2.70 (vpa1p): Nr. 69b Aufzeichnungen der preußischen Staatsminister Hirtsiefer und Severing über eine Besprechung in der Reichskanzlei am 20. Juli 1932, 10 Uhr

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Nr. 69b
Aufzeichnungen der preußischen Staatsminister Hirtsiefer und Severing über eine Besprechung in der Reichskanzlei am 20. Juli 1932, 10 Uhr1

Kl. Erw. 337/1, Bl. 135–138 Umdruck2

[Einsetzung eines Reichskommissars für Preußen; Amtsenthebung des Ministerpräsidenten Braun und des Innenministers Severing]

1. Aufzeichnung des Staatsministers Hirtsiefer.

Am Mittwoch, dem 20. Juli, fanden wir uns – Herr Minister Severing, Herr Minister Klepper und ich – auf Einladung des Reichskanzlers in der Reichskanzlei ein. Außerdem war auf preußischer Seite erschienen Herr Ministerialdirektor Nobis. Nachdem wir bereits das Sitzungszimmer betreten hatten,[260] erschienen Herr Reichskanzler von Papen, Herr Reichsminister von Gayl und Herr Staatssekretär Planck.

Nach der üblichen Begrüßung nahmen wir Platz, und der Herr Reichskanzler begann etwa mit folgenden Ausführungen:

Die Dinge in Preußen hätten sich nicht so gestaltet, wie er es für richtig hielt. Infolgedessen habe er dem Herrn Reichspräsidenten darüber Vortrag gehalten und von diesem besondere Vollmachten bekommen. Im Sinne dieser Vollmachten habe er Herrn Ministerpräsidenten Braun und Herrn Preußischen Innenminister Severing ihres Amtes entsetzt. Er selbst habe sich infolgedessen zum Preußischen Ministerpräsidenten und den Oberbürgermeister Dr. Bracht zum Preußischen Innenminister ernannt. Der Herr Preußische Innenminister legte gegen diese Mitteilung sofort entschieden Verwahrung ein und betonte ausdrücklich, daß er diese Maßnahmen als wider die Verfassung verstoßend nicht anerkennen könne und daß er deshalb nur der Gewalt weichend seinen Platz verlassen werde. Daraufhin versuchte der Herr Reichskanzler auf den Herrn Preußischen Innenminister einzuwirken. Der Herr Preußische Innenminister erklärte ihm aber, alles Zureden habe keinen Zweck; es würde jetzt Weltgeschichte geschrieben in diesen Tagen, und da sollte es nicht heißen, daß ein republikanischer Minister mit dem Odium der Desertion seinen Posten verlassen habe. Er würde seinen Posten nur der Gewalt weichend verlassen. Ich selbst bat dann ums Wort und habe dem Herrn Reichskanzler gesagt, daß ich dieses ganze Vorgehen so unerhört fände, daß ich dafür in der Geschichte kein Beispiel wüßte. Ohne daß uns irgendwie mitgeteilt worden sei, was in Preußen nicht richtig sei, ohne daß uns irgendwie Gelegenheit gegeben worden sei, etwaige Beanstandungen in Preußen zu beseitigen, würden wir hier gewissermaßen zum Befehlfsempfang kommandiert. Wie insbesondere ein Reichsinnenminister, der Freiherr von Gayl heiße und der über ein Jahrzehnt lang im Reichsrat die Interessen der Länder vertreten habe, wie Herr von Gayl diese Dinge überhaupt mitmachen könne, das sei mir absolut unerfindlich. Ich könne nur nochmals betonten, daß ich ein solches Vorgehen so unerhört fände, daß ich dafür kein Verständnis aufbringen könne. Selbst der Angeklagte würde noch gehört. Als gegen dieses Wort die Minister Severing und Klepper Einspruch erhoben, habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich selbstverständlich uns nicht als Angeklagte betrachten könnte, daß ich dieses Wort auch nur zum Vergleich herangezogen habe, daß sogar der Angeklagte vor seiner Verurteilung wenigstens gehört werde; aber auch das sei in dem Verfahren gegen uns nicht einmal der Fall gewesen.

Nach einigen weiteren Ausführungen des Herrn Finanzministers Klepper betonte der Herr Reichskanzler sinngemäß, daß er uns weiter nichts mitzuteilen habe und daß damit die Besprechung als beendet angesehen werden könne.

Herr Ministerialdirektor Nobis, der nicht mit uns gekommen war, hat auch nicht mit uns das Gebäude der Reichskanzlei verlassen, sondern ist mit dem Herrn Reichskanzler in dessen Zimmer gegangen. Wie er mir nachher in einem Briefe mitteilte, habe der Herr Reichskanzler ihn gebeten, mit ihm in sein Zimmer zu kommen.

[261] 2. Aufzeichnung des Staatsministers Severing3.

Auf Einladung der Reichsregierung begaben sich die preußischen Minister Hirtsiefer, Severing und Klepper sowie der Ministerialdirektor Nobis am 20. Juli vormittags 10 Uhr in die Reichskanzlei. Sie wurden in das Sitzungszimmer des Reichskabinetts gebeten, wo nach einigen Minuten der Reichskanzler von Papen, der Reichsinnenminister von Gayl und der Staatssekretär Planck erschienen. Außer den Genannten war ein weiterer Beamter der Reichskanzlei4 zugegen.

Nach der Begrüßung nahm der Reichskanzler an der Längssseite der Rundtafel Platz, an der sich sein Stuhl befindet. Rechts und links von ihm saßen Staatssekretär Planck und Reichsminister von Gayl, während die Vertreter Preußens auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches Ihre Sitze gewählt hatten.

