1.71.1 (ma32p): Anleihe- und Preispolitik.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 32). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

Extras:

 

Text

RTF

Anleihe- und Preispolitik.

Der Reichskanzler führte aus, daß der Brief des Reichsbankpräsidenten vom 15. August2 zur Reichskanzlei gekommen sei, als nahezu sämtliche Minister[974] auf Urlaub gewesen seien. Die Reichskanzlei habe mit dem Reichsbankpräsidenten wegen des Schreibens sofort Fühlung genommen und habe schriftlich darauf hingewiesen, daß die Besprechung der Anregungen erst im September möglich sein werde.

Soweit aus dem Schreiben ein Vorwurf gegen die Reichsregierung herausklinge, müsse ihm widersprochen werden. Die Reichsregierung sei mit dem Reichsbankpräsidenten in den 3 Forderungen einig gegangen. Die Meinungsverschiedenheiten wegen der Anlegung öffentlicher Gelder seien durch Besprechungen geklärt.

Der Reichsbankpräsident gab zu, daß in dieser Richtung keine Differenzen mehr beständen. Die Verwendung der Gelder der Erwerbslosenversicherung müsse noch besprochen werden3.

Die Meinung der Öffentlichkeit, daß zwischen ihm und der Reichsregierung Differenzen wegen der Auslandsanleihen beständen, bedaure er aufrichtig. Die Reichsbank könne keine Politik führen, die den Auffassungen der Reichsregierung widerspreche. Eine einheitliche Linie müsse hergestellt werden. Der Reichsregierung komme dabei die Priorität und Superiorität zu.

Die Reichsbank sei seit 7 Monaten bemüht, in der Reparationspolitik eine einheitliche Linie herbeizuführen. Am 7. März habe er in diesem Sinne im Kuratorium der Reichsbank in Gegenwart des Reichskanzlers und des Reichswirtschaftsministers über die Lage und die Politik des Dawes-Plans berichtet4. Am 5. Mai habe er dem Reichskabinett über die Liquidität der Banken und die Möglichkeit einer Stockung des Transfers Vortrag gehalten5. Damals sei ihm für weiteres Vorgehen freie Hand gelassen worden. Die Erklärung der Reichsregierung vom 14. Mai aus Anlaß des schwarzen Freitags6 habe ihn deswegen überrascht. Das Dementi sei ohne Verständigung mit der Reichsbank erfolgt.

Am 22. Juni habe er im Kabinett auf die Notwendigkeit hingewiesen, mit dem Reparationsagenten in engere Fühlung zu treten7. Auch diesem Bericht sei großes Gewicht beigelegt worden. Dann habe er in verschiedenen Schreiben – am 27. Juni8 und am 15. August9 – die Frage der Auslandskredite behandelt.

Zur Preußen-Anleihe habe er auf folgendes Tatsachenmaterial hinzuweisen: Bei der Anleihe im Herbst 192610 habe der Reparationsagent durch Schreiben vom 20. September11 bemängelt, daß im Prospekt Art. 248 des Versailler Vertrages nicht genügend berücksichtigt worden sei. Solange nicht jährlich 2½ Milliarden[975] Reparationsschuld übertragen werden könnten, sei grundsätzlich eine Staatsanleihe im Auslande nicht möglich. Die Reichsregierung habe ihren gegenteiligen Standpunkt schriftlich dargelegt11a. Es sei aber nichts weiteres geschehen, um die Streitfrage zum Austrag zu bringen.

In seinem Bericht vom 10. Juni 1927 habe sich der Reparationsagent12 besonders ausführlich mit den öffentlichen Finanzen, insbesondere den Gemeindefinanzen befaßt. Er habe dabei auf die Priorität der Reparationsverpflichtungen hingewiesen und versucht, das Reich auch für die Finanzpolitik der Kommunen verantwortlich zu machen. Diese Frage sei ebenfalls noch nicht klargestellt worden. Gegen die Verwertung der Eisenbahn-Vorzugsaktien im Auslande, die teils für das Reichsfinanzministerium, teils für die Reichsbahn-Gesellschaft erfolgen sollte, habe der Reparationsagent durch Schreiben vom 29. August 192713 Stellung genommen. Dabei habe er zum ersten Male den guten Glauben der Reichsregierung hinsichtlich der Erfüllung der Reparationsverpflichtungen in Frage gestellt.

