1.37 (wir2p): Nr. 272 Der Reichsminister der Finanzen an die Reichsregierung. Paris, 15. Mai 1922

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Nr. 272
Der Reichsminister der Finanzen an die Reichsregierung1. Paris, 15. Mai 1922

1

Der Bericht ist gerichtet an den RPräs., RK, VK, RAM und an das AA, RMin.Wiederaufbau, RWiMin. und RFMin.

R 43 I /28 , Bl. 264-269 Durchschrift2

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Mit eigenhändiger Unterschrift.

[Betrifft: Verhandlungen mit Mitgliedern der Reparationskommission]

Über den bisherigen Verlauf meiner Reise nach Paris zwecks Fühlungnahme mit den Mitgliedern der Reparationskommission beehre ich mich folgendes mitzuteilen:

Nach der Ankunft am Sonnabend den 13. Mai habe ich mich am Nachmittag nach vorgängigem Benehmen mit Staatssekretär Fischer und dem Herrn Botschafter zu dem Vorsitzenden der Reparationskommission, Herrn Dubois, begeben, um demselben einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Ich wurde von ihm in Gegenwart des zweiten französischen Delegierten, Herrn Mauclère, empfangen und gab zu Beginn des Gespräches meiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß mir die Möglichkeit gegeben sei, mich mit den Mitgliedern der Reparationskommission über die schwebenden Fragen eingehend zu unterhalten. Ich sei mit konkreten Unterlagen gekommen und hoffe, daß es in den Besprechungen mit den Mitgliedern der Reparationskommission gelingen werde, entstandene Schwierigkeiten zu beseitigen und auf der Bahn zur befriedigenden Regelung der schwebenden Fragen ein Stück vorwärts zu kommen3. Herr Dubois erwiderte, er sei damit einverstanden, daß Einzelverhandlungen mit den Mitgliedern der Reparationskommission erfolgen. Je nach dem Verlauf könnten demnächst auch Besprechungen zu mehreren stattfinden. Er meinte dann weiter, die Deutsche Regierung hätte allen Anlaß, die Bereitwilligkeit der Reparationskommission zu mündlichen Besprechungen anzuerkennen, da die[783] Reparationskommission sehr erregt darüber sei, daß die Deutsche Regierung keine genügende Rücksicht auf sie genommen habe, und sich nicht geneigt gezeigt habe, ihren Verpflichtungen voll nachzukommen. Sie werde darauf bestehen, daß für die kommenden Verhandlungen die Note vom 21. März als Grundlage genommen werde4. Ich habe darauf erwidert, ich wolle nicht auf der Vergangenheit insistieren, müsse aber der Auffassung widersprechen, daß die Deutsche Regierung keine genügende Rücksicht auf die Reparationskommission genommen habe und sich ihren Verpflichtungen habe entziehen wollen. Es sei vielmehr stets das Bestreben der Deutschen Regierung gewesen, ihren Verpflichtungen bis zur äußersten Grenze des Möglichen nachzukommen, und ich sei hierhergekommen nach dem festen Willen der Reichsregierung, auch in den Pariser Verhandlungen ihrerseits nichts unversucht zu lassen, um zu einem Ausgleich zu gelangen. Im übrigen sei auch ich der Ansicht, daß bei den kommenden Besprechungen die Note der Reparationskommission vom 21. März die Grundlage bilden müsse, und ich mache den Vorschlag, daß zu den wichtigsten Punkten der Note von mir kurze konkrete Exposés vorgelegt würden, um als Grundlage für die mündliche Einzelaussprache genommen zu werden. Herr Dubois stimmte dem Vorschlag zu, sprach aber den Wunsch aus, daß meine Darlegungen zunächst schriftlich an ihn gelangten. Entgegen diesem Wunsche hielt ich es für wichtig, die fraglichen Darlegungen selbst zu übergeben. Dubois war dann auch damit einverstanden, und wurde die erste Zusammenkunft auf heute, Montag, festgesetzt.

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Zu den Noten vom 21.3.1922 siehe Dok. Nr. 229, Anm. 2.

4

Zu den Spannungen zwischen dt. Reg. und Repko siehe Dok. Nr. 262 Anm. 1.

Der Verlauf dieser Unterhaltung hat meine Auffassung bestätigt, daß bei den weiteren Verhandlungen nicht geringe Schwierigkeiten zu überwinden sein werden, und daß in einer eingehenden sachlichen Erörterung zu versuchen sein wird, die Gegenseite durch Darbietung eingehenden Materials von eingewurzelten irrigen Meinungen abzubringen und von der Richtigkeit des deutschen Standpunkts zu überzeugen. Ich habe daher im Anschluß an den Besuch bei Dubois das gesamte für die Verhandlungen bereitgestellte Material mit den mich begleitenden Beamten und den Beamten der Kriegslastenkommission einer eingehenden Prüfung unterzogen und folgenden Plan festgestellt. Der gesamte Stoff wird in der Weise verarbeitet, daß kurzgefaßte Exposés zu den Fragen, über welche verhandelt werden soll, in der Reihenfolge, in welcher sie voraussichtlich zur Besprechung gelangen, bereitgestellt werden, damit sie bei den Besprechungen mit den Mitgliedern der Reparationskommission übergeben werden können. Auf diese Weise wird der Gegenseite die Möglichkeit geboten, meine Darlegungen eingehend zu erwägen und gegebenenfalls auch gemeinsam zu erörtern. Hierdurch wird auch die Gefahr von Mißverständnissen vermindert und die Möglichkeit einer Verständigung erhöht. Sorgfältig überprüfte Übersetzungen werden den Ausarbeitungen beigefügt werden. Im Hinblick auf die für heute festgesetzte Besprechung mit Herrn Dubois wurden in dieser Weise Ausarbeitungen bereitgestellt über die Ausführung der in der Note vom 28. Januar zugesagten Maßnahmen, über den Reichshaushalt und die Deckung[784] der Ausgaben der allgemeinen Reichsverwaltung wie der zur Ausführung des Friedensvertrags und schließlich eine solche über die Zwangsanleihe. Abschriften füge ich bei mit der Bitte, jedenfalls nichts davon an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen5.

