2.90 (sch1p): Nr. 84 Sitzung der Abordnung des Kabinetts und der Friedensdelegation in Spa. 23.5.1919

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

Extras:

 

Text

RTF

[368] Nr. 84
Sitzung der Abordnung des Kabinetts und der Friedensdelegation in Spa. 23.5.19191

1

Über das Zustandekommen und den Verlauf der Besprechung in Spa schrieb MinDir. Simons in seinen „Aufzeichnungen zu den Friedensverhandlungen von Versailles im Jahre 1919“, S. 18: „Am 22. Mai wurde dann beschlossen, daß sich die gesamte Delegation nach Spa begeben sollte, um dort mündlich die Meinungsverschiedenheiten mit dem Ministerpräsidenten Scheidemann und den anderen Kabinettsmitgliedern, die sich von Berlin aus nach Spa begeben sollten, zu besprechen. Am 22. Mai abends reisten die 6 Delegierten nach Spa ab, wo kurz nach unserer Ankunft am 23. Mai vormittags die Herren aus Berlin erschienen. […] Es wurde den ganzen Nachmittag bis um 8 Uhr abends beraten. Die Delegation drang in allen wesentlichen Punkten mit ihrer Ansicht durch. Das Kabinett konnte eine völlige Sistierung der Einzelnoten nicht durchsetzen. In der Frage der Fristverlängerung teilten die Herren aus Berlin mit, daß man auf eine rasche Antwort an die Feinde dränge, weil man in der Heimat ungeduldig zu werden beginne. Das Kabinett befürchte sonst eine Enttäuschung des gespannten Volkes und einen Zusammenbruch der Stimmung. Es wurde von der Delegation zugesagt, die Denkschrift sobald als irgend möglich zu ubergeben. Die Besprechung in Spa fand an einem Freitag statt. Das Kabinett wollte Ubergabe bis spätestens am Montag darauf. Die Herren des Kabinetts hatten aus Berlin eine ausführliche Denkschrift nach Spa mitgebracht, an der hauptsächlich Erzberger mitgearbeitet hatte. Diese Denkschrift sollte auf den Wunsch Berlins den Gegnern übergeben werden. Die einzelnen Fragen wurden sachlich so wie in der endgültig übergebenen Denkschrift beschlossen. In der oberschlesischen Frage insbesondere wurde ein Mittelweg gefunden. Der Delegation wurde auf ihr Verlangen freigestellt, die endgültige Fassung vorzunehmen und den Stoff in einer ihr gut scheinenden Weise zu redigieren. Tatsächlich hat die Delegation den Berliner Entwurf völlig umgearbeitet und ihm eine ganz neue Fassung gegeben, insbesondere sachliche Ergänzungen vorgenommen.“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 20).

R 43 I /2 , gefunden in R 43 I /3 , Bl. 115

Anwesend: Für das Reichskabinett: Scheidemann, Dernburg, Erzberger, Bell; Pressechef Rauscher; für die Friedensdelegation: Brockdorff-Rantzau, Landsberg, Giesberts, Leinert, Melchior, Schücking; UStS Schröder; MinDir. Simons; teilweise anwesend: GehR v. Stauß, Hillger.2

2

Die Person des Protokollführers geht aus dem Text des Dokuments nicht hervor.

Es wird einstimmig beschlossen:

Die Delegation hat die Vollmacht, die Gegenvorschläge endgültig zu redigieren. Die in Versailles anwesenden Sachverständigen sollen mit der fertigen Denkschrift der Gegenvorschläge bekannt gemacht, bezüglich der Richtigkeiten der Einzelheiten gehört und damit befaßt werden, dem festgestellten Inhalt noch Begründungen hinzuzufügen. Prinzipielle, von den Beschlüssen des Kabinetts abweichende Änderungen sind unzulässig. Der Teil des Professor Schücking wird an der Hand seines ursprünglichen Entwurfs wieder erweitert3. Den Gegenvorschlägen soll ein zusammenfassendes Schlußkapitel angefügt oder eine Mantel-Note beigegeben werden, in der die wichtigsten Gegenvorschläge stichwortartig aufgeführt sind. Überreichung der Denkschrift wenn[369] möglich Montag, spätestens Dienstag4. Alle Versailler Finanzdelegierte sollen am Sonnabend zu einer Sitzung unter Vorsitz des Reichsfinanzministers nach Spa kommen5.

