2.74 (ma11p): Nr. 74 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 27. Januar 1924

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[284] Nr. 74
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 27. Januar 1924

R 43 I /2006 , Bl. 23-25

[Reichspostfinanzgesetz]

Am 25. d. M. wurde durch WTB folgende, offenbar aus amtlicher Quelle stammende, Verlautbarung veröffentlicht: „München, 24. 1. Reichspostminister Dr. Höfle nahm heute Veranlassung, wegen der bevorstehenden Einbringung des Reichspostfinanzgesetzes die damit zusammenhängenden Fragen aus dem Verhältnis der früheren bayerischen Postverwaltung mit der bayerischen Regierung im Ministerium des Äußern zu besprechen. An der Besprechung nahmen der Ministerpräsident, der Finanz- und der Handelsminister sowie die Führer der Koalitionsparteien teil. Der Meinungsaustausch ergab, wie verlautet, Übereinstimmung über die grundsätzlichen Fragen, namentlich über die an Stelle der noch nicht gezahlten Abfindungssumme tretenden künftigen Rechte Bayerns.“1

Gegen die sich hier eröffnenden Aussichten glaube ich beizeiten grundsätzliche Bedenken erheben zu müssen, denn anscheinend sollen hier auf einem Umwege frühere Reservatrechte einzelner Länder, die durch Artikel 88 Abs. 1 der Reichsverfassung beseitigt sind, mindestens in einem gewissen Umfang wiederhergestellt und dies mit rückständigen finanziellen Forderungen dieser Länder an das Reich gerechtfertigt werden.

Für Reservatrechte irgendwelcher Art läßt die Reichsverfassung keinen Raum mehr. Den Reservatrechten einzelner Länder nach der früheren Reichsverfassung[285] entsprachen die Präsidialrechte des größten Landes, die für dieses eine Beeinflussungsmöglichkeit auf den Gebieten in sich schlossen, auf denen anderen Ländern Reservatrechte zustanden, so z. B. auch auf dem Gebiet der Post. Die jetzige Reichsverfassung hat sowohl die Präsidial- wie die Reservatrechte beseitigt, und Preußen hat sich mit diesem Zustand zufrieden gegeben. Das Wiederaufleben von Reservatrechten, auch in mehr oder weniger verschleierter Form, bedeutet daher eine Degradierung der nicht bevorzugten Länder zu solchen minderen Grades, denn sie haben auf dem betreffenden Gebiet die Anordnungen des zuständigen Reichsressorts einfach hinzunehmen, während das bevorzugte Land die Maßnahmen zu beeinflussen oder gar selbst zu erlassen in der Lage ist. Die Preußische Regierung hat wiederholt zu erkennen gegeben, daß eine solche Stellung minderen Ranges für Preußen nicht annehmbar ist.

Was die Begründung der anscheinend vom Reichspostministerium geplanten Maßnahmen anbetrifft, so beehre ich mich ergebenst zu bemerken, daß, wenn rückständige finanzielle Forderungen eines Landes an das Reich als Begründung für eine bevorzugte Stellung dieses Landes im Reich anerkannt werden sollten, dieser Grundsatz dann auch für Preußen Anwendung zu finden haben würde. Preußen hat eine bisher nicht beglichene Forderung an das Reich aus Entschädigungen aus Anlaß des Friedensvertrages, deren Höhe das Reichsfinanzministerium selbst auf mehr als 3 Milliarden Goldmark berechnet hat. Es würde unausbleiblich sein, daß bei Anerkennung eines solchen Grundsatzes, vor der ich im übrigen nur warnen könnte, Preußen mit entsprechenden Ansprüchen hervortreten müßte.

Ich beehre mich daher ergebenst um eine gefällige baldige Mitteilung zu bitten, welche Zusagen bei den Münchener Verhandlungen, auf die die eingangs erwähnte Verlautbarung sich bezieht, gemacht worden sind, und möchte im Interesse des Reichs dringend bitten, an dem Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Länder unter allen Umständen festzuhalten. Der Platz, an dem die Länder nach der Verfassung ihre Belange in Reichsangelegenheiten zu vertreten haben, ist der Reichsrat. Die Frage, ob und in welchem Maße dessen Mitwirkungsrechte zu erweitern sind, kann erörtert werden, inzwischen darf aber nicht durch Gewährung von Vorzugsrechten zugunsten einzelner Länder der verfassungsrechtlichen Entwickelung vorgegriffen werden. Im übrigen dürfte wohl Einverständnis darüber bestehen, daß ein Reichspostfinanzgesetz der anscheinend geplanten Art nur im Wege eines verfassungsändernden Gesetzes möglich sein würde2.

