1.67.1 (ma32p): Wirtschaftliche Auswirkung der Besoldungsvorlage.

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Wirtschaftliche Auswirkung der Besoldungsvorlage.

Der Reichskanzler gab zunächst von einem Schreiben des Reichspräsidenten Kenntnis, in dem dieser der Reichsregierung den Dank für die Glückwünsche und das Geschenk zum Geburtstage ausspricht.

Sodann wies der Reichskanzler darauf hin, daß im Berliner Tageblatt systematisch auf eine Regierungskrise hingearbeitet werde. U. a. habe die Zeitung gemeldet, daß das Liquidationsschädengesetz1 zurückgezogen werde.

Der Reichsminister der Finanzen gab einen Überblick über seine Verhandlungen mit dem Reparationsagenten wegen der Finanzierung der Entschädigungen2. Der Reparationsagent habe seinen Standpunkt geändert, anscheinend wohl in der Befürchtung, daß durch Entschädigung der großen Handelshäuser die deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkt gestärkt würde. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen. Von einer Zurückziehung des Entwurfs könne keine Rede sein.

Auf Anregung des Reichsministers des Auswärtigen soll die Meldung des Berliner Tageblatts amtlich dementiert werden.

Der Reichskanzler schlug vor, 1. die Lage der Reichsbahn, 2. die Lohnpolitik, 3. die Preispolitik zu besprechen.

1. Lage der Reichsbahn.

Generaldirektor Dorpmüller gab einen Überblick über die finanzielle Lage der Reichsbahn3. Da die Reichsbahn wegen der Haltung des Reparationsagenten[952] keine Auslandsanleihe hätte aufnehmen können4, habe der Betriebsüberschuß zu den notwendigen Bauten herangezogen werden müssen. Die Reichsbahn habe im Jahre 1927 insgesamt etwa 250 Millionen in Betriebsanlagen investiert. Nach seinen Berechnungen würde Anfang 1928 der Reichsbahn ein Betriebskapital von nur 280 Millionen Mark zur Verfügung stehen, während es normal 400 Millionen betragen müsse. Die Einnahmen gingen seit Juni 1927 zurück. Die Besoldungsneuregelung mache nach der Vorlage 200 Millionen Mehrausgaben im Jahre erforderlich. Um sie zu decken müßten die Einnahmen im Jahre 1928 5 058 Millionen betragen. Weitere Erhöhungen der Personalausgaben würden eine Steigerung auch der sachlichen Aufwendungen in gleichem Verhältnisse nach sich ziehen. Die Reichsbahn rechne in diesem Falle mit einem Defizit von 564 Millionen im Jahre 1928. Wenn 1928 eine Anleihe aufgenommen werden könnte, würde sie keinesfalls mehr als 250 Millionen betragen. Auf Anfragen teilte Generaldirektor Dorpmüller mit, daß die Reichsbahn für ihre Arbeiten ein langfristiges Programm aufgestellt habe, das aber, entsprechend den Einnahmen, in kurzen Fristen revidiert würde. Jährlich müßten durchschnittlich 3000 Kilometer des Oberbaus erneuert werden. Wegen der Rückstände der letzten Jahre sei eine Erneuerung von weiteren 600 Kilometern jährlich vorgesehen. Die Vorräte an Lokomotiven und Eisenbahnwagen, die nach der Demobilmachung angeschafft worden seien, seien allmählich aufgebraucht, so daß mit Neuanschaffungen im Werte von ungefähr ¼ Milliarde gerechnet werden müßte. Die unbrauchbaren Bestände würden verkauft, vom Schrotthandel aber häufig erst nach längeren Fristen abgerufen. Die Reichsbahn richte sich bei ihren Auftragserteilungen möglichst nach der Konjunktur. Auch er halte wie der Reichswirtschaftsminister für erforderlich, daß die öffentlichen Betriebe in dieser Weise praktische Konjunkturpolitik treiben.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers hielt es für erforderlich, daß die Zahlenangaben der Reichsbahn zur Unterlage für eine eingehende Besprechung der beteiligten Ressorts gemacht würden. Den gleichen Standpunkt vertraten der Reichsminister der Finanzen und der Reichswirtschaftsminister sowie der Reichsverkehrsminister. Er erklärte, daß er zu den Ausführungen nicht Stellung nehmen könne, bevor nicht die Zahlen in seinem Ressort eingehend geprüft worden seien.

Generaldirektor Dorpmüller erklärte sich bereit, jederzeit der Reichsregierung das erforderliche Material vorzulegen.

Der Reichssparkommissar wies darauf hin, daß der Rechnungshof die Bilanzen der Reichsbahn prüfe und bat, ihn an den Verhandlungen zu beteiligen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß der Reichsverkehrsminister den Reichsminister der Finanzen, den Reichswirtschaftsminister, den Reichsarbeitsminister, den Reichssparkommissar und die Reichsbahn zu einer Besprechung über die finanzielle Lage der Reichsbahn einladen wird. Die Reichsbahn wird hierzu die erforderlichen Unterlagen geben.

