2.23 (str1p): Nr. 23 Generalsekretär Johannes Dieckmann an den Reichskanzler. Dresden, 24. August 1923

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RTF

Nr. 23
Generalsekretär Johannes Dieckmann an den Reichskanzler. Dresden, 24. August 1923

Pol.Arch.: NL Stresemann 871

1

Das Schreiben trägt die Journalnummer: „Rk. 9542 pr. 29 Aug. 1923 v. Stockh.“ Es ist außerdem von MinR Kempner und MinR Kiep abgezeichnet. Vom Büro der Rkei war es bereits dem Bestand „Sachsen“ zugeordnet worden, bevor es in die Handakten Stresemanns geraten ist.

[Betrifft: DVP und Regierung in Sachsen.]

Persönlich und vertraulich.

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Die Sächsische Landtagsfraktion der Deutschen Volkspartei hielt gestern unter dem Vorsitz des Abgeordneten Anders (der Fraktionsvorsitzende Dr. Kaiser ist bis Anfang September auf Urlaub) eine Feriensitzung ab, in der sie sich u. a. eingehend mit der Haltung der sächsischen Regierung nach der Bildung des neuen Reichskabinetts befaßte. Das Referat zu dieser Frage erstattete das Mitglied der Fraktion Herr Dr. Schneider. Der Referent gab unter Berufung auf die beste persönliche Verbindung, die er in der gesamten Angelegenheit stets mit Ihnen gehalten habe2, eine vertrauliche Darstellung der hier[99] interessierenden Vorgänge der beiden letzten Wochen, zu der ihn die Notwendigkeit einer Begründung der von ihm geforderten Einberufung des Zwischenausschusses des sächsischen Landtages unmittelbar veranlaßte. Herr Dr. Schneider hatte die Einberufung dieses Ausschusses vor einer Woche öffentlich verlangt, weil nach seiner damaligen Ansicht die Lage für eine Umbildung der sächsischen Regierung in Richtung der großen Koalition reif sei. Herr Dr. Schneider stand und steht – wie die gestrige Aussprache bewies – mit dieser Auffassung völlig allein da. Um seine damalige Auffassung zu begründen, berief er sich darauf, daß seine Anschauung vom Reichskanzler geteilt worden sei. Sie hätten diese sich mit der seinigen deckende Auffassung in der Besprechung zum Ausdruck gebracht, die unmittelbar nach der Abgabe Ihrer Regierungserklärung im Reichstag zwischen Ihnen und Vertretern der sächsischen Wirtschaft stattgefunden habe3. Zu diesem Zwecke hätten Sie durch die Minister Sollmann und Severing auf die Reichsparteileitung der Sozialdemokratie entsprechend einwirken wollen, während nach Ihrem Willen Herr Dr. Schneider die entsprechende Vorbereitung in Sachsen hätte in die Hände nehmen sollen. Dementsprechend habe er (Schneider) die Einberufung des Zwischenausschusses gefordert, um bei dieser Gelegenheit das Terrain sondieren und die hiesige Sozialdemokratie zu einer klaren Stellungnahme zu veranlassen. – Im weiteren Verlauf der Dinge sei dann eine Veränderung der Sachlage schon bald zu verzeichnen gewesen. Durch das ungeschickte Verhalten eines Teilnehmers an der ersten Besprechung (Herrn Hiller vom Landbund), der über die Besprechung eine anfechtbare Veröffentlichung in die Presse hatte gelangen lassen, sei die Sächsische Staatszeitung zur bekannten Pressefehde der letzten Woche4 veranlaßt worden. Weiterhin wäre Dr. Zeigner in diesen Wochen mehrere Male beim Reichskanzler gewesen, um mit ihm die Lage in Sachsen zu besprechen5. Im Verlauf der Verhandlung seien Sie zu der Überzeugung gelangt, daß die geplante Aktion in Sachsen (Umbildung oder Neubildung der Regierung) noch nicht vor sich gehen dürfte. Er (Schneider) vertrete jetzt ebenfalls den Standpunkt, und werde im Zwischenausschuß seinen Antrag auf Einberufung des Landtages nicht mehr vertreten. Weiter machte Herr Dr. Schneider vertraulich davon Mitteilung, daß Dr. Zeigner sich in seinen Unterredungen mit Ihnen als Freund der großen Koalition bekannt und die Übereinstimmung der Regierungen im Reiche, Preußen und Sachsen als notwendig betont habe. Gewisse Unzuträglichkeiten, die sich durch wenig geschicktes Verhalten einzelner Reichswehrstellen ergeben hätten und auf deren Abstellung Dr. Zeigner stark gedrängt hätte, seien inzwischen durch Ihr Eingreifen behoben worden6.

2

S. dazu auch RK an Wels, 27.8.23 (Dok. Nr. 26).

3

S. Anm. 3 zu Dok. Nr. 7.

4

Vgl. Dok. Nr. 17.

