2.20 (str1p): Nr. 20 Der Hansa-Bund an den Reichswirtschaftsminister. 23. August 1923

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[85] Nr. 20
Der Hansa-Bund an den Reichswirtschaftsminister. 23. August 1923

R 43 I /1134 , Bl. 182–183 Abschrift in Durchschrift1

[Betrifft: Notlage des Einzelhandels und Kleingewerbes.]

Im Zusammenhang mit den in kürzester Frist durchzuführenden wirtschaftspolitischen Reformmaßnahmen2 gestatten wir uns, die besondere Aufmerksamkeit auf die dringende Notlage des Einzelhandels und Kleingewerbes zu lenken.

Die Notsteuern, die der Reichstag Anfang dieses Monats verabschiedet hat, bringen die grundsätzliche Valorisierung der gesamten Steuerzahlungen3. Trotzdem bisher wirtschaftspolitische Gesetze und Verordnungen bestimmte Erwerbsgruppen insbesondere Einzelhandel und Kleingewerbe – von der Durchsetzung der vom Reich geschaffenen zusätzlichen Kaufkraft im wesentlichen Umfange ausgeschaltet haben und damit in anderen Erwerbsgruppen, insbesondere in bestimmten Teilen der Industrie, zu einer Aufsammlung dieser zusätzlichen Kaufkraft und damit zwangsläufig zu einer starken Inflationsnutznießung führten, hat man doch bei den steuerlichen Maßnahmen den Gedanken vorangestellt, daß bei allen gewerblichen Kreisen die zusätzliche Kaufkraft der Inflationswirtschaft zu gleichmäßiger Auswirkung gelange.

Bei dem gegenwärtigen Umstellungsprozeß der gesamten wirtschaftlichen Rechnungsmethoden auf die Basis der Goldrechnung erscheint es uns im Zusammenhang mit der Notwendigkeit klarer und einfacher Steuermethoden unmöglich, den bisherigen Zustand der Ausschaltung des Einzelhandels und des Kleingewerbes aus dem Zirkulationsprozeß der in die Wirtschaft hineingepreßten zusätzlichen Kaufkraft aufrecht zu erhalten. Wird die bisherige Methode fortgesetzt, so bedeutet dies in kürzester Frist die völlige Zerstörung eines unausschaltbaren volkswirtschaftlichen Zwischengliedes mit allen damit im Zusammenhang stehenden wirtschaftlichen und politischen Folgen und bedeutet gleichzeitig auch die völlige Zerstörung einer der wesentlichsten Steuerquellen des Reiches sowie der Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden4.

[86] Wir sind uns bewußt, daß durch den Übergang zur Goldrechnung allein eine Stabilisierung der Grundlagen der volkswirtschaftlichen Arbeit nicht erfolgen kann. Solange der Zahlungsverkehr mit einer schwankenden Papiermarkwährung zu rechnen hat, wird die Anwendung der Goldrechnung zu der sehr gefährlichen Folgerung führen müssen, daß in den golderrechneten Preisen der wirtschaftlichen Güter eine besondere Risikoprämie zugerechnet wird, die die Differenz ausgleichen soll, die evtl. zwischen dem Kaufkraftwert der empfangenden Papiermark bei deren Einnahme und ihrer Weiterveräußerung besteht.

Aber wenn sich auch aus dieser Sachlage ergibt, daß die Goldrechnung für sich die augenblicklichen Gefahren des völligen Zerfalls aller wirtschaftlichen Kräfte nicht aufzuhalten vermag und wenn auch mit Nachdruck darauf verwiesen werden muß, daß der Übergang zur Goldrechnung nur durch Festigung der Währungsgrundlagen tragbar sein wird5, so muß doch angesichts der augenblicklichen Situation dringendst gefordert werden, daß die jetzt bestehenden zahllosen Schranken, die für die Preisgestaltung im Einzelhandel und Kleingewerbe aufgerichtet worden sind, sofort abgebaut werden. Wir verweisen hierbei auf die von den für diese Fragen in Betracht kommenden fachlichen Spitzenorganisationen in letzter Zeit erhobenen besonderen Wünsche, von denen wir uns vor allen Dingen folgende völlig zu eigen machen:

1.

Aufhebung der Bestimmungen, die für den Einzelhandel die Preisbildung auf Grund ausländischer Währung untersagen;

2.

Ausschaltung der Bekämpfung solcher Preisgestaltung unter Anwendung der Sondervorschriften der Wuchergerichtsbarkeit;

3.

Verpflichtung derjenigen Wirtschaftsgruppen, die auf Grund der Devisenverordnungen auch im inländischen Wirtschaftsverkehr für ihre Leistungen Devisenzahlungen verlangen dürfen, Zahlungen in Papiermark zum Kurswert des Zahlungstages entgegenzunehmen;

4.

