1.2 (vpa2p): Nr. 131 Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung mit Vertretern der „Grünen Front“ am 9. September 1932

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[530] Nr. 131
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung mit Vertretern der „Grünen Front“ am 9. September 19321

R 43 I /1275 , Bl. 119–125

[Kontingentierung landwirtschaftlicher Einfuhren; Zinssenkung im Interesse der Landwirtschaft]

Der Reichskanzler empfing am 9. d. Mts. im Beisein der Reichsminister Warmbold, Graf Schwerin von Krosigk und Freiherr von Braun sowie des Ministerialrats Dr. Feßler als Vertreter der Grünen Front2 Präsident Brandes, die Reichsminister a. D. Dr. Hermes und Dr. Fehr sowie den Präsidenten des Reichs-Landbundes Graf Kalckreuth.

Die Vertreter der Grünen Front brachten zunächst ihren Wunsch wegen der Kontingentierung3 vor. Sie bemängelten, daß bei den Verhandlungen mit den Ländern nicht von einem Global-Kontingent ausgegangen würde, das die Reichsregierung zunächst festgesetzt hätte und bei dem es nur darauf ankomme, es unter die einzelnen Länder zu verteilen. Es brauche keine starre Größe zu sein, sondern könne saisonmäßigen Abänderungen unterliegen. Seine Festsetzung müsse aber unbehindert in deutscher Hand bleiben.

Es sei nicht möglich, der Landwirtschaft lediglich mit Zöllen zu helfen. Die Preise seien so labil, daß rasche Maßnahmen möglich sein müßten; Zölle könnten dagegen nicht fortgesetzt geändert werden, wenn sie nicht den Handel über Gebühr schädigen sollten.

Insbesondere bei der Butter müsse nach diesem Vorschlag verfahren werden. Die Industrie sei damit einverstanden4. Verhandlungen über die Höhe des Kontingents und eine deutsche Abnahmeverpflichtung seien unmöglich. Auch bei anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, bei denen eine unleugbare Zwangslage vorhanden sei, würde die Industrie Kontingente dulden.

Die einzelnen Wünsche der Landwirtschaft seien in einer Liste zusammengestellt, die dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft eingereicht worden sei5. Es werde notwendig sein, die Kontingente bald festzusetzen, insbesondere auch für Produkte der Milchwirtschaft, Obst und Gemüse. Andere Erzeugnisse könnten dann später kontingentiert werden. Die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse steige zum Teil, zum Teil nehme sie ab. Bei den abwärts gerichteten Kurven dürfe nicht die Einfuhrmenge des Vorjahres zu Grunde gelegt werden, weil dann das Kontingent größer würde als nötig.

[531] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft widersprach den Ausführungen über die Grundlage der laufenden Verhandlungen. Er beabsichtige, nicht Global-Kontingente einzuführen, sondern die Kontingente auf die Einfuhr jedes einzelnen Importeurs abzustellen. Es werde dann nicht nötig sein, mit den einzelnen Ländern über die Quote zu verhandeln, wenn jeder Importeur nur einen Prozentsatz der früheren Einfuhr im Auslande aufkaufen dürfe. Tatsächlich käme diese Regelung auf dasselbe heraus wie die Festsetzung von Global-Kontingenten.

Die Verhandlungen mit der Industrie hätten ohne Verständigung des Ministeriums stattgefunden. Nach Mitteilung der Landwirtschaftsvertreter sei eine Einigung auf ein Gesamtkontingent von 50 000 to bei einem Zoll von 100 RM erzielt6. Nach Angabe der Industrie seien diese Zahlen niedriger. Der Valutazuschlag sei dabei nicht berücksichtigt worden, obwohl er sehr wesentlich sei. Im übrigen seien die Verhandlungen wegen der Butter noch nicht abgeschlossen, eine Abnahmepflicht komme nicht in Frage. Der Ausgang der Verhandlungen mit Holland hänge von dem Ergebnis in Dänemark und Finnland ab. Vereinbarungen seien fraglich.

Das Kabinett habe grundsätzlich Kontingente beschlossen7.

Die Ressorts hätten sich über einzelne Fragen geeinigt8. Über die Streitfragen müsse das Kabinett alsbald entscheiden, insbesondere hinsichtlich des Holzes, des Weines und des Prozentsatzes.

