2.74.1 (bau1p): Bestätigung oder Aufhebung der Urteile im Liebknecht- und Luxemburg-Prozeß.

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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Bestätigung oder Aufhebung der Urteile im Liebknecht- und Luxemburg-Prozeß.

Direktor Joël trägt den Sachverhalt nach den Akten vor2. Das Kabinett verhandelt nacheinander über folgende vier Vorfälle:

2

Es handelt sich um die Tötung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts durch Angehörige der Gardekavallerie-Schützendivision während der Überführung vom Sitz des Stabes der Division im Berliner Eden-Hotel zum Untersuchungsgefängnis in Moabit am 15.1.19. Angeklagt waren die Offiziere Horst und Heinz von Pflugk-Harttung, Stiege, Liepmann, von Ritgen, Schulze und Vogel sowie der Husar Runge, der beide Opfer beim Verlassen des Eden-Hotels mit einem Gewehrkolben zusammengeschlagen hatte. Die Hauptverhandlung gegen die Beteiligten fand aufgrund der noch bestehenden Militärgerichtsbarkeit vor dem Feldkriegsgericht des Gardekavallerie-Schützenkorps vom 8.–14.5.19 statt. Es wurden verurteilt: „1) der Angeklagte Husar Runge wegen Wachtvergehens im Felde, wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Mißbrauch der Waffe, begangen in zwei Fällen, in einem Falle auch in Tateinheit mit erschwertem Wachtverbrechen im Felde, sowie wegen Gebrauchmachens von falschen Urkunden zwecks besseren Fortkommens zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren Gefängnis, 2 Wochen Haft, 4 Jahren Ehrverlust und Entfernung aus dem Heere. Die Haftstrafe wird durch die erlittene Untersuchungshaft für verbüßt erachtet; 2) der Angeklagte Leutnant der Reserve, Liepmann [, der Runge vorübergehend zur Flucht verholfen hatte,] wegen Anmaßung einer Befehlsbefugnis in Tateinheit mit Begünstigung zu 6 Wochen geschärften Stubenarrestes; 3) der Angeklagte Oberleutnant a. D. Vogel wegen erschwerten Wachtverbrechens im Felde in Tateinheit begangen mit Begünstigung während Ausübung des Dienstes, Mißbrauch der Dienstgewalt nach § 115 M[ilitär]StGB und Beiseiteschaffung einer Leiche, sowie in einem weiteren Falle wegen vorsätzlich unrichtiger Abstattung einer dienstlichen Meldung zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren 4 Monaten Gefängnis und Dienstentlassung.“ Von der Mordanklage wurden die beteiligten Offiziere – einschließlich Vogel und Liepmann – freigesprochen (Urteil des o. a. Gerichts in der genannten Strafsache vom 14.5.19; BA-MA, Reichskriegsgericht, Bd. W 03–1/15, Bl. 81–184, hier: Bl. 83 f.; s. dazu auch Schultheß 1919, I, S. 206 f.).

1. Tätlichkeiten Runges gegen Liebknecht vor dem Edenhotel.

2. Vorgänge bei der Tötung Liebknechts im Tiergarten.

[290] 3. Tätlichkeiten Runges gegen Frau Luxemburg beim Edenhotel.

4. Schuß auf Frau Luxemburg während der Fahrt des Autos.

Das Kabinett beschließt:

Die Entscheidung über die Bestätigung oder Aufhebung der Urteile steht dem Reichswehrminister zu, wenn sie nicht der Reichspräsident an sich zieht3. Das Kabinett hält es für richtiger, die Entscheidung dem Reichswehrminister zu überlassen.

3

In dieser Angelegenheit hatte sich der RJM am 26. 9. dem RPräs. gegenüber dahingehend geäußert, daß das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht feldkriegsgerichtlicher Urteile, das nach der MStGO bisher dem Kaiser zustand, nach Inkrafttreten der RV Sache des RPräs. sei. Da dieser durch die VO vom 20.8.19 den Oberbefehl über die Wehrmacht auf den RWeM übertragen habe (RGBl. S. 1475 ), müsse angenommen werden, daß damit auch das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht auf den RWeM übergegangen sei (Der RJM an den RPräs., 26.9.19; auszugsweise Abschrift; R 43 I /2676 , Bl. 115 f.).

Das Kabinett empfiehlt, das Urteil gegen Runge und gegen die Offiziere, die bei der Tötung Liebknechts im Tiergarten beteiligt waren, zu bestätigen, bzw. nicht aufzuheben, dagegen die Entscheidung wegen des Urteils gegen Vogel in der Schwebe zu lassen.

Das Kabinett ist nach den Akten der Auffassung, daß das Urteil gegen Runge im Strafmaß zu milde ist, nimmt aber andererseits als sicher an, daß eine Verurteilung Runges stets nur wegen versuchten Totschlags und nicht wegen versuchten Mordes erfolgen kann und daß die geistige Minderwertigkeit Runges auch bei einem erneuten Verfahren als stark strafmildernd berücksichtigt werden wird. Das Kabinett hält es nicht für ausgeschlossen, daß bei einer neuen Verhandlung wegen der durch den Zeitablauf erschwerten Beweislage auf keine schärfere Strafe erkannt wird, falls nicht sogar in unvorhergesehener Weise die Strafe noch weiter beeinträchtigt wird.

Das Urteil gegen die bei der Tötung beteiligten Offiziere kann nach genauer Prüfung nicht beanstandet werden. Es steht nach der Beweisaufnahme fest, daß ein gemeinsamer, schon vor dem Aufbruch vorbedachter Plan nicht vorgelegen haben kann und daß ferner die Panne des Autos nicht vorgespiegelt, sondern tatsächlich ohne Eingriff eingetreten ist. Eine schärfere Stellungnahme bei einer zweiten Verhandlung ist nicht zu erwarten, da das Gericht niemals[291] auf den Verdacht ohne vollen objektiven Nachweis Mord oder Totschlag im Rechtssinne als festgestellt annehmen wird.

Das Urteil gegen Vogel müßte nach Ansicht des Kabinetts wohl aufgehoben und die Sache neu verhandelt werden. Da aber Vogel zur Zeit in das Ausland entflohen und seine Auslieferung unwahrscheinlich ist4, hält das Kabinett es für richtig, die Entscheidung in diesem Fall in der Schwebe zu lassen.

4

Vogel konnte am 17. 5. aus der Untersuchungshaft entkommen und nach Holland fliehen. Materialien zum Auslieferungsbegehren, das im Dezember 1919 bei der niederländischen Reg. gestellt, im April 1920 aber wieder zurückgezogen wird, in: R 43 I /2676 .

Das Reichsjustizministerium übernimmt es, ein kurzes Gutachten über die zu treffenden Entscheidungen schriftlich aufzustellen5.

5

Rechtsgutachten des RJM vom 13.10.19, Abschrift mit Anschreiben vom 1.11.19 dem UStSRkei übersandt (R 43 I /2676 , Bl. 104–116).

Nach der Entscheidung soll eine kurze Veröffentlichung über die Entscheidung und über ihre Gründe ergehen mit dem Hinzufügen, daß sie in Übereinstimmung mit dem Reichsministerium nach dessen eingehender Prüfung erfolgt sei.

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