2.64 (vsc1p): Nr. 64 Entschließung der Reichstagsfraktion der DNVP vom 21. Januar 1933

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[282] Nr. 64
Entschließung der Reichstagsfraktion der DNVP vom 21. Januar 19331

1

Unter Bezugnahme auf die ergebnislos verlaufenen Gespräche Hugenbergs mit dem RK und mit Hitler (vgl. Dok. Nr. 56, Anm. 15 und 9) hatte die Führung der DNVP ihren Landesverbänden den bevorstehenden Bruch mit dem Kab. v. Schleicher in einem Informationsbrief vom 19.1.1933 bereits angekündigt. Das „positive Interesse“ der Partei richte sich weiterhin darauf, „einen Kabinettswechsel in der Richtung herbeizuführen, daß wirklich wieder ein autoritäres Kabinett unter entschlossener Führung ernannt wird, das geeignet ist, die sachlichen Probleme schnell anzupacken und bereit ist, einen Reichstag, der sich dem in den Weg stellt, zu beseitigen, d. h. aufzulösen, ohne zunächst eine Neuwahl vorzunehmen. Diese Entwicklung herbeizuführen, war und ist auch noch der Sinn der Bemühungen und Verhandlungen, die in letzter Zeit zwischen Hugenberg und Hitler direkt oder durch Vermittlung Papens stattgefunden haben.“ (Niedersächsisches Staatsarchiv Osnabrück, Kleine Erwerbungen Nr. 11; Abdruck in: Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1944).

Nachlaß Hugenberg, Nr. 38, Bl. 261–263 Durchschrift2

2

Hschr. Kopfvermerk auf der Durchschrift: „Am 21. 1. dem Kanzler übergeben.“ Hugenberg vermerkt daneben am 24. 1.: „Erl[edigt]“. – Der RT-Abg. Otto Schmidt-Hannover berichtet, daß er von seiner Fraktion beauftragt worden sei, „diesen Absagebrief an Schleicher zu überbringen und ihm den Ernst der Lage zu veranschaulichen“. Aus der nachfolgenden Gesprächswiedergabe bleibt hervorzuheben, daß der RK optimistisch weiter damit rechnete, vom RPräs. die Vollmacht zur Auflösung des RT zu erhalten. Im Hinblick auf einen diesbezüglichen Vorstoß des Kanzlers bei Hindenburg will Schmidt bei Hugenberg und Oberfohren das Zugeständnis erwirkt haben, die Fraktionserklärung erst drei Tage später zu veröffentlichen (Otto Schmidt-Hannover: Umdenken oder Anarchie. S. 323 f.).

[Kampfansage an die Regierung von Schleicher.]

Die letzten Unterredungen hatten eine Gemeinsamkeit der Auffassung dahin ergeben, daß eine grundsätzliche Entscheidung in einer Reihe von Lebensfragen der Nation, insbesondere eine durchgreifende Lösung der schwebenden Wirtschaftsfragen erforderlich sei, um der unerträglichen sozialen Not zu steuern. Auf beiden Seiten, insbesondere beim Reichskanzler war die Überzeugung vorhanden, daß eine Umbildung des Kabinetts erfolgen müsse, um die erforderliche Schlagkraft und Einheitlichkeit der Regierungsführung und zwar namentlich der Wirtschaftspolitik sicherzustellen. Eine Entschließung des Reichskanzlers ist bisher nicht erfolgt.

Die wachsende Notlage und die wachsende Erbitterung im Volke verlangt Klärung. Allzu lange dauern jetzt schon die mit der Demission des Papenkabinetts begonnenen Verhandlungen und Besprechungen in Berlin, um noch Verständnis im Volke zu finden. Die Politik des Hinhaltens und Zauderns stellt alle Ansätze einer Besserung in Frage. Die an sich schon so großen Gegensätze im Lande vertiefen sich immer weiter. Dazu trägt auch die mangelnde Einheitlichkeit in den Anschauungen und Äußerungen der einzelnen Ressortminister bei3. Der unnatürliche Gegensatz zwischen Stadt und Land wird vertieft4, während eine wahrhaft fruchtbare Wirtschaftspolitik nur auf der Grundlage des Bewußtseins geführt werden kann, daß im Grunde Stadt und Land eine untrennbare Schicksalsgemeinschaft bilden und daß einer vom andern lebt.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 45.

4

Vgl. dazu die Frontstellung RLBRReg. (Dok. Nr. 50).

