2.29 (vsc1p): Nr. 29 Der Reichskommissar für Preisüberwachung Goerdeler an den Reichskanzler. Leipzig, 17. Dezember 1932

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[129] Nr. 29
Der Reichskommissar für Preisüberwachung Goerdeler an den Reichskanzler. Leipzig, 17. Dezember 1932

R 43 I /1163 , Bl. 230–231

[Preisüberwachung und Arbeitsbeschaffung.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Wie mir Herr Staatssekretär Planck mit Schreiben vom 14. d.M. mitteilt, sollen nunmehr hinsichtlich der Besetzung des Reichskommissariats für Preisüberwachung endgültige Entschließungen herbeigeführt werden1.

Es bedarf keiner Bestätigung, daß eine anderweit[ig]e Besetzung des Reichskommissariats, wie ich mehrfach Herrn Reichskanzler Dr. Brüning wie Herrn Reichskanzler v. Papen gegenüber betont habe, jederzeit meine volle Billigung finden muß. Denn ich habe das Amt seinerzeit auf unausweichbares Drängen hin übernommen. Aber die Entschließungen, die jetzt zu fassen sind, müssen m.E. andere sein, als der Herr Staatssekretär mir mitteilt. Ich habe Herrn Reichskanzler Brüning von vornherein mitgeteilt, daß ich etwa 3 Monate die Preisüberwachung und -senkung mit allem Nachdruck betreiben würde. Dann müsse im Interesse der Wirtschaft ein Ruhezustand eintreten. Soweit ich es übersehen könne, würde es aber notwendig sein, im Herbst noch einmal eine kräftige Aktion zu machen; denn man dürfe sich durch das Geschrei über Deflation nicht an der Notwendigkeit äußerster Herabsetzung aller Ausgaben in der öffentlichen Verwaltung irre machen lassen, und damit sei eine gleiche Entwicklung in der Privatwirtschaft untrennbar verbunden.

Als Herr Reichskanzler v. Papen sein Amt antrat, stellte ich, wie es mir selbstverständlich erschien, anheim, sofort eine personelle Änderung eintreten zu lassen2, machte ihn aber darauf aufmerksam, daß jede Wirtschaftsbelebung davon abhängig sei, daß zunächst nicht die Preise für den Verbraucher sich erhöhten. Als dann Anfang September das sogenannte Papen-Programm herauskam, habe ich mündlich und schriftlich nochmals auf die besondere Bedeutung hingewiesen, die der Preisüberwachung zukomme, und gerade deswegen gebeten, nunmehr eine personelle Entscheidung herbeizuführen. Denn selbstverständlich sei die Aufgabe weder sachlich zu erfüllen noch persönlich für mich[130] weiter annehmbar, wenn wichtige die Preisgestaltung betreffende Entscheidungen ohne irgendeine Beteiligung meiner Person erfolgten3. Damals waren die Butterkontingente beschlossen und auch sonst noch einige, die Preise beeinflussende Maßnahmen erfolgt.

Wenn nunmehr mit noch größerem Nachdruck an Arbeitsbeschaffung herangegangen werden soll als bisher, so halte ich es erneut für meine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, daß jede Arbeitsbeschaffung in ihrer Wirkung sich binnen kurzem totlaufen würde, wenn sie mit einer Preissteigerung für den letzten Verbraucher verbunden würde. In diesem Falle würde die in den Wirtschaftskreislauf hineingepumpte neue Kaufkraft sofort durch die Erhöhung der Preise aufgezehrt werden.

Ich möchte diesen Hinweis umso nachdrücklicher mir gestatten, als auf verschiedenen Gebieten in den letzten Wochen Preiserhöhungen vorgenommen sind, die in den Kreisen der Wirtschaft selbst lebhafte Beunruhigung hervorgerufen haben (z. B. Glas, Porzellan, Sanitätskeramik usw.), andere Preiserhöhungen schweben (Papier)4, und als das Reichskabinett eben erst wieder, ohne mir Gelegenheit zu irgendeiner Stellungnahme zu geben, eine Preiserhöhung für die Arzneispezialitäten beschlossen hat5, die den Apothekern gar nichts nützt, aber die großen Verbrauchermassen, weil es sich gerade um die Erhöhung von Kleinpreisen handelt, vollkommen verärgert.

