2.59.12 (vsc1p): 2. Deutsch-holländische Handelsvertragsverhandlungen und andere Fragen der Agrarpolitik.

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2. Deutsch-holländische Handelsvertragsverhandlungen und andere Fragen der Agrarpolitik.

Der Reichskanzler gibt einleitend einen Überblick über die Fragen die vom Präsidium des Landbundes in jener Sitzung zur Erörterung gestellt wurden, die in ihrem späteren Verlauf zu dem bekannten Zerwürfnis zwischen Reichsregierung und Landbund geführt hat14. Es handelte sich bei den aufgeworfenen Punkten um die 3 stets wiederkehrenden Wünsche:

1. Beimischungszwang zur Margarine,

2. Zölle,

3. Vollstreckungsschutz.

Bei dem ersten Punkt habe generelle Einigkeit bestanden. Beim zweiten Punkt sei die Tendenz zutage getreten, daß unter keinen Umständen neue Bindungen gewährt werden sollen, sondern daß wir bei künftigen Handelsvertragsverhandlungen lediglich mit autonomen Zöllen in die Verhandlungen eintreten sollten. Auf eine Formulierung gebracht, bedeute das, daß nicht zu niedrige[262] autonome Zölle als Verhandlungsgrundlage festzusetzen seien. Nach Beginn der Verhandlungen werde sich ergeben, ob angesichts dieser autonomen Zölle eine Einigung mit der Gegenseite auf Zollkontingente möglich sei. Der dritte Punkt, Vollstreckungsschutz, sei in der vom Landbund vorgeschlagenen Fassung von ihm regelmäßig abgelehnt worden, wobei allerdings der Eindruck vermieden wurde, daß etwa die Osthilfe nunmehr erledigt sei15.

Der Reichsminister des Auswärtigen bezweifelt, ob seine Vorlage über die Vorbereitung der Verhandlungen mit Holland, die dem Reichskabinett zugegangen sei16, nach dem, was der Reichskanzler soeben ausgeführt habe, noch Gültigkeit habe, da die Vorlage des Auswärtigen Amts von anderen Voraussetzungen als der ausschließlichen Festsetzung von autonomen Zöllen ausgehe.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlägt hierzu vor, daß zunächst die von ihm eingebrachte Vorlage im Handelspolitischen Ausschuß der Reichsregierung behandelt werde17. Bei der Führung der Verhandlungen[263] mit Holland schwebe ihm eine labile Verhandlungsmethode vor. Zunächst müßten unsere autonomen Zölle festgesetzt werden. Mit diesen autonomen Zöllen, die erst kurz vor dem 15. Februar – dem Tag des Außerkrafttretens des deutsch-holländischen Handelsvertrages – bekannt gegeben werden dürfen, wäre dann in die Verhandlungen einzutreten, in deren Verlauf über die Möglichkeit unseres Entgegenkommens Klarheit zu gewinnen sei. Unser Entgegenkommen könne verschiedene Gestalt annehmen und sich auf das Gebiet der Kontingente, Herabsetzung autonomer Zölle und auch gelegentliche Bindungen einzelner Zollpositionen erstrecken. Eine vorzeitige Veröffentlichung unserer autonomen Zölle könne er nicht billigen, da eine solche Maßnahme zu Vorratseindeckungen der beteiligten Kreise führen werde. Dagegen sei er der Ansicht, daß die sogenannte kleine Zollvorlage, in der neue autonome Zölle auf Grubenholz, Kasein und Weißkohl festgesetzt würden, schon jetzt veröffentlicht werde, da die holländische Einfuhr nach Deutschland von ihr nicht wesentlich betroffen werde, mit Ausnahme von Weißkohl. Der Beginn der Verhandlungen mit Holland solle erst nach Bekanntgabe der übrigen autonomen Zölle, also kurz vor dem 15. Februar erfolgen.

