2.96 (feh1p): Nr. 96 Das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an den Reichswirtschaftsminister. 26. Oktober 1920

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Nr. 96
Das Preußische Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an den Reichswirtschaftsminister. 26. Oktober 1920

R 43 I /118 , Bl. 52–53 Abschrift1

[Betrifft: Ausfuhrsperre gegen Polen]2

Im Laufe dieses Sommers haben sämtliche Reichs- und preußischen Staatsressorts in wiederholten Besprechungen im Auswärtigen Amte von dem Reichswirtschaftsministerium eine scharfe Sperrung der Güterausfuhr nach Polen verlangt.[249] Das Reichswirtschaftsministerium hat den dringenden und einmütigen Wünschen nicht die Beachtung geschenkt, auf die bei der allgemein anerkannten außerordentlichen politischen Tragweite der Frage Anspruch erhoben werden konnte. Es hat über die anderen Ressorts hinweg eine Politik verfolgt, die mit den Beschlüssen der Ressorts im offenbaren Widerspruch stand. Hiergegen muß mit allem Nachdruck Protest erhoben werden, und zwar auch deswegen, weil das Reichswirtschaftsministerium die übrigen Reichs- und Staatsressorts über seine Maßnahmen nicht unterrichtet hat. Hierfür darf ich namentlich auf zwei besondere Vorfälle hinweisen. In einer Ressortbesprechung im Auswärtigen Amt am 17. August 1920 wurde von allen Beteiligten einhellig eine Sperrung der polnischen Grenze verlangt. Das Reichswirtschaftsministerium erklärte sich bereit, die mit der Erteilung der Ausfuhrgenehmigungen betrauten Außenhandelsstellen mit einer auf eine Abdrosselung des Ausfuhrverkehrs mit Polen abzielenden Weisung zu versehen. Mein Ressort und mit mir andere Ministerien waren der Meinung, daß diese Zusage vom Reichswirtschaftsministerium umgehend erfüllt werde. Dementsprechend wurden auch von hier aus Auskünfte und Bescheide erteilt. Es hat sich herausgestellt, daß diese Annahme irrig war. Erst Ende September oder Anfang Oktober ist eine Weisung ergangen. Inzwischen war kostbare Zeit verloren und die Wirkung der allgemein gewünschten Maßnahme illusorisch gemacht. Bewegte Klagen der Deutschen aus Polen, doch endlich mit der immer wieder in Aussicht gestellten Sperre Ernst zu machen, ließen eine Prüfung geboten erscheinen. Es stellte sich heraus, daß von einer Ausfuhrsperre so gut wie überhaupt nicht, zum mindesten nicht im Sinne der Wünsche aller Ressorts, die Rede sein konnte. Nach den Ermittlungen des Auswärtigen Amtes sind allein in der Zeit vom 26. August bis 1. September an einer einzigen Bahnübergangsstelle neben zahlreichen kleineren Sendungen 159 ganze Waggons, darunter 31 Waggons mit Dreschmaschinen und 14 Waggons Bohnen mit Ausfuhrgenehmigung nach Polen hinübergegangen. Diese Feststellungen bildeten Gegenstand einer erneuten Besprechung im Auswärtigen Amt am 27. September 1920, in der die Ressorts ihrer Entrüstung über die Beiseitesetzung der früheren Entschließungen Ausdruck gaben. Nach längeren Verhandlungen war das Reichswirtschaftsministerium bereit anzuordnen, daß Ausfuhrgenehmigungen nach Polen nicht mehr von den Außenhandelsstellen, sondern vom Reichswirtschaftsministerium selbst zu erteilen seien. Die Ressorts erklärten sich mit dieser Regelung einverstanden. Wie ich festgestellt habe, sind diese Anweisungen bis heute noch nicht in die Hand der Außenhandelsstellen gelangt. Ich kann dies nach den bisherigen Erfahrungen nur auf den Widerstand des Reichswirtschaftsministeriums zurückführen.

Das Vorgehen des Reichswirtschaftsministeriums in der Frage der Ausfuhr nach Polen muß dem Ansehen des Reiches bedenklich Abbruch tun, da die Polen selbstverständlich das Zusammenstehen sämtlicher Ressorts kennnen und mitansehen, in welcher Weise es von dem Reichswirtschaftsministerium wirkungslos gemacht wird. Das Reichswirtschaftsministerium stumpft zum Schaden der politischen Stellung des Reiches den Polen gegenüber die einzige Waffe ab, die dem Reich und Preußen gegen Polen gegeben ist. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen, wie es möglich ist, daß das Reichswirtschaftsministerium fortgesetzt[250] eine den Wünschen der übrigen Reichsressorts entgegenstehende, namentlich auch im Widerspruch mit den Äußerungen des Herrn Reichsministers des Äußeren im Reichstage stehende Politik verfolgen kann3.

Für Preußen ist die Frage eines Drucks auf Polen von so ausschlaggebender Bedeutung, daß ich dem Reichswirtschaftsministerium für die Nichtbeachtung der preußischen Wünsche die volle Verantwortung überlassen, andererseits aber nochmals die ernste Forderung erheben muß, mit größter Beschleunigung entweder eine Kabinettsentscheidung herbeizuführen4 oder aber den Ressortwünschen auch in der Tat Rechnung zu tragen.

Braun

Fußnoten

1

Dies war eine Abschrift des Schreibens des PrLandwMin., die dieser am gleichen Tage dem RK übersandt hatte; die Abschrift war dem RK „zur Kenntnisnahme“ zugesandt worden (R 43 I /118 , Bl. 53).

2

Zur Vorgeschichte s. Dok. Nr. 93.

3

Zu den dt.-poln. Wirtschaftsverhandlungen hatte RAM Simons sich am 2.7.1920 im RT geäußert. Nachdem er zuvor eine ganze Reihe poln. Übergriffe im Rahmen der Abstimmungsvorbereitungen geschildert hatte, war Simons in seiner Rede dann fortgefahren: „Ich habe […] keinen Zweifel darüber gelassen, daß bei aller Bereitwilligkeit der deutschen Regierung, mit dem benachbarten polnischen Volke wirtschaftlich stets normale Beziehungen zu unterhalten, doch, solange derartige Streitfragen zwischen uns im Laufe wären, zwischen der polnischen und der deutschen Regierung nicht von wirtschaftlichen Verhandlungen die Rede sein könne, sondern nur von Repressalien.“ (RT-Bd. 344, S. 129 ). Und wenig später: „Es liegt auf der Hand, daß diese Vorgänge nicht dazu angetan sind, die von Polen angeregten wirtschaftlichen Verhandlungen zu begünstigen. Wir haben, wie mein Herr Amtsvorgänger an dieser Stelle wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, uns gezwungen gesehen, Polen gegenüber in der Ausfuhr größte Zurückhaltung zu üben. Wir waren durchaus bereit – und wir sind es heute noch –, bei entsprechendem Entgegenkommen der polnischen Regierung auch deutscherseits auf wirtschaftlichem Gebiet weitgehendes Entgegenkommen zu üben. Von einem solchen kann aber so lange nicht die Rede sein, als auf polnischer Seite feierlich gegebene Versprechungen der Regierungsstellen durch widerrechtliche Eingriffe nachgeordneter Stellen unwirksam gemacht werden. Nur offenes und ehrliches Verhandeln und Halten beiderseits kann das auch von uns gewünschte gutnachbarliche Verhältnis sicherstellen.“ (RT-Bd. 344, S. 130 ).

4

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 106, P. 5.

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