Endlich ist ein Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung bestellt6. Angesichts dieser Entwicklung und in diesem Augenblick erscheint es mir sachlich geboten, die Preisüberwachung in die Hand einer ministeriell unabhängigen Persönlichkeit zu legen. Sehr zu empfehlen wäre, jetzt die Preisüberwachung dem Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung zu übertragen, da die Aufgaben aufs engste zusammenhängen.

Ich halte mich für verpflichtet, sehr geehrter Herr Reichskanzler, diese Entwicklung vollkommen klarzustellen. Ich fürchte, daß, nachdem die Arbeitsbeschaffung derart in den Vordergrund gebracht ist, die Bestellung eines nicht völlig unabhängigen Mannes für die Preisüberwachung ein Fehler sein würde7.

[131] Mit der Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung habe ich die Ehre zu sein, sehr geehrter Herr Reichskanzler,

Ihr sehr ergebener

Goerdeler

Fußnoten

1

Das Amt des RKom. für Preisüberwachung war durch die 4. NotVO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 8.12.1931 (RGBl. I, S. 699 ) geschaffen worden. – StS Planck hatte in dem zitierten Schreiben vom 14. 12. eine sich über den gesamten Zeitraum des Jahres 1932 erstreckende Diskussion dahingehend zusammengefaßt, „daß in den amtlichen Maßnahmen auf dem Preisgebiete ein gewisser Stillstand und in der Organisation der mit den Preisfragen befaßten Stellen eine Änderung eintreten soll“. Beabsichtigt war, die Geschäfte des Reichskommissariats auf eine Reichsministerialinstanz (RWiMin.) überzuleiten (R 43 I /1163 , Bl. 221).

2

Vgl. dazu diese Edition: Das Kabinett v. Papen, Ministerbesprechungen vom 2. 6., P. 2, 7. 6., P. 6a, 18. 6., P. 3 und 31.8.1932, P. 1.

3

RKom. Goerdeler an RK v. Papen, 8.9.1932 (R 43 I /1163 , Bl. 212); in gleichem Sinne ein weiteres Schreiben Goerdelers an v. Papen vom 17.10.1932 (ebd., Bl. 219 f.).

4

Im Zusammenhang mit dem wegen der Entbindung Goerdelers von seinen Geschäften geführten Schriftwechsel leugnet der RWiM, daß Preissteigerungen „in irgendwie nennenswertem Umfange“ stattgefunden hätten. Der Großhandelsindex habe seine sinkende Tendenz beibehalten; er sei von 95,4 im Durchschnitt des Monats August 1932 auf 93,9 im Durchschnitt des Monats November und am letzten Stichtag, dem 7.12.1932, auf 92,7 gefallen. Auch der Lebenshaltungsindex sei von 120,3 für August 1932 auf 118,8 für November 1932 gesunken (Der RWiM an den StSRkei, 17.12.1932, R 43 I /1163 , Bl. 229).

5

Siehe Dok. Nr. 24, P. 7.

6

Vgl. Dok. Nr. 15.

7

Nach Abstimmung mit dem Büro des RPräs. wird Goerdeler noch am 17.12.1932 von seinem Amt als RKom. für Preisüberwachung entbunden (Urkunde und Dankschreiben des RK im Entw. in: R 43 I /1163 , Bl. 222 f.). – Durch VO vom 23.12.1932 wird das Reichskommissariat für Preisüberwachung dem RWiM unterstellt (ebd., Bl. 242; RGBl. I, S. 572 ) und MinDir. Heintze mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt. Zum Fortgang s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 193, P. 14.

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