Der Reichswirtschaftsminister wandte hiergegen ein, daß man die Verhandlungen mit Holland praktisch kaum so lange hinausschieben könne, da die Holländer ihrerseits ihre Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gegeben hätten. Es erschiene ihm daher sehr bedenklich, die Verhandlungen jetzt abzulehnen und mit ihrem Beginn bis Mitte Februar zu warten. Die vom Reichsminister des Auswärtigen eingebrachte Vorlage enthalte bereits eine Anzahl Erhöhungen autonomer Zölle. Allerdings sei eine solche Erhöhung im Verhältnis zu Holland nicht möglich bei den wichtigsten holländischen Einfuhrprodukten, nämlich Käse und Eiern. Die handelspolitische Situation sei, allgemein gesprochen, nicht ohne Bedenken. Es bestünden erhebliche Gefahren für unseren Außenhandel und damit für den Beschäftigungsgrad der Industrie. Deutschland könne es kaum vertragen, mit Holland in einen vertragslosen Zustand zu geraten, denn damit sei ⅓ unseres Ausfuhrüberschusses (ca. 350 Millionen RM) gefährdet; nähme man noch hinzu, daß durch die Abkommen von Ottawa weitere 200 Millionen RM unseres Ausfuhrüberschusses unsicher geworden seien, so rücke die Gefahr eines Transfermoratoriums in greifbare Nähe. Er habe an sich keine Bedenken gegen die Erhöhung autonomer Zölle. Er befürchte jedoch, daß ein Mißerfolg der Verhandlungen in Holland zu einem starken Aufleben der Boykottbestrebungen[264] führen werde, die von holländischen Wirtschaftskreisen bereits einmal mit großer Wirksamkeit gegen die Einfuhr deutscher Waren in Szene gesetzt und von der holländischen Regierung völlig ungenügend bekämpft worden seien. Schon die Erhöhung des autonomen Zolles auf Weißkohl, wie sie die kleine Zollvorlage vorsieht, bedeute, daß die weitere Einfuhr von holländischem Weißkohl nach Deutschland praktisch unmöglich werde. Wenn es sich dabei auch nur um einen auszugleichenden Betrag von etwa 250 000 RM handele, so würde das Bekanntwerden dieses Prohibitiv-Zolles aller Wahrscheinlichkeit nach genügen, um in Holland neue Erregung zu wecken.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärte, daß er sich völlig darüber klar sei, daß unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Holland deswegen unseren schwächsten Punkt darstellten, weil die deutsche Handelsbilanz gegenüber Holland stark aktiv ist. Er könne jedoch die Hoffnung des Reichswirtschaftsministers auf eine Belebung des Welthandels nicht teilen, da alle Anzeichen seiner Ansicht nach dagegen sprächen. Der nächste Schritt sei daher, daß man sich zunächst intern über die Höhe der autonomen Zölle klar werde.

Der Reichskanzler erinnerte an sein Gespräch mit dem Reichswirtschaftsminister und dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, in dem völlige Einigung über Ziele und Taktik der kommenden Handelsvertragspolitik erreicht worden sei18. Auch er wünsche kein Verprellen der Holländer. Es müsse aber etwas zur Beruhigung der Landwirtschaft geschehen und schon die Festsetzung eines Prohibitiv-Zolles für die Einfuhr von Weißkohl aus Holland würde einen psychologisch nicht hoch genug einzuschätzenden Eindruck auf die deutschen Gemüsebauern machen und sich entsprechend politisch auswirken.

Der Reichskanzler schlägt abschließend vor, daß zunächst über die Vorlage des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft intern beraten werden soll und daß über die Punkte, über die eine Einigung nicht erzielt worden ist, das Reichsministerium entscheiden solle19. Erst dann soll der Termin für den Beginn der Verhandlungen mit Holland festgesetzt werden.

