2.96 (ma31p): Nr. 96 Aufzeichnung des Regierungsrats Planck über die Rekrutierung der Reichswehr. 23. Oktober 1926

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Nr. 96
Aufzeichnung des Regierungsrats Planck über die Rekrutierung der Reichswehr. 23. Oktober 1926

R 43 I /686 , Bl. 60–61

Betrifft: Rekrutierung der Reichswehr1.

Herrn Reichskanzler gehorsamst durch Herrn Staatssekretär.

Die zur Zeit gehandhabte Übung bei Einstellung von Freiwilligen in die Reichswehr ist folgende:

[267] Die Auswahl der Persönlichkeiten liegt völlig in den Händen der Kompagnie- bzw. Eskadronchefs. Sie werden für den Geist ihrer Truppe verantwortlich gemacht, werden dienstlich danach beurteilt und haben daher bei der Auswahl ihrer Leute Vorsorge zu tragen, daß sie nur einwandfreie Persönlichkeiten einstellen. Für die Auswahl sind die maßgeblichen Vorschriften zunächst in den Heeresergänzungsbestimmungen vom 4. Juni 19212 gegeben. Die Kompagniechefs haben die Berechtigung (§ 2 und § 8), mit nichtpolitischen Vereinen, Arbeitsnachweisen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen, um Erkundigungen einzuziehen, in Verbindung zu treten und die Behörden über sittliche Eignung zu befragen. In erster Linie sollen sie (§ 2) persönliche Beziehungen bei der Werbung und Einstellung ausnutzen. Aus der Bestimmung, daß nur nichtpolitische Vereine befragt werden dürfen, ergibt sich, daß Verbände wie Stahlhelm, Werwolf, die der Herr Reichstagspräsident Löbe erwähnt3, andererseits ebenso das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, grundsätzlich von der Befragung bei der Anwerbung ausgeschaltet sind. Maßgeblich für die Entscheidung, ob politischer oder nichtpolitischer Verein, ist die Liste der „politischen Vereine“ des Reichsministers des Innern4. In ihr sind sämtliche sogen. „Verbände“ als „politisch“ bezeichnet.

Im Frühjahr d. Js. wurde vor dem Reichstag ein Fall behandelt, der hier als Beispiel dienen kann: Ein Kompagniechef hatte wegen Einstellung eines Freiwilligen den Oberst a. D. von Luck befragt, der Mitglied des Sportvereins Olympia war. Dieser Verein ist auf der Liste des Reichsministers des Innern als politisch bezeichnet. Der Kompagniechef wurde infolgedessen von der vorgesetzten Stelle gerügt und eine entsprechende Erklärung im Reichstag abgegeben5.

Das Reichswehrministerium hat schwere Bedenken dagegen, die Freiwilligengestellung, wie es der Herr Reichspräsident Löbe vorschlägt, zu zentralisieren. Es würde damit dem Kompagniechef die Verantwortlichkeit für den Geist seiner Leute genommen werden. Er würde sich bei unliebsamen Vorfällen stets damit verteidigen können, daß er für Mannschaften, die ihm ohne seine Wahl zugewiesen seien, nicht verantwortlich gemacht werden könne. Diese Verantwortlichkeit des Kompagniechefs ist daher sowohl in den Heeresergänzungsbestimmungen vom 4. Juni 1921 wie in einem weiteren Befehl vom 7. September 19266 besonders herausgearbeitet worden.

[268] Die Einflußnahme von parlamentarischen Kommissaren auf die Werbetätigkeit, wie sie der Herr Reichstagspräsident Löbe vorschlägt, dürfte m. E. einen Wettstreit der Parteien um die Quote zur Folge haben, die sie zur Reichswehr stellen können, und würde damit die Heeresergänzung, die nur nach den Bedingungen der beruflichen Tüchtigkeit erfolgen sollte, mit der Politik der Parteien verbinden.

