2.114.1 (vpa1p): Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung.

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Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung1.

Der Reichskanzler wies bei Beginn der Sitzung darauf hin, daß die Vertraulichkeit der Besprechungen unter allen Umständen gewahrt bleiben müsse.

Der Reichsarbeitsminister sprach sich auf Grund seiner Fühlungsnahme mit dem Reichswirtschaftsminister, dem Reichsminister der Finanzen und dem Reichsbankpräsidenten für eine einfachere Gestaltung des Gedankens der Zwangsanleihe aus. Jeder Industrielle solle in Höhe seines Steueranteils einen Gutschein bekommen, der börsenmäßig behandelt werden solle und als Zahlungsmittel für sämtliche Steuern dienen könne. Die Reichsbank müsse diese Gutscheine diskontieren. Die Hergabe dieses Gutscheins an die Unternehmer solle sich nach der Mehreinstellung von Arbeitern richten2.

Der Reichsminister der Finanzen hielt es für das Einfachste, die Entlastung der Wirtschaft unmittelbar mit der Einstellung von Arbeitslosen zu verbinden. Er hatte Bedenken dagegen, daß die Tarifverträge zunächst nur für ein halbes Jahr gelockert würden. Der Rückfall in die alten Verhältnisse sei dann zu befürchten. Bei der Entlastung der Wirtschaft solle die Zwischenzeit benutzt werden, um den Apparat der öffentlichen Hand soweit zu verringern, daß sich daraus eine entsprechende Erleichterung der auf der Wirtschaft ruhenden Lasten ergäbe. Er machte dann eingehende Ausführungen über die Möglichkeiten, bei den einzelnen Steuern Entlastungen eintreten zu lassen. Auch die Vorschläge wegen der Zwangsanleihe wurden eingehend erläutert.

An diese Ausführungen schloß sich eine längere Aussprache an, in der sich zunehmend Bedenken gegen die Zwangsanleihe aus der psychologischen Wirkung auf die Wirtschaft ergaben3.

[449] Schließlich schlug der Reichsbankpräsident vor, auf den Plan einer Zwangsanleihe gänzlich zu verzichten und statt ihrer Steuergutscheine zu schaffen. In diesen soll sich das Reich verpflichten, sie über mehrere Jahre verteilt zur Steuerzahlung anzunehmen. Es handele sich dabei also um einen Steuernachlaß, der durch diese Gutscheine eintrete. Diese Gutscheine könnten vorfinanziert werden.

Vom Währungsstandpunkt aus würde die Reichsbank zwar den Gedanken der Zwangsanleihe vorziehen. Der neue Vorschlag sei aber auch in dieser Hinsicht erträglich. Ein Teil der Illiquidität würde auf künftige Jahre verschoben. Inzwischen sei zu erwarten, daß die Wirtschaft liquider werden würde. Das Reich werde mit Reichsschatzanweisungen diese Steuerscheine aufkaufen können.

Ein Nachteil des neuen Planes sei, daß auch die kleinen Unternehmungen Steuerscheine erhalten könnten. Es müsse aber vermieden werden, daß die Stückelung zu niedrigen Geldbeträgen zu einem Umlauf der Scheine als Zahlungsmittel führe. In dieser Richtung müsse noch ein Weg gesucht werden, der diese Gefahr vermeide.

Die Steuerscheine könnten als Kreditunterlagen benutzt werden. Sie wären in Höhe von 1,8 bis 2 Milliarden auszugeben. Das würde ausreichen, um die Aktion wirksam zu gestalten, aber andererseits nicht gefährden. Diese Scheine müßten durch ein Bankenkonsortium rediskontfähig gemacht werden.

Die Abneigung der Wirtschaft gegen eine entschiedene Weiterarbeit müsse überwunden werden, sonst würde jede Hilfsaktion ohne Erfolg sein. Deswegen müsse ihr die Freiheit der Entfaltung gegeben werden.

Der Reichswirtschaftsminister behielt sich seine endgültige Stellungnahme[450] zu den Ausführungen vor. Das Papier müsse in voller Höhe rediskontfähig gemacht werden. Die Kreditmöglichkeiten, die bereits jetzt beständen, würden von der Wirtschaft nicht ausreichend ausgenutzt. Es sei die Akzeptbank nur mit 85 Millionen in Anspruch genommen worden, in denen auch die großen Kredite für die Schiffahrt und für Karstadt enthalten seien.

