2.171 (bru1p): Nr. 171 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern des Reichslandbundes. 20. November 1930

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[635] Nr. 171
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern des Reichslandbundes. 20. November 1930

R 43 I /2545 , Bl. 59–62

Am 20. November empfing der Reichskanzler in Gegenwart des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und des Staatssekretärs Dr. Pünder vom Reichslandbund Graf Kalckreuth, Bethge, Kriegsheim und von Sybel.

Die Vertreter des Reichslandbundes führten folgendes aus:

Die Preisabbau-Bewegung wirke sich in starkem Preisdruck auf die landwirtschaftlichen Erzeuger aus. Beim Mehlpreise und bei den Schweinepreisen sei dies deutlich zutage getreten. Die Ausführungen des Zwischenhandels, daß er durch die hohen Steuern, Löhne und Zinsen gezwungen sei, erhebliche Zuschläge zu fordern, seien nach Ansicht des Reichslandbundes nicht unberechtigt. Von einer Herabdrückung der Zwischenspanne sei kein erheblicher Erfolg zu erwarten.

Der Landwirtschaft müsse weitgehende Freiheit in der Veredelung seiner Erzeugnisse gelassen werden, auch beim Betriebe einer Brotbäckerei.

Trotz der Bemühungen der Reichsregierung habe sich die Lage der Landwirtschaft seit dem vorigen Jahre wesentlich verschlechtert. Die Preise seien so gesunken, daß der Verlust von 1½ Milliarden im Jahre um mindestens 1 Milliarde gestiegen sei. Nach Weihnachten, spätestens im Frühjahr, sei mit sehr zahlreichen Zusammenbrüchen zu rechnen.

Deswegen müsse sofort ein Zwang auf die deutsche Bevölkerung ausgeübt werden, statt ausländischer Nahrungsmittel deutsche Erzeugnisse zu verzehren. Auch müsse der innere Ausgleich der landwirtschaftlichen Produkte besser geregelt werden.

Der Reichslandbund fordere:

1. den Beimischungszwang für Roggen zum Weizenmehl beim Müller1. ¼ der Gesamterzeugung könne freigelassen werden. Diese Menge sei nur gegen Bezugschein zu verkaufen, der den Zentner mit 5 M belasten müsse. Das Aufkommen solle für die Landwirtschaft verwendet werden.

2. Die Getreidehandelsgesellschaft2 müsse sich die Ware in Natur andienen lassen.

3. Der Vermahlungszwang müsse auf 90% erhöht werden3.

4. Die Ausfuhr von 100 000 t Weizen müsse den Markt alsbald entlasten. Er könne im Frühjahr wieder zollfrei eingeführt werden.

5. Sämtliche Kleiezölle und der Zoll für Hirse müßten erhöht werden.

[636] 6. Die Einfuhr ausländischer Gerste sei restlos zu unterbinden. Der Futtergerstenzoll müsse dem Zoll für Braugerste entsprechen. Dadurch würde der Verbrauch von Eosinroggen und Flocken stark gesteigert werden. Die Maßnahme läge auch im Interesse des Westens, der bei den billigen Kartoffel- und Roggenpreisen bald nicht mehr mit dem Osten auf dem Schweinemarkt konkurrieren könne.

7. Das Brennkontingent für Spiritus müsse auf 100%4 erhöht werden.

8. Die Beimischung von 5–10% Kartoffelmehl zum Weizenmehl müsse dem Bäcker gestattet sein.

9. Der Butterzoll sei rasch und wesentlich zu erhöhen. Verteuerung der Butter müsse in Kauf genommen werden. Schmalz und Margarine seien für den Massenverbrauch billig.

10. Die Viehzölle seien auf 50% des Wertes heraufzusetzen. Der Zwischenzoll für Schmalz müsse beseitigt werden.

11. Die deutsche Forstwirtschaft bedürfe des Schutzes gegen russisches Holz, entweder durch Einführung eines Verwendungszwanges oder von Antidumping-Zöllen.

12. Für den Einkauf von Flachs durch die Röstereien sei ein weiterer Reichskredit notwendig. Sonst könnte der Landwirtschaft die Ernte nicht abgenommen werden.