3

Vgl. Dok. Nr. 71, P. 4; der ursprüngliche Entwurf Prof. Schückings ist weder in seinem Nachlaß noch in den Akten der Rkei zu ermitteln.

4

Tatsächlich fand die Überreichung der dt. Gegenvorschläge erst am Mittwoch, dem 28. und Donnerstag, dem 29.5.1919 statt, s. Dok. Nr. 89, Anm. 7.

5

Ob die folgenden Richtlinien für das Finanzprogramm während der Sitzung am Sonnabend, dem 24.5.1919 aufgestellt wurden, oder ob Protokolle oder Aufzeichnungen über diese angekündigte Sitzung überhaupt vorhanden sind, ist aus den Akten der Rkei nicht mit Sicherheit festzustellen.

Richtlinien für Finanzprogramm6:

6

Über den finanziellen Teil der Beratungen in Spa schrieb Erzberger: „Dem Angebot einer zinslosen Entschädigung von 100 Mrd. GM [das dem Vorschlag der Versailler Finanzkommission entsprach] konnte ich zuerst nicht zustimmen; ich versprach mir von den von der Delegation erhofften großen moralischen Wirkungen des Angebots dieser Riesensumme deshalb nicht viel, weil ich mir sagte, daß auch die feindlichen Mathematiker rechnen könnten und bald heraus hätten, daß es sich in Wirklichkeit um ein weit geringeres verzinsbares Angebot handle; das Wort ‚zinslos‘ werde von den Gegnern leicht überhört, und man müsse mit der Gefahr rechnen, daß behauptet werde, daß Deutschland selbst 100 Mrd. GM angeboten habe. Auch die Voraussetzungen des Angebots, welche die Finanzdelegation mit Nachdruck hervorhob, daß nur die territoriale Unverletzlichkeit des Reichs und die wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeit ein solches Angebot tragbar erscheinen lasse, würden bald vergessen werden; man müsse sogar damit rechnen, daß der ganze Vorschlag als ein Bluff bezeichnet werde, der dann die Ernsthaftigkeit der übrigen dt. Vorschläge abschwäche. Gegenüber dem allseitigen Wunsche sowohl des Kabinetts als auch der Friedensdelegation stellte ich meine Bedenken zurück unter der Bedingung, daß namentlich die Voraussetzungen für dieses Angebot sehr stark und sehr nachdrücklich betont würden.“ (Erzberger, Matthias: Erlebnisse im Weltkrieg, Stuttgart/Berlin 1920, S. 370).

Unter Aufrechterhaltung der im ursprünglichen Finanzprogramm des Finanzministers enthaltenen Einschränkungen wird ein General-Bond von 20 Milliarden als erste Rate angeboten. Davon werden die schon gemachten oder zu machenden Leistungen abgezogen. Der Rest bis zum Jahre 1921 durch Kohlenlieferungen zu zahlen. Darüber hinaus Angebot im Rahmen der Zahlungsbestimmungen des Wilson-Programms von einer zinslosen Entschädigung, die 100 Milliarden nicht übersteigen darf, einschließlich der belgischen Schuld an die Alliierten und der ersten 20 Milliardenrate7.

7

Diese Richtlinien entsprechen genau dem finanziellen Teil der dt. Gegenvorschläge, s. Materialien betr. die Friedensverhandlungen, Teil III: Die dt. Gegenvorschläge zu den Friedensbedingungen der all. und ass. Mächte, hrsg. v. AA, Charlottenburg 1919, S. 67.

Extras (Fußzeile):