Der Reichswirtschaftsminister machte allgemeine Ausführungen über die gesamte wirtschaftliche Lage, wie sie sich nach seiner persönlichen Auffassung darstellt. Die Ausführungen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

In den Jahren 1925–29 sei die Landwirtschaft geschwächt worden. Die Reparationszahlungen seien tatsächlich zu ihren Lasten gegangen.

Deutschland sei ein Land ohne wirtschaftliche Reserve, die Landwirtschaft[532] überlastet, Industrie und Gewerbe verlustbringend. Die Zahl der Arbeitslosen rekrutiere sich im wesentlichen aus Industrie und Gewerbe, kaum aus der Landwirtschaft.

Die Deflation mit ihrem Mißverhältnis zwischen Lasten und Ertrag wirke sich verhängnisvoll aus. Die öffentlichen Haushalte würden dadurch schwer bedroht, ihre Aufrechterhaltung sei in Frage gestellt.

Die Überbelastung der Landwirtschaft sei der innere Grund dafür, daß Industrie und Gewerbe jetzt Osthilfe zahlen und den Hauptteil der Steuern aufbringen müßten.

Die Gefahren für die Landwirtschaft lägen in erster Linie auf der Preisseite. Der Fleischverzehr sei gegenüber der Hochkonjunktur nicht zurückgegangen, der Preis aber auf 72%. Die Schweineerzeugung müsse verbraucht werden, die verminderte Kaufkraft der Bevölkerung wirke sich im Unterpreise aus.

Sechs Millionen Arbeitslose leben von 500 RM, während sie 1200 verdienen würden. Die Kaufkraft sei dadurch um rund 4 Milliarden vermindert. Die Minderung sei noch größer, wenn berücksichtigt würde, daß die 500 RM von anderem Verdienst getragen werden müßten. Werde der Ausfall an Kaufkraft auf 1000 RM berechnet, so sei er insgesamt 6 Milliarden.

Auch bei günstiger Entwicklung der Wirtschaft werde es nicht möglich sein, zwei Millionen Erwerbslose unterzubringen. Werde der Ausfall an Kaufkraft unter Zugrundelegung von 4 Millionen Erwerbslosen berechnet, so betrage er 4–5 Milliarden.

Um diesen Betrag sei die Nachfrage verringert, die Auswirkung sei verschieden, je nachdem, ob der Ausfall oberhalb oder an der Grenze des Existenzminimums liege.

Von den 5 Milliarden entfielen

60% auf Lebensmittel,

40% auf gewerbliche Erzeugnisse, auf Mieten und ähnliches. Der Ausfall bei der Landwirtschaft betrage demnach 3 Milliarden. Gefragt werde billige Ware, weniger die Veredelungserzeugung, daher der enorme Druck auf deren Preis. Ein klares Beispiel sei die Frischmilcherzeugung. Ein sächsischer Landwirt habe für den Liter 23 Pfennige bekommen, als die Industrie seiner Gegend in Gang war. Jetzt erhalte er 6½ Pfennig, also weniger als für Werkmilch bezahlt werde.

So sei die Kaufkraft das Zentralproblem besonders auch für die Landwirtschaft.

Der Außenhandel müsse die Kaufkraft steigern. Die Landwirtschaft nähme zu 60% daran teil. Würde die Ausfuhr um weitere zwei Milliarden abnehmen, so würde bei Rohstoffeinfuhr eine halbe Milliarde gespart. Die 1½ Milliarden aber wären Minderertrag an Löhnen und Gehältern.

Von diesen 1½ Milliarden entfielen 60% auf Rückgang der Nachfrage an Lebensmitteln, also 900 Millionen. Dieser Ausfall müsse sich auf die hochwertigen Güter der Landwirtschaft auswirken. Bisher hätte wohl die Ausfuhr den Lebensraum der Landwirtschaft beschränkt, jetzt würde sie ihn erweitern.

