2.187.1 (ma31p): 1. Entwurf eines Gesetzes über die Abänderung der Arbeitszeitverordnung.

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1. Entwurf eines Gesetzes über die Abänderung der Arbeitszeitverordnung.

Der Reichsarbeitsminister trug eingehend die Lage vor, aus der sich die Notwendigkeit und der Inhalt des Entwurfs eines Gesetzes über die Abänderung der Arbeitszeitverordnung als vorläufige Regelung der Arbeitszeitfrage ergab1.

1

Der GesEntw. über die Abänderung der Arbeitszeit-VO vom 21.12.23 war dem Kabinett von RArbM Brauns mit Schreiben vom 12.2.27 vorgelegt worden (R 43 I /2060 , Bl. 30–32). Der GesEntw. lehnte sich teilweise an eine ältere Entwurfsfassung an, auf die sich die Regierungsparteien des Kabinetts Marx III am 1.12.26 geeinigt hatten (siehe Dok. Nr. 132 und Nr. 133). In einigen Bestimmungen ging der jetzt vom RArbM vorgelegte GesEntw. jedoch über jenen älteren Kompromißentwurf hinaus; so sah der GesEntw. des RArbM in Punkt 4) eine Änderung von § 7 Abs. 1 der Arbeitszeit-VO vor (siehe Anm. 3), und nach Punkt 6) des GesEntw. sollte der umstrittene § 11 Abs. 3 der Arbeitszeit-VO betr. Straflosigkeit des Arbeitgebers bei Annahme freiwilliger Mehrarbeit ganz gestrichen werden (siehe Anm. 6). Gegen diese beiden Punkte des GesEntw. hatte RWiM Curtius in einem Schreiben an den RArbM vom 14.2.27 „schwerwiegende Bedenken“ erhoben (R 43 I /2060 , Bl. 34–35). Die dort geäußerten Bedenken wiederholte der RWiM in dieser Kabinettsberatung.

In eingehender Aussprache wurden vornehmlich Punkt 4 und 6 des Entwurfes behandelt. Der Reichswirtschaftsminister äußerte Bedenken dagegen, daß im § 7 des Arbeitszeitgesetzes2 die Worte: „oder wenn sie sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat und eine halbe Stunde nicht übersteigt“ wegfallen3. Er befürchte, daß daraus bei der Arbeitszeitregelung im oberschlesischen und im Aachener Bergrevier große Schwierigkeiten entständen. Die 8½-stündige Arbeitszeit würde dort nicht aufrecht erhalten werden können. Die Tarifverträge seien gekündigt, die Streichung würde als Stellungnahme der Reichsregierung für die Wünsche der Arbeiterschaft aufgefaßt. Im Ruhrrevier würden die Arbeitszeiten daraufhin wahrscheinlich von 8 auf[545] 7½ Stunden verkürzt werden. Auch dort ständen Neuregelungen bevor. Die wirtschaftliche Wirkung wäre bei dem Wiedereinsetzen der englischen Konkurrenz, die mit 8½ Stunden Arbeitszeit arbeite, äußerst bedenklich.

2

Statt „des Arbeitszeitgesetzes“ muß es „der Arbeitszeitverordnung“ heißen.

3

§ 7 Abs. 1 der Arbeitszeit-VO vom 21.12.23 (RGBl. I, S. 1249 ) bestimmte: Eine Überschreitung der achtstündigen täglichen Arbeitszeit auf Grund tariflicher Vereinbarungen oder behördlicher Zulassung „ist für Gewerbezweige oder Gruppen von Arbeitern, die unter besonderen Gefahren für Leben oder Gesundheit arbeiten, insbesondere für Arbeiter im Steinkohlenbergbau unter Tage […] nur zulässig, wenn die Überschreitung aus Gründen des Gemeinwohls dringend erforderlich ist oder wenn sie sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat und eine halbe Stunde nicht übersteigt“. Nach Punkt 4) des vorliegenden GesEntw. (Anm. 1) sollten die Worte „oder wenn sie sich in langjähriger Übung als unbedenklich erwiesen hat und eine halbe Stunde nicht übersteigt“ gestrichen werden.

Weiter äußerte der Reichswirtschaftsminister Bedenken dagegen, daß nach Ziffer 5 des Entwurfes eine Überschreitung der Zehnstundengrenze nur mit „befristeter“ Genehmigung der Behörde zulässig sei4.

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Nach Punkt 4) des vorliegenden GesEntw. sollte § 9 Abs. 1 der Arbeitszeit-VO vom 21.12.23 folgenden Wortlaut erhalten: „Die Arbeitszeit darf bei Anwendung der in den §§ 3 bis 7 bezeichneten Ausnahmen [vom Achtstundentag] zehn Stunden täglich nicht überschreiten; eine Überschreitung dieser Grenze ist nur in Ausnahmefällen aus dringenden Gründen des Gemeinwohls mit befristeter Genehmigung der im § 6 Abs. 1 bezeichneten Behörde zulässig.“

Die Streichung des Absatz 3 im § 11 des Arbeitszeitgesetzes5, der die Straffreiheit freiwilliger Mehrarbeit vorsieht6, hielt er mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage für nicht vertretbar. Wenn auch die allgemeine Linie der wirtschaftlichen Entwicklung aufsteige, so seien jetzt bereits deutliche Zeichen eines Rückschlages in den kommenden Monaten wahrnehmbar. Der Absatz der Industrien im Inlande und im Auslande habe sehr stark nachgelassen. Mit weiterem Rückgange müsse gerechnet werden. Andererseits hätten die Erhebungen7 ergeben, daß die freiwillige Mehrarbeit bei weitem nicht in dem Maße ausgenutzt worden sei, wie es von den Arbeitervertretungen dargestellt werde. Er bat, die Ausnahmebestimmungen des § 11 Abs. 3 aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, daß die Bestimmung in der Formulierung eingeschränkt wird, die das letzte Kabinett im Benehmen mit den Regierungsparteien festgelegt hat8.