Der Reichskanzler erklärte sich ferner damit einverstanden, daß die kleine kleine Zollvorlage kurzfristig veröffentlicht wird20. Es bestand hierbei Einverständnis, daß der autonome Zoll auf Weißkohl, statt, wie ursprünglich beabsichtigt auf 8 RM, auf 6 RM festgesetzt werden solle.

[265] Der Reichskanzler behielt sich schließlich vor, über Fragen der allgemeinen Agrarpolitik in einer späteren Sitzung des Reichsministeriums noch eingehend zu sprechen.21

Fußnoten

14

Einzelheiten s. Dok. Nr. 51.

15

Zur inzwischen erfolgten Regelung s. Dok. Nr. 57, P. 5. Zur weiteren Diskussion über den Vollstreckungsschutz und das Sicherungsverfahren im Osthilfegebiet vgl. diese Edition: Die Regierung Hitler, Bd. I/1, Dok. Nr. 8, P. 2.

16

Als Ergebnis der auf die Sitzung des Handelspolitischen Ausschusses der RReg. vom 3.1.1933 (vgl. Dok. Nr. 45, Anlage) folgenden Ressortbesprechungen hatte der RAM dem StSRkei am 9. 1. ein Grundsatzschreiben „über die Möglichkeit eines deutschen Entgegenkommens gegenüber den voraussichtlichen Hauptwünschen Hollands“ vorgelegt. Einigkeit zwischen den beteiligten Ressorts bestehe darüber, daß die Zollbindungen bei den wenigen ins Gewicht fallenden Industrieprodukten (Bleiweiß, Strohpappe, Hohlglas, elektrische Kabel) wieder gewährt werden könnten. Da das Schwergewicht der niederländischen Wünsche aber auf landwirtschaftlichem Gebiet läge, gingen hier die Meinungen der beteiligten Ressorts ähnlich auseinander wie in der bereits zit. Ausschußsitzung vom 3. 1. Demnach lehne das REMin. „grundsätzlich die Gewährung neuer Bindungen auf Zölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse ab. Auswärtiges Amt, Reichswirtschaftsministerium und Reichsfinanzministerium sind zwar ebenfalls der Meinung, daß künftig im allgemeinen Bindungen landwirtschaftlicher Zölle nach Möglichkeit vermieden werden sollen; sie glauben aber, daß von diesem Grundsatz in solchen Fällen Ausnahmen gemacht werden müssen, wo dies im Interesse der deutschen Gesamtwirtschaft erforderlich ist. Sie sind ferner der Meinung, daß gerade Holland gegenüber solche Ausnahmen geboten sind, da Holland neben Rußland der größte Abnehmer deutscher Waren ist, und da dieser für Deutschland lebenswichtige Export nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn wir nicht durch ein gewisses Entgegenkommen gegenüber den holländischen Wünschen wieder zu einigermaßen normalen Handelsbeziehungen mit Holland kommen. Die drei Ressorts verkennen nicht die Notlage der deutschen Landwirtschaft und sind in dem Ziele, sie lebensfähig zu erhalten, mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft durchaus einig. Sie halten jedoch trotzdem ein Entgegenkommen in begrenztem Umfang gegenüber einigen wenigen holländischen Wünschen für tragbar, insbesondere soweit sich diese auf sogenannte Randgebiete der Landwirtschaft, wie Gemüse und Gartenbau, beziehen.“ (R 43 I /1095 , Bl. 69–72). Dem Schreiben sind als Anlagen beigefügt: 1) „Stellungnahme des Auswärtigen Amts, des Reichswirtschaftsministeriums, des Reichsfinanzministeriums zur Frage einer Erneuerung der am 31. Dezember 1932 Holland gegenüber abgelaufenen Zollbindungen“, 2) „Aufzeichnung zur Frage einer Kontingentierung von Hartkäse“ und 3) „Deutsche Einfuhr von Hartkäse“ (ebd., Bl. 73–80).