Auf Einwendungen von agrarischer Seite antwortete er mit folgenden Ausführungen: Erweiterung des Inlandsmarkts durch Hebung der Kaufkraft der[533] Landwirtschaft sei beschränkt. Die Landwirtschaft würde günstigstenfalls 20% der industriellen und gewerblichen Erzeugung aufnehmen. Steigere sich die Kaufkraft der Landwirtschaft um 1½ Milliarden, so könnten danach 600 000 Menschen mehr Beschäftigung finden. Das sei aber die äußerste Grenze des Erfolges. Die gewerbliche und industrielle Bevölkerung arbeite zu weitaus größerem Teil für sich und für den Export.

Rohstoffe müßten aus dem Auslande eingeführt werden, sonst wäre es nicht möglich, den Lebens- und Kulturstand aufrechtzuerhalten. Bezahlung könne nur durch Ausfuhr erfolgen. Die Lieferstaaten kauften teilweise den doppelten Wert ihrer Ausfuhr in Deutschland.

Bei einer Jahreseinfuhr von 4,2 Milliarden müsse sich jede Verminderung in der Ausfuhr mit dem doppelten Betrage auswirken. Eine Milliarde Einfuhrbeschränkung also mit zwei Milliarden Ausfuhrbeschränkung und somit der Minderbeschäftigung von 1 Million Arbeitern, die nicht anderwärts untergebracht werden könnten.

Die Vertreter der Grünen Front widersprachen diesen Ausführungen. Sie schätzten die Möglichkeiten der Ausfuhrsteigerung gering, die der Vermehrung der Kaufkraft im Innern aber als sicher ein. Der Mehrverdienst durch Arbeitsbeschaffung werde nichts nutzen, wenn er ins Ausland fließe. Er müsse in den innerdeutschen Kreislauf eingeführt werden.

Völlige Einschränkung der Einfuhr komme nicht in Frage. Die Einfuhr müsse nur in gleichem Maße gemindert werden wie die Ausfuhr falle. Sie werde weiter fallen wegen der fortgesetzten Kontingentierungstendenzen der anderen Länder.

Trotz der verringerten Kaufkraft würden noch beträchtliche Summen für landwirtschaftliche Erzeugnisse ins Ausland gelegt, besonders für Eier, Schmalz und ähnliches. Dieses Übermaß der Einfuhr müsse verhindert werden, allerdings ohne leichtfertig in einen Kampf mit den anderen Ländern hineinzugeraten.

Gegen die vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft beabsichtigte Art der Kontingentierung sei nichts einzuwenden.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Reichsregierung grundsätzlich Festsetzung von Kontingenten in Aussicht genommen habe. Die Industrie sei nach einem ihrer vertraulichen Rundschreiben keineswegs mit weitgehender Kontingentierung einverstanden9. Nur soweit nicht das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung durch Kontingente gefährdet werde, könnten sie zugelassen werden.

Die Entscheidung des Kabinetts werde unmittelbar nach dem Zusammentritt des Reichstags getroffen werden. Sie werde vom besten Willen für die Landwirtschaft unter Rücksichtsnahme auf die gesamten Interessen der Wirtschaft getragen werden sein10.

[534] Zur Zinsfrage11 führte Präsident Brandes aus, daß die Bauern tatsächlich nicht mehr in der Lage seien, die Zinsen aufzubringen. Es handele sich nur darum, auf welchem Wege die Zinsenlast gesenkt werden könne, ob durch privatwirtschaftliche Vereinbarungen, die seiner Überzeugung nach erfolglos wären, oder durch eine allgemeine Anordnung.

Die Landschaften wären noch einige Zeit in der Lage, ihre Zinsverpflichtungen zu erfüllen, weil die preußischen Domänen und Forsten haften. Es könne aber nicht im Interesse aller liegen, daß die Haftung in Anspruch genommen würde.

Die generelle Zinssenkung rechtfertige sich aus der Gesamtlage. Sie brauche nicht auf die Dauer gemacht sein, sondern etwa auf 3–5 Jahre. Die zweistelligen Gläubiger würden davon Vorteil haben, während sie bisher keine Zinsen erhalten.

Gleichzeitig müsse der Reichsbankdiskont auf 3% herabgesetzt werden12. Vorher sei es nicht möglich, neue Unternehmungen zu beginnen.

[535] Es sei zu hoffen, daß sich die Zinsen für neue Darlehen bald von selbst regulieren würden. Die Klagbarkeit müsse bei einem Zinssatz über 7 oder 8% ausgeschlossen werden. Die allgemeine Zinssenkung könne zwar die Landwirtschaft nicht rentabel machen, würde ihr aber eine Atempause gewähren. Künstliche Stützung der Landschaften verschleiere lediglich die Verhältnisse.

