2.65 (ma31p): Nr. 65 Äußerung des Reichsverkehrsministers zu Schreiben des Präsidenten des Verwaltungsrats der Reichsbahn-Gesellschaft sowie des Treuhänders für die Eisenbahnobligationen. 25. Juli 1926

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[146] Nr. 65
Äußerung des Reichsverkehrsministers zu Schreiben des Präsidenten des Verwaltungsrats der Reichsbahn-Gesellschaft sowie des Treuhänders für die Eisenbahnobligationen. 25. Juli 19261

1

Am 21.7.26 hatte StS Pünder das Schreiben des Treuhänders für die Eisenbahnobligationen Delacroix vom 17. 7. (Dok. Nr. 59) zusammen mit dem Schreiben des Präs. des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft v. Siemens vom 19. 7. (Dok. Nr. 60) abschr. an RVM Krohne mit der Bitte um Stellungnahme übersandt (vgl. Dok. Nr. 59, Anm. 15); Krohne befand sich zu diesem Zeitpunkt auf Urlaub in Herrenwies/Schwarzwald. Von dort ist anscheinend die hier abgedruckte Stellungnahme Krohnes an die Rkei gelangt; ein Anschreiben ist nicht vorhanden.

R 43 I /1054 , Bl. 162–165 eigenhändig

Äußerung

1. Zum Schreiben des Präsidenten des Verwaltungsrats vom 19. Juli 19262.

2

Dok. Nr. 60.

Soweit das Schreiben sich mit den Vorgängen der Wahl Dorpmüllers befaßt, ist es nach Form und Inhalt abzulehnen. Der Präsident versucht mit einseitigen „Feststellungen“ diese Seite der Sache zu beendigen, ohne den Tatsachen, die in der Besprechung mit ihm seitens der Reichsregierung vorgebracht sind3, gerecht zu werden. Es ist geradezu eine Naivität, das Schreiben vom 26.6.254 mit dem Bemerken abzutun, daß er den Beschluß des Kabinetts contra Dorpmüller als künftigen Generaldirektor nicht gekannt habe […].

3

Siehe die Besprechung mit Mitgliedern des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft vom 24.6.26 (Dok. Nr. 33).

4

Gemeint ist offenbar ein – in den Akten der Rkei nicht zu ermittelndes – Schreiben des RVM an das Verwaltungsratsmitglied StS Fischer vom 26.6.25, in dem der RVM den in der Ministerbesprechung vom 25.6.25 gefaßten Beschluß des Kabinetts Luther mitteilte, daß Dorpmüller für den Posten des Generaldirektors nicht in Betracht komme. Vgl. die diesbezüglichen Erörterungen in der Ministerbesprechung vom 15.6.26 (Dok. Nr. 25, P. 1) sowie in der Besprechung mit Mitgliedern des Verwaltungsrats vom 24.6.26 (Dok. Nr. 33, bes. Anm. 16).

Das Schreiben des Präsidenten läßt nicht mit Sicherheit ersehen, ob der Verwaltungsrat sein Verhalten gebilligt hat oder nicht. Aus dem ersten Absatz seines Schreibens ist es allerdings zu vermuten. Umsomehr hat die Reichsregierung die Verpflichtung, unzweideutig dem Präsidenten schriftlich zum Ausdruck zu bringen, daß seine Darstellung der Dinge nicht den Tatsachen entspreche und daß er das Vertrauen der Reichsregierung nach dem Vorgefallenen nicht mehr besitze. Welche Konsequenzen er daraus zieht, muß ihm überlassen bleiben. Unbeantwortet darf das Schreiben des Präsidenten insoweit nicht bleiben.

2. Zum Schreiben des Herrn Delacroix5.

5

Dok. Nr. 59.

