2.66.1 (vsc1p): 1.) Zu Punkt 1 der Tagesordnung (Fortsetzung der Beratung über die Verkündung von Gesetzen)

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1.) Zu Punkt 1 der Tagesordnung
(Fortsetzung der Beratung über die Verkündung von Gesetzen)

führte Herr Reichsminister Dr. Bracht aus:

In der letzten Aussprache der Herren Kommissare des Reichs am 10. Januar 1933 sei bereits die Frage erörtert worden, ob das vom Preußischen Landtag beschlossene Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Aufwertung von Erbpachtzinsen (Kanon), Grundmieten, Erbleihen und ähnlichen Ansprüchen vom 28. Dezember 1927 (Gesetzsamml. S. 215) durch das Preußische Staatsministerium (Regierung Braun) oder durch die Kommissare des Reichs zu verkünden sei1. Man sei damals nicht zu einer einheitlichen Auffassung gekommen. Er stelle jetzt als praktische Lösung den Vorschlag zur Debatte, das vom Landtag beschlossene Gesetz sowohl vom Preußischen Staatsministerium (Regierung Braun) als auch von den Reichskommissaren unterzeichnen zu lassen. Dann könne an der Rechtsgültigkeit kein Zweifel mehr sein.

Herr Staatssekretär Hölscher bemerkte dazu, in der Gnadensache sei die Zuständigkeit des Reichs zweifelsfrei, nicht aber in der Frage der Verkündung von verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzen, wenn auch die Gründe der Herren Staatsminister nicht stimmten2. Es handele sich bei der Verkündung von Gesetzen nicht um eine Vertretung gegenüber dem Landtag. Es handele sich auch nicht um die Erfüllung einer Pflicht gegenüber dem Landtag. Ein Satz in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs3 könne allerdings stutzig machen, der Satz, in dem gesagt sei: „Die Abtrennung von Zuständigkeiten der Landesregierung und ihre Übertragung auf ein Reichsorgan findet darin ihre Grenze, daß der Landesregierung die Befugnisse erhalten bleiben müssen, die zur Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Landes und seiner rechtlichen Stellung im Reich wesentlich und unentbehrlich sind. Es muß also die verfassungsmäßige Landesregierung als Organ des Landeswillens bestehen bleiben.“4 Aber auch aus diesen Ausführungen des Staatsgerichtshofs ergebe sich nach seiner Auffassung eine Zuständigkeit der Herren Minister für die Verkündung der Gesetze nicht. Er bitte aber, in dieser Frage noch zu warten. Für das Justizministerium sei die brennendste Frage die Gnadensache5. Am 25. Januar berieten die Herren Staatsminister über die Gnadensache. Er habe die Hoffnung, in dieser Frage mit den Herren Ministern zu einer Einigung zu kommen und er möchte vermeiden,[287] durch eine Entscheidung in der Frage der Verkündung Verstimmung hervorzurufen.

Herr Ministerialdirektor a.D. Dr. Ernst erklärte, für ihn sei die springende Frage die Frage der Verpflichtung zur Verkündung von Gesetzen. Er fürchte, daß, wenn man das Recht zur Verkündung für sich in Anspruch nehme, sich daraus auch die Verpflichtung zur Verkündung entwickele. Das könne doch leicht zu sehr unangenehmen Folgen führen. Er möchte sich deshalb für die von Herrn Reichsminister Dr. Bracht vorgeschlagene Lösung aussprechen.

Herr Reichsminister Dr. Popitz bat, ihn über die taktische Lage zu unterrichten.

Herr Reichskanzler von Schleicher führte dazu aus, Herr Reichsgerichtspräsident Bumke sei bereit, in der Gnadenfrage lediglich auf Grund der Akten ohne mündliche Verhandlung binnen ganz kurzer Zeit eine Entscheidung zu fällen. Ministerialdirektor Dr. Brecht, der eine Aussprache mit Staatssekretär Planck gehabt habe6, sei offenbar klar geworden, daß der Staatsgerichtshof in der Frage der Begnadigung dem Reichskommissar Recht gebe. Es sei deshalb nicht ausgeschlossen, daß die Herren Staatsminister in dieser Frage zu einem Entgegenkommen bereit seien. In der Frage der Gesetzesverkündung finde er den Vorschlag Bracht ausgezeichnet und stimme ihm zu.

