2.25.3 (sch1p): 3. [Protestversammlung gegen Abtretung deutscher Gebiete]

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3. [Protestversammlung gegen Abtretung deutscher Gebiete]

Der Ministerpräsident stellte die Ereignisse zur Erörterung, die am letzten Sonntag in Berlin gelegentlich der Protestversammlung gegen die Abtrennung[97] deutscher Gebiete stattgefunden haben4, sowie die Stellung des Generals von Lettow-Vorbeck. Von der Zahl der Redner, namentlich von dem Ministerpräsidenten selbst und von den Reichsministern Gothein, Bauer, Preuß, Bell, Giesberts und David wurde erklärt, daß nicht nur gegen die Bestrebungen von links, sondern auch gegen die Bestrebungen von der rechten Seite energisch Stellung genommen werden müsse. Die Herren Gothein und Preuß, denen sich die Herren Noske und Reinhardt anschlossen, empfahlen, diese Erklärung5 nicht so sehr gegen die Reste des Militärs, als gegen die politische Rechte zu richten, gegen sie aber mit aller möglichen Deutlichkeit vorzugehen. Der Kriegsminister teilte dabei mit, daß der Nationalverband der Offiziere nicht zu verwechseln sei mit dem Deutschen Offiziersbund; er habe im Gegensatz zu diesem nur sehr wenige Mitglieder und an seiner Spitze stehe der alldeutsche Rechtsanwalt Bredereck, der früher wegen ziviler Vergehen steckbrieflich verfolgt worden sei und erst infolge seiner Tapferkeit während des Krieges sich rehabilitiert habe, der also nicht als typischer Vertreter der deutschen Offiziere gelten könne. Es wurde beschlossen, eine entsprechende Charakterisierung des Verbandes sofort offiziös bekannt zu geben6. – Zu der Werbetätigkeit des Generals von Lettow-Vorbeck[98] wurde festgestellt, daß sie im Einverständnis mit dem Reichswehrminister erfolgt sei, der von einem von der Mehrheit abweichend aufgefaßten Kabinettsbeschluß7 keine Kenntnis gehabt habe. Herr Noske trat für die Loyalität der Person des Generals ein, der das holländische Interview glaubwürdig als Mystifikation bezeichnet und sich unter ausdrücklicher Anerkennung der neuen Verhältnisse in kritischen Augenblicken dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt habe8. Der General sei von den Kreisen, die ihn vorschieben möchten, zu unterscheiden. Reichsminister Graf Rantzau machte in diesem Zusammenhang Mitteilung über eine vertrauliche Unterredung, die im Haag zwischen der Gräfin Keller aus Amerongen und dem General stattgefunden hat.

4

Am 23. 3. hatten in Berlin Massenversammlungen gegen einen Gewaltfrieden stattgefunden, auf denen u. a. auch die RM Erzberger und Schiffer gesprochen hatten (Vorwärts Nr. 152, 24.3.1919). Die Kundgebungen waren laut Vorwärts, Nr. 153, 24.3.1919, durch eine Demonstration rechtsgerichteter Teilnehmer gestört worden, unter denen sich auch Mitglieder des Nationalverbands deutscher Offiziere befunden hatten. Ein auf diese Meldung hin vom Nationalverband deutscher Offiziere an die Redaktionen der Berliner Zeitungen und an die Rkei gesandtes Dementi vom 26. 3. ist geeignet, die Vorgänge aus dem Blickwinkel des Nationalverbandes zu illustrieren: „Aus Anlaß der Sonntagsdemonstration sind in einer Anzahl von Zeitungen eine Reihe unrichtiger Behauptungen aufgestellt worden, die wir wie folgt richtig stellen: 1. Der Demonstrationszug hatte mit irgendwelchen monarchischen Bestrebungen nicht das Geringste zu tun […] 2. Das Zusammentreffen des Zuges mit General v. Ludendorff war ein ganz zufälliges. Der Nationalverband Deutscher Offiziere und der gesamte Demonstrationszug hat mit der zufälligen Anwesenheit des Generals v. Ludendorff nicht das Geringste zu tun […] Erst am Schlusse des Zuges wurde der General von einem kleinen Teil der Demonstranten und vom Straßenpublikum bemerkt und begrüßt. Das Verhalten des Generals v. Ludendorff ergab überdies klar, daß ihm die öffentliche Begrüßung ebenso überraschend wie peinlich war. 3. Es ist unwahr, daß von irgendeiner Seite unseres Demonstrationszuges irgendein Ruf gegen England ausgestoßen ist, insbesondere nicht gegen fremdländische Offiziere, die sich im Hotel Adlon zeigten. 4. Am Bismarckdenkmal ist vom Nationalverband Deutscher Offiziere weder ein Kaiserhoch ausgebracht, noch die Nationalhymne gesungen worden […]“ (R 43 I /1892 ).

