1.136 (str2p): Nr. 250 Der Reichskanzler an die Sechserkommission. 13. November 1923

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[1061] Nr. 250
Der Reichskanzler an die Sechserkommission. 13. November 1923

R 43 I /453 , Bl. 230–234 Entwurf1

1

Zu den Voraussetzungen für dieses Schreiben s. Dok. Nr. 246. Laut Bearbeitungsvermerk wurde das Schreiben am Abend des 13.11.23 Vögler zugesandt.

[Betrifft: Micum-Verhandlungen.]

Ihre Beauftragten haben mir von den letzten Verhandlungen mit der „Mission Interalliée de Contrôle des Usines et des Mines“ berichtet, daß die Micum eine vorbehaltlose Zusage der Gutschrift aller Leistungen auf laufendes Reparationskonto verweigert hat, die von den Industriellen auf Grund der Vereinbarungen zwischen dem Reich u. d. Sechserkommission durchgeführt werden2, daß die Micum vielmehr die Gutschrift auch für andere Zwecke vorbehalten hat. Ihre Beauftragten haben die Reichsregierung gebeten3, dazu im Zusammenhang mit den früheren Zusagen der Reichsregierung an die Sechserkommission Stellung zu nehmen.

2

S. Dok. Nr. 213 u. 218.

3

Danach im Vorentwurf: „zu diesem Zusatz im Zusammenhang mit den früheren Zusagen der Reichsregierung gegenüber der Sechserkommission Stellung zu nehmen“.

Ich muß dazu auf den Ausgangspunkt der bisherigen Verhandlungen zwischen der Reichsregierung und der Sechserkommission zurückkommen. Der Ausgangspunkt war folgender: In der Note der Reichsregierung an die Reparationskommission vom 24. Oktober d. J. hat die Reichsregierung grundsätzlich ihre Verpflichtung zu Reparationsleistungen anerkannt, ihre tatsächliche Unfähigkeit, Reparationsleistungen gegenwärtig zu finanzieren, aber festgestellt4.

4

S. hierzu Dok. Nr. 137 u. 156.

Einerseits im Hinblick auf diese tatsächliche Unfähigkeit, die Reparationsleistungen durch das Reich zu finanzieren, andererseits von dem Bestreben geleitet, die Wirtschaft in den besetzten Gebieten wieder in Gang zu bringen, hat die Sechserkommission5 es auf sich genommen, daß die Industriellen unter Anspannung ihres privaten Kredites die Reparationsleistungen vorläufig selbst finanzieren unter der Voraussetzung, daß das Reich seine Verpflichtung zum Ersatz der verauslagten Beträge anerkennt. Darüber und über die Modalitäten des Ersatzes ist zwischen dem Reich und der Sechserkommission eine Einigung zustande gekommen6.

5

Danach im ersten Entwurf: „den Vorschlag gemacht, daß sie“.

6

S. Dok. Nr. 208, 213 u. 218.

Der obige Vorbehalt der M-I-C-U-M steht mit diesem Ausgangspunkt der Verhandlungen7, daß die von der Sechserkommission vertretenen Industriellen an sich dem Reich obliegende Reparationsleistungen an Stelle des zur Zeit leistungsunfähigen Reichs vorläufig finanzieren, in Widerspruch, da durch diesen Zusatz die Möglichkeit eröffnet werden soll, auf Grund des Abkommens[1062] zwischen dem Reich und der Sechserkommission durchgeführte Leistungen auch zur Gutschrift für andere Zwecke als für Reparationsleistungen zu verwenden. Die vom Reich ausgesprochene Anerkenntnis der Ersatzpflicht bezieht sich nur auf die dem Reich auf laufende Reparationsrechnung tatsächlich gutgeschriebenen Beträge für die zukünftige besondere Kohlenabgabe, für die in Zukunft gelieferte Reparationskohle und für die früher beschlagnahmten Brennstoffe. Die bisherigen Vereinbarungen zwischen dem Reich und der Sechserkommission beziehen sich daher nicht auf Leistungen, die nicht auf laufende Reparationsrechnung gutgebracht werden. Die Reichsregierung muß es ablehnen, für etwaige solche Leistungen der von der Sechserkommission vertretenen Industriellen eine Ersatzpflicht anzuerkennen.

7

Dieser Satzteil im Vorentwurf: „Der obige von der M-I-C-U-M vorgeschlagene neue Zusatz weicht von der bisherigen grundsätzlichen Verhandlungsbasis ab“.

Die8 M-I-C-U-M hat ferner noch den Vorbehalt gemacht, daß durch das beabsichtigte Abkommen in keiner Weise die Bedingungen berührt werden, unter denen sich der Wassertransport der Reparationskohle vollziehen soll. Nach § 6 der Anlage 5 zu Teil VIII des Vertrages von Versailles hat das Reich die Reparationskohlen frachtfrei Grenze zu liefern. Da das Reich gegenwärtig in gleicher Weise wie für den Kaufpreis der Reparationskohle auch für die Frachtkosten bis zur Grenze nicht leistungsfähig ist, ist Voraussetzung, daß die Transporte der Kohlenlieferungen, so weit sie nach dem Vertrage von Versailles frachtfrei zu erfolgen haben, von der deutschen Binnenschiffahrt selbst auf derselben Grundlage wie die Kohlenlieferungen durchgeführt und finanziert werden. Nachdem inzwischen die rheinischen Kohlenreeder sich hinsichtlich der Kohlenwasserfrachten grundsätzlich zu einem Abkommen bereit erklärt haben, das dem Abkommen zwischen dem Reich und der Sechserkommission entspricht, sind die Voraussetzungen für die vorgesehene Regelung der Kohlenfrachten gegeben9. Die Sechserkommission muß daher[1063] entsprechende Abmachungen in das beabsichtigte Abkommen mit der Micum aufnehmen10.