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Als Memorandum 1, 2 und 3 in R 43 I /28 , Bl. 355-370; mit Abwandlungen als Anlage zur Note der dt. Reg. vom 28.5.22 der Repko überreicht (RT-Drucks. Nr. 4484 , S. 11 f., Bd. 374).

Am heutigen Vormittag habe ich die Herren Bradbury, Delacroix und Bemelmans, Salvago Raggi sowie Herrn Boyden besucht. Aus den Unterhaltungen mit diesen erwähne ich folgendes: Bradbury war in der Form recht entgegenkommend. Er ließ aber keinen Zweifel darüber, daß Deutschland Maßnahmen zur Einschränkung der schwebenden Schuld treffen müsse. Er sei bereit, auf eine befriedigende Lösung der schwebenden Fragen hinzuwirken. Voraussetzung sei aber, daß der durch die deutsche Note vom 9. Mai6 in Aussicht gestellte eingehende Plan Vorkehrungen dagegen vorsehe, daß die schwebende Schuld nicht weiter anschwelle. Es wird nicht ganz leicht sein, diese anscheinend stark theoretisch veranlagte Persönlichkeit von der Irrigkeit ihrer finanzpolitischen Auffassungen zu überzeugen. – Delacroix war über meine Mitteilung im Sinne des Kabinettsbeschlusses vom 11. laufenden Monats7 sichtlich erfreut. Im übrigen bezogen sich seine Ausführungen vorwiegend auf die Aussichten einer äußeren Anleihe. Ein Punkt, welcher ihn wegen des bevorstehenden Zusammentritts des Anleiheausschusses der Reparationskommission vor allem beschäftigte. – Raggi und Boyden zeigten sich durchaus entgegenkommend.

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Zur Note vom 9. Mai siehe Dok. Nr. 263 Anm. 2.

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Siehe Dok. Nr. 269, P. 5.

Bei meinem Besuche bei Herrn Dubois am heutigen Nachmittage habe ich die obenerwähnten, hier beigefügten drei Exposés übergeben. Ich habe mich dahin ausgesprochen, daß Herr Dubois wegen der detaillierten Ausführungen wohl den Wunsch haben werde, die Schriftstücke zunächst zu studieren. Ich habe alsdann den Inhalt in großen Zügen erläutert und darauf hingewiesen, daß die Note vom 21. März als Grundlage genommen worden sei. Über das Exposé Nr. II (Haushalt) entspann sich eine Aussprache. Dubois betonte das Prinzip, daß Deutschland alle Anstrengungen machen müsse, sein Budget zu ordnen und das Ziel verfolgen müsse, die Ausgaben aus dem Friedensvertrag in den ordentlichen Haushalt zu übernehmen. Mauclère unterstützt diese Auffassung und wies darauf hin, daß der deutsche Plan sich nur auf 1922 beziehe. Eine äußere Anleihe könne aber nur dann in Betracht kommen, wenn Deutschland sein gesamtes Budget geordnet habe, da erst auf diese Weise das Vertrauen in seine Kreditwürdigkeit wieder gewonnen werde. Er machte ferner geltend, daß die Zwangsanleihe nur im Jahre 1922 einen Ertrag liefere, und daß daher auch die Frage zu diskutieren sei, wie nach 1922 das Budget ins Gleichgewicht zu bringen sei. Demgegenüber habe ich darauf hingewiesen, daß zwar das Prinzip von uns anerkannt werde, allmählich zu einer solchen Ordnung unseres inneren Budgets zu kommen, daß es aber für Deutschland unmöglich[785] sei, die Deckung aller Ausgaben einschließlich derjenigen für die Ausführung des Friedensvertrags aus eigenen Einnahmen sicherzustellen. Man könne nicht so prozedieren, daß man zunächst die Ordnung des inneren Haushalts erreichen wolle als Voraussetzung für die äußere Anleihe, sondern man müsse die in Exposé III unterschiedenen 3 Teile des deutschen Budgets (Allgemeines Budget, Budget der Betriebsverwaltungen und Friedensvertragshaushalt) als eine Einheit auffassen, und es müsse schon heute erklärt werden, daß wir wohl in der Lage seien, einen Teil der Kosten des Friedensvertrags aus eigenen Mitteln zu decken, wie sich dies aus unserem Exposé Nr. II im einzelnen ergebe, daß es aber ohne äußere Anleihe unmöglich sei, zu einer Gesamtordnung unseres Budgets zu kommen.

Beide Herren haben dieser Auffassung nicht widersprochen. Es wurde dann noch kurz auf das Exposé Nr. III betreffend Zwangsanleihe verwiesen und eine weitere Besprechung für Mittwoch [17.5.1922] in Aussicht genommen, da morgen, Dienstag, die Reparationskommission eine Sitzung abhält.

Hermes

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