2.8.1 (vpa1p): Abrüstungsfrage.

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Abrüstungsfrage.

Staatssekretär Dr. von Bülow trug vor, daß auf Grund diplomatischer Vorverhandlungen bestimmt damit zu rechnen sei, daß auf der bevorstehenden Lausanner Konferenz der Versuch gemacht werden würde, die festgefahrenen Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz wieder in Gang zu bringen1. Es sei daher notwendig, die Deutsche Delegation für Lausanne auch mit Weisungen für die Abrüstungsfrage zu versehen. Er verlas den Entwurf zu einer derartigen Anweisung2und fügte erläuternd hinzu, daß das deutsche Hauptziel darin bestehen müsse, Frankreich zur grundsätzlichen Anerkennung der deutschen Gleichberechtigung zu bewegen. Wenn dieses Ziel erreicht werde, könne man unbedingt damit rechnen, daß irgendwelche Schwierigkeiten gegen einen befriedigenden Fortgang der Konferenz von keiner anderen Seite gemacht werden würden. Um Frankreichs Zugeständnis zu erlangen, müsse man in Separatbesprechungen mit den Franzosen deutscherseits die Bereitwilligkeit zu Sonderabmachungen über den deutschen Rüstungsstand erkennen lassen. Den Franzosen[16] müsse eine Gewähr dafür gegeben werden, daß die Anerkennung der Gleichberechtigung Deutschlands zunächst im wesentlichen nur theoretische Bedeutung habe und daß Deutschland nicht ernsthaft daran denke aufzurüsten, zumal es aus wirtschaftlichen Gründen dazu garnicht in der Lage ist. Die deutsche Gleichberechtigung soll nicht dazu führen, daß Deutschland im gleichen Maße rüstet wie die übrigen Mächte, insbesondere Frankreich, vielmehr erklärt Deutschland, im wesentlichen auf seinem gegenwärtigen Rüstungsstand verharren zu wollen, daß es aber seine unausgesetzten Forderungen weiter verfolgen werde, die übrigen Mächte zur Erfüllung ihrer Abrüstungsverpflichtungen zu bringen.

Der Reichswehrminister erklärte sich mit dem von Staatssekretär von Bülow vorgetragenen Grundgedanken einverstanden, betonte aber, daß das taktische Verhalten der deutschen Vertreter unter allen Umständen vermeiden müsse, Anlaß zu einer Polemik in der deutschen Öffentlichkeit nach der Richtung zu geben, daß Deutschland Frankreich gegenüber praktisch auf die gleichen Rechte verzichtet habe.

Staatssekretär Dr. von Bülow erklärte, daß es sich im gegenwärtigen Augenblick nur um die Instruktion der Deutschen Delegation für Lausanne handele, daß es in Lausanne nur darauf ankomme, die grundsätzliche Anerkennung Deutschlands hinsichtlich der Gleichberechtigung zugesichert zu erhalten, daß aber irgendwelche Abmachungen in der Abrüstungsfrage selbst in Lausanne nicht getroffen werden sollten. Diese müßten vielmehr ausdrücklich den Genfer Verhandlungen vorbehalten bleiben. In Genf werde man nach wie vor darauf ausgehen, zu einer Konvention für die nächsten fünf Jahre zu kommen. Die Instruktionen für die Genfer Delegation würden eine Änderung nicht erfahren. Wenn es gelinge, durch die Konvention bindend festlegen zu lassen, daß nach spätestens fünf Jahren eine erneute Nachprüfung des Abrüstungsstandes der Mächte stattzufinden habe, sei es unbedenklich, wenn Deutschland im gegenwärtigen Augenblick sich zu Rüstungsbeschränkungen verpflichte, die es sich wegen der wirtschaftlichen Lage praktisch ohnehin auferlegen müsse.

Auch der Reichskanzler betonte, daß in Lausanne nichts geschehen dürfe, was zu einer innenpolitischen Propaganda gegen die Reichsregierung ausgenutzt werden könne. Mit diesem Vorbehalt erklärte er sich mit der vom Auswärtigen Amt entworfenen Instruktion für die Lausanner Delegation einverstanden3. Auch in Lausanne sollen die Verhandlungen nur von dem maßgeblichen[17] deutschen Delegierten der Genfer Delegation geführt werden. Verhandlungen durch Sonderbeauftragte sollen vermieden werden.

Schließlich erklärte der Reichskanzler sich auch damit einverstanden, daß die Liste der Genfer Abrüstungsdelegation dahingehend berichtigt wird, daß die Namen von Reichskanzler Brüning und Reichsminister Groener ersetzt werden durch die Namen der gegenwärtigen Amtsinhaber4.

Fußnoten

1

Zum bisherigen Verlauf der Abrüstungskonferenz, die am 2.2.32 eröffnet worden war, vgl. ADAP, Serie B, Bd. XIX, S. XVII f. und Bd. XX, S. XV ff.; Documents on British Foreign Policy 1919–1939, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 235 ff.; Rudolf Nadolny, Mein Beitrag, S. 113 ff.; Sten Nadolny, Abrüstungsdiplomatie 1932/33, S. 90 ff.; Salewski, Die bewaffnete Macht im Dritten Reich 1933–1939, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. VII, S. 86 ff. Umfangreiche Aktenmaterialien (Botschafterberichte, Besprechungsniederschriften, Schriftwechsel) hierzu auch in R 43  I /519 , 520 .