Diesem Standpunkt sei er in Unterredungen mit dem Reparationsagenten entgegengetreten. Die Stellungnahme bedeutete den Versuch, die Reichsregierung für die kommenden Reparationsverhandlungen ins Unrecht zu setzen. Der Reparationsagent habe seine Auffassung der Reparationskommission mitgeteilt.

Zum Einspruch gegen die Preußen-Anleihe14 führte er aus, der Reparationsagent habe am 21. September von Paris aus gedroht, er werde sein Schreiben vom 20. September 192615 veröffentlichen, wenn die Preußen-Anleihe aufgelegt würde. Dies habe er auch der Regierung der Vereinigten Staaten mitgeteilt.

Am gleichen Tage habe die Beratungsstelle entschieden. Der Reparationsagent habe davon keine Kenntnis gehabt, auch nicht von der Stellung der Reichsbank gegen die Preußen-Anleihe. Die Reichsbank treffe also an den Schwierigkeiten keine Schuld.

Hinsichtlich der öffentlichen Auslandsanleihen sei die Stellung der Reichsbank sehr schwierig. Sie sei nicht mehr Organ der Reichsregierung und habe besondere Aufgaben hinsichtlich der Reparationsverpflichtungen. Insoweit werde sie vom Generalrat überwacht16. Auch in diesen Beziehungen sei sie gleichwohl bestrebt, im Einvernehmen mit der Reichsregierung zu handeln.

Die Einrichtung der Beratungsstelle beruhe auf Besprechungen, die er im Oktober 1925 in den Vereinigten Staaten gepflogen habe17. Er habe damals[976] von einem Schreiben der Regierung an die großen Emissionshäuser Kenntnis erhalten, in dem diese vor der Auflegung deutscher öffentlicher Anleihen gewarnt werden sollten, mit Rücksicht auf die Transfer-Verpflichtungen und Art. 248 des Versailler Vertrages. Durch sein Eingreifen sei es damals gelungen, die Absendung des Briefes zu verhindern unter der Voraussetzung, daß die Beratungsstelle als Kontrollorgan eingerichtet würde. Die Richtlinien für die Tätigkeit der Beratungsstelle seien von der Washingtoner Regierung gebilligt worden. Sie habe gewünscht, daß das Votum der Reichsbank ausschlaggebend sein solle. Das habe er abgelehnt, da der Reichsbank im Rahmen der Regierung nur eine Mitwirkung zugestanden werden könne. Gleichwohl gehe aus den neuesten Depeschen hervor, daß die Regierung der Vereinigten Staaten sich darauf verlassen habe, daß die Reichsbank in der Beratungsstelle den Ausschlag gebe.

Er habe es ruhig hingenommen, daß die Reichsbank in der Beratungsstelle in 56 Fällen überstimmt worden sei. Das könne er nun nicht mehr länger ertragen, da nach außen der Eindruck erweckt werde, die Reichsbank sei mit den Entscheidungen einverstanden, auch wenn sie, wie bei der 100 Millionen-Anleihe für den Wohnungsbau, überstimmt worden sei18.

Aus dieser Lage ergebe sich der Antrag vom 19. September, die Beratungen auszusetzen, bis die Reichsregierung die Frage der Auslandsanleihen grundsätzlich entschieden habe19.

Die Bedenken des Auslands gegen die Anleihen deutscher öffentlicher Körperschaften seien nicht durch die Reichsbank veranlaßt, sondern die Sorgen der Reichsbank beruhten auf dieser Stellungnahme des Auslands, wie sie beispielsweise in der „Times“ vom 10. Oktober 1925 bereits zum Ausdruck käme. Sie habe vor den politischen und finanziellen Verwicklungen gewarnt, die entstehen müßten, wenn durch leichtsinniges Borgen der Transfer beeinträchtigt werden sollte.