Im Mittelstand herrsche eine ziemlich starke Abneigung gegen die Ausstellung von Wechseln. Bei der Finanzierung der Steuergutscheine müsse die Abgrenzung so gewählt werden, daß diese Kreise nicht in Frage kämen.

Der Reichsarbeitsminister sprach sich für den Vorschlag des Reichsbankpräsidenten aus. Er hielt es für möglich, nach diesem von der Verbindung mit der Mehreinstellung von Arbeitern weitgehend abzusehen und erklärte sich bereit, falls es gewünscht würde, die Tarifbeschränkungen4 nicht nur für ein halbes Jahr, sondern für ein ganzes aufzuheben.

Die Schwarzarbeit werde sich verringern, wenn die neuen Gedanken praktisch wirksam würden und wenn die Wirtschaft wieder stärker arbeite. Es sei sehr schwierig, an die Schwarzarbeiter heranzukommen, insbesondere auf dem Lande. Bei den niedrigen Unterstützungssätzen sei ein gewisser Nebenverdienst nicht ganz unerwünscht. Es werde notwendig sein, die Unterstützungssätze für den Winter heraufzusetzen. Als Strafe gegen Schwarzarbeit könne in Frage kommen, die Berufsgenossenschaftsumlagen zu verdoppeln oder zu verdreifachen.

Der Reichsminister der Finanzen sah in dem Plan des Reichsbankpräsidenten eine Vereinfachung. Er hielt es für notwendig, die kleinen Betriebe auszuschließen von der Hergabe dieser Papiere und sie tatsächlich zu entlasten. Insoweit würde für das Reich ein Kassenproblem entstehen.

Der Reichskanzler bat, die neuen Vorschläge des Reichsbankpräsidenten im engeren Kreise durchzusprechen. Er sah ein Bedenken darin, daß im Gegensatz zur Zwangsanleihe der soziale Ausgleich fehle. Die Unternehmersphäre werde stark entlastet. Die zunächst beabsichtigte Belastung falle weg. Es werde notwendig sein, einen anderen sozialen Ausgleich herbeizuführen.

Die Sitzung wurde darauf unterbrochen5. Nach ihrer Wiederaufnahme bestand Einverständnis darüber, daß die endgültige Stellungnahme am 27. erfolgen solle6.

Fußnoten

1

Vgl. Dok. Nr. 111 und 112.

2

Der Gedanke, die Zwangsanleihe durch eine andere Finanzierungsmethode zu ersetzen, war am Vormittag des 26. 8. in einer sitzung des Reichsbankdirektoriums kurz erörtert worden. Luther vermerkte dazu in einer Tagesnotiz vom gleichen Tage: „Es kam dann aber die Frage auf, ob nicht statt der Zwangsanleihe der Weg der Steuerscheine richtiger gewesen wäre. Die Herren hielten es in ihrer Mehrzahl nicht für richtig, von uns aus Bedenken gegen die Zwangsanleihe zu äußern, erklärten aber auf meine Frage, daß sie mit einer Regelung über Steuerscheine hinweg einverstanden sein würden, und zwar auch dann, wenn ein besonders zu lösendes Kassenproblem für den Teil der kleinen Unternehmer übrig bleibe, bei dem nur ein Barerlaß der Beiträge oder Steuern in Betracht käme. Es wurde ausgesprochen in diesem Zusammenhang, daß für die Reichsbank die Angelegenheit am teuersten werden würde, wenn sie nicht gelänge.“ (NL Luther  369, BL. 62–63).

