1.158 (lut2p): Nr. 327 Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags an den Reichskanzler. 3. April 1926

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Nr. 327
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags an den Reichskanzler. 3. April 1926

R 43 I /2457 , Bl. 222 f.

[Volksbegehren in Aufwertungsfragen]

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Als im vorigen Sommer dank Ihrer unermüdlichen Bemühungen, die Parteien des Reichstags zu endgültigen, der Wirtschaft einigermaßen gerecht werdenden Entschlüssen zu bringen, die Aufwertungsgesetze1 erlassen wurden, konnte man sich überall in der deutschen Wirtschaft der bestimmten Hoffnung hingeben, daß damit die Aufwertungsfrage endgültig gelöst sei. Sie selbst, Herr Reichskanzler, haben dies damals erklärt, und auch in den Darlegungen, die Sie unlängst vor dem Berliner Verband der Auswärtigen Presse über die deutsche Politik der letzten Jahre machten, nahm einen wichtigen Platz der Hinweis auf den endgültigen Abschluß der Aufwertungsgesetzgebung ein, der sowohl der Privatwirtschaft als auch der öffentlichen Wirtschaft wieder eine „zuverlässige Kalkulationsgrundlage“ gegeben habe2.

1

Die Gesetze über die Hypothekenaufwertung und über die Ablösung öffentlicher Anleihen vom 16.7.25 (RGBl. I, S. 117  und 137).

2

Gemeint ist die Rede Luthers in der Wandelhalle der Pr. Landtages vom 4.3.26 (Auszüge in: Schultheß, S. 57; „Tägliche Rundschau“ vom 5. 3.).

[1249] Trotz schwerer Bedenken im ganzen und im einzelnen haben damals weiteste Kreise der Wirtschaft den Abschluß der Gesetzgebung begrüßt als den endgültigen Abschluß eines jahrelangen Zustandes der Ungewißheit, der eine auf weite Sicht eingestellte Wirtschaftsgebarung unmöglich machte.

Als im letzten Winter ab und zu in Zeitschriften des Sparerbundes3 und ähnlicher Vereinigungen Forderungen auf Neuaufrollung der Aufwertungsfrage erhoben wurden, schien dies noch keine ernste Gefahr zu bringen. Nun aber haben in den letzten Wochen diese Forderungen und zugleich die Vorbereitungen zur Veranstaltung eines Volksbegehrens einen Umfang und eine Gestalt angenommen, die meines Erachtens zu sehr großen Besorgnissen Anlaß gibt4. Ich möchte nach dem augenblicklichen Stande diese Besorgnis als so ernst ansehen, daß ich, noch ehe in der Form ein Einvernehmen mit den Spitzenverbänden der gewerblichen Wirtschaft hergestellt werden konnte, mich zu der dringenden Bitte verpflichtet fühle, daß Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, der Angelegenheit Ihr persönliches Augenmerk zuwenden möchten.

3

1923 gegründeter Verband, der für die Rechte der durch die Inflation geschädigten Sparer und Hypothekengläubiger eintrat und eine umfassende Aufwertung ihrer Ansprüche forderte. Aus dem Sparerbund geht 1926 die Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung hervor, die im RT 1928–30 durch zwei Abg. vertreten ist.

4

Nach Presseberichten hatte eine Gesetzeskommission des Sparerbundes und des Hypothekengläubiger- und Sparer-Schutzverbandes für das Deutsche Reich unter Vorsitz des ehemaligen DNVP-Abg. Best (jetzt Gast der VA) in mehrmonatigen Beratungen einen GesEntw. über die Aufwertung der privaten und öffentlichen Schuldforderungen erarbeitet, dessen Anmeldung zum Volksbegehren (gemäß Art. 73 Abs. 3 RV) als nahe bevorstehend angesehen wurde (Egelhaaf 1926, S. 112). Der Entw. (Aktenexemplar in R 43 I /2457 , Bl. 291-298, vom RIM am 29.4.26 an Rkei übersandt; vgl. auch Dok. Nr. 332) stellt das Vorrecht der Gläubigeransprüche gegenüber den Einwänden des Schuldners wieder her und setzt – ganz ähnlich wie bereits der Initiativentwurf des Abg. Best vom 7.3.25 (vgl. Anm. 21 zu Dok. Nr. 24) – eine Entschädigung nach Lage des Einzelfalles (Individualaufwertung) an die Stelle der schematischen Regelung der beiden Reichsgesetze. Ausgehend von dem Gedanken, daß die Lasten der allgemeinen Verarmung von Schuldnern und Gläubigern zu gleichen Teilen getragen werden müßten, sieht der Entw. eine bis zu 50%ige Aufwertung bei Hypotheken (gegenüber 25% im Hypothekenaufwertungsgesetz vom 16.7.25) vor. Die Aufwertung der Markanleihen des Reichs solle durch Umtausch in „Anleiheablösungsschuld des Deutschen Reichs“ erfolgen. „Bei dem Umtausch sind […] Ablösungsanleihen im Nennbetrage von 50 vom Hundert des Goldmarkbetrages des nachgewiesenen Erwerbspreises zu gewähren.“ Die Verzinsung der Anleiheablösungsschuld solle ab 1.1.26 3% betragen, die Regelung ihrer Tilgung einem späteren Reichsgesetz vorbehalten bleiben.

