1.99 (bru2p): Nr. 351 Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Unterredung des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers mit dem Amerikanischen Botschafter. 1. Juli 1931

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Nr. 351
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Bülow über eine Unterredung des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers mit dem Amerikanischen Botschafter. 1. Juli 1931

Nachlaß Pünder Nr. 90, Bl. 38–42

Der Amerikanische Botschafter suchte heute Vormittag den Herrn Reichskanzler auf, der ihn wiederum zusammen mit dem Herrn Reichsminister empfing. Er teilte mit, daß er die gestrigen Anregungen1 sowohl nach Paris wie nach Washington weitergegeben habe. Zu der Frage politischer Forderungen brachte er nichts Neues; er teilte aber mit, daß in Washington und in Paris der Eindruck entstanden sei, daß wir untätig dabei säßen, während die übrige Welt ungeheure Anstrengungen mache, um uns zu Hilfe zu kommen. Namentlich in Amerika bestehe die Vorstellung, wir könnten irgendwie nützlich eingreifen, ohne aber daß man wisse, in welcher Weise dies geschehen könne. Nach Ansicht von Washington hätten wir recht gehandelt, nicht zur Teilnahme an den Mellon-Verhandlungen nach Paris zu reisen, wie es französischerseits gewünscht worden sei. Castle billige es auch, daß wir es abgelehnt hätten, uns durch Finanzsachverständige in Paris vertreten zu lassen. Der Botschafter konnte uns über die Aufnahme des gestrigen Vorschlages, betreffend die Schuldverschreibungen über 457,8 Millionen noch nichts sagen, da er diesen erst abends durchgegeben habe. Dagegen hat er inzwischen ein Telegramm erhalten, betreffend den Panzerkreuzer B, das von der Voraussetzung ausging, der französische Marineminister [Dumont] werde in der gestrigen Senatssitzung erklären, Frankreich sei bereit, auf den Bau eines 23 000-Tonnen-Kreuzers zu verzichten, falls wir den Panzerkreuzer B nicht auf Stapel legten2. Der Botschafter regte dann an, daß Herr von Hoesch sich mit dem Amerikanischen Botschafter in Paris in Verbindung setze, um von diesem zu erfahren, wie eine deutsche Unterstützung der Mellon-Verhandlungen möglich sei. Der Reichskanzler[1260] hat dem Botschafter dies zugesagt. Der Herr Reichsminister und ich haben sodann mittags mit Herrn von Hoesch telefoniert und ihn beauftragt, sich mit dem Botschafter Edge in Verbindung zu setzen und in der gewünschten Weise nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei müsse er den Panzerkreuzer B und die Zollunion aus den bekannten Gründen vollkommen ausschalten. In Frage komme höchstens eine allgemein gehaltene Erklärung der Deutschen Regierung, daß sie entgegen den bestehenden Vorurteilen mit dem festen Willen auf die Abrüstungskonferenz gehe, dieser zu einem Erfolg zu verhelfen. Ferner wurde der Botschafter angewiesen, unseren gestrigen Vorschlag der Schuldverschreibungen über 457,8 Millionen nochmals zu erläutern. Schließlich sollte er auch darauf hinweisen, daß wir uns von einer neuen öffentlichen Geste der Reichsregierung nicht viel versprechen könnten, nachdem der Erfolg der Rundfunkrede des Herrn Reichskanzlers in Paris so gering geblieben sei. Auch könne sich der Herr Reichskanzler nicht erneut Angriffen, wie sie die Rundfunkrede zur Folge hatte, hier aussetzen.

Herr von Hoesch hat diesen Auftrag ausgeführt und darüber telefonisch heute Mittag dem Herrn Reichsminister berichtet: Er hat eine längere Unterredung mit dem Botschafter Edge und dem Staatssekretär Mellon behabt. Danach bestehe der Streit um die Beteiligung der kleinen Staaten, um die Rückzahlung der 500 Millionen nach fünf bzw. fünfzehn Jahren, so wie sie der Botschafter Sackett hier dargelegt hat. Die Schwierigkeit liege in dem französischen Verlangen nach einem Schutz gegen das deutsche Moratorium bzw. den französischen Wunsch, von der Einzahlung in den Garantiefonds im Moratoriumsfalle befreit zu werden. Herr von Hoesch teilte mit, daß ferner auch nach amerikanischer Auffassung die 500 Millionen nicht der Deutschen Regierung zurückkreditiert werden sollen, sondern lediglich der deutschen Wirtschaft, eventuell aber auch der Reichsbank. Über den Stand der Verhandlungen teilte er mit, daß die Amerikaner ein großes Memorandum über den Hergang und die Entwicklung der Verhandlungen ausgearbeitet hätten, das sie um 3 Uhr den Franzosen überreichen würden3. Die Amerikaner rechnen damit, daß die Diskussion über dieses Memorandum erst heute abend oder morgen früh erfolgen werde. Falle eine sofortige Entscheidung, so könne sie wohl nur in einer französischen Ablehnung der amerikanischen Vorschläge bestehen. Der Botschafter Edge und der Staatssekretär Mellon hätten ihn gebeten, sie wieder aufzusuchen und wenn möglich weitere Vorschläge zu machen. Gegenüber dem deutschen Vorschlag der Schuldverschreibungen über 457,8 Millionen verhielten sich die Amerikaner skeptisch, erklärten sich aber bereit, ihn zu verwenden.