13. Die Zahlungen der Landwirtschaft aus Düngerwechseln in Höhe von 150 Millionen und an Steuern, die am 15. November fällig waren, ebenfalls in Höhe von 150 Millionen, müßten hinausgeschoben werden. Andernfalls könne der Landwirt nur wieder Roggen verkaufen, der dann weiter im Preise stark gedrückt werden würde.

14. Die rückständigen Steuern sollten durch Lieferung von Roggen zum Preise von 230 M für die t beglichen werden. Das Land müsse insbesondere im Osten in den Kommunallasten, Schullasten, Wegebau, Deichbau wesentliche Erleichterungen erfahren.

Das für die Maßnahmen erforderliche Geld würde dadurch zu beschaffen sein, daß die Vorräte des Reichs an Eosinroggen durch die Preissteigerung um 15–20 Millionen oder mehr an Wert gewinnen würden. Der Weizengutschein würde ebenfalls etwa 28 Millionen bringen. Im übrigen müsse ein Monopol für Südfrüchte eingeführt werden, aus dem das Reich jährlich einen Nutzen von 300 Millionen haben könne. Vielleicht empfehle es sich, zunächst mit einem Monopol für Bananen anzufangen.

In der Osthilfe müsse der Vollstreckungsschutz zeitlich verlängert werden. Die Umschuldung habe sich als bedenklich herausgestellt. Sie sei schließlich eine Maßnahme der Sozialisierung. Die Offenlegung der Privatverhältnisse werde von der Preußischen Regierung bei jedem Besitzer für berechtigt gehalten, dem Umschuldungsgeld gegeben werde. Eine generelle Senkung der Steuern und Zinsen sei vorzuziehen. Preußen verfolge klar die Tendenz, den Großgrundbesitz zum Vorteil der Siedlungen zu zerschlagen. Die Mitarbeit Preußens müsse deswegen ausgeschaltet werden.

[637] Die Stimmung in der Landbevölkerung sei äußerst radikal. Es müsse alles geschehen, um ihr wieder Zutrauen zur Regierung beizubringen. Die Senkung der Realsteuern würde für die Landwirtschaft eine Enttäuschung sein. Die Grundsteuern sollten um 10%, die Gewerbesteuern dagegen um 20% gesenkt werden. Preußen wolle nur die Gemeinden berücksichtigen, die über dem Landesdurchschnitt lägen.

Die Bedenken, die zunächst gegen die Einheitssteuer der Landwirtschaft geltend gemacht worden seien5, wurden zurückgestellt. Die Herabsetzung der Beamtengehälter um nur 6% sei nicht ausreichend. Wenn Italien die Senkung um 12% vornehme, so müsse Deutschland noch darüber hinausgehen. Die Besoldungsordnung von 19276 könne beispielsweise für ein Jahr außer Kraft gesetzt werden.

Der Reichskanzler äußerte sich eingehend zu dem Vorbringen der Vertreter des Reichslandbundes. Wegen der Steuern, die am 15. November fällig geworden seien, sei ein Runderlaß bereits veröffentlicht worden7. Erlaß der Vermögenssteuer zur Hälfte solle nicht bedeuten, daß Stundungen unmöglich seien. Die Lage der Preußenkasse sei schwierig, wie überhaupt die Lage der Banken in letzter Zeit.

Bedauerlich sei die Höhe der Zinsspanne der Genossenschaften. Sie erhalten Geld von der Preußenkasse zu 5% und fordern von ihren Schuldnern 12%.

Wegen der Begleichung von fälligen Steuern durch Lieferung von Roggen an die Reichsgetreidestelle solle der Reichslandbund mit dem Reichsfinanzministerium Fühlung nehmen. Die Steuererleichterungen für die Landwirtschaft müßten vorsichtig behandelt werden, um weitgehende Berufungen anderer Erwerbszweige zu vermeiden. Die Anrechnung des Preises für Roggen von 230 M könne erwogen werden. Gegebenenfalls lasse sie sich in die Form einer Steuerermäßigung kleiden. Schwierig sei es allerdings für das Reich, entsprechende Zahlungen in bar an die Länder zu leisten.

Mit einer Steigerung des Roggenpreises etwa im März auf 230 M könne wohl gerechnet werden. Der Prozentsatz des vermahlungsfähigen Roggens sei ziemlich gering.