Der Beschluß, den der Verwaltungsrat in der Frage der Teilnahme des Reichsverkehrsministers an seinen Sitzungen gefaßt hat6, läßt jede Entschiedenheit[147] vermissen, ist pflaumenweich und bedeutet nichts anderes als ein „Verkriechen“ hinter dem Ausländer7. Wären die deutschen Mitglieder8 sich ihrer deutschen Pflicht bewußt gewesen, so hätten sie einmütig einen Beschluß im Sinne des Antrages der Reichsregierung9 fassen und die fremden Mitglieder und über diese Herrn Delacroix beeinflussen müssen. Ich bin überzeugt, daß dieser dann nicht irgendwelche ihm nach den Dawesgesetzen – im Eisenbahngesetz hat er sie nicht – zustehende Machtmittel ergriffen hätte10. Das haben die deutschen Mitglieder nicht getan und damit dem Verdacht Nahrung gegeben, daß sie trotz aller schönen Redensarten in ihrem Beschluß über die Zusammenarbeit innerlich die Teilnahme des Verkehrsministers an den Sitzungen des Verwaltungsrats nicht wollen, sich selbst aber weißwaschen und die Verantwortung oder vielmehr Ablehnung dem Auslande zuschieben. Das ist ein äußerst bedauerlicher Vorgang, um keinen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, daß Delacroix aus eigener Veranlassung sich an den Herrn Reichskanzler wendet und das Praevenire spielt, bevor die Reichsregierung dem Wunsche des Verwaltungsrats folgend an ihn herangetreten ist und ihre Gründe dargelegt hat, auch der Herr Außenminister die ihm nahe liegenden Momente ins Feld führen konnte. Die Reichsregierung muß sich angesichts dieses Vorkommnisses und dieser Sachlage darüber klar werden, ob sie nicht successive, je nach dem Ausscheiden einzelner Mitglieder, eine andere Art der Zusammensetzung des Verwaltungsrats herbeiführt, daß sie zwar Männer der Wirtschaft und von Eisenbahnfachkunde wählt, aber nur solche, die ihr näher stehen und deren sie sicher ist11. Der erste Schritt ist in dieser Beziehung ja durch die Ernennung Luthers12 schon geschehen. Es ist auch zu überlegen, ob nicht der Streitfall mit Preußen – Nachfolge Arnhold – unter diesen inzwischen eingetretenen Verhältnissen anders zu beurteilen ist. Mir scheint ein „Schulze“ denn doch noch sicherer zu sein als ein Mann der Wirtschaft, den wir[148] nicht in der Hand haben13. Vielleicht kann man Preußen zusichern, die nächst freie Stelle an Schulze zu geben, ohne den Rechtsstandpunkt aufzugeben. Sollte der Treuhänder bei einer solchen successiven Umformung des Verwaltungsrats keine Deutschen mehr ernennen, so müßte das getragen werden. Mir ist ein Verwaltungsrat, in dem 10 Deutsche und 9 Ausländer sitzen14, bei dem ich aber der Deutschen sicher bin, lieber, als ein Verwaltungsrat mit 14 Deutschen, die „sonders“ – wie die Äußerung Stielers15 zeigt – sich dem Ausländer verpflichtet fühlen und „samt“ den deutschen Interessen so wenig Rechnung tragen, wie dies vorliegend geschehen ist, und sich hinter den Ausländer in einer von der Reichsregierung für sie äußerst wichtig bezeichneten Frage verstecken. Was das Schreiben Delacroix selbst angeht, so ist die aufgestellte Behauptung, „es sei ohne Verletzung des Reichseisenbahngesetzes nicht möglich, den Reichsverkehrsminister zu den Sitzungen des Verwaltungsrates zuzulassen“, stichhaltig in keiner Weise begründet. Das Gesetz enthält kein Verbot. Die angeführten Gründe sprechen ebenso gegen den Ausschuß des Reichstags, vor dem die Reichsbahn sich jetzt z. T. zu verantworten hat16, denn darauf laufen die Verhandlungen mit diesem hinaus. Der Vorschlag Delacroix’ über die „Anhörung“ des Reichsverkehrsministers und seiner Beamten durch den Verwaltungsrat muß abgelehnt werden. Jeder Verkehrsminister – Aufsichtsminister!17 – wird sich für die Rolle bedanken, die ihm hier zugemutet wird. M. E. wird dem Delacroix zu antworten sein, daß die Reichsregierung hinsichtlich der Zulassung des Verkehrsministers rechtlich anderer Meinung sei als er, von einer Weiterverfolgung ihres Wunsches aber angesichts seiner Weigerung absehe, seinen Vorschlag jedoch mit der Stellung der Reichsregierung und des Verkehrsministers als Aufsichtsminister nicht vereinbar halte, es daher bei dem bisherigen Zustand sein Bewenden behalten [sic] müsse. Neue Verhandlungen mit Delacroix würde ich für wenig würdig halten.

