelangt nicht das zu den Akten genommene Konzept des geplanten Vereinbarungsentwurfs (BayerHStA, MA 103302), sondern eine Abschrift der lt. Randvermerk RK v. Schleicher am 10. 12. übergebenen Ausfertigung. Sie stimmt bis auf eine den Betreff weglassende Abweichung im 1. Satz mit dem Konzept überein und trägt am Rand – teilweise in Kurzschrift, wahrscheinlich von Min.Dir. v. Imhoff festgehalten – diejenigen Anmerkungen des RK zu dem Entw., die Min.Dir. Sperr dem BayerMinPräs. am 12. 12. mitteilt (s. dazu unten Anm. 15).

9

Zum derzeitigen Stand der Reichsreform- und Verfassungsreformdiskussion vgl. Dok. Nr. 14.

10

Vgl. dazu diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechung vom 18.11.1932, P. 6 sowie das Schreiben des BayerMinPräs. an den RK vom 18.11.1932 betr. „Maßnahmen des Reichs zur Ermöglichung der Abgleichung der Haushalte der Länder und Gemeinden“ (R 43 I /2360 , Bl. 157 f.).

11

Diese Forderung richtet sich wahrscheinlich gegen entsprechende Vorstellungen, die der damalige StS Popitz in einem Ende 1931 fertiggestellten und 1932 u.d.T. „Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden“ veröffentlichten Gutachten entwickelt hatte.

12

Diese Forderung nimmt eine im Herbst 1931 zwischen den süddt. Ländern und der RReg. geführte Auseinandersetzung über eine möglicherweise beabsichtigte „Verreichlichung“ der Sozialversicherungsbehörden wieder auf (Materialien dazu in: R 43 I /2226 ).

13

Zur verfassungsmäßig vorgeschriebenen Übernahme der Wasserstraßen auf das Reich vgl. diese Edition: Das Kabinett Bauer, Dok. Nr. 56, P. 2; zu den diesbezüglich mit den Ländern abgeschlossenen Staatsverträgen vgl. den Bd. Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 210, P. 1.

14

Über die vom Reich für die verfassungsmäßig vorgeschriebene Übernahme der bis 1920 einzelstaatlichen Eisenbahnnetze zu zahlenden Abfindungen vgl. diese Edition: Das Kabinett Bauer, Dok. Nr. 174, P. 6. Die Ausführung einzelner Bestimmungen des diesbezüglich abgeschlossenen Staatsvertrages (RGBl. 1920, S. 773 ) waren seit 1924 Gegenstand langwieriger Auseinandersetzungen, die um die Jahreswende 1928/29 zu einer Klage Badens vor dem StGH wegen beträchtlicher, bisher nicht befriedigter Restforderungen der Länder geführt hatten. Bis 1932 hatten sich fast alle sog. früheren Eisenbahnländer der Klage angeschlossen. MinPräs. Held hatte zuletzt am 18.11.1932 von der RReg. verlangt, „daß das Reich als Abschlagszahlung auf die Eisenbahnabfindung für die Rechnungsjahre 1931 und 1932 den Betrag von 2 x 35 = 70 Millionen RM noch im Rechnungsjahr 1932 an die Länder zur Verteilung bringt“ (R 43 I /2360 , Bl. 157 f.). – Zur pauschalen Erledigung der Angelegenheit durch das Kab. Hitler s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/2, Dok. Nr. 311, P. 3.

15

Sperr verhandelt zwei Tage später noch einmal mit dem RK, der jetzt sachlich auf die Punktation eingeht, ihr grundsätzlich zustimmt, aber auch einige Zusätze und Vorbehalte formuliert und zwar:

„Zu Z. 1: Satz 2 ist insoweit ohne akute Bedeutung, als Verfassungsänderungen nicht beabsichtigt sind.

Zu Z. 2: Die Gleichgewichtsverschiebung ist nur vorübergehend, ihre Beseitigung wird angestrebt.