17

Im Nachgang zu den auf sein Rücktrittsangebot vom 5.1.1933 folgenden Gesprächen (vgl. Dok. Nr. 45) hatte der REM dem Handelspolitischen Ausschuß der RReg. am 12.1.1933 eine Vorlage über die nach Wegfall der handelsvertraglichen Bindungen mit Holland, Schweden, Jugoslawien und ggf. auch Frankreich zu erlassenden Zollerhöhungen zugeleitet. Eine Durchschrift schickt StS Mussehl dem StSRkei am 19. 1. mit der Bitte, „sie dem Herrn Reichskanzler vorzulegen“ (R 43 I /2427 , Bl. 391–446). Darin heißt es allgemein zu Begründung: „Meine Forderungen auf Kontingentierung der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse sind u. a. mit der Begründung abgelehnt worden, daß infolge der Lösung handelspolitischer Bindungen die Möglichkeit besteht, in absehbarer Zeit die ausreichende Verstärkung des landwirtschaftlichen Zollschutzes herbeizuführen. Die Lage der bäuerlichen Veredelungswirtschaft, der Holzwirtschaft und der Fischerei macht es zur dringenden Pflicht, soweit demnächst gebundene Zölle in Wegfall kommen, den Zollschutz auf das Maß zu verstärken, daß der deutschen Produktion die Möglichkeit eines gesicherten Absatzes ohne Gefährdung durch die Einflüsse der deroutierten Weltmärkte gewährt wird.

Ich verkenne keineswegs, daß die Zollerhöhungen allein die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe nicht ohne weiteres wieder herstellen können, solange nicht eine wesentliche Besserung der Kaufkraft des deutschen Volkes eingetreten ist. Es ist aber für die deutsche Landwirtschaft schlechthin unerträglich, trotz des Tiefstandes der Preise sich in schweren Absatzschwierigkeiten zu sehen, weil die noch billigeren ausländischen Waren den Absatz deutscher Erzeugnisse beeinträchtigen. Die Stimmung der Landwirtschaft ist verzweifelt. Die Katastrophenpreise in der Milchwirtschaft, der unerhörte Tiefstand der Viehpreise haben der bäuerlichen Veredelungswirtschaft die letzten Möglichkeiten einer rentablen Wirtschaft genommen. Es ist daher geboten, den erstmöglichen Termin zu benutzen, um die notwendigen Zollverbesserungen durchzuführen.“ (A.a.O., Bl. 392 f.).

18

Vgl. dazu Dok. Nr. 45, Anm. 10.

19

Als Ergebnis der Beratungen des Handelspolitischen Ausschusses der RReg. teilt der AM dem StSRkei am 20.1.1933 mit, daß über die meisten Anträge des REMin. Einverständnis erzielt worden sei. Bei einigen Holzpositionen, Rindvieh, Schafen, Fleisch und Tafelkäse hätten sich AA, RWiMin. und RFMin. „mit erheblichen Zollerhöhungen einverstanden erklärt, wenn sie auch nicht bis zur vollen Höhe der vom Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft beantragten Zollsätze gehen zu können glaubten. Nur bei Milch, anderem Käse als Tafelkäse und Eiern konnten die drei Ressorts einer Erhöhung der autonomen Zölle zur Zeit nicht zustimmen […].“ Da der REMin. seine Anträge aufrechterhalte, müsse jetzt das RKab. entscheiden (R 43 I /2422 , Bl. 270 f., nebst Anlage mit einer detaillierten Übersicht über die Behandlung der einzelnen Zollerhöhungsanträge durch den Handelspolitischen Ausschuß, Bl. 272–274).

20

Einzelheiten s. in der VO über Zolländerungen vom 19.1.1933 (RGBl. I, S. 24 ).

21

Weder die anstehende Entscheidung über die strittigen Positionen der Zollerhöhungsvorlage des REMin. noch die allgemeine Aussprache über Fragen der Agrarpolitik kann vom Kab. v. Schleicher bis zum 30.1.1933 behandelt werden. – Zum Fortgang s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 4.

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