Außer diesen hätten bei der Stellungnahme der Reichsbank auch währungs- und wirtschaftspolitische Gründe mitgewirkt. Sie habe sich nicht gegen Auslandskredite allgemein gewandt, sondern nur gegen Tempo und Ausmaß. Die 10 Milliarden Auslandsschulden, die Deutschland in 3 Jahren aufgenommen habe, seien ungefähr die Hälfte aller Vorkriegsanleihen. Sie seien einer der Hauptgründe für die Desorganisation des Geldmarktes und die Passivität der Handelsbilanz. Er habe weder gegen die langfristige noch kurzfristige Verschuldung der Privaten Stellung genommen, weil die Kontrolle von Gläubiger und Schuldner ausreichende Garantien biete. Er sei für die Aufhebung der Kapitalertragssteuer für Auslandsanleihen eingetreten. Bei der Verschuldung der Banken sei zu berücksichtigen, daß sie nicht Selbstverwender, sondern Vermittler seien. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit sei nicht zu verkennen.

[977] Die jährliche Devisenverpflichtung an das Ausland in Höhe von 700–750 Millionen Mark werde neben dem Transfer nur schwer befriedigt werden können. Die Passivität der Handelsbilanz sei im Zusammenhang damit besonders bedenklich. Wenn sie durch Auslandsanleihen ausgeglichen würde, würde der Zusammenbruch nur hinausgeschoben werden. Er bitte, daß entweder in irgendeiner Form zum Ausdruck käme, wenn die Reichsbank in der Beratungsstelle überstimmt würde, oder daß in diesem Falle die Verantwortung von einer anderen Stelle, etwa dem Reichsrat oder der Reichsregierung übernommen würde.

Der Reichskanzler dankte dem Reichsbankpräsidenten für seine Ausführungen. Der Reichsbankpräsident habe stets auf Zusammenarbeit mit der Reichsregierung großen Wert gelegt. Durch die Gesetzgebung des Jahres 1924 sei das Verhältnis von Reichsbank und Reichsbahn zur Reichsregierung wenig befriedigend gestaltet. Wenn die Verbindung zu beiden nicht immer ausreichend gewesen sei, so habe es daran gelegen, daß wegen der starken Arbeitsüberlastung des Kabinetts gemeinschaftliche Beratungen nicht häufiger hätten abgehalten werden können.

Der Reichsminister der Finanzen unterstrich die Ausführungen des Reichsbankpräsidenten darüber, daß die Reichsbank keine eigene Reparationspolitik treiben und im Einvernehmen mit der Reichsregierung sowie mit deren priorität arbeiten wolle. Bisher sei dieser Wille nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen. Die Reparationspolitik sei uneinheitlich geführt worden. Die Ressorts hätten allerdings auch in den letzten ¾ Jahren stets in engster Verbindung miteinander gestanden. Er habe persönlich stets die Verbindung mit dem Reichsbankpräsidenten gepflegt. In den Fragen der Liquidität und des Transfers stimme er mit dem Reichsbankpräsidenten überein.

Wegen des Berichtes des Reparationsagenten20 habe er mit diesem eingehend verhandelt. Der Bericht sei im Reichsfinanzministerium auf das genaueste durchgearbeitet worden. Über die Frage, ob auf ihn näher hätte eingegangen werden sollen, könnten verschiedene Anschauungen bestehen. Er habe es für richtig gehalten, die Behandlung des Berichts in der Presse und im Reichstag möglichst weitgehend zurückzuhalten, damit der Gegensatz zu den Ausführungen nicht übermäßig in die Erscheinung träte.

Auch während der Urlaubszeit hätten die zuständigen Referenten des Reichsfinanzministeriums mit dem Reparationsagenten Fühlung gehalten.

Wegen der Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Preußenanleihe habe er ebenfalls ausführlich mit dem Reparationsagenten verhandelt. Er habe in Aussicht gestellt, ihm zur Fortsetzung der Verhandlungen eine schriftliche Aufzeichnung zu übersenden; diese sei ihm aber bisher trotz mehrfacher Mahnungen noch nicht mitgeteilt worden. Vielleicht wollte der Reparationsagent das Ergebnis der Besprechungen im Kabinett abwarten.

Bei den Verhandlungen habe der Reparationsagent ihm erklärt, daß die Finanzwirtschaft der Länder und Gemeinden im Gegensatz zu der des Reiches unordentlich sei; den Ländern seien im letzten Finanzausgleich größere Zuwendungen gemacht worden, als ihnen zukämen.