Zu Z. 3: Ausgenommen sind die sogen. echten Notverordnungen, die zur Wiederherstellung der gestörten Ruhe und Sicherheit nötig werden können, ebenso etwaige Maßnahmen z. B. auf dem Gebiete der Gemeinefinanzen, die auf eigenen Wunsch der Länder vorgenommen werden sollten.

Den letzten Punkt bezüglich der Eisenbahnabfindung wünschte der Reichskanzler gestrichen zu sehen.“

Dazu bemerkte Sperr: „Der Kanzler versuchte auch heute wieder auszuweichen. Vor allem wollte er bis zu der endgültigen Regelung in Preußen sich auf nichts einlassen. Ich habe ihm entgegengehalten, daß gerade auch der jetzige Zustand, der schon ½ Jahr dauere und voraussichtlich noch längere Zeit anhalten werde, für uns äußerst beunruhigend sei. Es liege in seinem eigenen Interesse, diese Beunruhigung zu beseitigen; wir selbst könnten auf Sofortmaßnahmen nicht verzichten. Die Lage sei umso einfacher für den Kanzler, als die Punktation im allgemeinen nur negative Forderungen enthalte.

Zu dem Vorbehalt zu Z. 1 dürfte nichts zu bemerken sein. Der Vorbehalt zu Z. 2 dürfte sich durch Anerkennung der Punktation erledigen. Dem Vorbehalt zu Z. 3 bezüglich der Berücksichtigung der Länderwünsche möchte ich keine Bedeutung zumessen. Mehr vom Reichskanzler zu erreichen, möchte ich für ausgeschlossen halten.“ (Sperr an Held, 12.12.1932; BayerHStA, MA 103302).

Ende Dezember 1932 wird Sperr noch einmal eingehend instruiert: MinPräs. Held sei „von dem Ergebnis der Verhandlungen über die sogenannten Punktationen begreiflicherweise wenig befriedigt. Er bedauert es, daß sich der Herr Reichskanzler nicht entschließen kann, mit seiner Unterschrift für ein Übereinkommen auch nur insoweit einzustehen, als er mit seinem sachlichen Inhalt einverstanden ist.“ Er sei „nach wie vor der Auffassung, daß die Dinge so nicht bleiben können. Solange die Verordnung vom 20. Juli 1932 und die im Verfolg dieser Verordnung gegenüber Preußen getroffenen weiteren Maßnahmen aufrechterhalten bleiben, besteht für die außerpreußischen Länder die Notwendigkeit ausreichender Sicherungen gegenüber den darin liegenden Gefahren einer verfassungspolitischen Entwicklung, in deren Verlauf der verfassungsmäßige Aufbau des Reichs nach und nach zerstört zu werden droht.“ Sperr erhält die Anweisung, die Angelegenheit nochmals mit StS Meissner und dem RK zu besprechen und wenigstens eine „zusammenfassende schriftliche Bestätigung des seitherigen Verhandlungsergebnisses“ zu erreichen (MinR Sommer an MinDir. Sperr, 30.12.1932; BayerHStA, MA 103 302). Einen entsprechenden Antrag Sperrs vom 4.1.1933 will der RK mit einem Hinweis auf die Bestimmungen der RV und besondere Abmachungen zwischen dem Reich und den Ländern zurückweisen. Sollte die Bayer. Reg. „der Ansicht sein, daß Unklarheiten bestehen, die eine Neuregelung nötig machen, so möchte ich vorschlagen, daß die Bayerische Regierung einen begründeten offiziellen Antrag an die Reichsregierung richtet, damit dieser Antrag in aller Form behandelt und zur Entscheidung gebracht werden kann“ (Der RK an MinDir. Sperr, 7.1.1933; R 43 I /1883 , S. 339; darauf „cessat“-Vermerk Plancks ohne Datum: „Nicht abgegangen, da Herr Sperr seinen Brief vom 4. 1. zurückgezogen hat“).

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