3

Über diesen Teil der Beratung Luther in einer Tagesnotiz vom 26.8. u. a.: Schäffer habe zunächst vorgeschlagen, „man solle den ganzen Block der Einkommensteuer erlassen. Krosigk brachte noch allgemeine Bedenken gegen das System der Verpflichtungsscheine vor, das ich Veranlassung nahm, noch einmal im Zusammenhang darzustellen. Krosigk sagte, er habe trotz aller seiner Bedenken ein anderes System als das von mir vorgeschlagene auch nicht finden können. Bei meiner Darstellung des bisher geplanten Systems unterstrich ich, wie schon am Vormittag, daß der Zwangsanleihegedanke, gegen den sich lebhafteste Bedenken sowohl am Vormittag wie am Nachmittag richteten, ja von mir einfach übernommen sei. Wegen der Beiträge oder Steuern, die man erlassen wolle, solle man doch an den Zustand denken, der nach der Periode, also am 1.10.1933 eintreten würde, und solle versuchen, die Steuern und Beiträge so zu erlassen, daß man auf der eingeschlagenen Bahn am 1.10.1933 möglichst weiterfahren könne. Auch deshalb erschiene mir der Gedanke Schäffers, der ja die Erleichterung in der Produktionssphäre darstelle, unmöglich. Endlich sprach ich aus, daß meines Erachtens die Pflichteinzahlungen auf die Zwangsanleihe, die auf das Vermögen gelegt seien, erst am 1.4.1934 beginnen sollten, weil, wenn man sie am 1.10.1933 beginnen lasse, wie der Finanzminister gesagt hatte, man dann zu diesem Zeitpunkt das Licht an beiden Enden anbrenne, einmal indem es keine Erleichterung in der Steuerzahlung durch Überlassung von Verpflichtungsscheinen mehr gäbe, zum andern, indem man die Zwangsanleihe einzahlen lasse. Warmbold kam dann darauf, vorzuschlagen, es müßten eben einfach 1,5 Milliarden, die später durch Zwangsanleihe aufzubringen seien, durch ein Bankenkonsortium durch Rückhalt bei der Reichsbank zwischenfinanziert werden. Zarden schilderte eingehend die großen Schwierigkeiten der Zwangsanleihe. Es war so, daß der Glaube an einen psychologischen Erfolg dadurch hinfällig wurde, daß man nebeneinander die Tatsache eines nichterfolgenden Barerlasses der Beiträge der Steuern – sondern nur Aushändigung des Verpflichtungsscheines – und die andere Tatsache der zukünftigen Zwangsanleihe als zu schwer lastend empfand. Ich meinerseits mußte den Plan, durch ein Bankenkonsortium 1,5 Milliarden aufzubringen, als in seiner psychologischen Wirkung unmöglich und primitiv ablehnen, wobei ich besonders darauf hinwies, daß die Ausnutzung der in der Wirtschaft vorhandenen Liquiditäten, die für eine fachmännische Durchführung des ganzen Gedankens so wichtig sei, damit einfach entfiele. Ich entschloß mich, nunmehr den direkten Vorschlag mit den Steuerscheinen zu machen, also unter Wegfall der Zwangsanleihe.“ (NL Luther  369, Bl. 44–66).

4

Vgl. Dok. Nr. 112, dort bes. Anm. 9.

5

Hierzu Luther in seiner Tagesnotiz vom 26. 8.: „Die Folge war eine Unterbrechung der Sitzung und Beratung innerhalb der Wirtschaftsressorts. Man sprach da kaum mehr vom Grundsätzlichen, sondern von den sich ergebenden technischen Schwierigkeiten namentlich hinsichtlich der Freilassung der kleinen Unternehmungen, die mich selbst zunächst gehemmt haben, diesem Gedanken zu folgen. Als das Kabinett zurückkam, wurde namens der Wirtschaftsressorts dem Kanzler vorgeschlagen, daß er in Münster [vgl. Anm. 16 zu Dok. Nr. 117] nur in allgemeiner Form sprechen sollte, wofür Warmbold eine Gedankenskizze entwickelte. Der Kanzler bestand darauf, nicht sprechen zu können, wenn er nicht die in Aussicht genommene Zahl nennte. Darauf erklärte ich, daß die Zahl nicht genannt werden könnte, wenn auch der Plan entwickelt würde, weil die Zahl allein zu währungsmäßig falschen Rückschlüssen führen würde. In diesem Sinne wird Krosigk die Sache morgen vorbereiten [vgl. Dok. Nr. 116] und morgen nachmittag neue Sitzung stattfinden.“ (NL Luther  369, Bl. 66–67).

6

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 117.

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