[953] 2. Lohnpolitik.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß eine Erhöhung der Löhne im Hinblick auf die Neuordnung der Beamtenbezüge gefordert werde5. Er halte eine Heraufsetzung der Löhne und der Preise wegen der Steigerung der Beamtenbezüge nicht für sachlich gerechtfertigt, weil hierfür keine neuen Steuern erforderlich seien. Wenn aber das Preisniveau steigen sollte, so würden Lohnsteigerungen allgemeiner Natur nicht zu umgehen sein. Die überwiegende Mehrzahl der Tarifverträge laufe bis zum Frühjahr 1928. An den Tarifen müsse grundsätzlich festgehalten werden, es sei denn, daß durch eine starke Steigerung des Index der Lebenshaltung neue Verhältnisse geschaffen würden.

Bei einzelnen Industrien, insbesondere der Textilindustrie, dem Bekleidungsgewerbe und der Braunkohlenindustrie liefen die Tarifverträge im Herbst 1927 ab. Eine gewisse Lohnsteigerung sei bei diesen Arbeitergruppen schon deswegen nicht zu umgehen, weil die Mieten am 1. Oktober um 10% gestiegen seien. Für die Lohnsteigerung sei die Lage der einzelnen Industrien entscheidend, nur dürfe durch die Lohnpolitik nicht das Streben der Kartelle unterstützt werden, den Betrieb der Werke aufrechtzuerhalten, die wirtschaftlich ungünstiger arbeiten als die anderen.

Mit diesen Ausführungen waren der Stellvertreter des Reichskanzlers und der Reichswirtschaftsminister einverstanden.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers wies darauf hin, daß demnach das Kabinett die Ausführungen des „Deutschen“6 für unrichtig hält, die dieser Auffasung widersprechen.

Im übrigen gab der Reichsarbeitsminister eine zahlenmäßige Übersicht über die Steigerung der Löhne der Arbeiterschaft in ihrem Verhältnis zur Steigerung der Beamtengehälter sowie des Index seit Juni 1924. Die Angaben, die Reichsbahndirektor Klein sowie der Reichswirtschaftsminister hierzu machten, stimmten mit diesen Ausführungen nicht überein, weil die Ausgangspunkte verschieden waren.

Der Reichswirtschaftsminister wies darauf hin, daß es dringend erforderlich sei, zu einheitlichen Zahlen zu gelangen und schlug vor, daß alsbald hierüber eine Referentenbesprechung der zuständigen Ressorts und der Reichsbahn stattfände. Nach seiner Überzeugung würde durch die Besoldungsvorlage nur der Vorsprung eingeholt, den die Arbeiterlöhne bereits erreicht hätten. Bei den[954] einzelnen Arbeitergruppen beständen große Unterschiede, die sich aus der wirtschaftlichen Lage der verschiedenen Industrien ergeben. Bei den Aufstellungen müsse auf die einzelnen Industrien eingegangen werden.

Dem Vorschlage des Reichswirtschaftsministers wurde zugestimmt.

Der Reichsarbeitsminister wird zu den Besprechungen eingeladen.

Staatssekretär Hoffmann führte aus, daß die Neuregelung der Beamtenbesoldung auf die Löhne der Landarbeiter voraussichtlich keinen Einfluß ausüben werde. Für eine wesentliche Verschlechterung des Index lägen keine Anzeichen vor. Eher sei mit einem Sinken der Lebensmittelpreise zu rechnen.

Der Reichsminister der Finanzen ging auf die Deckungsfrage ein. Durch die Ersparnisse bei der Erwerbslosenfürsorge seien die Mehraufwendungen für die Beamtenbesoldung im Jahre 1927 gesichert. Auch im Jahre 1928 sei im Reiche bei Einschränkung der Ausgaben die Deckung möglich, wenn kein Konjunktursturz eintrete. Die überwiegende Mehrzahl der Länder könne im Jahre 1927 die Mehrkosten aufbringen7. Die Lage in Bayern sei eigenartig.

Einzelne Gemeinden würden bei der Deckung der Mehraufwendungen Schwierigkeiten haben. Ein Ausbau der Getränkesteuer sei angeregt worden. Er halte ihn für richtiger als eine Erhöhung der Realsteuern.

In den Gemeinden seien Höherstufungen erfolgt, die erforderlich machten, daß weniger die Beamtengruppen als die Beschäftigung der Gemeindebeamten der der gleichartigen Beamtengruppen des Reichs verglichen würde. Die Öffentlichkeit möchte auf diese Gesichtspunkte hingelenkt werden. Im übrigen sei ein Vergleich zwischen Beamten und Arbeitern im allgemeinen nicht ohne weiteres möglich. Auch der Reichsverband der deutschen Industrie vertrete die Auffassung, daß durch die Besoldungsneuregelung nur der Vorsprung der Löhne in der freien Wirtschaft ausgeglichen werde.

