2.35 (vsc1p): Nr. 35 Generalmajor a.D. von Hörauf an Wilhelm von Preußen. München, 21. Dezember 1932

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett von Schleicher Kurt von Schleicher Bild 102-14090Franz Bracht Bild 183-2007-1009-501Friedrich Syrup Bild 146-1986-031-11Bild 183-H27728

Extras:

 

Text

RTF

[154] Nr. 35
Generalmajor a.D. von Hörauf an Wilhelm von Preußen. München, 21. Dezember 1932

Nachlaß von Schleicher, Nr. 23, S. 47–48a Abschrift1

1

Die Abschrift wird dem RK von seinem Duzfreund, dem ehemaligen Kronprinzen, versehen mit einem sehr knappen Anschreiben vom 29.12.1932 übersandt; Sichtparaphe v. Schleichers vom 1.1.1933 auf dem Anschreiben (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 44). Der Brief ist auch abgedruckt bei Volker Hentschel: Weimars letzte Monate. S. 152 f.

[Innere Lage der NSDAP.]

Euer Kaiserliche Hoheit!

Durchlauchtigster Prinz und Herr!

Euer Kaiserlicher Hoheit danke ich zunächst untertänigst für die Vermittlung der Unterredung mit Herrn von Schleicher2. Wenn sie auch unmittelbar positive Ergebnisse nicht hatte – und auch nicht haben konnte, da ich ja von keiner Seite autorisiert und auch über die weiteren Absichten Herrn Straßers nicht im Bilde war –, so wurde wenigstens die Verbindung hergestellt und Gelegenheit zu beiderseitigem Sichkennenlernen gegeben. In der Zukunft kann sich vielleicht Gelegenheit geben, daran anzuknüpfen.

2

Wilhelm hatte dem RK bereits früher den Bericht eines ungenannten Münchener Verbindungsmannes zur NSDAP vom 13.12.1932 abschriftlich mitgeteilt. Darin berichtete dieser aufgrund persönlicher Kontakte über „die Lage in bezug auf Gregor Straßer“; gleichzeitig entwickelte er ein Konzept, wie v. Schleicher sich durch Einbeziehung Straßers in das RKab. politisch absichern und nach Erklärung „einer Art von staatlichem Notstand“, durch den Parteien und Bünde vorübergehend ausgeschaltet würden, „ersprießlich“ weiterarbeiten könnte (Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 10 f.). Es liegt nahe anzunehmen, daß auch dieser Brief von dem Leiter des NSDAP-Wehramtes im Braunen Haus v. Hörauf stammt und die o. a. Unterredung ein Ergebnis der zurückliegenden Berichterstattung ist. Der Brief ist gleichfalls abgedruckt bei Volker Hentschel: A.a.O., S. 150 f.

Des weiteren aber darf ich mir erlauben, Euer Kaiserlichen Hoheit die gegenwärtige Lage in der NSDAP zu schildern, so wie wenigstens ich sie ansehe. Den Bruch zwischen Hitler und Straßer halte ich für irreparabel. In seine frühere Stellung zurückkehren – selbst wenn Hitler daran dächte, alle getroffenen Maßnahmen wieder rückgängig zu machen3, würde Str. nur, wenn die von ihm gestellten Forderungen erfüllt würden, was von Hitler eine vollkommene Umstellung verlangen hieße, und daran ist wohl nicht zu denken. Andererseits wird H. wohl kaum die Sache bis zum Äußersten, d. h. bis zum Ausschluß Str.’s, treiben. Daran dürfte auch weder von Str.’s Standpunkt aus noch[155] vom sachlichen ein Interesse bestehen. Denn ein aus der Partei ausgeschlossener Straßer ist sicher für die Zukunft ungünstiger wie ein in der Partei, wenn auch augenblicklich im Hintergrund stehender.

3

Im Verlauf der sog. Dezemberkrise der NSDAP hatte Gregor Straßer am 8. 12. seine Parteiämter niedergelegt und war nach Italien abgereist. Hitler war es in zwei Reden am Abend des 9. 12. gelungen, große Teile der Parteifunktionäre und Abgeordneten seiner Partei, darunter auch viele Anhänger Straßers, die sich im Stich gelassen fühlten, zu Treuekundgebungen für sich zu veranlassen. Die äußere Bewältigung der Parteikrise vollzog Hitler durch die Übernahme der bisher von Straßer geleiteten Parteiorganisation und den Erlaß weiterer Richtlinien „zur Herstellung einer erhöhten Schlagkraft der Bewegung“ (NS 22/110 und 356 sowie NS 51/14. – Zum Gesamtzusammenhang vgl. Udo Kissenkoetter: Gregor Straßer und die NSDAP. S. 171 ff.