6

Nämlich die RReg. zu bitten, diese Frage zunächst mit der Repko zu klären; vgl. die entsprechende Mitteilung im Schreiben v. Siemens’ (Dok. Nr. 60).

7

Damit ist anscheinend der Treuhänder für die Eisenbahnobligationen Delacroix gemeint.

8

D. h. die dt. Mitglieder des Verwaltungsrats.

9

Siehe Dok. Nr. 52, Anm. 2.

10

Nach dem RB-Gesetz und der RB-Satzung vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 272 , 281) vertritt der von der Repko ernannte Treuhänder für die Eisenbahnobligationen (Delacroix) zusammen mit dem Eisenbahnkommissar (Leverve) die Interessen der all. Reparationsgläubiger gegenüber der RB-Gesellschaft. Insbesondere verwaltet der Treuhänder die von der RB-Gesellschaft ausgestellten Reparationsschuldverschreibungen (Eisenbahnobligationen), er kontrolliert die laufenden Reparationszahlungen der Gesellschaft und ernennt die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungsrats. Vgl. auch: Die Berichte der von der Reparationskommission eingesetzten beiden Sachverständigenkomitees vom 9.4.1924 („Dawes-Plan“), Anlage 4, Berlin 1924.

11

Über Zusammensetzung und Ergänzung des Verwaltungsrats ist in den §§ 11–13 der RB-Satzung vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 283  f.) u. a. folgendes bestimmt: Die achtzehn Verwaltungsratsmitglieder werden zur Hälfte von der RReg., zur anderen Hälfte vom all. Treuhänder für die Eisenbahnobligationen ernannt; von den Mitgliedern, die durch den Treuhänder ernannt werden, können fünf Deutsche sein (vgl. Dok. Nr. 28, Anm. 3). Je drei Mitglieder aus den beiden Gruppen scheiden am Ende jedes zweiten Geschäftsjahres der RB-Gesellschaft aus; sie werden entweder durch neue Mitglieder ersetzt oder wiederbestellt. Die Mitglieder müssen erfahrene Kenner des Wirtschaftslebens oder Eisenbahnsachverständige sein.

12

Luther war am 6.7.26 zum Mitglied des Verwaltungsrats ernannt worden.

13

Der RVM bezieht sich hier auf die Auseinandersetzung zwischen dem Reich und Preußen über die Besetzung der durch den Tod des Kommerzienrats Arnhold freigewordenen Verwaltungsratsstelle. Preußen beanspruchte diese Stelle für sich und präsentierte den MinDir. Schulze vom PrHandMin. als Nachfolger Arnholds. Als die RReg. hierauf nicht einging und ihrerseits den ehemaligen RK Luther zum Verwaltungsratsmitglied bestellte, wandte sich die Pr. Reg. zur Klärung der Rechtslage an den Staatsgerichtshof. Siehe Dok. Nr. 54.

14

Es muß heißen: 9 Deutsche und 9 Ausländer. Falls nämlich – was hier unterstellt wird – der Treuhänder auf die von ihm zu besetzenden 9 Verwaltungsratsstellen ausschließlich Ausländer beruft, würden bei einer Gesamtzahl von 18 Verwaltungsratssitzen (vgl. Anm. 11) nur noch 9 Deutsche dem Verwaltungsrat angehören.

