2.45.3 (cun1p): 3) Verkehrsfragen.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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3) Verkehrsfragen.

Nach längerer Aussprache ergibt sich Übereinstimmung, daß passive Resistenz geübt werden soll. Es tritt die Auffassung zutage, daß dies besser sei, als durch offene Widersetzlichkeit die Eisenbahn alsbald in französische Verwaltung zu treiben. Die Frage wird morgen unter den beteiligten Ressorts weiter besprochen werden8.

4) Besprochen wird, ob zur besseren Verbindung mit dem Ruhrgebiet die Abordnung mehrerer Reichs- oder Preußischer Beamter notwendig ist. Für Preußen wird das Bedürfnis von Minister Siering verneint. Für das Reich die Abordnung von Geheimrat Brecht vom Reichskohlenkommissar für genügend erachtet.

Der Herr Reichsminister des Auswärtigen Dr. von Rosenberg erwägt Abordnung eines besonderen Vertreters.

[150] 5) Für die zentrale Zusammenfassung der Fragen bei der Reichsregierung wünscht der Herr Reichskanzler möglichst fortdauernde Unterrichtung9.

6) Der Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes regt an, die Zahlung der von den Franzosen in dem nach dem Rheinlandabkommen besetzten Gebiet angeforderten Markvorschüsse für Besatzungszwecke einzustellen.

Der Herr Reichsminister des Auswärtigen und der Herr Reichsminister der Justiz treten auf seine Seite10. Der Herr Reichsschatzminister und Staatssekretär Brugger äußern Bedenken.

[151] Die Einstellung der Vorschüsse wird gebilligt11.

7) Der Herr Reichsminister der Justiz regt an, die Tätigkeit der Schiedsrichter in Paris einzustellen. Bedenken werden vom Wiederaufbauministerium erhoben.

Die Sache soll besonders zwischen den beteiligten Ressorts noch besprochen werden12.

8) Der Herr Reichskanzler bespricht Wirtschaftsfragen im Anschluß an die anfangs gemachten Erörterungen des Herrn Preußischen Ministerpräsidenten über Teuerung.

Der Herr Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtet kurz über die Ernährungslage.

Der Herr Reichswehrminister wünscht Erlaß eines Gesetzes, das die Regierung zu besonderen Notmaßnahmen wirtschaftlicher Art ermächtigt.

Ergebnis: Gegen Schlemmerei und Alkoholmißbrauch soll morgen ein Rundschreiben der Reichsregierung herausgehen nach Vorberatung mit den Preußischen Ressorts13. Die Wirtschaftsfragen werden morgen weiter besprochen. Die Erlassung eines Ermächtigungsgesetzes soll morgen von den Referenten, danach von den zuständigen Ministern weiter geprüft werden14.

Nächste Sitzung Mittwoch [17. 1.] nachmittags 6 Uhr.