Würde die Entscheidung einem staatlichen Schlichter überlassen, so wäre sie dem Bürokratismus und der Gefahr der Korrupution ausgeliefert. Geschehe nichts, so stände die Produktion auf dem Spiel. Es handele sich um eine zwangsläufige Entwicklung. Jeder Gläubiger werde sich mit dem Vorkriegszinsfuß abfinden.

Der Reichswirtschaftsminister sprach sich grundsätzlich für eine Senkung der Zinsen aus. Beim Reichsbankdiskont werde es verhältnismäßig einfach sein. Dadurch würden 30 Milliarden Kurzkredite verbilligt. Wieviel langfristige Kredite durch eine Herabsetzung des Reichsbankdiskonts berührt würden, stehe nicht sicher fest, voraussichtlich aber 15 Milliarden.

Die Hälfte der insgesamt 90 Milliarden Schulden würde also durch eine Reichsbankdiskontsenkung getroffen; 1% erleichtere die Wirtschaft um 400–450 Millionen im Jahr.

Die langfristigen Kredite mit festem Zinssatz würden allerdings nicht berührt. Gegen erneute generelle Zinssenkung beständen aber die schwersten Bedenken.

Die Herabsetzung der Zinsen im Dezember 193113 sei im großen Rahmen einer allgemeinen Fortsetzung der Deflation durch Senkung der Mieten, Gehälter, Löhne, Preise erfolgt, um die Etats der öffentlichen Hand in Ordnung zu bringen. Ohne Zinssenkung hätte keine Herabsetzung der Mieten eintreten können. Der Druck der Schulden wachse mit der Inflation.

Die Zinsfrage könne nur im Zusammenhang mit den monetären Vorgängen gesehen werden. Von den langfristigen Krediten seien nur 5% gefährdet. Die Hypothekenbanken kämen ohne generelle Zinssenkung aus und lehnten sie ab14. Ein Bedürfnis für die Herabsetzung der Zinsen bestände für etwa 2 Milliarden, also nur ein Dreißigstel aller langfristigen Verschuldungen. Wegen dieses geringen Prozentsatzes dürfe die generelle Herabsetzung nicht vorgenommen werden, zumal sie das ganze Gebiet umfassen würde.

Als Folge träte ein: bei den Lebensversicherungsgesellschaften die Notwendigkeit, den Prämiensatz zu erhöhen. Die 18 Milliarden laufende Lebensversicherungen wären zum weitaus größten Teile niedriger als 5000 RM.

Der Sparkassenzins könne nicht gehalten werden, die Auszahlungen würden zunehmen, gesteigerter Notendruck sei dann nicht zu vermeiden. Die Währung geriete in Gefahr.

Würde sie fallen, so würden sich die Schuldverhältnisse zwar erleichtern, die Produktion hätte aber nach der Stabilisierung wieder keine Betriebsmittel; die Zinsen würden eine außerordentliche Höhe erreichen.

Der Spargedanke müsse über die Krise hinweggerettet werden.

[536] 22 Milliarden öffentliche Anleihen lägen bei öffentlichen Anstalten, Sozialversicherungen, Stiftungen und in Mündelgeldern fest. Eine neue Notlage würde aus dem Schuldnerproblem ein Gläubigerproblem machen, da diese Unterstützungen fordern würden. Die Herabsetzung der Zinsen von 8 auf 6% habe noch nicht zu allgemeinen Schwierigkeiten geführt. Weitere Herabsetzung würde äußerst gefährliche Wirkungen haben.

Die Kreditwirtschaft müsse in Ordnung kommen, die Umschuldung der Kurzkredite würde verhindert, wenn die jetzige verhältnismäßig stabile Lage durch allgemeine Maßnahmen erschüttert würde. Emissionen wären nicht möglich.

Bei den laufenden Darlehen müßten Kündigungen für mehrere Jahre ausgeschlossen, für neue Darlehen müßten die Zinsen ebenfalls festgelegt werden. Das wäre Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkte. Schwarzverkehr mit Kapital wäre die Folge.