Herr Reichsminister Dr. Popitz erklärte es auch für unzweckmäßig, schon in der nächsten Zeit die Frage der Verkündung zu entscheiden. Gegen die Inanspruchnahme des vollen Verkündungsrechts habe er auch deshalb Bedenken, weil es sich nicht nur um die eigentliche Verkündung, sondern auch um die Ausfertigung und gegebenenfalls um das Recht, den Volksentscheid anzurufen, handele7. Das letzte Recht könne dem Reichskommissar nicht zustehen. In der Verkündung liege aber auch der Befehl nach draußen, und diesen Befehl hätten nur die Kommissare des Reichs zu geben. Dieser Rechtslage werde der Vorschlag[288] Bracht gerecht. Er stimme ihm deshalb zu. Er empfehle aber, die Verkündungsformel etwas zu ändern, etwa in der Art: „Dieses vom Landtag beschlossene und vom Staatsministerium ausgefertigte Gesetz wird hiermit verkündigt. Der Reichskommissar.“

Herr Reichsminister Dr. Bracht schlug vor, dann das Gesetz auch durch alle Kommissare zeichnen zu lassen.

Herr Reichskanzler von Schleicher sprach sich dafür aus, nicht durch alle Kommissare, sondern nur zu zeichnen: „Der Reichskommissar. In Vertretung. Bracht.“8

2.) Herr Reichsminister Dr. Bracht schlug vor, noch als Punkt 1a auf die Tagesordnung zu setzen ein Ersuchen des Ministerpräsidenten Braun, der mit Schreiben vom 20. Januar 19339 gebeten habe, die Personalakten über eine große Zahl von Beamten zu übersenden, über die die Reichskommissare Entscheidungen getroffen hätten, um sie einem vom Preußischen Landtag eingesetzten 26. Ausschuß zur Untersuchung der Grundsätze der Personalpolitik des Reichskommissars in Preußen vorzulegen10. Er halte es für völlig unmöglich, diesem Wunsch nachzukommen. Es sei unmöglich, den Parteien zu gestatten, jeweils die Personalien der anderen Parteien angehörenden Beamten zu zerpflücken. Fraglich sei ihm nur die Begründung der Ablehnung. Er beabsichtige, in erster Linie die Ablehnung mit der Erklärung zu begründen, daß der Reichskommissar nur dem Reichspräsidenten verantwortlich sei, und sich in zweiter Linie auf den § 59 der Strafprozeßordnung zu berufen11. Er bitte die Ressorts, auf keinen Fall irgendwelche Personalakten auszuhändigen.

Herr Reichskanzler von Schleicher erklärte es für ausgeschlossen, daß der Landtag das Recht habe, derartige Maßnahmen der Reichskommissare zu überprüfen.

Herr Reichsminister Dr. Popitz warf die Frage auf, ob eine Regierung überhaupt verpflichtet sei, Personalakten im Parlament vorzulegen. Er sei der Auffassung, daß der Beamte ein Recht darauf habe, daß seine Personalakten nicht dem Parlament und damit einer unbeschränkten Öffentlichkeit zur Einsichtnahme[289] überlassen würden. Nach seiner Meinung könne ebenso wie die Aussagegenehmigung auch die Aktenvorlegung verweigert werden12.

Herr Reichskanzler von Schleicher bat in der Begründung der Ablehnung auch die vom Herrn Reichsminister Dr. Popitz angeführten Gesichtspunkte zu erwähnen.

Fußnoten

1

Dok. Nr. 49, P. 1.

2

Einzelheiten s. in dem in Dok. Nr. 49, Anm. 9 zit. Gutachten Hölschers vom 18.1.1933.

3

Zum Urteil des StGH im Verfassungsstreit zwischen Preußen und dem Reich vgl. Dok. Nr. 4, Anm. 1.

4

Auf diesen Gesichtspunkt war Hölscher in seinen früheren Ausführungen noch nicht eingegangen.

5

Zum Gesamtzusammenhang vgl. Dok. Nr. 21, P. 6.