8

Dieser Satz lautete im Vorentwurf: „Die M-I-C-U-M hat am Montag, den 12. November, ferner noch folgenden Zusatz verlangt: ‚Les dispositions du présent accord ne préjugent en rien les conditions qui seront fixées au cours de négociations particulièrement en ce qui concerne les transports par eau des charbons des réparations!‘“

9

Uneinigkeit über die Formel für den Wassertransport hatte bereits zwischen den dt. Verhandlungspartnern bestanden. Stinnes war von der Formel ausgegangen: „Dieser Vertrag setzt voraus, daß alsbald Abmachungen mit den Rheinreedereien über den Transport der Reparations-Kohlen auf dem Wasserwege getroffen werden.“ Daraus war von der Sechserkommission entwickelt worden: „Le transport par eau du port de chargement jusqu’à fob du vapeur reste reservé aux armateurs allemands en vertu des Obligations et des Droits du traité de Versailles – Les Armateurs allemands sont prêts à effectuer ces transports sans payement de la part des autorités alliées. Les Détails pour la mise à disposition du tonnage necessaire, la coopération avec les mines etc. sont réglés dans un accord spécial.“ Die Details sollten dem Programm der Reparationskommission entsprechen. Änderungen im Transportweg waren der Micum vorbehalten, sollten aber von ihr der Repko mitgeteilt werden. Den Reedern erschien dies unzureichend und sie entwarfen dann die Formel, die der Micum unterbreitet wurde: „Le Transport par eau du port de Chargement jusqu’à la frontière du pays réceptionaire au jusqu’à fob vapeur au port maritime reste reservé aux armateurs allemands en vertu des obligations et des droits du traité de Versailles. Les armateurs allemands rhénans effectueront collectivement ces transports sans payement de la part des autorités alliés. Les Détails de l’exécution des transports seront reglés par un accord entre Micum d’un par et la commission des armateurs allemands rhénans et les mines d’autre part. – Les frais de Transport seront portés au crédit du compte des Réparations. – Les moyens d’exploitation (remorqueurs, chalands, installations de transbordement etc.) saisis à titre de réparation aux armateurs allemands rhénans seront á leur disposition.“ Wegen des Abbruchs der Verhandlungen nach den Auseinandersetzungen über die Gutschriften auf das Reparationskonto kam diese Formel nicht zur Verhandlung; sie war von der Micum allerdings verworfen und dagegengehalten worden: „Pour ce qui concerne les Transports de Réparation par eau les questions y relatives en ce qui concerne la periode de validitée du présent accord provisoir, seront traité directement, soit par les armateurs dépendant des firmes minières avec les organismes français et belges, qualifié a cet effect.“ Wegen des Verhandlungsabbruchs am 14. 11. kam dieser Vorschlag gleichfalls nicht zur Verhandlung; er war der deutschen Seite inakzeptabel erschienen. „Die Rheinreeder würden im Widerspruch zu dem mit dem Reichskanzler getroffenen Abkommen bei den Verhandlungen wegen der Reparationstransporte von der Micum ausgeschaltet und der die Wassertransporte im allgemeinen behandelnden ‚Mission Vidal‘ ausgeliefert“ (BA: NL Silverberg  412, Bl. 40–41: Sitzung der Sechser-Kommission am Montag, den 12., und Mittwoch, den 14. November 1923, in Düsseldorf). Eine ungezeichnete und undatierte Notiz in der Rkei ergibt, daß Vögler aus Düsseldorf als weiterer Vorschlag der Micum mitgeteilt worden war: „Nach Abzug der Transportkosten bis zur Grenze des betreffenden Bestimmungslandes wird der Wert der Kohlen, des Koks und der Nebenprodukte, die seit dem 11.11.23 abtransportiert oder geliefert worden sind, ebenso wie der Wert dieser auf Grund des vorliegenden Abkommens abtransportierten oder gelieferten Mengen in das [!] Kredit Deutschlands in der Reparationsrechnung geschrieben.“ Diese Formel sollte in einem Begleitschreiben interpretiert werden: „Die bereits erhobenen oder noch zu erhebenden Taxen werden in die Pfandkasse (la caisse de gages) abgeführt. Die Repko wird berufen sein, über die vorzunehmende Verteilung der auf diese Weise einkassierten Gelder sich zu erklären. Ohne der Entscheidung der Repko in dieser Angelegenheit zu präjudizieren, werden die französische und die belgische Regierung erheben und fortfahren zu erheben aus den verfügbaren Beständen der Pfandkasse die zur Deckung der Kosten der Ruhrokkupation benötigten Summen“ (R 43 I /453 , Bl. 235).

10

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 258.

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