2.24.1 (feh1p): [Kohlelieferungen an die Alliierten]

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[Kohlelieferungen an die Alliierten]

Minister Simons macht Mitteilungen über seine Unterredung mit Lloyd George, derzufolge die Alliierten beabsichtigen, uns morgen die Lieferung von zwei Millionen Tonnen zu diktieren und, falls die Annahme nicht vollzogen wird, sofort das Ruhrgebiet zu besetzen2.

[64] Die Herren Stinnes, Hilger, Lübsen, Wiedfeldt und Urbig halten es für ausgeschlossen, daß wir mehr liefern als die den Alliierten zugesagten 1 100 000 Tonnen mit den in Aussicht genommenen Steigerungen3.

Herr Stinnes insbesondere hält es für ausgeschlossen nachzugeben. Die deutsche Industrie käme zum Erliegen. Ein nochmaliges Nachgeben würde dazu führen, daß die Deutsche Regierung in keiner Angelegenheit mehr ihren Standpunkt wahren könne.

Herr Simons legt eingehend seinen Standpunkt dar. Entscheidend sei die Stellung der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ohne ihre Zustimmung sei keine Möglichkeit, die Verpflichtung zur Lieferung von zwei Millionen Tonnen zu erfüllen. Als ehrliche Geschäftsleute könnten wir aber nur übernehmen, was wir auszuführen in der Lage seien. Wenn man jetzt der neuen Drohung noch einmal auswiche, so würden uns doch fortgesetzt die Daumenschrauben angesetzt werden, dabei käme man schließlich moralisch als Regierung und Volk völlig zurück. Wir müßten für die Idee der gemeinschaftlichen Wirtschaftsführung durch Arbeiter und Arbeitgeber uns entscheidend einsetzen und den englischen Kapitalismus ebenso ablehnen wie den russischen Bolschewismus. Niemand würde verstehen, daß wir wieder nachgäben, nachdem wir vorher volltönend die Mehrlieferung für unmöglich erklärt hätten. Die Konsequenzen der Besetzung müßten gezogen werden; denn darüber sei kein Zweifel, daß die Alliierten es ernst meinten.

Herr Scholz wirft die Frage auf, ob man nicht eine Frist erbitten müßte, schon um den Reichstag fragen zu können.

Herr Simons behält sich die Prüfung dieser Frage vor, ist aber im Prinzip der Ansicht, daß der Reichstag nicht mehr nötig sei, weil es sich um die Ausführbarkeit einer vom Reichstag genehmigten Vertragsbestimmung handle.

Dernburg empfiehlt Unterwerfung wegen der Konsequenzen: das Ruhrgebiet würde nicht so sehr leiden, wohl aber der Rest des Volks, das zum Verhungern verurteilt würde; auch führe die Besetzung des Ruhrgebiets zur Separation Süddeutschlands, da die Ruhrkohle das letzte Band zwischen Nord- und Süddeutschland bilde.

Im gleichen Sinne äußert sich Bonn, der darauf hinweist, daß man mit Festbleiben nur die Geschäfte der französischen Militaristen betreibe.

Herr Simons weist darauf hin, daß uns Süddeutschland wohl auch verlorenginge, wenn wir es infolge der Mehrlieferung an die Entente nicht mehr mit Kohle beliefern könnten.

Herr Rathenau schlägt vor, die zwei Millionen Tonnen anzubieten, wenn[65] man uns die Verteilung der oberschlesischen Kohle frei ließe4. Seine Frage, ob die Franzosen imstande seien, die zwei Millionen Tonnen, die sie haben wollten, herauszuwirtschaften, wird bejaht mit der Einschränkung, daß der Abtransport von mehr als 1,5 Millionen Tonnen schwierig sei.

Herr Simons weist darauf hin, daß die Fragestellung dahin zu klären sei, daß es sich frage, ob wir die Verantwortung für all die Konsequenzen, die sich aus der Lieferung von zwei Millionen Tonnen an die Alliierten ergeben, gegenüber dem Volk übernehmen könnten oder ob wir nicht vielmehr die Verantwortung den Gegnern überlassen müßten.

Herr v. Stauß regt an, amerikanische Kohle zu kaufen.

Herr Melchior ist für Nachgeben. Auch die Gewaltandrohung bedeute schon brutalen Zwang und stelle die Situation und die Verantwortung gegenüber dem deutschen Volke und der Welt dar. Die physische Ausführung der Zwangsandrohung sei dann nicht mehr erforderlich. Die deutsche Delegation sei berechtigt nachzugeben.

