2.167 (ma11p): Nr. 167 Der Reichsminister des Auswärtigen an Staatssekretär Bracht. 7. April 1924

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Nr. 167
Der Reichsminister des Auswärtigen an Staatssekretär Bracht. 7. April 1924

R 43 I /192 , Bl. 149 f.

[Antwortentwurf zum Schreiben des Preußischen Ministerpräsidenten vom 21.3.1924 betr. Entmilitarisierung und Neutralisierung der Rheinlande1]

1

S. Dok. Nr. 151, dort auch Anm. 4.

Ich möchte empfehlen, das Schreiben des Preußischen Herrn Ministerpräsidenten vom 21. März sowie das Schreiben des Hessischen Herrn Staatspräsidenten[535] vom 26. März2 streng vertraulich etwa in folgendem Sinne zu beantworten:

2

In seinem Schreiben vom 26. 3. war der Hess. StPräs. Ulrich den Ausführungen des PrMinPräs. Braun beigetreten (R 43 I /192 , Bl. 96).

„Frankreich hat nach dem Abschluß der Versailler Verhandlungen über die Friedensbedingungen die Forderung einer besonderen Sicherung gegen deutsche Angriffe von neuem erhoben, als die Vereinigten Staaten von Amerika den gleichzeitig mit dem Versailler Vertrag abgeschlossenen französisch-amerikanischen Garantiepakt nicht ratifizierten und als damit auch der französisch-englische Garantiepakt hinfällig wurde. Die Frage einer solchen Sicherung hat seither im Zusammenhang mit der Reparationsfrage die Außenpolitik der Reichsregierung fortlaufend beschäftigt, hat aber eine unmittelbar akute Bedeutung erst mit dem Einmarsch der Franzosen in das Ruhrgebiet gewonnen. Während der ganzen internationalen Erörterung des Ruhrproblems hat Frankreich die Sicherheitsfrage je nach dem Stande der Erörterung abwechselnd in den Vordergrund gestellt und wieder zurücktreten lassen. Neuerdings hat es die Notwendigkeit einer politischen Sicherung wieder mit ganz besonderem Nachdruck betont, wie sich aus den öffentlichen Erklärungen des Französischen Ministerpräsidenten, aus seinem Schriftwechsel mit dem Englischen Premierminister3 sowie aus der Veröffentlichung des französischen Gelbbuchs4 ergibt. Vielleicht hängt dies mit der Tatsache zusammen, daß Frankreich seine Rheinlandpläne nicht mehr auf dem Wege künstlicher Separatistenbewegungen verwirklichen zu können hofft und daß es außerdem wohl schon seit einiger Zeit damit rechnet, daß die Sachverständigengutachten die Wiederherstellung der deutschen Wirtschaftseinheit zur Voraussetzung jeder Reparationslösung machen und damit den bisher bei den französischen Loslösungsbestrebungen angewandten Methoden ein starkes Hindernis entgegenstellen werden.

3

S. Dok. Nr. 151, Anm. 2.

4

Documents relatifs aux negociations concernant les garanties de sécurité contre une agression de l’Allemagne, 10.1.1919 – 7.12.1923, Paris 1924. Dt. Übersetzung: Die frz. Dokumente zur Sicherheitsfrage 1919–1923. Amtliches Gelbbuch des Frz. Ministeriums der Ausw. Angelegenheiten, eingeleitet von H. Oncken, Berlin 1924.