5

Statt „des Arbeitszeitgesetzes“ muß es „der Arbeitszeitverordnung“ heißen.

6

§ 11 Abs. 3 der Arbeitszeit-VO vom 21.12.23 (RGBl. I, S. 1249 ) lautete: „Der Arbeitgeber ist bei Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit, soweit es sich um männliche Arbeitnehmer über sechzehn Jahre handelt, nicht strafbar, wenn die Mehrarbeit durch besondere Umstände veranlaßt und keine dauernde ist, und wenn sie weder durch Ausbeutung der Notlage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber erwirkt wird noch auch offensichtlich eine gesundheitliche Gefährdung mit sich bringt.“ Nach Punkt 6) des vorliegenden GesEntw. sollte diese Bestimmung ganz fortfallen.

7

Auf Ersuchen des RArbM und des RWiM hatte die Reichsarbeitsverwaltung eine Erhebung über die tatsächliche Dauer der Arbeitszeit in einigen wichtigen Industriezweigen durchgeführt, deren Ergebnis im RArbBl. Nr. 5 vom 10.2.27 veröffentlicht wurde.

8

Gemeint ist: § 11 Abs. 3 der Arbeitszeit-VO soll die Fassung erhalten, wie sie in der Besprechung mit den Regierungsparteien vom 1.12.26 festgelegt worden war; siehe Dok. Nr. 133, Anm. 3.

Auch der Reichsminister der Justiz und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sprachen sich für Aufrechterhaltung der Bestimmung § 11 Abs. 3 in dieser Form aus.

Der Herr Reichskanzler schlug vor, daß das Kabinett über den Antrag des Reichsarbeitsministers zunächst einen vorläufigen Beschluß faßt und diesen am 17. Februar mit den Regierungsparteien im interfraktionellen Ausschuß bespricht. Die endgültige Beschlußfassung solle anschließend erfolgen. Es sei zu erwarten, daß im sozialpolitischen Ausschuß heftige Kämpfe über die Frage stattfinden würden. Die Regierungsparteien würden einen schweren Stand haben, da sie nur über die Hälfte der Stimmen verfügten.

Der Reichsarbeitsminister warnte eindringlich davor, daß die Formulierung des früheren Kabinetts in den Regierungsvorschlag aufgenommen werde. Die politische Lage sei grundlegend verändert; damals habe die sozialdemokratische[546] Partei mit ihrer Aufnahme in die Regierung gerechnet. Sie habe deswegen nicht so entschieden Stellung genommen, wie sie es jetzt als Oppositionspartei tun würde. Gebunden habe sie sich auch damals in keiner Weise an den Vorschlag. Das Kabinett habe in Aussicht gestellt9, den sozialpolitischen Forderungen weitgehend entgegenzukommen. Wenn es das Notgesetz10, das für die Arbeiterschaft im wesentlichen nur bei Streichung des Absatz 3 im § 11 Bedeutung habe, in der vom Reichswirtschaftsminister vorgeschlagenen Fassung vorlege, so wäre die Wirkung der zu erwartenden Angriffe nicht abzusehen. Auch dagegen habe er Bedenken, daß das Kabinett zunächst nur vorläufig entscheide. Die Zwiespältigkeit könne nicht verborgen bleiben. Dem interfraktionellen Ausschuß würde eine zu weitgehende Einflußnahme auf die Stellungnahme des Kabinetts eingeräumt.

9

In der Regierungserklärung vom 3.2.27 (RT-Bd. 391, S. 8794 ).

10

Das hier erörterte Gesetz zur Abänderung der Arbeitszeit-VO wurde auch als „Arbeitszeitnotgesetz“ bezeichnet.

Der Reichsjustizminister und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft erklärten, daß sie noch nicht in der Lage seien, endgültig Stellung zu nehmen. Sie schlossen sich dem Vorschlage des Herrn Reichskanzlers an.

Der Herr Reichskanzler brachte darauf die Vorlage zur vorläufigen Abstimmung.

Zu Punkt 1, 2 und 3 stellte er fest, daß kein Widerspruch erhoben sei.

Zu Punkt 4 verzichtete der Reichsarbeitsminister auf Abstimmung, indem er den Antrag11 insoweit zurückzog.

11

Auf Änderung des § 7 Abs. 1 der Arbeitszeit-VO; siehe Anm. 3.

Zu Punkt 5 erklärte der Reichswirtschaftsminister daß er seinen Antrag, das Wort „befristet“ zu streichen12, als durch die Stimmen der anderen Kabinettsmitglieder abgelehnt ansehe.

12

In der vorgesehenen Neufassung des § 9 Abs. 1 der Arbeitszeit-VO; siehe Anm. 4.

Der Vorschlag des Reichsarbeitsministers zu Ziffer 613 wurde angenommen14.

13

Streichung des § 11 Abs. 3 der Arbeitszeit-VO; siehe Anm. 6.

14

In dieser vom Kabinett nur „vorläufig“ beschlossenen Fassung leitete der RArbM den „Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung“ am 22. 2. dem RR als besonders eilbedürftige Vorlage zu (RR-Drucks. 1927, Nr. 17). Siehe dazu Dok. Nr. 188, Ministerbesprechung: Behandlung des Arbeitszeitnotgesetzes.

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