Herr Stinnes weist nochmals darauf hin, daß man zwar die Kohle physikalisch liefern könne, nicht aber finanziell und wirtschaftlich. Man müsse endlich heraus aus den gegenwärtigen Verhältnissen durch den Zwang der Besetzung, die Schraube ohne Ende müsse aufhören.

Der Reichskanzler schließt die Sitzung mit dem Bemerken, daß das Kabinett nunmehr Stellung nehmen wolle5.

Fußnoten

2

Die Verhandlungen der Konferenz von Spa über die Kohlenfrage hatten am 9.7.1920 begonnen; eine Einigung hatte bisher jedoch noch nicht erzielt werden können. In der Sitzung vom 12. 7. hatte der belg. MinPräs. Delacroix schließlich im Auftrage der Alliierten die Erklärung abgegeben, daß sie die von der Repko festgesetzten Kohlenlieferungen in Höhe von monatlich 2,4 Mio t vorläufig für die nächsten sechs Monate auf 2 Mio t zu ermäßigen bereit seien. Simons hatte sich mit der Periode von sechs Monaten grundsätzlich einverstanden erklärt, hatte aber eine Lieferung von monatlich 2 Mio t nach Beratung mit den dt. Kohlesachverständigen als unmöglich bezeichnet (RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363, S. 16 ; DBFP, 1st Series, Vol. VIII, p. 573 f.).

In einer dt.-all. Sitzung der Kohlensachverständigen vom 13. 7. hatten die dt. Vertreter Stinnes und Lübsen darauf inoffiziell einen neuen dt. Vorschlag gemacht. Danach sollten von dt. Seite monatlich 1,1 Mio t Kohle an die Alliierten geliefert werden; bei einer Besserung der Wohn- und Ernährungslage der dt. Bergarbeiter sollten die Lieferungen weiter erhöht werden (RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363 , Anlage 16; DBFP, 1st Series. Vol. VIII, p. 590 f.). Dieser Vorschlag der dt. Seite war auf der Konferenzsitzung vom 13. 7. jedoch von den Alliierten abgelehnt worden (DBFP, 1st Series, Vol. VIII, p. 594 f.). Die Konferenz drohte zu scheitern.

Am 14. 7. hatte sich W. Rathenau um eine Vermittlung bemüht. In seinem „Tagebuch“ schreibt er darüber: „Nach Überreichung des alliierten Vorschlages waren die Verhandlungen, wenn ich nicht irre, Mittwoch [14. 7.] ziemlich vollständig ins Stocken geraten. Ich ging deshalb auf eigene Faust zu Malcolm und vereinbarte mit ihm, daß eine Begegnung Simons-Lloyd George bzw. Millerand stattfinden sollte.“ (W. Rathenau, Tagebuch 1907–1922, hrsg. von H. Pogge – v. Strandmann, S. 236/37). Es kam zu einer Unterredung Simons-Lloyd George. Während der Unterredung hatte Lloyd George Simons u. a. erklärt, „that it was right that he should inform Dr. von Simons at once that the Allies intended to occupy the Ruhr if the German Government did not accept their proposals. They had already sent for Marshal Foch and Field Marshal Wilson to concert the details.“ (DBFP, 1st Series, Vol. VIII, p. 617 f.; s. auch Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 63).

3

Siehe o. Anm. 2. Als Steigerungen waren ab 1.10.1920 und 1.10.1921 je 300 000 t monatlich vorgesehen.

4

Im Februar 1920 war entschieden worden, daß aus der Kohlenförderung Oberschlesiens monatlich 200 000 t an Österreich, 250 000 t an Polen und 20 000, später 40 000 t an Italien geliefert werden sollten. Dtld. sollte aus Oberschlesien nur die Kohlenmenge erhalten, die nach dem Eigenverbrauch Oberschlesiens noch übrigblieb.

Mit einer Note vom 29.5.1920 hatte die Repko das poln. Kontingent erhöht. Statt bisher 250 000 t monatlich sollte Polen fortan 450 000 t erhalten. Damit war der dt. Anteil an der oberschlesischen Kohle noch weiter gesunken (C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 47 u. 49).

Die dt. Seite hatte daraufhin ihrerseits die Monatslieferungen an die Alliierten um 200 000 t Kohle gekürzt. Siehe dazu den Band „Das Kabinett Müller I“ dieser Edition, Dok. Nr. 139.

5

Siehe dazu Dok. Nr. 25.

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