15

Welche Äußerung Stielers gemeint ist, war aus den Akten der Rkei nicht festzustellen.

16

Gemeint ist wohl der sog. Informationsausschuß des RT, der 1926 zur formlosen Unterrichtung des RT über die Tätigkeit der RB-Gesellschaft gebildet worden war. Eine förmliche Rechenschaftspflicht der Gesellschaft gegenüber dem RT bzw. ein gesetzliches Kontrollrecht des RT gegenüber der Gesellschaft gab es wegen des durch den Dawes-Plan geschaffenen Sonderstatus der RB-Gesellschaft nicht. Vgl. Politisches Jahrbuch 1926, S. 533; Politisches Jahrbuch 1927/28, S. 642; Sarter/Kittel, Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft, S. 37.

17

Vgl. hierzu Dok. Nr. 33, Anm. 6.

Auf der anderen Seite entfällt nach Ablehnung des Verlangens der Reichsregierung auf Zutritt des Verkehrsministers zum Verwaltungsrat der von ihr im[149] Wege des Entgegenkommens gemachte Vorschlag, den Verwaltungsrat in geeigneten Fällen zu Kabinettssitzungen hinzuzuziehen.

[…]

Nachdem die Voraussetzung dieser Ausgleichsmöglichkeit durch das Schreiben Delacroix’ – vgl. auch die Ausführungen Bergmanns beim Staatssekretär Pünder18 – in Fortfall gekommen ist, werde ich mich pflichtmäßig mit aller Entschiedenheit gegen die Bestätigung der Wahl Dorpmüllers, und zwar als Reichsverkehrsminister, der in erster Linie die Verantwortung für die Reichsbahngesellschaft im Rahmen des Reichsbahngesetzes zu tragen hat und für sich beanspruchen muß, die eingehendste Kenntnis der Verhältnisse aus der täglichen Zusammenarbeit mit der Hauptverwaltung zu haben, aussprechen19.

18

Siehe Dok. Nr. 59, Anm. 15, Abs. 2.

19

Diese Stellungnahme des RVM übersandte StS Pünder am 26.7.26 zusammen mit einem eigenen Vermerk an den RK, den RAM und den RFM. In seinem Vermerk vom 26. 7. trat Pünder der Auffassung des RVM Krohne bei, daß weitere Verhandlungen mit Delacroix zwecklos seien. Er – Pünder – meine jedoch, daß der recht allgemein gehaltene Brief Delacroix’ dem Verwaltungsrat die Möglichkeit gebe, dem Wunsch der RReg. nach Beteiligung des RVM an den Verwaltungsratssitzungen weitgehend entgegenzukommen. Aus den Besprechungen mit Luther und Bergmann habe er jedenfalls den Eindruck gewonnen, „daß beim Verwaltungsrat das starke Streben vorhanden ist, aus der Sackgasse, in die er sich und die Reichsregierung hineinmanövriert hat, bald herauszukommen“ (R 43 I /1054 , Bl. 172–176). In einem Gespräch mit Pünder am 30. 7. erklärte der Verwaltungsratspräs. v. Siemens, „daß bei einigem guten Willen man jetzt zu einem Arrangement kommen könne, das dem Wunsche der Reichsregierung auf Zulassung des Reichsverkehrsministers zu den Beratungen des Verwaltungsrats Rechnung trage“. Er werde mit seinen Herren sofort entsprechende Richtlinien entwerfen (Vermerk Pünders vom 30. 7., R 43 I /1054 , Bl. 177–178).

Am 9. 8. übermittelte v. Siemens an StS Pünder den Entwurf einer Vereinbarung zwischen RReg. und Verwaltungsrat, welche die Teilnahme des RVM an den Sitzungen des Verwaltungsrats der RB-Gesellschaft regelt (R 43 I /1054 , Bl. 180–182). Siehe hierzu Dok. Nr. 69, P. 1.

Dr. Krohne 25.7.26.

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