Ein warnendes Beispiel ist auf diesem Gebiet die österreichische Wehrmacht. Sie ist nach der Revolution nach rein parteipolitischen Grundsätzen in der überwiegenden Mehrzahl aus Angehörigen der sozialistischen Partei aufgebaut worden. Das Offizierkorps dagegen setzt sich zum größeren Teil aus früheren Berufsoffizieren zusammen, abgesehen von einigen subalternen und wenigen höheren Offizieren, die auch der sozialistischen Partei angehören. Es ergab sich daraus eine gefährliche Kluft zwischen Offizierkorps und Mannschaft, die zu geringer Brauchbarkeit dieser Truppe geführt hat. Als beispielsweise österreichisches Militär zur Niederwerfung des von Ungarn angestifteten Aufstandes im Burgenland eingesetzt werden sollte, weigerte sich die Truppe, von Wien abzumarschieren, meuterte und fing an, in Wien zu plündern. In das Burgenland mußten Gendarmerie und Angehörige politischer Verbände als Ersatz für das Militär geschickt werden, zum großen Leidwesen der Österreichischen Regierung. Zur Zeit ist der der Christlichsozialen Partei angehörige Kriegsminister Vaugoin im Auftrage seiner Regierung bemüht, neben der noch immer überwiegenden sozialdemokratischen Quote die christlichsoziale Quote etwas zu verstärken, bislang mit sehr wenig Erfolg. An eine Entpolitisierung der Truppe kann noch gar nicht gedacht werden. Infolge der geringen Wertschätzung, die die österreichische Wehrmacht seitens der Österreichischen Regierung genießt, ist die vom Friedensvertrage der österreichischen Armee zugestandene Stärkezahl bei weitem nicht ausgenutzt. Gerade die österreichische Wehrmacht ist aber vom Herrn Reichstagspräsidenten und den Anhängern seiner Ideen über Reichswehrrekrutierung häufig als Vorbild für Deutschland hingestellt worden.

Die sachlichen Ausführungen in dem Artikel der Breslauer Volkswacht vom 21. Oktober, insbesondere die Behauptung, daß Stahlhelm, Werwolf und ähnliche Verbände heute die entscheidenden Stellen für die Rekrutierung der Reichswehr seien, könnten durch die Schilderung der anfangs dargestellten tatsächlichen Verhältnisse unschwer widerlegt werden7. Dem entspricht, daß der Herr Reichswehrminister und die maßgeblichen leitenden Offiziere des Reichswehrministeriums eine den Verbänden durchaus feindliche Stellung einnehmen[269] und ihr Verbot, sei es aus außen-, sei es aus innenpolitischen Gründen, sehr begrüßen würden.

Pl[anck] 23. 10.

Fußnoten

1

Diese Aufzeichnung war durch einen Artikel über „Heeresersatz der Reichswehr“ veranlaßt, den RTPräs. Löbe in der „Breslauer Volkswacht“ vom 21.10.26 veröffentlicht hatte. Es heißt darin u. a.: „Stahlhelm, Werwolf und ähnliche Verbände sind heute die entscheidenden Stellen, die über den Heeresersatz verfügen, dessen Anstellung nach § 2 der Heeresergänzungsbestimmungen vom 4. Juni 1921 in die Hand der Kompagnieusw. Chefs gelegt wurde, da diese besonders in der Lage sind, persönliche Beziehungen auszunutzen und unmittelbares Interesse an der Güte des Heeresersatzes haben. Dieser Zustand ist unhaltbar, wenn sich die Republik nicht von ihrer eigenen Reichswehr auf der Nase herumtanzen lassen will. Abhilfe ist sehr leicht durch ein paar gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, die denen des österreichischen Bundesheeres nachgebildet sein können:

§ 1. Die Anstellung erfolgt in der Reihenfolge der Anmeldungen, sobald die körperliche Tauglichkeit vorliegt und die sonstigen Vorbedingungen erfüllt sind. Aus anderen Gründen kann kein Bewerber zurückgewiesen werden.

§ 2. Die Ausführung dieser Bestimmung wird an jeder Werbestelle durch zwei zivile Parlamentskommissare überwacht. Zu diesem Zwecke sind die Werbestellen auf zwei oder drei im Reiche zusammenzuziehen.