Der Botschafter von Hoesch machte im Laufe des Gespräches auch Bedenken gegen eine Einschaltung in diese Verhandlungen geltend, da er nicht genügend unterrichtet und nicht genug Fachmann in diesen Spezialfragen sei. Der Herr Reichsminister wies ihn darauf hin, daß die Amerikaner selbst die Beteiligung deutscher Fachleute ablehnten. Herr von Hoesch teilte ferner mit, daß die Amerikaner selbst einen weiteren Plan erwögen, der darauf basiere, daß wir während des Feierjahres unsere normalen Sachlieferungen an Frankreich[1261] in vollem Umfange fortsetzen sollten und daß wir die darüber hinausgehenden Beträge bis zur vollen Höhe der unaufschiebbaren Annuität in die BIZ einzahlen und von dieser wieder kreditiert erhalten sollten. Dadurch würden die Franzosen etwa 200 Millionen Mark gewinnen, die sie zur Auffüllung des Garantiefonds verwenden könnten. Hiergegen habe Herr von Hoesch die daraus entstehende Belastung unseres diesjährigen Budgets geltend gemacht, und den Plan als unannehmbar bezeichnet. Auf seine Frage, ob Deutschland sonst etwas tun könnte, um die Situation in Paris zu erleichtern, wurde ihm erwidert, daß die Amerikaner kein Interesse an den politischen Wünschen Frankreichs hätten und sich auch von einer neuen öffentlichen Kundgebung nichts versprächen, da die Reichskanzlerrede in Paris nicht das erwartete Echo ausgelöst habe. Sie fragten ihrerseits Hoesch, was geschehen solle, falls der Hoover-Plan scheitere, worauf der Botschafter naturgemäß nicht antworten konnte. Die Amerikaner teilten dann mit, daß eine Beschränkung des Hoover-Planes auf die anderen Länder mit Ausnahme von Frankreich erwogen werde, daß ihnen aber die daraus entstehende politische Einkreisung Sorgen mache.

Auf Grund der um ½4 Uhr stattgehabten Besprechung beim Herrn Reichskanzler habe ich Herrn von Hoesch heute nachmittag die aus der Anlage ersichtlichen neuen bzw. abgeänderten Vorschläge4 zur Verwendung bei Mellon mitgeteilt und erläutert. Der Herr Reichsminister hat sie dem hiesigen Amerikanischen Botschafter seinerseits mitgeteilt.

Anläßlich meines Gespräches mit Herrn von Hoesch zur Erläuterung des neuen Vorschlages, teilte mir dieser mit, daß die heutige Sitzung der Franzosen und Amerikaner nach Überreichung des Memorandums abgebrochen und auf morgen abend vertagt worden sei. Ferner teilte er mit, daß Herr Rießer5 bei Herrn Coulondre6 gewesen sei, der sich sehr scharf über die Amerikaner und ihre Haltung geäußert habe, ohne gegen uns auch nur die leiseste Klage zu führen. Interessant sei in dem Gespräch gewesen, daß Coulondre die Ansicht vertrat, wenn man in Deutschland einen Organismus finde oder schaffen könnte, der in der Lage sei, Obligationen auszugeben, dann seien alle Schwierigkeiten behoben. Der Fehler sei eben der, daß die Obligationen des Reiches nicht den Wert und das Vertrauen genössen, das eine eventuell neu zu schaffende Organisation ihnen geben könnte. Herr von Hoesch wies zum Schluß nochmals auf die unmögliche Situation hin, in die er gerate, wenn er als Botschafter bei der Französischen Regierung mit den Amerikanern in Paris verhandele, und bat dringend, den Gedankenaustausch möglichst auf dem Wege über den hiesigen Amerikanischen Botschafter zu vollziehen, der ja genau so mit seinen Kollegen in Paris telefonieren könne, wie wir es mit Hoesch tun. Über die Durchführung seines neuen Auftrages sagte mir Herr von Hoesch, er werde zunächst Herrn Rießer mit einer englischen Übersetzung des formulierten Vorschlages zu den Amerikanern schicken und unsere drei Punkte entsprechend mündlich erläutern lassen. Herr Rießer werde bei dieser Gelegenheit[1262] mitteilen, daß Herr von Hoesch den Amerikanern zu weiterer Aussprache zur Verfügung stehe. Wahrscheinlich würden aber die Amerikaner von diesem Angebot keinen Gebrauch machen, denn es sei ihnen ebenfalls nicht wohl bei dem Gedanken, daß sie gewissermaßen hinter dem Rücken der Französischen Regierung mit dem Deutschen Botschafter verhandelten.

Bülow

Fußnoten

1

S. Dok. Nr. 350.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 356, Anm. 3.

3

S. Dok. Nr. 354, Anm. 1.

4

S. Anlage zu Dok. Nr. 352.

5

Hans E. Rießer, GesandtschaftsR an der dt. Botschaft in Paris.

6

Robert Coulondre, Beamter in der Wirtschaftsabteilung des frz. Außenministeriums.

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