Die Frage müsse ernstlich geprüft werden, ob eine Einschränkung der Beamteneigenschaft bei Neueinstellungen möglich sei, zumal für die Arbeiter der Reichsverwaltungen eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung eingerichtet werde.

Der Reichsarbeitsminister und der Generaldirektor der Reichsbahn traten diesen Ausführungen bei. Die Lokomotivführer würden im Auslande als Arbeiter angestellt. Ihre Bedeutung werde in der deutschen Öffentlichkeit weit überschätzt.

Der Reichssparkommissar bat, ihn bei Besprechungen über die Frage der Einschränkung der Beamteneigenschaft zu beteiligen.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß es schwer sein werde, dem Gedanken im Reichstage Geltung zu verschaffen.

Nachdem der Reichsminister der Finanzen gebeten hatte, die Ressortbesprechung wegen der Festlegung des Zahlenmaterials zur Begründung der Besoldungsordnung zum 5. Oktober anzuberaumen, vertagte der Reichskanzler die Besprechung über die Preispolitik auf Donnerstag, den 6. Oktober nachmittags[955] 4 Uhr. Sie soll im Anschluß an die Besprechung über die Anleihefrage in einer Chefbesprechung zur Verhandlung kommen8.

Der Generaldirektor der Reichsbahn wird teilnehmen.

Die Verhandlungen mit Reichsbankdirektor [!] Schacht sollen am Freitag, den 7. Oktober nachmittags 4 Uhr in einer Ministerbesprechung stattfinden9.

Fußnoten

1

Gemeint ist der „Entwurf eines Gesetzes zur endgültigen Regelung der Liquidations- und Gewaltschäden (Kriegsschädenschlußgesetz)“; siehe Dok. Nr. 276, Anm. 9.

2

Nach den Plänen des RFMin. sollte die Finanzierung der Entschädigungsleistungen auf Grund des Kriegsschädenschlußgesetzes (Anm. 1) durch den Verkauf von Vorzugsaktien der RB-Gesellschaft erfolgen, die sich im Besitz des Reichs befanden. Gegen einen Verkauf der Eisenbahnvorzugsaktien im Ausland hatte der Reparationsagent Gilbert jedoch Einspruch erhoben. Siehe dazu: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 136, 155 und 226.

3

In einem Schreiben an den RK vom 24.9.27 hatte der Präs. des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft, v. Siemens, die finanzielle Lage der RB dargelegt und auf die ungünstigen Aussichten für 1928 hingewiesen. Die Mehrbelastung durch die Beamtenbesoldungsreform, wie sie jetzt dem RR vorgelegt worden sei, würde für die RB voraussichtlich 216 Mio RM betragen und bei einer Erhöhung der örtlichen Sonderzuschläge und der Pensionen sogar auf 245 Mio RM anwachsen. Bei einem solchen Ansteigen der Lasten sei eine Tariferhöhung auf die Dauer unvermeidlich (R 43 I /2568 , Bl. 327–334; siehe auch das Schreiben Dorpmüllers an den RFM vom 23. 9., ebd. Bl. 320).

4

Zum Einspruch des Reparationsagenten Gilbert gegen den Verkauf von Eisenbahnvorzugsaktien im Ausland siehe das in Anm. 3 angeführte Schreiben v. Siemens’; außerdem: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 136, 155 und 226.

5

Vgl. Dok. Nr. 303.

6

Gemeint ist anscheinend ein Artikel, den der Geschäftsführer der christlichen Gewerkschaften, Baltrusch, unter der Überschrift „Besoldungsreform, Preise und Löhne“ in „Der Deutsche“ vom 25.9.27 veröffentlicht hatte. Der Artikel setzt sich kritisch mit der von Unternehmern und Regierungsstellen vertretenen Auffassung auseinander, daß Lohnerhöhungen in der gegenwärtigen Situation ungerechtfertigt und schädlich seien. Der Wirtschaft gehe es gut, sie nutze die Hochkonjunktur rücksichtslos zu Preissteigerungen aus und sei offenbar in der Lage, die Kosten der angekündigten Besoldungsreform in Höhe von 1,5 bis 1,75 Mrd. RM jährlich zu tragen. Nicht nur die Beamten, sondern auch die Angestellten und die Staats- und Privatarbeiter hätten ein Recht auf Einkommensverbesserungen. Die Arbeiterlöhne seien angesichts der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten völlig unzulänglich. Nach amtlichen Feststellungen verdiene die große Mehrheit der Arbeiter weniger als 150 RM im Monat (R 43 I /1157 , Bl. 26).

7

Siehe dazu Dok. Nr. 311.

8

In der Chefbesprechung am 6. 10. kam nur die Frage der Auslandsanleihen zur Beratung; siehe Dok. Nr. 312. Die Preispolitik wurde erst in der Ministerbesprechung vom 13. 10. im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Besoldungsreform behandelt; siehe Dok. Nr. 317, P. 1.

9

Siehe Dok. Nr. 313.

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