Bei der Ergänzung einer Reichswehr von 100 000 Mann sind mehrere solcher Stellen nicht nötig. Wünschenswert wäre außerdem, daß diese Kommissare, wie in Österreich, Beschwerdestellen für den Soldaten auch während seiner Dienstzeit bleiben, die unter Umgehung des Dienstweges angerufen werden können. Die Zahl der Soldatenselbstmorde im Heere und die Rückkehr zum Kadavergehorsam des alten Systems macht eine solche Korrektur der unumschränkten Vorgesetztengewalt außerordentlich nötig und wird den Geist der Truppe heben, sofern man darunter nicht nur Unterwürfigkeit, sondern männliche Festigkeit und persönlichen Stolz jedes einzelnen versteht. Das Hauptgewicht ist aber zunächst auf die beiden ersten Punkte zu lenken, die den Heeresersatz der alleinigen Entscheidung der Offiziere und ihrer nationalistischen Hintermänner entzieht. Meines Erachtens muß der erste Vorstoß in dieser Richtung durch einen Antrag der republikanischen Parteien schon bei der bevorstehenden Beratung des Reichswehretats erfolgen, und es darf nicht eher geruht werden, als bis er in irgendeiner Form seine gesetzliche Festlegung findet.“ (Zit. nach „Berliner Tageblatt“ vom 21. 10., Ausschnitt in Anlage zur oben abgedr. Aufzeichnung, R 43 I /686 , Bl. 64). Vgl. auch die Ausführungen Löbes zur Frage des Heeresersatzes in der Sitzung des RT vom 10.11.26 (RT-Bd. 391, S. 8027  f.).

2

Auszugsweise Wiedergabe der Heeresergänzungsbestimmungen vom 4.6.21 in R 43 I /1498 , Bl. 202–207.

3

Siehe Anm. 1.

4

Eine Liste der „Vereine, die bisher ausdrücklich als politisch im Sinne § 36 W. G. [Wehrgesetz vom 23.3.21, RGBl. S. 329 ] bezeichnet worden sind“, befindet sich in der Anlage zu einer Verfügung des RWeM vom 20.4.25 (R 43 I /685 , Bl. 347–353); Neufassung der Liste in der Anlage zur Verfügung des RWeM vom 28.4.27 (R 43 I /686 , Bl. 257–260).

5

Siehe die Erklärung des RIM Külz in der Sitzung des RT vom 19.5.26 (RT-Bd. 390, S. 7326 ).

6

Die Weisung des RWeMin. an die Gruppenkommandos und Divisionen vom 7.9.26 betr. Heeresergänzung lautet: „Gegenüber den in der Öffentlichkeit aufgetretenen Bestrebungen, die Heeresergänzung zu zentralisieren, legt der Herr Chef der Heeresleitung [Seeckt] Wert darauf, daß entsprechend den Heeresergänzungsbestimmungen vom 4. Juni 1921 die Truppenteile und vor allem die Kompagnieusw. Chefs Träger des Ersatzgeschäftes bleiben. Das Einholen der notwendigen Erkundigungen bei Behörden und daneben auch bei nicht- politischen Vereinen und solchen Persönlichkeiten, deren Einstellung zum Staate keinem Zweifel unterliegt, ist ihre Sache.“ (R 43 I /686 , Bl. 63).

7

Mit Schreiben vom 12.3.27 übersandte der RWeM (i. A. Schleicher) dem StSRkei u. a. Materialien zum Ersatzwesen des Reichsheeres, darunter eine Aufzeichnung, die sich eingehend mit der Kritik an der Praxis der Reichswehrrekrutierung auseinandersetzt (R 43 I /1498 , Bl. 176–219). Einige Stellungnahmen von Reichswehrkommandeuren zur Frage des Heeresersatzes und zu den Reformvorschlägen Löbes sind wiedergegeben bei: Carsten, Reichswehr und Politik, S. 279 ff.; Schüddekopf, Das Heer und die Republik, S. 218 ff.

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