Es würde sich nicht um eine normale Konvertierung handeln, wie in England, wo Herabsetzung der Zinsen oder Auszahlung des Kapitals zur Wahl gestellt sei. Würde zwangsweise der Zins von Zeit zu Zeit generell gesenkt werden, so würde sich der Kapitalbetrag in einen Rentenbetrag umwandeln. Das Wirtschaftsprogramm sei der letzte Versuch, das privatwirtschaftliche System zu retten. Schlichtungsstellen seien dagegen Vorbereitung eines neuen Systems. Der große Mechanismus der Geldwirtschaft dürfe nicht gestört werden durch eine generelle Zinssenkung.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat dafür ein, daß eine Übergangsregelung getroffen werde, bis sich auf privatwirtschaftlichem Wege eine Einigung gefunden habe. Die Landwirtschaft habe in letzter Zeit jährlich 1,2 Milliarden zugesetzt. Sie habe langfristige Schulden in Höhe von 7,6 Milliarden bei einem Zinssatze von 6% und 3,6 Milliarden kurzfristige Schulden mit einem Zinssatze von 9%. Der Zinssatz des Personalkredits hänge weitgehend von dem des Realkredits ab. Die Sparkassen müßten sich danach richten. Die überwiegende Mehrzahl der Betriebe zahle die Zinsen aus der Substanz. Der Weg der Verordnung von 1899 müsse beschritten und damit eine Bereinigung herbeigeführt werden. Bei einer Zwischenlösung müßten die Obligationen unberücksichtigt bleiben, nur die Pfandbriefanstalten und Hypothekenbanken wären einzubeziehen, dann würde auch der städtische Hausbesitz entlastet. Es sei aber nicht möglich, ihn abzutrennen.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß auch andere Berufsstände ihre Zinsen aus der Substanz zahlen. Solle das vermieden werden, so wäre die Zinszahlung generell einzustellen. Es sei damit zu rechnen, daß bei einer Senkung des Zinssatzes auf 4% im nächsten Jahr die Herabsetzung auf 2% gefordert würde. Tatsächlich würde 6% von den Landwirten aufgebracht. Wer 6% nicht aufbringen könne, der werde auch nicht in der Lage sein, 4% zu zahlen. Der Unterschied sei etwa 150 Millionen. Eine Sanierung würde durch die Zinsherabsetzung nicht eintreten.

Der Reichskanzler sah das Zinsproblem ähnlich wie die Vertreter der Landwirtschaft, hatte aber auch aus sozialpolitischen Gründen Bedenken gegen eine generelle Regelung. Ein Zwischenweg soll gefunden werden.

[537] Er betonte den festen Willen, der Landwirtschaft zu helfen, allerdings ohne allgemeinen Schaden anzurichten, der nicht wieder gutgemacht werden könne und bat, daß die Vertreter der Landwirtschaft mit der Regierung in Verbindung bleiben. Zweifel an dem Willen der Regierung, der Landwirtschaft zu helfen, müßten zerstreut werden. Die Radikalisierung der Landwirtschaft sei durch die Not und die Unrentabilität außerordentlich fortgeschritten. Die Verbände hätten nicht immer gebremst, wo es nötig gewesen wäre. Sie hätten in landwirtschaftlichen Verbänden nie die positiven Leistungen der Regierung in den Vordergrund gestellt. Die Landwirtschaft müsse wieder privatwirtschaftlich denken lernen. Mit einer nationalsozialistischen Regierung sei nicht zu rechnen. Er bat in diesem Rahmen an der konservativen Staatsführung mitzuhelfen und der Regierung zu vertrauen.

Minister Hermes erklärte, die Landwirtschaft sei bereit, die Regierung zu unterstützen, sie müsse aber konkrete Taten sehen.

Auch der Präsident des Reichs-Landbundes sprach sich in diesem Sinne aus15.

Von einer Pressenotiz über den Empfang wurde abgesehen.

Dr. Feßler

Fußnoten

1

Hierzu war eingeladen worden durch Schreiben des StSRkei vom 3. 9., wonach die Besprechung um 11.30 Uhr beginnen sollte (R 43 I /1275 , Bl. 106). – Der Vermerk Feßlers ist datiert vom 13.9.32.

2

Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 29.