2

Hierbei handelt es sich um den als „ganz geheim“ gekennzeichneten Entwurf zu „Richtlinien für Abrüstungsbesprechungen in Lausanne“, den Bülow am 2. 6. dem Außenminister vorgelegt hatte (ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 107, Anlage). Eine Abschrift dieses Entwurfs, die dem StSRkei offenbar erst zu Beginn der obigen Chefbesprechung übergeben wurde, befindet sich in R 43 I /520 , Bl. 243–248. In dem Entwurf heißt es u. a.: 1) Sollten die hochgerüsteten Staaten die grundsätzliche dt. Forderung nach allgemeiner Abrüstung auf das im Friedensvertrag Dtld. auferlegte Rüstungsniveau nicht akzeptieren, so entstehe „für uns prinzipiell das Recht, bis zu dem Rüstungsniveau der anderen Mächte aufzurüsten“. Mit Rücksicht darauf, daß „unsere primäre Forderung“ bei der ersten Abrüstungskonferenz wohl nicht erreicht werden könne, „daß aber in kurzer Frist weitere Abrüstungskonferenzen das allgemeine Rüstungsniveau weiter senken sollen“, sei Dtld. grundsätzlich bereit, auf seinem „jetzigen Rüstungsstande die künftige Entwicklung abzuwarten, unter der Voraussetzung, daß diese erste Abrüstungskonferenz bereits einen erheblichen Abrüstungsschritt verwirklicht.“ 2) Im Rahmen dieses Entgegenkommens verlange Dtld. allerdings die sogenannte „theoretische Gleichberechtigung“, die darin bestehen müsse, „daß die künftig für Deutschland geltenden Rüstungsbestimmungen in gleicher Form wie die für andere Staaten geltenden Bestimmungen in die allgemeine Abrüstungskonvention, wie sie die gegenwärtige Konferenz ausarbeiten soll, aufgenommen werden und damit anstelle des Teils V des Vertrages von Versailles treten.“ 4) Dtld sei z. B. bereit, „auf schwere Artillerie, Kriegsflugzeuge, Tanks und U-Boote zu verzichten, wenn diese allgemein verboten werden. Ist dies aber nicht der Fall, so bestehen wir auf der Anschaffung von einigen Einheiten wenigstens einzelner dieser Waffen zur Bekundung unserer Gleichberechtigung.“

3

Die „Richtlinien“ wurden am 6. 6. durch StS v. Bülow in geringfügig abgeänderter Fassung an den Leiter der Genfer Abrüstungsdelegation, Nadolny, übermittelt. Die Änderung betraf Ziffer 1 (vgl. oben Anm. 2), in der es – offenbar gemäß einer Anregung des RWeM (vgl. ADAP, Serie B, Bd. XX, Anm. 5 zu Dok. Nr. 107) – nunmehr hieß: Dtld. sei grundsätzlich bereit, auf seinem „jetzigen Rüstungsstande zu verbleiben und zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten, unter der Voraussetzung, daß die erste Abrüstungskonferenz bereits einen erheblichen Abrüstungsschritt verwirklicht und daß die zweite Abrüstungskonferenz auf einen bestimmten nahen Zeitraum, etwa in 5 Jahren, anberaumt wird.“ In seinem Begleitschreiben erklärte v. Bülow u. a.: Die „Richtlinien“ bedürften, „um unsere Minister schon hier für Lausanne vorzubereiten, noch einer wichtigen Ergänzung. Wenn man in Lausanne versuchen will, das Schiff der Abrüstungskonferenz wieder flott zu machen, so würde das wohl nur so geschehen können, daß man sich über eine Reihe wichtiger Punkte wenigstens prinzipiell zu einigen und so über die in Genf zutage getretenen Hauptstreitfragen hinwegzukommen sucht. Für diesen Zweck würden die anliegenden Richtlinien, die die Abrüstungsfrage ja nur vom Standpunkte der deutschen Petita aus behandeln, nicht genügen. Es käme vielmehr darauf an, daneben auch ausdrücklich zu sagen, welche positiven Vorschläge wir etwa hinsichtlich der in Lausanne zu bereinigenden Grundfragen zu machen hätten, d. h. welche Grundfragen dort von den leitenden Staatsmännern zweckmäßigerweise überhaupt zu erörtern und welche Lösungen und Formeln dafür von uns anzustreben wären. Es müßten also aus den großen Fragenkomplexen der qualitativen und quantitativen Abrüstung, der Herabsetzung der Budgets und der Internationalisierungsideen die in Betracht kommenden konkreten Hauptpunkte herausgeschält und in ähnlicher Form, wie es in der anliegenden Aufzeichnung [d. h. den „Richtlinien“] geschehen ist, vom Standpunkte der deutschen Petita aus sachlich und taktisch behandelt werden.“ Da eine solche „Zusammenstellung“ aber nicht in Berlin, „sondern nur von Ihnen selbst“ aus der „genauen Kenntnis der dortigen Verhandlungen“ angefertigt werden könne, bitte er, Bülow, um möglichst schnelle Ausarbeitung eines „übersichtlichen und auch für Herren, die mit den Einzelheiten der Materie noch nicht vertraut sind, leicht verständlichen Elaborats der angedeuteten Art.“ (R 43 I /520 , Bl. 249–254). – Nadolny entsprach dieser Weisung mit Schreiben an Bülow vom 8.6.32 (ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 122). Über die weiteren, bis zum 16. 6. fortgesetzten Bemühungen Bülows zur endgültigen textlichen Gestaltung der „Richtlinien“, bei denen er auch eine vom RWeM am 15. 6. vorgelegte Ausarbeitung („Das interne deutsche Ziel auf der Abrüstungskonferenz“, R 43 I /520 , Bl. 178–180) zu berücksichtigen hatte, vgl. ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 127; 138, dort bes. Anm. 2.

4

Zum Fortgang in der Abrüstungsfrage s. Dok. Nr. 38, P. 2.

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