Ein Monopol für Südfrüchte würde außerordentlich große Risiken enthalten. Die Manipulierung von Waren, deren Absatz schwierig sei, könne ein Monopol nicht mit der gleichen Beweglichkeit vornehmen, wie der freie Handel.

Die Osthilfe lediglich durch eine weitere Verminderung der Lasten durchzuführen, würde den angestrebten Zweck nur bei einem Teil der Güter erreichen, die anderen würden trotzdem zu Grunde gehen.

Die Ausführungen über die Notwendigkeit einer großen Handelsspanne zwischen den Erzeuger- und Verbraucherpreisen landwirtschaftlicher Produkte[638] seien Theorie. Nur 10% aller Arbeiter seien voll beschäftigt. Allgemein sei durch Kurzarbeit die Kaufkraft der Arbeitnehmer geringer als 1924. Der Lebensmittelhandel benötige nur geringe Leihkapitalien. Die Landwirtschaft laufe Gefahr, bei den Verbrauchern an Verständnis für ihre Forderungen zu verlieren, wenn sie sich mit dem Zwischenhandel und dem verarbeitenden Handwerk mehr oder weniger solidarisch erkläre.

Wegen der Schullasten und Wegelasten fehle es dem Reich an Machtmitteln. Ein Ausgleichsfonds für die Landgemeinden werde zur Verfügung gestellt.

Die Landwirtschaft schade sich schwer dadurch, daß sie die agrarfreundlichen Maßnahmen der Reichsregierung in ihrer Presse auf das schärfste bekämpfe. Die Radikalisierung der Landwirtschaft wirke sich in Kündigung kurzfristiger Kredite aus dem Auslande und dem Verkauf deutscher Wertpapiere aus, die im Besitz von Ausländern seien. Die Landwirtschaft müsse diese Gefahr erkennen.

Ein Moratorium würde eine Ersparnis von 500 Millionen bringen8. Auf die Sachleistungen könne nicht verzichtet werden, weil sonst die Zahl der Arbeitslosen weiter steigen würde. Außenpolitik könne nicht nach innerpolitischen Agitationsbedürfnissen eingerichtet werden. Nur wenn die Regierung freie Hand bekomme in ihrem Handeln, könne sie der Landwirtschaft mit starken Mitteln helfen. Im Parlament bestehe dauernd die Gefahr, daß irgendein taktischer Schachzug die Regierungsarbeit stillege. Die Landwirtschaft würde dadurch auf das schwerste geschädigt werden. Sie habe aber im Lande kein Verständnis dafür.

Die ganze Weltlage sei so schwierig wie noch nie zuvor. Es handle sich im Grunde um eine Erschütterung des Weltsystems der Wirtschaft.

Es sei geboten, daß die Vertreter des Reichslandbundes in ihrem Kreise über diese Zusammenhänge Klarheit schafften, und daß die politische Arbeit sich darauf einstelle9.

[639] Die Senkung einer Anzahl von Preisen agrarischer Erzeugnisse im Kleinhandel sei möglich ohne Preisdruck auf die Erzeuger.

Die Frage der Kreditgewährung von Flachs solle nachgeprüft werden. Im Holz sei ein Beischleifungszwang für Zellstoff erwogen worden, stoße aber auf Schwierigkeiten. Der Sturz der Holzpreise bedeute schwere Verluste für die Etats der Länder, insgesamt etwa 100 Millionen, die anderwärts beschafft werden müßten. Dumpingzölle gegen Rußland würden kaum möglich sein. Deutschland selbst habe gerade in agrarischen Erzeugnissen in den letzten Monaten in starkem Maße Dumping getrieben. Abwehrgesetze anderer Länder könnten die Folge eines deutschen Vorgehens gegen Dumping sein.

Der Reichskanzler wies mit Nachdruck darauf hin, daß alles geschehen müsse, um in der Landwirtschaft eine Beruhigung herbeizuführen, wie sie bei der Arbeiterschaft bereits festzustellen sei. Die Reichsregierung sei bereit, in kürzester Frist die Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sich das Kabinett bereits befaßt habe. Vorher seien noch einige Besprechungen erforderlich. Nachher werde an den Reichslandbund Mitteilung gegeben werden können.

Im Einvernehmen mit den Vertretern des Reichslandbundes wurde die beiliegende W.T.B.-Notiz zur Veröffentlichung gegeben10.