3

Zu den diesbez. Forderungen der Landwirtschaft vgl. Dok. Nr. 28; 29; 62; 74, P. 3; 117; 129.

4

Vgl. Anm 4 zu Dok. Nr. 74.

5

Eine Zusammenstellung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, deren Einfuhr kontingentiert werden sollte, enthält die Kabinettsvorlage des REM vom 24. 8. (Anm 17 zu Dok. Nr. 117).

6

Gemeint sind die seit längerem geführten Verhandlungen zwischen Industrie und Landwirtschaft über die Neuregelung der dt. Buttereinfuhr. Vgl. dazu Dok. Nr. 74, dort bes. Anm 4.

7

In der Ministerbesprechung am 27. 8. (Dok. Nr. 117, P. 3).

8

Geschehen bei den Beratungen des Handelspolitischen Ausschusses der RReg. am 2. 9., worüber das AA mit Schreiben an StSRkei vom 7. 9. berichtet hatte: Der Ausschuß habe die Kabinettsvorlage des REM vom 24. 8. (vgl. oben Anm 5) eingehend erörtert und dabei über die Kontingentierung von 24 Erzeugnissen (u. a. Erbsen, Kohl, Tomaten, Weintrauben, Obst, Butter, Käse) Einverständnis erzielt, jedoch auch beschlossen, aus der Liste der vom REM für eine Kontingentierung vorgeschlagenen Waren die Positionen für Holz, frische Heringe und Eier zu streichen. Abschließend heißt es in dem Schreiben: In der Kabinettsvorlage des REM „sind bei den einzelnen Positionen für die Kontingentierung bis zum 31. Dezember 1932 bestimmte Hundertsätze vorgeschlagen, die von 10% bis 70% der früheren Einfuhren gehen. Das Reichsfinanzministerium, Reichswehrministerium und Auswärtige Amt sind der Auffassung, daß es zweckmäßig und notwendig ist, für die Verhandlungen mit den hauptbeteiligten Ländern eine größere Bewegungsfreiheit zu lassen. Erstens ist dies hinsichtlich der Kontingentshöhen nach dem 31. Dezember 1932 notwendig. Die Haltung der hauptbeteiligten ausländischen Regierungen wird wesentlich davon abhängen, welche Kontingentsätze nach dem 31. Dezember 1932 gelten sollen. Zweitens dürfen nach Ansicht der genannten Ministerien Einfuhrbeschränkungen auf 10, 20 oder 30% überhaupt nicht in Aussicht genommen werden, wenn die Verhandlungen nicht von vornherein aussichtslos sein sollen. Die genannten Ministerien schlagen daher vor, als allgemeine Instruktion für die Verhandlungen eine Verhandlungsspanne von 50 bis 75% der Vorjahrsmengen zu setzen. Es wird bei den Verhandlungen dann festzustellen sein, ob in den besonders gefährdeten Monaten unter 50% gegangen werden kann.“ Das REMin. halte „an den in der Kabinettsvorlage vorgesehenen Sätzen fest“ (R 43 I /1176 , Bl. 120–122).

9

Vgl. die Eingabe des Reichsverbandes der Dt. Industrie an den RK vom 7. 9. (Dok. Nr. 129).