[283] Ohne ein Wiederansteigen der nationalen Güterproduktion und damit der Arbeit und der Kaufkraft ist die Lage des Deutschen Volkes nicht zu verbessern. Aber dieser entscheidende Gesichtspunkt tritt weder in den Maßnahmen noch in den wirtschaftspolitischen Äußerungen der Reichsregierung hervor. Vielmehr wird eine Hinneigung zu sozialistisch-internationalen Gedankengängen immer deutlicher. Eine besondere Gefahr bedeutet es, wenn man Gegensätze zwischen Groß und Klein vor allem in der Landwirtschaft entstehen läßt und dadurch die Gefahr eines Bolschewismus auf dem flachen Lande hervorruft. Überall taucht der Verdacht auf, daß die jetzige Reichsregierung nichts Andres bedeuten werde, als die Liquidation des autoritären Gedankens, den der Herr Reichspräsident mit der Berufung des Kabinetts von Papen aufgestellt hatte, und die Zurückführung der deutschen Politik in das Fahrwasser, das dank dem Erstarken der nationalen Bewegung verlassen zu sein schien.

<Auch in der D.N.V.P. haben diese Gesichtspunkte eine steigende Gegnerschaft gegen das amtierende Kabinett hervorgerufen. Trotzdem ist sie in der Sitzung des Ältestenrates vom 20. Januar noch einmal für eine kurze Vertagung der Entscheidung eingetreten5. Für ein weiteres Ausweichen vor der Entscheidung, ob das Kabinett den einen oder den andren Weg gehen will, ist kein Raum mehr. Zudem tritt am nächsten Montag, dem 23. Januar, d. h. am Tage vor der eigentlich geplanten Reichstagtagung die Fraktion der D.N.V.P. zusammen. Eine Entscheidung der Fraktion ist unvermeidlich. Daß sie nicht im Sinne der in letzter Zeit betriebenen Regierungspolitik ausfallen wird, ist unzweifelhaft.>6

5

Dem Beschluß des Ältestenrats, die für den 24. 1. vorgesehene RT-Sitzung bis zum 31. 1. hinauszuschieben, war ein Gespräch des RK mit den Zentrumsabgg. Esser und Perlitius vorausgegangen. Nachdem diese ihm die ablehnende Stellungnahme der Zentrumsführung „zu einer eventuellen Zwangsvertagung des Reichstags auf längere Zeit wegen Staatsnotstands“ vorgetragen hatten (vgl. Dok. Nr. 70, Anm. 5), sei über weitere Lösungsmöglichkeiten zur Überwindung der anstehenden Staatskrise gesprochen worden. Neben der Bildung einer Minderheitsregierung der „Harzburger Front“ unter Tolerierung durch das Zentrum oder einer Mehrheitsregierung mit Hitler als Kanzler sei auch der Fortbestand des Kab. v. Schleicher nach einer von der RT-Mehrheit zu beschließenden Vertagung des Parlaments erwogen worden, berichteten die Unterhändler anschließend dem Fraktionsvorstand des Zentrums (Rudolf Morsey, Hrsg.: Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der dt. Zentrumspartei 1926–1933. Dok. Nr. 730). In der Ältestenratssitzung stieß dann das von StS Planck vorgetragene Bemühen der RReg., die Kraftprobe mit dem Parlament ohne weiteren Verzug herbeizuführen, auf den obsiegenden Antrag der Zentrumsvertreter, die Einberufung des RT-Plenums noch um eine Woche zu verschieben. Nach außen wurde dieser Antrag damit begründet, daß den Parteien eine Frist eingeräumt werden solle, um die Mehrheitsverhältnisse für eine Mitte-Rechts-Koalition zu prüfen (Schultheß 1933, S. 24 f.; Horckenbach 1933, S. 22 f.); anders Heinrich Brüning, der darauf gedrungen haben will, den RK binnen Wochenfrist dazu zu zwingen, seine Stellung beim RPräs. zu klären (Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1934. S. 644). DNVP und NSDAP konnten dem Vertagungsantrag umso eher zustimmen, als ihre Versuche, die „Harzburger Front“ wiederzubeleben, noch nicht abgeschlossen waren und ein zur RT-Auflösung führender Konflikt mit der RReg. deshalb noch vermieden werden mußte. – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 65.

6

Die vorstehende Entschließung wird unter geringfügiger Änderung der Einleitung und Ersetzung des in <…> gesetzten Teils durch ein Bekenntnis zu einer „starken Staatsführung“ am 24.1.1933 veröffentlicht (DAZ, Nr. 41 vom 25.1.1933; Abdruck in: Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1947). Die RReg. läßt daraufhin verlautbaren, die Entschließung sei lediglich die Reaktion der Deutschnationalen auf die Weigerung des RK, Hugenbergs Anspruch, in das RKab. einzutreten, zu entsprechen (Schultheß 1933, S. 26 f.).

Berlin, den 21. Januar 1933.

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