[978] Die Preußenanleihe habe ein merkwürdiges Schicksal gehabt. Tatsächlich sei die Stellungnahme des Reichsbankpräsidenten in Amerika bekannt geworden und habe bei seinem hohen Ansehen dort eine starke Wirkung ausgeübt. Die Veröffentlichung des Briefwechsels vom Jahre 1926 wegen des § 2421 sei auf Anregung des Reichsministers der Finanzen unterblieben. Die Streitfrage sei damals mit Absicht nicht vertieft worden, sei auch bei Anleihen, die später von Bayern und Sachsen aufgelegt worden seien, nicht wieder in die Erscheinung getreten. Allerdings hätte der Reparationsagent auf entsprechenden Vorhalt erklärt, er hätte von diesen Anleihen erst verspätet Kenntnis erhalten.

Daß Artikel 248 außer Geltung sei, solange der Dawes-Plan bestehe, sei wohl auch die Ansicht des Reichsbankpräsidenten.

Die Stellungnahme des Reparationsagenten wegen der Vorzugsaktien der Reichsbahn habe geschwankt. Im Juni 1927 habe der Reparationsagent in Gegenwart mehrerer Beamten des Reichsfinanzministeriums keine Einwendungen erhoben, als ihm mitgeteilt worden sei, daß die Absicht bestehe, über diese Aktien zu verfügen.

Der Reichsminister der Finanzen habe damals seinen Herren gegenüber und im Kabinett ausdrücklich diese Feststellung getroffen.

Im August habe der Reparationsagent plötzlich Ministerialrat Karlowa gegenüber sein Befremden darüber ausgedrückt, daß die Vorzugsaktien auf dem amerikanischen Markte verwertet werden sollten22. Zehn Tage später habe er erklärt, die Bedenken hätten sich verdichtet, sie beträfen die Verwertung der Vorzugsaktien auf ausländischen Geldmärkten allgemein. Er müsse dagegen Einspruch erheben; entsprechend habe der Reparationsagent nach Amerika berichtet. Die Reichsbahn und die Reichsbank hätten seiner Auffassung widersprochen.

Die Beratungsstelle habe bereits bestanden, als der Reichsbankpräsident im Oktober 1925 nach Amerika gegangen sei; auch die Richtlinien hätten damals schon gegolten23. Ob sie nach der Reise des Reichsbankpräsidenten verschärft worden seien, müsse noch festgestellt werden24.

Die Beratungsstelle hatte das Vertrauen des Auslandes genossen, obwohl die Reichsbank in ihr mehrfach überstimmt worden sei. Die Zahl der Entscheidungen gegen die Reichsbank sei dem Reparationsagenten bekannt gewesen, obwohl sie nicht in der Zeitung gestanden habe.

Die Beratungsstelle habe gut gearbeitet. Das Ausland habe ihr Vertrauen geschenkt. Es sei ihm allerdings nicht bekannt gewesen, daß sie auf einer Vereinbarung der Länder beruhe, die vierteljährlich gekündigt werden könne.

Das Mißtrauen, dem sie seit einem Monat begegne, müsse beseitigt werden. Ob es berechtigt sei, sei nicht zu untersuchen. Tatsächlich hätten aber die[979] Länder und Gemeinden sich nur mit großer Überwindung an die Beratungsstelle gewandt, da sie die äußerst eingehenden Verhandlungen auch über die Etats der einzelnen Länder gescheut hätten.

In jedem Kollegium gäbe es bei Mehrheitsabstimmungen Unterlegene. Den Wünschen der Reichsbank25 könne nicht entsprochen werden.

Das Kabinett dürfe nicht mit der Verantwortung und Arbeit von Berufungen belastet werden. Der Reichswirtschaftsrat sei wohl nicht die geeignete Stelle. Nach außen dürfe nicht erkennbar werden, daß die Reichsstellen nicht einig seien. Ein Ausscheiden der Reichsbank aus der Beratungsstelle komme keinesfalls in Frage. Sie müsse die große Finanzpolitik mit der Regierung gemeinschaftlich machen. Das Vertrauen, das Schacht im Auslande genieße, stehe dem Ausscheiden ebenfalls entgegen.

In Frage käme eine qualifizierte Mehrheit bei der Entscheidung. Durch den Vorsitzenden könne die Beratungsstelle in Verbindung mit der Reparationspolitik gebracht werden. Mit einer Verstärkung der Rechte der Beratungsstelle sei er einverstanden.