5

Im Rahmen einer Regierungserklärung vor der NatVers am 26.3.1919 verurteilte Scheidemann die Ausschreitungen von Mitgliedern des Nationalverbandes Dt. Offiziere als „ein Werk politischer Sabotage“ (NatVers Bd. 327, S. 808  f.).

6

Die Zielsetzungen des Nationalverbandes wurden in einem Schreiben der Presseabteilung des Nationalverbandes an die DAZ vom 8.3.1919 folgendermaßen beschrieben: „[…] Die […] Angehörigen des deutschen Offiziersstandes begrüßen das neuerwachte Verständnis für die Notwendigkeit eines schlagfertigen Heeres als Zeichen der beginnenden Gesundung unseres Volkes. Sie sehen in dem Entwurf zur Schaffung einer Reichswehr einen Notbehelf, der sobald als möglich einer geordneten Militärverfassung Platz zu machen hat. Als Grundlage einer solchen kann im Volksstaate nur die Dienstpflicht aller Bürger und Bürgerinnen in Frage kommen. Sie ist in die Reichsverfassung aufzunehmen.“ Weiterhin werden in dem Schreiben die Sicherung der Existenz der „erprobten Offiziere und Unteroffiziere“ und deren militärische Weiterverwendung, die Beseitigung der Soldatenräte und die „Herstellung der vollen Kommandogewalt der Offiziere und Unteroffiziere“ gefordert (Nachl. Schwertfeger , Nr. 337). In seiner Rede vor der NatVers am 26. 3. führte Scheidemann aus, der Nationalverband Deutscher Offiziere sei „eine Minderheit von zirka 1700 gegenüber 53 000 Offizieren des Deutschen Offizierbundes, der von solchen Politikastereien nichts wissen will“ (NatVers Bd. 327, S. 808 ).

7

In den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

8

GenMaj. v. Lettow-Vorbeck war im März 1919 zusammen mit den in Ostafrika nach Kriegsende internierten Angehörigen der dt. Schutzgruppe über die Niederlande kommend in Dtl. eingetroffen und feierte am 2.3.1919 seinen Einzug in Berlin (DAZ, Nr. 107, 3.3.1919). Bereits in den Niederlanden soll er sich für die Wiedereinsetzung der Monarchie in Dtl. eingesetzt haben; dazu erklärte er in einer Presseverlautbarung: „Meine Worte, die ich in einer privaten geselligen Vereinigung in Rotterdam sprach, sind in der Presse mehrfach entstellt wiedergegeben worden und werden augenscheinlich dazu benutzt, mir umstürzlerische Bestrebungen gegen die bestehende Reg. unterzulegen. Hierzu bemerke ich, daß ich Äußerungen, die eine solche Deutung zulassen, überhaupt nicht gemacht habe. Um jeden Zweifel auszuschließen, habe ich am Tage meines Eintreffens in Berlin dem Herrn RWeM persönlich erklärt, daß, wenn ich jetzt meine Dienste der bestehenden Reg. zur Verfügung stelle, dies in loyaler Weise geschieht.“ (Die Post, Nr. 155, 28.3.1919, Zeitungsausschnitt in R 43 I /2473 , Bl. 37). Er stellte die Freiwilligen-Division „Lettow-Vorbeck“ im Verband des Garde-Kavallerie-Schützenkorps auf, die als Reichswehr-Brigade 40 in die vorläufige Reichswehr übernommen wurde. Als Führer der Reichswehr-Brigade 9 in Schwerin stellte er sich im März 1920 auf die Seite Kapps und wurde daraufhin entlassen.

