1.193 (lut2p): Nr. 362 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 10. Mai 1926

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Text

RTF

[1361] Nr. 362
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 10. Mai 1926

R 43 I /1833 , Bl. 198

[Flaggenverordnung]

Nach Artikel 67 der Reichsverfassung ist der Reichsrat von den Reichsministerien über die Führung der Reichsgeschäfte auf dem laufenden zu halten, und zu Beratungen über wichtige Gegenstände sollen von den Reichsministerien die zuständigen Ausschüsse des Reichsrats zugezogen werden.

Diese Vorschrift ist bei dem Erlaß der von dem Herrn Reichspräsidenten am 5. d. Mts. unter Ihrer Gegenzeichnung vollzogenen Flaggenverordnung und bei den diesem Erlaß vorhergegangenen Beratungen nicht beachtet worden. Namens der Preußischen Staatsregierung erhebe ich daher hiermit gegen eine solche Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des Reichsrats Einspruch. Daß es sich bei dieser Verordnung um ein Reichsgeschäft politischer Natur und um einen wichtigen Gegenstand im Sinne des Artikel 67 handelte, kann ernsthaft nicht bestritten werden. Sollte darüber bei den zuständigen Reichsministerien etwa ein Zweifel bestanden haben, so würde schon eine Beratung im Reichsrat, wenn die Verfassungsvorschrift beachtet worden wäre, die Aufklärung herbeigeführt haben, die inzwischen der weitere Verlauf der Angelegenheit gebracht hat. Auch Sie, Herr Reichskanzler, werden mir darin beistimmen, daß es in jeder Hinsicht vorzuziehen gewesen wäre, wenn in diesem Falle dem Reichsrat[1362] die ihm verfassungsmäßig zustehende Aufgabe, in solchen Angelegenheiten unter Umständen vorbeugend zu wirken, nicht vorenthalten worden wäre.

Ich darf noch ergebenst bemerken, daß Preußen die Angelegenheit auch im Reichsrat selbst zur Sprache bringen wird1 und hinzufügen, daß mir das Vorgehen des Reichsministeriums des Innern um so weniger verständlich erscheint, als ihm bekannt sein mußte, daß Preußen schon die Verordnung über die deutschen Flaggen vom 11. April 19212 als mit der Reichsverfassung unvereinbar erklärt hat. (Zu vergleichen das Schreiben an den Herrn Reichsminister des Innern vom 3. Juni 1922 – St.M.I.4033 –3 ).

1

Die Beschwerde Preußens, eingebracht in der Plenarsitzung des RR am 14. 5. (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1926, § 299), wird am 1.7.26 unter Vorsitz des RIM im Ausschuß des RR für Verfassung und Geschäftsordnung beraten. Külz berichtet hierüber in einer Aufzeichnung vom 8. 7. an StSRkei und sämtliche RM: In der Ausschußsitzung habe StS Weismann erklärt, daß die Länder größten Wert darauf legten, „nicht nur nachträglich über wichtige Angelegenheiten des Reichs unterrichtet zu werden, sondern in erster Reihe vor wichtigen Maßnahmen der Reichsregierung gehört zu werden“. Dies sei in Art. 67 der RV vorgeschrieben. „Die Übung regelmäßiger, der Information dienender Sitzungen habe unmittelbar nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung bestanden, sei aber in den letzten Jahren immer seltener geworden und habe schließlich ganz aufgehört.“ Nachdem sämtliche Ländervertreter diesen Ausführungen Weismanns zugestimmt hätten, habe er, Kürz, erwidert: Art. 67 Satz 2 der RV bestimme lediglich, „daß die Ausschüsse zu Beratungen über wichtige Gegenstände von den Reichsministerien zugezogen werden sollen“. Das könne nicht bedeuten, daß die Länder einen formellen verfassungsmäßigen Anspruch hätten, vor jeder wichtigen Entscheidung der RReg. in Gestalt der Ausschüsse gehört zu werden. Eine solche Praxis würde die RReg. in ihrer Arbeitsfähigkeit völlig lahmlegen, denn alle ihre Entscheidungen seien wichtig. Die Staatspraxis könne nur dahin gehen, „daß die Länder oder der Reichsrat […] im Rahmen des technisch Möglichen vor wichtigen grundsätzlichen Entscheidungen der äußeren und inneren Politik gehört oder, wenn dies nicht möglich sei, vor der anderweitigen Bekanntgabe unterrichtet würden“ (R 43 I /1031 , Bl. 236-239). – Der RR beschließt am 8. 7., „die Sache mit Rücksicht auf die Besprechung im Ausschuß und die dort abgegebenen Erklärungen der Reichsregierung für erledigt zu erklären“ (Niederschriften über die Vollsitzungen des RR 1926, § 485).

2

RGBl., S. 483.

3

Auf der Vorlage ist an dieser Stelle handschrl. vermerkt: „hier nicht eingeg[angen]“. Ein längerer Abschnitt dieses Schreibens ist abgedr. in: Braun, Von Weimar zu Hitler, S. 72.

Der Herr Reichspräsident und der Herr Reichsminister des Innern haben Abschrift dieses Schreibens erhalten.

Braun

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