Der Reichsbankpräsident regte hierzu an, daß nur die drei Reichsstellen, die in der Beratungsstelle vertreten sind26, bei Meinungsverschiedenheiten eine anderweite Entscheidung beantragen könnten. Die Länder hätten als Antragsteller bereits das Recht der Berufung an den Reichsrat.

Der Reichsminister des Auswärtigen stellte zur Erwägung, ob bei Meinungsverschiedenheiten zwei weitere Mitglieder zur Beratungsstelle zugezogen werden sollten.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es für möglich, daß auf Wunsch des Teiles, der bei der ersten Beratung überstimmt würde, eine zweite Beratung derselben Beratungsstelle stattfinden sollte. Ob dazu die beiden Minister und der Reichsbankpräsident persönlich erscheinen sollten, könne noch erwogen werden.

Die Fragen der Produktivität und der Maximalbelastung könnten durch Mehrheitsbeschluß entschieden werden. Bei der Frage des Währungsschutzes komme es, wie auch der Reichsbankpräsident zugab, nicht so sehr auf den Einzelfall an, sondern darauf, daß bei den Genehmigungen insgesamt eine gewisse Summe nicht überschritten würde, über deren Höhe während eines bestimmten Zeitraumes jeder der Beteiligten an sich schon eine gewisse Vorstellung habe. Hierüber insbesondere müsse eine erneute Beratung möglich sein. Im übrigen sei die Beratungsstelle eine Angelegenheit der Länder; über Abänderungen müsse mit diesen Fühlung genommen werden.

Im einzelnen soll diese Frage zwischen der Reichsbank und den Ressorts besprochen werden. Dann ist ein Ländervertreter zuzuziehen und erst nach Abschluß dieser Beratung sind die Vorschläge im Kabinett zur Entscheidung zu bringen.

Mit dieser Behandlung der Organisationsfrage waren sämtliche Beteiligten[980] einverstanden. Ein Kommuniqué über die Sitzung wurde gemeinsam beraten und nach Abänderung gutgeheißen27.

Im übrigen machte der Reichswirtschaftsminister über die bisherige Entwicklung des Reparationsproblems, der Auslandsverschuldung und der Wirtschaftslage eingehende Ausführungen. Die Ausführungen entsprachen denen des 6. Oktober28. Im Grunde sei der Reparationsagent deutschfreundlich. Er wolle der erste und letzte Reparationsagent sein. Andererseits sei er Amerikaner, vielleicht später Teilhaber der Firma Morgan; er sei Treuhänder der Reparationsgläubiger und müsse dieser Stellung pflichtgemäß Rechnung tragen. Eine Verständigung mit ihm über die schwebenden Rechtsfragen und Fragen wirtschaftlicher Art sei dringend geboten, da sonst die Gefahr der Verstimmung des Auslandes immer wieder von neuem entstehe.

Keinesfalls dürfe nach außen der Eindruck geweckt werden, als wenn die Kreditwürdigkeit der deutschen Anleihesucher gefährdet sei, sonst sei eine Transferkrise und eine Krisis auf dem Kapital- und Kreditmarkte zu befürchten.

Er begrüße das Bestreben des Reichsbankpräsidenten, in die Kreditverhältnisse der privaten Banken mehr Klarheit zu schaffen als bisher, und teile seine Bedenken über die kurzfristige Verschuldung der Banken. Er stellte fest, daß der Reichsbankpräsident gegen langfristige und kurzfristige Verschuldungen der Industrie und des Handels keine Bedenken habe. Das Hauptbedenken, das sich gegen die kurzfristige Verschuldung der öffentlichen Hand richte, sei berechtigt; für langfristige Verschuldung der öffentlichen Hand gelte dies nur in gewissen Grenzen.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte, er habe am 6. Oktober 1927 mit dem Reparationsagenten ausführlich gesprochen29; er sei nach wie vor den deutschen Interessen gegenüber günstig eingestellt, meinte aber, er sei in letzter Zeit nicht mehr verstanden worden. Seine Kritik stehe unter dem Gesichtspunkt, er müsse die Tatsachen bekämpfen, die Deutschland schädlich seien. Er wende sich nicht gegen Anleihen, sondern gegen ihre Verwendung zu unproduktiven Zwecken. Dies gelte insbesondere von denen zahlreicher Gemeinden,[981] die für Wohlfahrtszwecke außerordentliche Aufwendungen machten. Demgegenüber legten sich die Siegerstaaten weitgehende Zurückhaltung in ihren öffentlichen Aufgaben auf.