Dann teilte der Reichskanzler mit, daß die Reichsregierung seit einiger Zeit mit Sorge die Dinge in Preußen beobachte. Sie sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußen nicht mehr gewährleistet erscheine und der Reichspräsident habe sich daher entschlossen, auf Grund des Abs. 1 und 2 des Artikels 48 der Reichsverfassung eine Verordnung zu erlassen, die ihn, den Reichskanzler, zum Reichskommissar für das Land Preußen bestellt. Kraft dieser Vollmacht enthebe er den Preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und den Preußischen Innenminister Severing ihrer Ämter und betraue mit der Führung des Innenministeriums den Essener Oberbürgermeister Dr. Bracht.

Der Preußische Innenminister legte gegen die in der Heranziehung der Absätze 1 und 2 der Reichsverfassung enthaltenen Unterstellungen, daß Preußen seine Pflichten der Verfassung oder den Gesetzen gegenüber nicht erfülle und daß im Lande Preußen die öffentliche Sicherheit und Ordnung weniger gewährleistet sei als in anderen Ländern, entschiedenste Verwahrung ein. Es werde der Reichsregierung nicht gelingen, auch nur einen Fall nachzuweisen, in dem Preußen seine Pflichten nicht erfüllt habe. Und trotzdem Preußen die meisten und größten Gefahrenzonen aufweise, ist und bleibe die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußen mindestens so gut gewährleistet wie in anderen Ländern. Er sei nicht in der Lage, das Vorgehen der Reichsregierung als verfassungsmäßig anzuerkennen.

Der Reichskanzler erwiderte, daß die Reichsregierung ihre Schritte reiflich erwogen habe, die sie nun auch ausführen würde. Er richte darum an den Preußischen Innenminister die Frage, ob er freiwillig seinen Posten räumen und seinem Nachfolger die Geschäfte übergeben würde. Der Preußische Innenminister erklärte hierauf, daß er bei seiner Auffassung über das Vorgehen der Reichsregierung nicht daran denken könne, freiwillig sein Amt zu verlassen. Diese Tage schrieben Geschichte und da dürfe ein republikanischer Minister sich nicht mit dem Makel der Desertion behaften dadurch, daß er freiwillig seinen Posten räume. Er weiche nur der Gewalt.

[262] Finanzminister Klepper regte an, die preußischen Vertreter möchten zu einer kurzen Sonderbesprechung zusammentreten, um über eine gemeinschaftliche Erklärung zu beschließen. Der Preußische Innenminister widersprach dem Vorschlag mit dem Bemerken, daß eine Besprechung seine Haltung nicht ändern werde5.

Der Reichskanzler bemerkte sodann, wenn es dem Preußischen Innenminister nur darauf ankomme, das Gesicht zu wahren, sich leicht eine Vereinbarung treffen lasse.

Der Preußische Innenminister protestierte gegen die Bemerkungen des Reichskanzlers, als sei seine – des Redners – Weigerung, den Posten des Innenministers freiwillig zu verlassen, von dem Bestreben eingegeben, das Gesicht zu wahren. Gründe des persönlichen Prestiges hätten mit seiner Haltung nichts zu tun. Es seien vielmehr grundsätzliche Erwägungen und vor allem vaterländische Motive, die ihn leiteten. In Unruhezeiten seien seine Erfahrungen im Amt und sein Verhältnis zu den Beamten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit wertvoller als die Bestellung neuer Männer. Was die vom Reichskanzler angeregte Vereinbarung anlange, so bemerke er, daß Vereinbarungen nur zwischen gleichberechtigten Vertragsgegnern getroffen werden könnten, der Reichskanzler aber habe die preußischen Minister wie Rekruten zum Appell befohlen, um ihnen Beschlüsse der Reichsregierung zur Kenntnis zu bringen. Er habe nichts zu vereinbaren.

Minister Hirtsiefer schloß sich diesen Darlegungen an. Man habe die preußischen Minister beschuldigt oder doch wie Angeklagte behandelt, ohne ihnen Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Die preußische Regierung habe sich bemüht, loyal mit der Reichsregierung zusammenzuarbeiten, so daß man eine andere Art der Behandlung habe erwarten dürfen.

Der Reichskanzler entgegnete, daß ihn die persönliche Hochachtung vor dem preußischen Innenminister veranlaßt habe, die Art der Amtsübergabe zu erörtern. Es handele sich doch schließlich um einen Akt der Staatsraison.

Der Preußische Innenminister antwortete hierauf, daß solche Handlungen der Staatsraison in den Rechtsvorschriften der Abs. 1 und 2 des Artikels 48 keine Stütze finden. Es bleibe ihm nur noch übrig, sein lebhaftes Befremden darüber auszudrücken, daß sich Minister der Reichsregierung zur Gegenzeichnung einer Verordnung bereit gefunden hätten, mit der zweifellos die Artikel 17 und 63 der Verfassung verletzt würden.

Fußnoten

1

Über diese Besprechung vgl. auch das Protokoll Wiensteins (Dok. Nr. 69a).

2

Die nicht signierten Aufzeichnungen im dort befindlichen: „Anlageheft zu der [beim Staatsgerichtshof eingebrachten] Erklärung des Preußischen Staatsministeriums vom 10. August 1932“ (Anlage 1, S. 1–7).

3

Hierzu vgl. die Schilderung Severings in seinen Memoiren: Mein Lebensweg, Bd. II, S. 348 ff.

4

MinR Wienstein.

5

Über diesen Vorgang vgl. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 584, Anm. 127.

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