2.50 (sch1p): Nr. 47 Der Reichsministerpräsident an den Preußischen Ministerpräsidenten. 20.4.1919

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[189] Nr. 47
Der Reichsministerpräsident an den Preußischen Ministerpräsidenten. 20.4.1919

R 43 I /2 , Bl. 40 Abschrift1

[Betrifft: Behandlung der Kriegsschuldfrage bei den Friedensverhandlungen]

Eurer Exzellenz beehre ich mich auf das geschätzte Schreiben vom 11. d. M. – St. R. 62422 – das Folgende zu antworten:

Die Schuldfrage wird von unseren Gegnern unzweifelhaft bei den Friedensverhandlungen aufgeworfen und zur Grundlage ihrer Forderungen gegen Deutschland gemacht werden. Hierzu wird gleich im Beginn der Verhandlungen in Paris durch den Führer der deutschen Delegation Stellung genommen werden müssen. Er wird es ablehnen müssen, daß die Friedensbedingungen auf die Vorwegnahme eines Schuldspruchs gegen Deutschland aufgebaut werden. Dabei wird auszuführen sein, daß Deutschland vergeblich eine neutrale Kommission zur Prüfung der Schuldfrage vorgeschlagen hat, und daß es das Urteil der Feinde als befangen ablehnen muß, weil man nicht Ankläger und Richter zugleich sein kann3. Es wird mitzuteilen sein, daß die deutsche Regierung selbst eine Untersuchung der Schuld am Ausbruch und an der Verlängerung des Krieges eingeleitet hat, daß es von seinen Gegnern zum mindesten das Gleiche erwartet, und daß es sich bis zum Ablauf der Untersuchung jeder weiteren Erörterung der Schuldfrage widersetzt. Schließlich wird darauf hinzuweisen sein,[190] daß die Friedensgrundlagen Wilsons die Entscheidung der Schuldfrage keineswegs voraussetzen, daß also die Kriegsparteien unter Vorbehalt der Schuldfrage in die Verhandlungen gemäß den 14 Punkten Wilsons eintreten können.

Mit dem Friedensschluß entfällt die Verpflichtung Deutschlands, die Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch Truppen der alliierten und assoziierten Mächte zu dulden. Grundsätzlich müssen daher diese Truppen sofort zurückgezogen werden. Eine weitere Besetzung wird von den Gegnern nur aus dem Gedanken des Pfandes für die finanziellen Friedensverpflichtungen Deutschlands gerechtfertigt. Dieser Gedanke entspricht aber einer veralteten politischen Auffassung; er ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht vereinbar, da er die Bevölkerung des Pfandgebiets zu finanzpolitischen Zwecken vergewaltigt.

Sollte sich eine zeitweilige Besetzung linksrheinischen Gebiets nicht vermeiden lassen, so würde die Zahl der Besatzungstruppen und der Umfang der den Okkupationsbehörden zustehenden Rechte auf das Mindestmaß beschränkt und ins einzelne festgestellt werden müssen. Die näheren Feststellungen würden einer Sonderkommission vorzubehalten sein, der es obläge, die von dem Preußischen Ministerium am Schlusse seines Schreibens geäußerten Wünsche zu berücksichtigen.

gez. Scheidemann

Fußnoten

1

Aus einem Anschreiben des UStSRkei an den RAM vom 12.4.1919, dem das in Anm. 2 zitierte Schreiben des PrMinPräs. beilag, geht hervor, daß der Entwurf des Antwortschreibens im AA entstand (PA, AA Weimar, IV. 1); tatsächlich trug der RAM das Antwortschreiben des RMinPräs. an den PrMinPräs. in der Kabinettssitzung am 16.4.1919 vor (s. Dok. 43, P. 8).

2

Das Schreiben des PrMinPräs. an den RMinPräs. vom 11.4.1919 hatte folgenden Wortlaut: „Das Preußische Staatsministerium beehrt sich die Reichsregierung ergebenst zu ersuchen, in einer ihr geeignet erscheinenden Weise, vor oder bei Beginn der Friedensverhandlungen, öffentlich zu bekunden, daß das ganze deutsche Volk es ablehnt, mit der Schuld am Kriege belastet zu werden und aus dieser Beschuldigung entspringende Bedingungen aus sich zu nehmen. Das ändert nichts an der erklärten Bereitschaft, an den 14 Punkten des Präsidenten Wilson festzuhalten und hinsichtlich der Entschädigungen die Folgen des Kriegsausganges auf sich zu nehmen.

Das Staatsministerium ersucht ferner darüber unterrichtet zu werden, welche Schritte die Reichsregierung zur Entlastung des vom Feinde besetzten Gebietes von der übermäßig starken Truppenbelegung zu unternehmen gedenkt und welches Maß von Truppenbelegung unseren Unterhändlern als erträgliches Höchstmaß angegeben werden soll. Das Staatsministerium hält es zum Schutze der linksrheinischen Bevölkerung für nötig, hierauf schon jetzt hinzuweisen und die Hoffnung auszusprechen, daß die feindliche Besetzung mit Abschluß des Friedens das Reichsgebiet verläßt oder mindestens bis zu ihrem Abzug nicht stärker gehalten wird, als die friedensmäßige deutsche Truppenbelegung in jenen Gebieten war, wobei Unterbringung außerhalb der Kasernen möglichst vermieden werden müßte.

Einer baldgefälligen Mitteilung über die Absichten der Reichsregierung darf das Staatsministerium entgegensehen.

@/ gez. Hirsch“ (R 43 I /1 , Bl. 202).

3

Siehe Dok. Nr. 10 a, Anm. 15; Dok. Nr. 22, Anm. 16.

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