Gleichstellung des Einzelhandels mit den übrigen Erwerbsgruppen hinsichtlich der Einfuhr lebensnotwendiger Artikel.

Wir gehen bei der Vorlage dieser Wünsche von der Auffassung aus, daß diese sich durchaus im Einklang mit den grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Tendenzen der gegenwärtigen Reichsregierung befinden und geben der Hoffnung[87] Ausdruck, daß im Interesse der jetzt mit aller Energie durchzuführenden wirtschaftlichen Gesundungsarbeit seitens des Reichswirtschaftsministeriums unverzüglich die notwendigen Verordnungsmaßnahmen bezw. gesetzgeberischen Vorarbeiten getroffen werden6.

Für eine baldmöglichste Stellungnahme zu diesen Ausführungen wären wir zu Dank verpflichtet7.

In vorzüglicher Hochachtung

Hansa-Bund

für Gewerbe, Handel und Industrie

Fußnoten

1

Die Abschrift wurde dem RK vom Hansa-Bund am 23.8.23 zur Kenntnisnahme zugesandt (R 43 I /1134 , Bl. 181).

2

Dies ist evtl. eine direkte Bezugnahme auf Ausführungen Stresemanns im Schlußteil der Regierungserklärung vom 14.8.23: „Die dringende Not dieser Tage verlangt sofortige Arbeit. Deshalb hat die Reichsregierung davon abgesehen, in der Erklärung des Reichskanzlers etwa eine Programmrede geben zu wollen. Programme helfen uns nicht weiter, wenn nicht schnellstens Maßnahmen zur Heilung getroffen werden“ (RT-Bd. 361, S. 11841 ).

3

Gemeint sind die Gesetze über die Betriebssteuern, zur Änderung der Verbrauchssteuern, über Vorauszahlung der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer sowie das Steuerzinsgesetz. Sie waren vom RT am 8.8.23 beschlossen worden. S. hierzu auch Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 227, P. I; Nr. 229; Nr. 231; Nr. 235, P. 2.

4

Diese Ansicht wird auch in einem Schreiben vertreten, das der Zentralverband deutscher Konsumvereine an den RK am 27.8.23 richtete. Unter Bezugnahme auf eine Entschließung vom 22.8.23 wandte sich der Zentralverband gegen gesetzliche Bestimmungen, die Konsumvereine und Kleinhandel zum Festhalten an der Papiermark zwingen würden, während die Industrie und der Großhandel die Möglichkeit besäßen, mit wertbeständigen Zahlungsmitteln zu arbeiten. Da gegen Papiermark kaum noch Ware von Industrie, Handel, Großhandel und Landwirtschaft abgegeben werde, bestehe die Gefahr, daß Kleinhandel und Konsumvereine zusammenbrächen (R 43 I /2440 , Bl. 27–29).

5

Seitens des dem Hansa-Bund nicht angehörenden Nordwestdeutschen Wirtschaftsbundes in Bremen wurde dem RK in einem Schreiben vom 25.8.23 vorgetragen, zur Stabilisierung der Währung erscheine erforderlich, daß alle Vorbelastungen der Industrie durch Steuern und Devisenbewirtschaftung aufzuheben seien. Gegenüber Staat und Parlament wurde ausgeführt, eine Gesundung der Währung sei nicht zu erreichen, „wenn das Reich nicht die Kraft hat, seine Ausgaben einzudämmen.“ In diesem Zusammenhang sei der Abbau der Beamten und eine Minderung der Bezüge für Beamte und Staatsdiener vorzusehen. Der Wirtschaftsverband bedauere, „das Vertrauen nicht haben zu können, daß die zur Gewohnheit gewordene Einstellung der Politik auf die Erfüllung augenblicklicher Wünsche der durch wirtschaftliche Not bedrückten Masse des Volkes, jene Politik, die etwas tut, nur um sagen zu können, daß sie etwas getan habe, schon ihr Ende erreicht“ (R 43 I /1134 , Bl. 185–187).

6

Der vom Hansa-Bund unabhängige Westfälisch-Lippische Wirtschaftsbund unterbreitete dem RK mit Schreiben vom 29.8.23 seine Ansichten zur Überwindung der wirtschaftlichen und finanziellen Not. Darin wurde u. a. ausgeführt, erforderlich seien ein Steuermoratorium, Schaffung eines Goldgiroverkehrs und von Goldzahlungsmitteln, Befreiung von allen den Export hindernden Lasten, Basierung des Kredits auf Wertbeständigkeit, Verminderung des Beamtenapparates und Stärkung der Staatsautorität (R 43 I /1134 , Bl. 227–228).

7

Eine Stellungnahme zu dem Schreiben des Hansa-Bundes aus der Rkei oder durch das RWiMin. konnte in R 43 I nicht ermittelt werden.

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