10

Das für sie unbefriedigende Ergebnis dieser Besprechung veranlaßte die landwirtschaftlichen Spitzenverbände am 10. 9. zu einer nochmaligen Darlegung ihres Standpunktes in der Kontingentierungsfrage (Dt. Landwirtschaftsrat an den RK, R 43 I /1176 , Bl. 140–157). Darin wurden sämtliche Kontingentierungswünsche eingehend erläutert und zur wirtschaftspolitischen Lage sowie zum Vorgehen der RReg. folgende Ausführungen gemacht: „Die Festlegung von Einfuhrkontingenten kann aufgrund der derzeitigen Handelsvertragslage des Deutschen Reiches zunächst nichts anderes sein als eine Notmaßnahme, die ihre Berechtigung findet in den katastrophalen Verhältnissen, wie sie sich in der deutschen Wirtschaft zu einem erheblichen Teile gerade unter dem Einfluß einer hemmungslosen Auslandseinfuhr herausgebildet und bereits zu einer erheblichen Unterhöhlung der wirtschaftlichen und damit auch der allgemeinen Sicherheit und Ordnung geführt haben. Für derartige Notmaßnahmen sind in sämtlichen Handelsverträgen besondere Möglichkeiten einer autonomen, von den Vereinbarungen in den Verträgen selbst abweichenden Regelung vorgesehen. Da die Tatsache des Notstandes weder für die deutsche Allgemeinwirtschaft noch vor allem für die deutsche Landwirtschaft geleugnet werden kann, konnte mit Recht angenommen werden, daß die Reichsregierung die Möglichkeit autonomer, unabhängig von der Meinung der Vertragsgegner erfolgender Maßnahmen in vollem Umfange und mit der gebotenen Schnelligkeit benutzen würde. Länder, deren Wirtschaft sich noch in unvergleichlich besserer Lage befindet wie die des Deutschen Reiches, sind unter Berufung auf derartige Notstände ihrerseits längst zu entsprechenden autonomen Maßnahmen geschritten. Demgegenüber muß mit tiefer Sorge festgestellt werden, daß die Reichsregierung von den ihr zustehenden Möglichkeiten bisher keinen Gebrauch gemacht, sondern die Ausnutzung dieser Möglichkeiten durch die Einleitung von Verhandlungen gefährdet hat. Dadurch, daß vor dem Erlaß entsprechender autonomer Einfuhrkontingente Verhandlungen mit den beteiligten ausländischen Regierungen aufgenommen wurden, ist ein Präzedenzfall geschaffen, dessen Auswirkungen auf die Zukunft bei etwa notwendigen Notmaßnahmen sich nicht übersehen lassen. Es kann sehr leicht der Fall eintreten, daß uns künftig das aufgrund der Vertragslage uns klar zustehende Recht autonomer Maßnahmen beim Vorliegen besonderer Notstände abgesprochen wird mit Rücksicht darauf, daß die Reichsregierung ja auch in diesem Sinne durch ihr Verhalten zum Ausdruck gebracht hätte, ein ihr zustehendes Recht zu selbständigem Vorgehen nicht angenommen zu haben. Daneben aber zeigt der Gang der inzwischen eingeleiteten Verhandlungen, daß auf diesem Wege der Gedanke der Kontingentierung verzerrt und seine praktische Durchführung so gefährdet wird, daß das Ergebnis nicht in der gewünschten Verbesserung der Absatzbedingungen für die heimische Erzeugung, sondern noch in eine Verschlechterung ausmünden kann. Jedes der Länder, mit dem derartige Verhandlungen eingeleitet werden, wird bestrebt sein, seinen Anteil an der Einfuhr möglichst hoch zu gestalten. Aufgrund der Auswirkungen der Meistbegünstigungsklausel muß dies aber dazu führen, daß dieses Bestreben mit seinen Rückwirkungen auf alle anderen meistbegünstigten Länder zu derartig hohen Gesamtkontingenten führt, daß von einer spürbaren Beschränkung der Einfuhr schließlich überhaupt nicht mehr die Rede sein kann.“ Die landwirtschaftlichen Verbände müßten daher „zum Ausdruck bringen, daß sie mit einer Verwirklichung derartiger Abmachungen, wie sie jetzt den Verhandlungen mit Holland zu entspringen drohen, niemals abfinden können und daß sie den Kampf gegen eine derartige Durchkreuzung ihrer dem Wohle der Landwirtschaft und der gesamten deutschen Wirtschaft dienenden Bestrebungen aufnehmen müßten“. – Zum Fortgang in der Kontingentierungsfrage s. Dok. Nr. 141, P. 2.

11

Zu den Zinssenkungsforderungen der Landwirtschaft vgl. Anm 17 zu Dok. Nr. 111, ferner Dok. Nr. 125 und 128.

12

Der Diskont wurde auf Beschluß des Zentralausschusses der Rbk vom 21. 9. von 5 auf 4% herabgesetzt. Vgl. Dok. Nr. 107, dort bes. Anm 5.

13

NotVO des RPräs. vom 8.12.31 (RGBl. I, S. 699 , 702).

14

Vgl. Anm 17 zu Dok. Nr. 111 und Anm 2 zu Dok. Nr. 125.

15

Zur Zinssenkungsfrage s. weiter Dok. Nr. 146, P. 3.

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