Es wurde beschlossen: Die Freiwilligen-Korps sollen aufgelöst und in die Reichswehr überführt werden. Die amtliche Benennung der einzelnen Korps nach den Führern soll durch andere amtliche Bezeichnungen ersetzt werden und die Werbetätigkeit auf die Namen der Führer aufhören9. Der Reichswehrminister wird das Erforderliche schleunigst veranlassen und durch eine Pressenotiz die beabsichtigten Änderungen alsbald bekanntgeben10.

9

Die Auflösung der Freiwilligenverbände, bereits in § 8 der Ausführungsverordnung zum Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr (RGBl. 1919, S. 296 ) vorgesehen, blieb bis Juni 1920 aufgeschoben, teils, da auf laufende Verträge mit Offizieren und Mannschaften Rücksicht genommen werden mußte, teils auch, weil sich zahlreiche Freiwilligenverbände dem Auflösungsbefehl der RReg. widersetzten und, so die Freikorps im Baltikum, der unmittelbaren Befehlseinwirkung entzogen waren. Erst nach dem Kapp-Putsch wurde die bis dahin nur zögernd vorwärtsgetriebene Auflösung der Freiwilligenverbände mit Energie durch- und zuendegeführt. Auch die Benennung der Freiwilligeneinheiten nach ihren Führern wurde keineswegs aufgehoben, sondern blieb auch nach deren Übernahme in die Reichswehr, dergestalt, daß der Reichswehrbezeichnung der betreffenden Truppenteile die früheren Namen in Klammern beigefügt wurden, wie z. B. Reichswehr-Jäger-Bataillon 8 (Freiwilliger Verband v. Aulock). Erst mit der Konsolidierung der endgültigen Reichswehr verschwanden diese Überreste früherer Ungebundenheit.

10

Siehe Vorwärts, Nr. 157, 26.3.1919.

Es wurde ferner beschlossen: Der Ministerpräsident wird in der Nationalversammlung eine programmatische Rede halten, in der er den Gedanken eines Protestes gegen die Abtretung der deutschen Gebiete an sich unterstützt, aber[99] sein Bedauern ausspricht, daß der Protest zu einseitigen parteipolitischen Zwecken mißbraucht worden sei. Er wird dabei eine scharfe Absage nach rechts richten, die Forderung Ludendorffs auf Einsetzung eines Staatsgerichtshofs erwähnen und in diesem Zusammenhang mitteilen, daß die Einsetzung eines Staatsgerichtshofs beabsichtigt sei11.

11

Siehe Anm. 5.

Der Ministerpräsident hatte ferner angeregt, die OHL alsbald aufzulösen. Herr Reichsminister Noske und andere äußerten lebhafte Bedenken wegen der jetzigen Zuspitzung der Verhältnisse gegenüber den Polen durch Abbruch der Verhandlungen in Posen12. Nach längerer Aussprache wurde beschlossen: Durch eine vorher der OHL zugänglich gemachte Pressenotiz soll angekündigt werden, daß nach gesichertem Frieden das Bedürfnis zur Aufrechterhaltung der OHL fortfalle und ihre Auflösung daher in Aussicht genommen sei13.

12

Siehe Dok. Nr. 17, P. 5.

13

Eine entsprechende Pressenotiz ist nicht erschienen.

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