H. verkennt, soweit meine Kenntnis reicht, wieder einmal die Lage, diesmal die in seiner Partei, völlig. Er hält den Fall Straßer für abgeschlossen, sieht in dem Rücktritt Straßers sogar „eine Stärkung der Partei“, weil sie an Einheitlichkeit gewonnen habe, und fühlt sich persönlich dadurch, wie er sagte, „wie von einem Albdruck befreit“. Tatsächlich hat ihm aber die Sache ungeheuer geschadet und ist keineswegs schon abgeschlossen. Die Zahl der Menschen innerhalb der Partei, in deren Augen Straßer sozusagen der Repräsentant der Vernunft in der Parteileitung war, ist sehr groß. Die Treuekundgebungen der letzten Wochen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch in der Führerschaft Straßer eine große Anhängerschaft hat4. Sie waren bestellte Arbeit, durch die sich niemand, außer H. selbst, etwas vormachen läßt.

4

Anstreichung am Rand, wahrscheinlich von der Hand v. Schleichers.

Nach meiner Vorstellung sieht sich die Lage vom Standpunkt der Regierung aus folgendermaßen an: Die Regierung muß ein Interesse an dem Weiterbestand der NSDAP haben, sowohl der zahlreichen in ihr vorhandenen wertvollen Kräfte wegen als auch weil sie tatsächlich verstanden hat, erhebliche Teile der Arbeiterschaft wieder ins nationale Lager zurückzuführen5, die bei einem Zerfall der Partei zum Teil wohl wieder nach links abmarschieren würden. Aber nur an einer geschlossenen und vernünftig geführten Partei. Es kann ihr nicht mit einem Auseinanderfallen der Partei – hie Hitler, hie Straßer – gedient sein, ebensowenig kann sie mit der sturen Ausschließlichkeit Hitlers etwas anfangen, in der er durch den Kreis GoebbelsGöringRöhm festgehalten und bestärkt wird. Ich sehe keinen Weg, wie von innen, d. h. aus der Partei heraus, die vernünftige durch Straßer verkörperte Richtung zu maßgebendem Einfluß gebracht werden könnte. Straßer muß vorerst passiv bleiben; ein Kampf seinerseits um die Macht würde höchstens zu einem Zerschlagen der Partei, zu einem Auseinanderfallen in 2 Lager führen, wobei das Hitlerlager sicher das stärkere bliebe, weniger vielleicht seines persönlichen Nimbus’ wegen als weil er über den Parteiapparat verfügt, von dem Viele mit ihrer Existenz abhängen.

5

Wie Anm. 4.

Ich könnte mir nur einen Weg denken, um die Kräfte in der NSDAP positiv nutzbar zu machen, über dessen Durchführbarkeit mir allerdings jedes Urteil fehlt: Ein sehr großer Teil der Parteimitglieder, besonders der jüngeren, hat das ewige Beiseitestehen, bloß Negieren und auf den Tag warten, der Hitler an die Macht bringt, bis zum Hals hinauf satt6. Sie wollen in den Staat hinein und wollen sehen, vielleicht weniger sogar, daß ihnen sofort geholfen wird, als daß man an das Helfen, an die Durchführung der nat.soz. Gedanken überhaupt herangeht, was in der reinen Opposition natürlich nicht möglich ist. Wenn es möglich wäre, Straßer, den ich für einen wirklich außerordentlich fähigen,[156] organisatorisch begabten und ungeheuer energischen Mann halte, an einen verantwortlichen Regierungsposten zu bringen, wo er zeigen kann, daß er etwas leistet, so wird er meines Erachtens zwangsläufig die Partei, ob mit oder ohne Hitler, hinter sich bringen. Und nur unter Straßers Führung wird auch das von Euer Kaiserlichen Hoheit angestrebte Zusammengehen der NSDAP mit den übrigen nationalen Kräften möglich sein. Ob Hitler dann zur Vernunft kommt, muß dahingestellt bleiben. Der oben in seinen wesentlichsten Exponenten skizzierte Kreis muß natürlich kaltgestellt werden.

6

Wie Anm. 4.

Vielleicht kann dieser Gedanken, der der Sorge darüber, wie der verfahrene Karren wieder ins Geleise gebracht werden kann, entsprungen ist, als Anregung irgendwie verwertet werden. Wir haben uns gestern darüber in engerem Kreise, in dem auch Oswald Spengler anwesend war, des längeren unterhalten. Natürlich stelle ich Eurer Kaiserlichen Hoheit anheim, diesen Brief, falls es Kaiserliche Hoheit für nützlich halten, dem Reichskanzler zur Kenntnis zu bringen.7

7

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 54 und 56, Anm. 13.

Mit dem Ausdruck treuester Ergebenheit

bin ich Euer Kaiserlicher Hoheit

untertänigster

gez. von Hörauf

Generalmajor a.D.

Darf ich diesem rein politischen Brief noch meine untertänigsten und aufrichtigsten Wünsche für frohe Festtage anfügen?

Extras (Fußzeile):