Fußnoten

8

Den Standpunkt des RVMin. legt StS Stieler dem RK am 17. 1. schriftlich dar, nachdem vormittags die zuständigen Herren des RVMin. die Frage noch einmal beraten hatten: „Unsere Auffassung geht übereinstimmend dahin: Die Zechenbesitzer erwarten begreiflicherweise ein Verbot an die Eisenbahn, Militär zu befördern, Kohle nach Belgien und Frankreich zu fahren. Wenn sich die RReg. zu einem solchen Verbot entschließt, so hat das nachstehende Folgen: Der Eisenbahnbetrieb im neubesetzten Gebiet, vielleicht aber auch im altbesetzten, wird unter Ausschaltung der Direktionen vom Militär übernommen. Damit entfällt jede Möglichkeit, von hier aus oder von Seiten der Direktionen des unbesetzten Gebiets mit den Direktionen der besetzten Reichsteile zu verhandeln. Damit ist zugleich der Verkehr des unbesetzten mit dem besetzten Gebiet nach beiden Richtungn unterbrochen, und es ist weder die Versorgung des besetzten Gebiets von Deutschland noch die Belieferung des unbesetzten Deutschlands mit Ruhrkohlen irgendwie gewährleistet. Wie weit die Franzosen und Belgier in der Lage wären, den Betrieb zu führen, läßt sich nicht mit absoluter Sicherheit beurteilen und ist zunächst auch von der Haltung des deutschen Personals abhängig. Sicher ist aber, daß später ein Notbetrieb nach Westen auf der breiten Basis des altbesetzten Gebiets und des französischen und belgischen Hinterlandes recht wohl möglich ist. Wie die Rückstauungen an Kohlen, die voraussichtlich eintreten werden, auf die Kohlenförderung und damit auf die Wirtschaftslage des Ruhrreviers einwirken, ist nicht mit Sicherheit vorauszusagen. Wollte man sich darauf beschränken, den Militärverkehr und die Beförderung von Kohle nach Belgien und Frankreich durch passive Resistenz oder drastischere Mittel zu sabotieren, während im übrigen Gefügigkeit gegenüber dem Machthaber an den Tag gelegt würde, so ist nach unserer festen Überzeugung nach wenigen Tagen die Lage genau so wie im ersterwähnten Fall: Die Eisenbahnen werden militarisiert. Ich habe mich jeder Einwirkung auf die Entschließung des Reichskabinetts, ob einer der beiden Wege eingeschlagen werden soll, zu enthalten, bleibe aber bei meiner Auffassung, daß nur das Kabinett die Verantwortung für eine solche folgenschwere Entscheidung übernehmen kann und habe mich für verpflichtet gehalten, dem Herrn RK die Folgen der Entscheidung schriftlich vorzulegen.“ (R 43 I /203 , Bl. 347 f.). Am 19. 1. ergeht die Anordnung des RVM an das Eisenbahnpersonal, keine Kohlen für Frankreich und Belgien zu befördern und lediglich den dt. Anordnungen nachzukommen (R 43 I /205 , Bl. 79; abgedruckt in RT-Drucks. Nr. 5555, Bd. 376, S. 26 ).

9

Am 18. 1. ergeht ein Rundschreiben des RK an alle RM, in dem es heißt: „Die politischen Verhältnisse machen es notwendig, daß alle Nachrichten aus dem vergewaltigten Gebiete und alle dorthin ergehenden Weisungen und Mitteilungen an einer Stelle der RReg. gesammelt werden. Da jede einzelne Tatsache und jeder einzelne Schritt von höchster politischer Bedeutung sein kann, lege ich größten Wert darauf, selbst ständig und unverzüglich auf dem Laufenden gehalten zu werden. Ich habe daher den Referenten der Rkei, Herrn MinR GehRegR Dr. Kempner, beauftragt, aus allen Ressorts die Nachrichten aus dem Ruhrgebiet zu sammeln und für meine fortdauernde Unterrichtung sowie die Unterrichtung der Herren RM zu sorgen. Im Einvernehmen mit den Herren RAM und RIM ersuche ich daher ergebenst, daß aus allen Ressorts alle irgendwie wichtigen Nachrichten sofort für mich an Herrn Kempner schriftlich oder telefonisch gemeldet werden. Zu seiner Aufgabe gehört insbesondere, auch bei den einzelnen Ressorts die Inangriffnahme von Maßnahmen und Vorbereitungsmaßnahmen anzuregen, die sich etwa aus dem Gesamtüberblick ergeben sollten, ohne daß dadurch die verantwortliche Zuständigkeit der Herren Ressortminister berührt würde. Demgemäß ersuche ich ergebenst, in jedem Ministerium einen besonderen Kommissar zu ernennen, der mit meinem Referenten ständige Fühlung hält. Mit der PrStReg. ist Einvernehmen erzielt, daß auch von dort aus fortdauernder Nachrichtenaustausch mit der Rkei erfolgt.“ (R 43 I /203 , Bl. 361). Entsprechend dieser Koordinierung des Ruhrkampfes findet sich in den Akten der Rkei ein außerordentlich umfangreiches Material über den Ruhrkampf, insbesondere die ersten Monate, das in dieser Dokumentation naturgemäß nur zum allergeringsten Teil wiedergegeben werden konnte. Es befindet sich zum größten Teil in den Bänden R 43 I /203  – 214, 222 a – d, 223, 224, 227 – 229, 1790. Die Namen der Ruhrreferenten der einzelnen Ressorts ergeben sich aus einer Einladung der Rkei vom 21. 1. (R 43 I /205 , Bl. 115). Tägliche Berichte über die Lage im bes. Geb. in den Akten des RMinWiederaufbau (R 38 /190  – 198); sie fehlen in R 43 I.