Alle Herren Reichsminister haben Abschrift erhalten.

Braun

Fußnoten

1

Hierzu teilt RPM Höfle in einem Schreiben an den StSRkei vom 1. 2. mit: Gelegentlich der Billigung der Grundzüge eines Postfinanzgesetzes durch das Kabinett (s. Dok. Nr. 55, P. 7) sei er, der RPM, ermächtigt worden, die erforderlichen Verhandlungen mit Bayern und Württemberg zu eröffnen, um die in § 2 der Staatsverträge (RGBl. 1920, S. 643 ) vorgesehene Vereinbarung über die Tilgung der vom Reich geschuldeten Abfindungssummen herbeizuführen (vgl. dazu Dok. Nr. 82, P. 7, Anm. 17). Zu diesem Zweck hätten am 24. und 25. 1. in München und Stuttgart Vorbesprechungen stattgefunden. Deren Inhalt sei „kurz dahin zu charakterisieren, daß anstelle der geschuldeten Beträge von 620 und 250 Mio Mark, auf deren Zahlung verzichtet wird, für die Vertragsgegner Miteigentum zu 8/10 des in Bayern und Württemberg belegenen Vermögens der RP vorgesehen ist. Unter voller Aufrechterhaltung der Staatsverträge und der durch sie in Ausführung des Art. 170 der RV herbeigeführten Verkehrseinheit soll daneben durch eine im Rahmen der bestehenden Dienstverteilung sich haltende Stärkung der Stellung des Staatssekretärs in München und des Präsidenten der Oberpostdirektion in Stuttgart vereinbart und auch die Vertretung der beiden Länder in dem geplanten Verwaltungsrat der Dt. RP sichergestellt werden. Eine solche Vereinbarung würde alle Wünsche der bayer. Denkschrift zur Weimarer Verfassung [vgl. Dok. Nr. 63, Anm. 1], soweit die RP in Frage kommt, auf das Maß dessen zurückführen, was bewilligt werden kann und diese Frage ohne Verfassungsänderung somit endgültig erledigen.“ (R 43 I /2006 , Bl. 27 f.).

2

Am 14. 2. übermittelt die Rkei dem PrMinPräs. den Bericht des RPM über seine Verhandlungen in München und Stuttgart (s. Anm. 1). Darauf erklärt der PrMinPräs. in einem Schreiben an die Rkei vom 22. 2., daß die Bedenken Preußens durch die bekanntgewordenen Einzelheiten der vorgesehenen Abmachungen mit Bayern und Württemberg noch verstärkt worden seien (R 43 I /2006 , Bl. 46, 56). Diese Abmachungen kommen infolge des pr. Einspruchs nicht zustande. Damit ist die Absicht des RPM durchkreuzt, die aus den Staatsverträgen von 1920 herrührenden finanziellen Ansprüche Bayerns und Württembergs gegen das Reich durch die Einräumung von Miteigentumsrechten an der RP und durch organisatorische Zugeständnisse abzugelten. Bei den Beratungen des Reichspostfinanzgesetzentwurfs im RR wird auf Antrag Preußens dem § 13 (Staatsverträge mit Bayern und Württemberg) folgender Absatz hinzugefügt: „Maßnahmen auf dem Gebiete des Reichspost- und Telegrafenwesens zugunsten einzelner Länder über die in jetzt geltenden Verträgen gewährten Rechte hinaus, die von dem Grundsatz gleichmäßiger Behandlung aller Länder des Reiches abweichen, bedürfen der Zustimmung des RR in der im Art. 76 Abs. 1, Satz 3 der RV vorgeschriebenen Form.“ (Vgl. RT-Bd. 380 , RT-Drucks. Nr. 6590; RT-Bd. 361 , S. 12789, 12791 f., 12795 ff., 12804). Bayern und Württemberg lehnen daraufhin den Entwurf des Reichspostfinanzgesetzes bei der Abstimmung im RR am 8. 3. ab.

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