Abgesehen von den früheren, in dem französischen Gelbbuch veröffentlichten französischen und englischen Projekten eines Sicherheitspaktes, welche die deutsche Territorialhoheit nicht berührten, sind von den alliierten Regierungen bisher keine bestimmt formulierten Abmachungen für die Sicherung Frankreichs zur Erörterung gestellt worden. Dagegen spielen die von dem Preußischen Herrn Ministerpräsidenten erwähnten Entmilitarisierungs- und Neutralisierungspläne seit längerer Zeit in der nichtoffiziellen Diskussion, insbesondere in der ausländischen Presse, eine große Rolle. Diese Pläne sehen eine mehr oder weniger weitgehende Übertragung von Verwaltungsbefugnissen über das Rheinland auf internationale Organisationen, insbesondere auf den Völkerbund, vor und laufen darauf hinaus, ein linksrheinisches Staatsgebilde zu begründen, das zwar äußerlich bei Deutschland bleiben, aber doch sowohl im Verhältnis zum Reich als auch im Verhältnis zum Ausland eine internationale Sonderstellung erhalten soll. Daß die gegenwärtige Britische Regierung mit diesen oder ähnlichen Gedankengängen sympathisierte, kann einstweilen[536] nicht angenommen werden. In dem Schreiben des Englischen Premierministers an den Französischen Ministerpräsidenten vom 21. Februar5 wird allerdings von der Möglichkeit regionaler Entmilitarisierungs- und Neutralisierungsmaßnahmen sowie von der Möglichkeit der Schaffung neutraler Gebietsstreifen gesprochen. Das geschieht aber nicht in einer Weise, daß daraus auf die Absicht eines einseitigen und über den Versailler Vertrag hinausgehenden Eingriffs in deutsche Hoheitsbefugnisse geschlossen werden könnte.

5

S. Dok. Nr. 151, Anm. 2.

Der deutsche Standpunkt gegenüber allen derartigen Plänen ist von den früheren Reichsregierungen in der gleichen Weise wie von der gegenwärtigen Reichsregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit voller Eindeutigkeit zum Ausdruck gebracht worden, und zwar sowohl in öffentlichen Erklärungen als auch bei den diplomatischen Unterhaltungen. Dieser Standpunkt kann kurz, wie folgt, zusammengefaßt werden: Angesichts der Bestimmungen des Versailler Vertrags, insbesondere angesichts seiner Abrüstungsbestimmungen und seiner Artikel 42 bis 446 halten wir eine noch weitergehende Sicherung Frankreichs überhaupt nicht für begründet; gleichwohl haben wir die Gewährung einer solchen Sicherung nicht ohne weiteres abgelehnt; wir können uns aber nur zu solchen friedenssichernden Vereinbarungen bereiterklären, die zwischen gleichberechtigten und unabhängigen Staaten denkbar sind und die die deutsche Souveränität im Rheinland nicht berühren; jedenfalls können Einschränkungen der deutschen Hoheitsrechte über den Versailler Vertrag hinaus von der deutschen Regierung nur erörtert werden, wenn Frankreich dieselben Bedingungen auch für sich akzeptiert. Ich darf in dieser Hinsicht z. B. auf die Erklärung des Reichsministers des Auswärtigen, Herrn Dr. Stresemann, in der Reichstagssitzung vom 6. März7 verweisen, die auch auf das erwähnte Schreiben des Englischen Premierministers Bezug nimmt. In der gleichen Weise ist der deutsche Standpunkt aus Anlaß dieses Schreibens der Britischen Regierung auch noch auf besonderem Wege zur Kenntnis gebracht worden.

6

Bestimmungen über die Entfestigung und Entmilitarisierung des linken dt. Rheinufers sowie eines 50 km breiten rechtsrheinischen Gebietsstreifens.

7

RT-Bd. 361, S. 12638 ; auch in Stresemann, Vermächtinis I, S. 348 f.

Unter diesen Umständen dürfte eine Notwendigkeit, den Standpunkt der Reichsregierung in der von dem Preußischen Herrn Ministerpräsidenten vorgeschlagenen Weise noch einmal öffentlich zum Ausdruck zu bringen, für den Augenblick nicht gegeben sein. Es dürfte besser sein, damit zu warten, bis die internationale Diskussion zu einer erneuten Stellungnahme Anlaß gibt. Das wird sich um so mehr empfehlen, als der Englische Premierminister im Unterhaus am 27. März mit bemerkenswerter Bestimmtheit betont hat, daß die Sicherheitsfrage erst nach der Regelung der Reparationsfrage erörtert werden könne.“8

8

Dieser Antwortentwurf, d. h. der in Anführungsstriche eingeschlossene Teil des Schreibens, wird wörtlich in die Antwortschreiben des RK vom 30. 4. an den PrMinPräs. und den Hess. StPräs. übernommen (R 43 I /192 , Bl. 151-155).

Eine Abschrift des vorstehenden Schreibens wird auch den übrigen beteiligten Länderregierungen vertraulich zur Kenntnis zu bringen sein.

Stresemann

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