F.[eßler]

Fußnoten

1

Zu den Forderungen des RLB vgl. die agrarpolitischen Kabinettsbeschlüsse vom 25.10.30, Dok. Nr. 149, P. 2.

2

Die Deutsche Getreide-Handels-Gesellschaft war 1926 unter staatlicher Beteiligung gegründet worden. Durch Aufkauf und Lagerung von Getreide, insbesondere Roggen, sollte sie preisregulierend in den dt. Getreidemarkt eingreifen.

3

Durch VO vom 27.9.30 war der Vermahlungszwang für Inlandsweizen auf 80% festgesetzt worden (RGBl. I, S. 458 ).

4

Das Brennkontingent betrug 70%, s. Dok. Nr. 148, Anm. 30.

5

Vgl. Dok. Nr. 167, P. 1. In einem gemeinsamen Schreiben vom 27.11.30 an den RK nahmen die landwirtschaftlichen Spitzenorganisationen noch einmal gegen die Einheitssteuer Stellung (R 43 I /2407 , Bl. 63–65).

6

Besoldungsgesetz vom 16.12.27, RGBl. I, S. 349 .

7

Der Runderlaß ließ sich nicht ermitteln.

8

Gemeint ist das Moratorium für die Reparationszahlungen.

9

Im Anschluß an die Besprechung schrieb v. Sybel einen Brief an den RK, in dem er die Forderung nach Einführung des Roggenbeimischungszwangs noch einmal wiederholt und sich gegen eine Milchpreissenkung auf Kosten der Landwirtschaft verwahrte. Zur allgemeinen politischen Lage führte Sybel aus: „Sie haben […] uns die Frage nach der Gegenleistung der Landwirtschaft vorgelegt […]. Sie gingen davon aus, daß unter Zurückstellung aller parteipolitischen Erwägungen gemeinsame verantwortungsbewußte Arbeit zur Überwindung der bevorstehenden schweren Krisenzeit geleistet werden müsse. Die Not treibt die Landwirtschaft in die extremsten Läger und droht, die positiven und staatserhaltend eingestellten Organisationen zu zerstören […]. Eine Entspannung dieser Lage scheint mir nur möglich zu sein, wenn die Notlage der Landwirtschaft entspannt wird. Aus diesem Grunde also auch sofortige wirksame Maßnahmen. Darüber hinaus scheint es mir aber gerade im Interesse der Überwindung der Krisenzeit erforderlich, die radikale Seite in die Verantwortung einzuspannen. Solange die radikalen Elemente uns gegenüber leichtes Spiel haben und auf unsere Organisation einstürmen, wird die große Masse der Landwirtschaft ihre Hilfe in Opposition und Obstruktion suchen. Es nutzt Ihnen nichts, daß ein paar Führer oder Abgeordnete der Landwirtschaft die Regierungspolitik unterstützen, wenn nicht auch große Teile der bäuerlichen Bevölkerung hierbei hinter Ihnen stehen, die, jedenfalls zur Zeit, im radikalen und oppositionellen Lager sich befinden. Je größer die Not und damit der Radikalismus, umso wichtiger ist es, die Front nach rechts hin zu erweitern, sonst drängt jene Extreme auch noch den letzten Rest der Landwirtschaft in die Opposition. Dabei wird das Problem Preußen nicht unberührt bleiben können. Es ist m. E. auch höchste Zeit, daß es angeschnitten wird. Das Wichtigste ist aber gerade, um die Krisenzeit zu überwinden, die Erweiterung der Front ganz erheblich nach rechts, sonst erscheint es mir fraglich, ob es gelingen wird, größere Teile der Landwirtschaft zur positiven Mitarbeit in der Krisenzeit heranzubekommen. Wollen die Mittelparteien diese Überwindung ernsthaft, so dürfen sie auch die Opfer, um nicht zu sagen Bedingungen, nicht scheuen, auf die die Rechte höchstwahrscheinlich nicht verzichten kann“ (Brief vom 20. 11. in R 43 I /2545 , Bl. 179–181; Zitat Bl. 180).

10

Hier nicht abgedruckt. Die Pressemitteilung wurde v. WTB Nr. 2349 am 20.11.30 veröffentlicht (R 43 I /2545 , Bl. 65).

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