5

S. Dok. Nr. 26.

6

S. dazu Dok. Nr. 17; 31; 53.

Soweit und in der Hauptsache Herr Dr. Schneider! Seine Ausführungen wurden von den anwesenden Mitgliedern der Fraktion größten Teils mit Verwunderung aufgenommen. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Schneider waren die übrigen Fraktionsmitglieder der Ansicht, daß die Lage hier in den letzten[100] Wochen niemals für irgendwelche ernsthaften Verhandlungen mit dem Ziele einer Umbildung der Regierung reif gewesen sei. Soweit ich die Stimmung der Fraktion richtig beurteilen kann, hat es ferner großes Erstaunen erregt, daß die Verhandlungen in dieser ganzen Sache Ihrerseits nur mit Herrn Dr. Schneider geführt worden sind, der hierzu keinerlei Mandat der Fraktion besaß und überdies als eines der jüngsten Mitglieder der Fraktion die ganze Lage in Sachsen kaum völlig richtig übersieht. Der Gedanken einer Einberufung des Landtages auf unsere Initiative hin wurde von der Fraktion einmütig verworfen und an der durch Herrn Dr. Schneider veranlaßten Einberufung des Zwischenausschusses lebhaft Kritik geübt. Vor allem aber ergab die Besprechung, daß die übrige Fraktion den sächsischen Ministerpräsidenten, dessen politischen Charakter und seine politischen Absichten völlig anders einschätzt als Herr Dr. Schneider das bisher getan hat. Auch ohne daß Herr Dr. Schneider (wie er das gestern getan hat) mich gebeten hätte, diese abweichende Beurteilung des Dr. Zeigner durch die anderen Mitglieder unsrer Landtagsfraktion zu Ihrer Kenntnis zu bringen, hätte ich mich nach dem Ausgange der gestrigen Sitzung dazu verpflichtet gehalten, Sie von dieser Auffassung der Fraktion zu orientieren. Die Fraktion steht auf dem durch mannigfaltige und schwerwiegende Erfahrungen gewonnenen Standpunkt, daß Dr. Zeigner die Deutsche Volkspartei und ihre Führer unter der entsprechenden Einwirkung der Kommunisten bewußt täuscht oder zu täuschen versucht. Das Spiel, das er jetzt offenbar mit Ihnen [zu] treiben versucht, hat er mit dem Vorsitzenden der sächsischen Landtagsfraktion schon seit längerem und bei verschiedenen Gelegenheiten zu treiben versucht. Dr. Zeigner hat sich in Besprechungen unter vier Augen, wie sie zwischen ihm und Herrn Dr. Kaiser stattgefunden haben, stets als der Mann gegeben, der unter dem kommunistischen Druck selbst schwer leidet [und] eine Änderung des jetzigen Zustandes in der Richtung eines Zusammenwirkens mit den Bürgerlichen ernsthaft anstrebt. Er hat in diesen Besprechungen, die auf seine Initiative hin stattfanden, sich bitter beklagt über die Kommunisten und über die Art und Weise, in der sie ihn zu Handlungen zwängen, die gegen sein politisches Gewissen gingen. Versprechungen, die er bei dieser Gelegenheit gegeben hat, hat er dann nie gehalten. Vielmehr ist der Eindruck entstanden, als ob Dr. Zeigner bei diesen Besprechungen seinen Verhandlungsgegner nur zu Äußerungen und Mitteilungen veranlassen wollte, die er dann bei passender Gelegenheit im Sinne der Kommunisten gegen bürgerliche Verständigungspolitiker ausnutzen konnte. Zusammenfassend geht die begründete Meinung unserer über die wirkliche Lage hier orientierten politischen Freunde dahin, daß Dr. Zeigner weder die Absicht hat noch hatte, die gegenwärtige Lage in Sachsen zu ändern, daß er niemals der Mann sein kann, mit dem die Frage der Umbildung der Regierung einer brauchbaren Lösung entgegengeführt werden kann, und daß er im Falle eines Falles trotz aller Versicherungen und Versprechungen sich entschieden auf die Seite der Kommunisten schlagen wird, zu denen er in einer Art pathologischen Hörigkeitsverhältnisses zu stehen scheint.

In der Hoffnung, Ihnen mit dieser Darstellung der in den maßgebenden und verantwortlichen Kreisen der Deutschen Volkspartei Sachsen herrschenden[101] Auffassung für Ihre weiteren Verhandlungen über sächsische Angelegenheiten eine Ihnen erwünschte Ergänzung Ihres Bildes über die derzeitige Lage in Sachsen gegeben zu haben und damit gleichzeitig dem stillen Wunsche unserer Parteifreunde in Sachsen nachgekommen zu sein7

7

Stresemann ließ durch seinen Referenten Ehlers oder seinen Sekretär Bernhard am 10.9.23 Dieckmann erwidern: Schneider habe nicht im Auftrag der sächs. LT-Fraktion der DVP, sondern als Mitglied des Verbandes sächs. Industrieller mit dem RK gesprochen. Nachdem diese Abordnung empfangen worden war, habe der RK mit Schneider über die polit. Lage gesprochen und diesen gebeten, seine Beurteilung der LT-Fraktion darzulegen. In begründeter Form sollten die Einwendungen der Fraktion mitgeteilt werden, damit ihre Auffassung bei der Beurteilung der sächs. Lage berücksichtigt werde (Pol.Arch.: NL Stresemann  87).

empfehle ich mich Ihnen

in größter Hochachtung

Ihr ganz ergebener Dieckmann

[…]8

8

Handschriftlich fügte Dieckmann seine Adresse und Telefonnummer hinzu. Er stehe jederzeit zu einer mündlichen Berichterstattung zur Verfügung.

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