10

Im AA war diese Frage sehr umstritten. So legt LegR v. Friedberg dem RAM am 17.1.23 seine schweren Bedenken gegen die Einstellung der Markvorschüsse in einer vierseitigen Aufzeichnung dar: „1. Bei allen Regierungsmaßnahmen darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß das eigentliche Kampfgebiet das Ruhrrevier ist und daß das Ziel des Kampfes die Sabotierung der Bestrebungen der Franzosen auf zwangsweise Erfassung der Reparationskohlen ist. 2. Demgegenüber ist das Rheinland einstweilen nur ein Kampfschauplatz von sekundärer Bedeutung. 3. Diese Sachlage ist für uns günstig, denn das Rheinland ist für einen Kriegsschauplatz, bei dem es nicht ohne schwere Verluste und Zerstörungen abgehen kann, sehr viel weniger geeignet, als das Ruhrrevier. Im Ruhrrevier können wir uns dem Kampfe viel rücksichtsloser hingeben als im Rheinland. Im Ruhrrevier haben wir eine starrköpfige nervenstarke Bevölkerung, die noch frisch der ihr neuen Besetzung gegenübersteht und in keiner Weise vom separatistischen Geiste angekränkelt ist, während die rheinische Bevölkerung, von Natur zarter und schwächer als die Westfalen, infolge der bereits seit vier Jahren ertragenen Besatzungsqualen zermürbt ist und auf die teilweise die politische Propagandatätigkeit Frankreichs mit dem Ziele einer Ablösung vom Reiche und von Preußen nicht ohne Einfluß geblieben ist. Bei dieser Sachlage sind Handlungen und Maßnahmen der Deutschen Regierung, die im Ruhrrevier ohne Bedenken vorgenommen werden können, im Rheinland von höchster Gefahr. 4. Die Verweigerung der Markvorschüsse wird als erste Folge die Unterdrückung der gesamten Reichsvermögensverwaltung im besetzten Gebiet durch die Franzosen zeitigen. Die Reichsvermögensverwaltung ist vor den Besatzungsbehörden überhaupt nur geduldet und den Franzosen seit langem ein Dorn im Auge, so daß sie sich die erste Renitenz dieser Behörde in gegenwärtiger Zeit sicher nicht entgehen lassen werden, um das erwünschte Ziel zu erreichen. 5. Das Verschwinden der Reichsvermögensverwaltung bedeutet aber einen schweren Schaden für die gesamte rheinische Bevölkerung. Sie ist seinerzeit errichtet worden, um die Bevölkerung vor Requisitionen nach Möglichkeit zu bewahren.“ Weiterhin gibt v. Friedberg zu bedenken, daß die Franzosen durch Zwangsrequisitionen die nichtgezahlten Markvorschüsse eintreiben würden. Im übrigen sei es unbewiesen, daß die Ruhraktion mit Markvorschüssen finanziert werde. Außenpolitisch dürfte sich die leichte Inkonsequenz einer Weiterzahlung von Markvorschüssen kaum auswirken, zumal Proviant in jedem Falle weitergeliefert werden solle (R 43 I /186 , Bl. 83-86). Die Aufzeichnung v. Friedbergs wird am 18. 1. StS Hamm zugeleitet, der am selben Tag vermerkt: „Der Herr RK sagte mir heute, daß er die Frage gestern auch mit Herrn v. Mutius besprochen habe, daß er aber einen hinreichenden Grund zur Änderung nicht für gegeben halte.“ (R 43 I /186 , Bl. 82).

11

Nach Angaben des RFMin. vom 9.2.23 wurden bereits vor diesem Kabinettsbeschluß für die Zeit vom 11. 1. – 10.2.23 an Frankreich 6 Mrd. und an Belgien 10 Mio. Markvorschüsse für die Besatzungsarmeen gezahlt (R 43 I /207 , Bl. 155 f.). Vgl. Dok. Nr. 70.

12

Nach Besprechungen am 18. und 19.1.23 werden die Beamten des Reichsausgleichsamtes angewiesen, jeden dienstlichen Verkehr mit den frz., elsaß-lothringischen und belg. Ausgleichsämtern einzustellen. Ebenso weist das RMinWiederaufbau die Landeszentralbehörden am 19.1.23 an, die dt. Richter und Staatsvertreter beim dt.-frz. und beim dt.-belg. Schiedsgerichtshof abzuberufen. Anweisungen und Schriftwechsel in R 43 I /34 , Bl.  415 f., 417-420, 422.

13

S. Dok. Nr. 46.

14

S. Dok. Nr. 47, P. 2.

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