6

Zur Einschaltung Bumkes vgl. Dok. Nr. 49, P. 1. – Nach einer nicht unterzeichneten, aber wohl von MinDir. Brecht stammenden Übersicht über die schriftlichen und mündlichen Auseinandersetzungen des PrStMin. mit der RReg. fand diese Aussprache am 23.1.1933 statt. Sie führte zu dem Ergebnis, „daß vor der abschließenden Besprechung zwischen Reichskanzler und Ministerpräsident eine mündliche Beratung der 10 [zwischen beiden Kabinetten strittigen] Punkte [Dok. Nr. 55] zwischen Reichskanzler von Schleicher, den Reichsministern Bracht und Popitz auf der einen Seite und Ministerialdirektor Brecht auf der anderen Seite stattfinden sollte, um möglichst viele dieser Punkte durch Verständigung zu erledigen. Zu dieser Besprechung lud Reichskanzler von Schleicher auf den 26. Januar 5½ Uhr in seine Wohnung ein, mit dem Bemerken, daß er sich für mehrere Stunden frei gemacht habe. Im letzten Augenblick wurde die Besprechung wegen der beginnenden Kanzlerkrise abgesagt und zunächst auf den 28., dann auf den 30. Januar verschoben. Am 30. Januar schieden Reichskanzler von Schleicher und Reichsminister Bracht aus der Regierung aus.“ (Nachl. Severing , Nr. 65).

7

Diese Ausführungen beziehen sich wahrscheinlich auf Art. 42 PrV, der das Verfahren für den Fall regelte, daß der Staatsrat gegen ein vom LT beschlossenes Gesetz Einspruch erhob. In diesem Fall mußte der LT seinen Beschluß nochmals mit Zweidrittelmehrheit wiederholen. Erreichte er diese Mehrheit nicht, galt das Gesetz als abgelehnt, wenn nicht der LT die Herbeiführung eines Volksentscheids beschloß. Dem StMin. stand dieses Recht jedoch nicht zu. Es hatte lediglich die organisatorischen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen für die Durchführung des Volksentscheids zu treffen. In diesem Fall wären zweifellos die RKomm. verpflichtet gewesen, die notwendigen Anweisungen zu geben, was letztlich zu einer stärkeren Hineinziehung der RKomm. in das Gesetzgebungsverfahren geführt hätte, was von ihnen abgelehnt wurde.

8

Das Gesetz wird am 25.1.1933 verkündet und trägt folgende Unterschriften (GS, S. 9):

9

In den Akten der Rkei nicht zu ermitteln; zur Vorgeschichte vgl. jedoch die Dokumentation der Beschwerden Brauns über die Personalpolitik der Kommissariatsregierung in dieser Edition: Das Kabinett v. Papen, passim.

10

Nach einer vom 24. bis 26. 11. dauernden Debatte über die Auswirkungen des Staatsgerichtshofurteils im Verfassungsstreit zwischen Preußen und dem Reich (vgl. Dok. Nr. 31, Anm. 4) hatte der PrLT am 14.12.1932 einen Untersuchungsausschuß zur Überprüfung der Personalpolitik des RKom. eingesetzt (PrLT-Sitzungsberichte, Bd. 763, Sp. 2024).

11

Gemeint ist offensichtlich nicht § 59, sondern § 53 StPO, der die Aussagepflicht von Beamten in Strafverfahren von der vorherigen Genehmigung durch die vorgesetzte Dienstbehörde abhängig macht. Nach Art. 25 Abs. 3 PrV galten für die Beweisaufnahme der Untersuchungsausschüsse „die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß“.

12

Die Rechtslage war unsicher. Art. 25, Abs. 2 PrV bestimmte: „Die Gerichte und die Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, den Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebung nachzukommen; die Akten der Behörden sind ihnen auf Verlangen vorzulegen.“ Der Umfang der Verpflichtung zur Aktenvorlage war jedoch umstritten, ohne daß es bisher zu einer Klärung der Frage gekommen war. Da bislang z. B. die Vorlage von Gerichtsakten während schwebender Verfahren abgelehnt worden war, konnten die RKomm. auch den Versuch machen, die Vorlage von Personalakten abzulehnen, zumal diese Forderung zum ersten Mal in der Geschichte der Untersuchungsausschüsse erhoben wurde (vgl. Winfried Steffani: Die Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtags zur Zeit der Weimarer Republik. S. 98 ff.).

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