Wie Sie wissen, werden mit der Aufwertungsfrage auch Fragen der Wohnungsbewirtschaftung5 und der Kriegsbeschädigtenfürsorge6 verbunden, Angelegenheiten also, die sachlich mit der Aufwertungsfrage nichts oder nur wenig gemeinsam haben und nach dem inneren Sinne des Gesetzes wohl[1250] auch nicht zum Gegenstand eines gemeinsamen Volksbegehrens gemacht werden dürften. Aber die Gefahr ist wohl nicht gering zu schätzen, daß hierdurch weit über die Zahl derjenigen, die sich von einer weiteren Aufwertung ihr Heil versprechen, auch andere Volkskreise für das Volksbegehren gewonnen werden, die sonst einer solchen Forderung unzugänglich sein würden. In Zeitungen, die nicht etwa zu dem engeren Kreise der Aufwertungsgläubiger gehören, werden diese Bestrebungen nicht übelwollend vermerkt und dadurch verbreitet.

5

Dazu § 27 des Aufwertungsentwurfs des Sparerbundes (s. Anm. 4): Für Wohnungsmieten auf vor dem 1.7.18 bezugsfertig gewordenen Grundstücken, die mit einer umzuwertenden Hypothek, Grund- oder Rentenschuld belastet sind oder belastet waren, gelten folgende Vorschriften: „1) Ein beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehendes gesetzliches Kündigungsverbot, das den Schutz der Mieter bezweckt, erstreckt sich bis zum 1. Januar 1932. 2) Soweit beim Inkrafttreten dieses Gesetzes die Wohnungsräume einer gesetzlichen Mietzinsbeschränkung unterliegen, darf der Mietzins bis zum 1. Januar 1932 die Friedensmiete nicht übersteigen.“

6

Der Entw. des Sparerbundes bestimmt hierzu u. a., daß Personen, die anstelle von Kriegsversorgung Kapitalabfindungen erhalten und damit Grundstücke erworben oder Hypotheken daran getilgt und deshalb aufzuwerten haben, vom Reiche Umwertung der empfangenen Kapitalabfindung verlangen können.

Wenn bisher festzustehen scheint, daß die Parteien, die sich im Sommer des vorigen Jahres in langwierigen Beratungen auf eine Lösung der Aufwertungsfrage zusammenfanden7, an der schließlich erreichten gesetzgeberischen Gestaltung unter allen Umständen festhalten und auch von den anderen wichtigen Parteien Änderungsbestrebungen abgelehnt werden, so läßt der Verlauf der Reichstagsverhandlungen vom 26. v. M. eine solche ganz klare einheitliche und sofort wirksam werdende Haltung aller großen Parteien immerhin als nicht unbedingt sicher erscheinen8.

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 86.

8

Vgl. RT-Bd. 390, S. 6729 , 6735 , 6739, 6741.

Darüber, welche verhängnisvollen Wirkungen schon eine nochmalige Erörterung der Aufwertungsfrage und gar erst eine Neuregelung zur Folge haben müßte, darf ich Ihnen gegenüber, hochverehrter Herr Reichskanzler, mich jeder Äußerung enthalten. Ich darf mich vielmehr auf die vertrauensvolle Bitte beschränken, die Angelegenheit als besonders dringlich zu betrachten und mit allen Kräften dahin zu wirken, daß die deutsche Wirtschaft und das deutsche Volk vor einer neuen Erschütterung und Erregung bewahrt bleibt9.

9

Die Rkei antwortet Mendelssohn mit Schreiben vom 13. 4., in dem mitgeteilt wird, daß der RK sich wegen des Volksbegehrens mit den zuständigen Ressortministern ins Benehmen gesetzt habe. – Am gleichen Tage ergeht unter Hinweis auf die obigen Vorstellungen Mendelssohns Einladung der Rkei an den RJM und den RFM zu einer Chefbesprechung für den 15. 4. (Dok. Nr. 332) (R 43 I /2457 , Bl. 224 f.).

In aufrichtiger Verehrung

Franz v. Mendelssohn

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