Die Frage der Reihenfolge der Sicherheiten sei sehr schwer zu entscheiden, sie müsse einmal geklärt werden. Gegen weitere Auslandsanleihen der Industrie habe er keine Bedenken. Seine Bedenken richteten sich weniger auf die Gegenwart als auf die Zukunft, wenn etwa der Besoldungsvorlage Lohnforderungen und Preissteigerungen folgen würden. Daß die Liquidationsgeschädigten abgefunden werden müßten, habe er nicht weiter bestritten. Es sei aber nicht möglich, gleichzeitig von der Revision des Dawesplans zu sprechen.

Schließlich habe er seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß er sich über diese Angelegenheiten hätte aussprechen können. Die Ausarbeitung für den Reichsfinanzminister habe er fertiggestellt. Er hielt es für möglich, zu einer Übereinstimmung in den schwebenden Fragen zu gelangen.

Im übrigen habe der amerikanische Botschafter30 kürzlich seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß das deutsche Eigentum im Dezember 1927 freigegeben werden würde.

Der Reichsbankpräsident schilderte gegenüber den Ausführungen des Reichswirtschaftsministers die Wirtschafts- und Finanzlage erheblich pessimistischer als dieser. Die kurzfristige Verschuldung in Höhe von 5 Milliarden, von denen 3¾ von den Banken, auch kleineren, aufgenommen seien, sei bedenklich. Die Konjunktur sei eine Inlandskonjunktur. Ob die Rationalisierung der Industrie Devisen einbringen werde, stehe noch nicht fest. Die Ausfuhrtätigkeit werde nur unter schwerer Erschütterung des Inlandsmarktes und unter Preisopfern der Industrie gesteigert werden können.

Die gesteigerte Kaufkraft habe sich noch nicht in gesteigerter Sparkraft ausgewirkt. Bei den Großbanken beständen die Kreditoren zu 37% aus Auslandsgeldern. Der Status der Reichsbank beginne inflatorische Wirkungen auszuüben. Dem Zahlungsmittelumlauf von 6,2 Milliarden stehe der Umlauf in der Vorkriegszeit in Höhe von 6 Milliarden gegenüber, von denen 2,3 Milliarden mehr oder weniger gehortetes Geld gewesen seien. Außerdem habe der bargeldlose Verkehr sehr zugenommen. Es sei zu befürchten, daß bei weiterer Entwicklung in dieser Richtung die Steigerung der Preise von Geldseite her kommen könne. Er sei bestrebt, in der Öffentlichkeit möglichst wenig Konjunkturbetrachtungen anzustellen, da sich darüber streiten lasse. Die Diskonterhöhung31 habe er lediglich mit dem Status der Reichsbank begründet. Wenn der Ansturm an die Reichsbank nicht aufhöre, müsse er zu weiterer Diskonterhöhung schreiten, nötigenfalls zur Restriktion der Kredite. Dies habe er den Banken am 17. August 1927 mitgeteilt. Es scheine, als wenn sie daraufhin von weiterer kurzfristiger Auslandsverschuldung absehen wollten.

Auch er halte es für notwendig, daß bis zu dem Zeitpunkte, an dem eine Transfer-Krise eintreten könne, Auslandsdevisen hereinkommen. Der Reparationsagent habe zugegeben, daß der bisherige Transfer aus eigenem Einkommen[982] nicht möglich gewesen wäre. Er stimme mit der Auffassung des Reichsbankpräsidenten wegen der weiteren Hereinnahme von Devisen überein. Die Landwirtschaft könne sehr erhebliche Summen ausländischen Geldes noch gebrauchen. Der Bankier Mitchell habe bei seiner kürzlichen Anwesenheit in Deutschland es für möglich gehalten, in der deutschen Landwirtschaft zweimal 500 Millionen unterzubringen.

Die kurzfristige Verschuldung der Kommunen schätze er auf 2 Milliarden. Ob sie, wie von anderer Seite geschätzt werde, nur 5[00]–700 Millionen Mark betrage, müsse nachgeprüft werden.

Die Beratungsstelle habe im Rahmen ihrer Richtlinien ausgezeichnet gearbeitet; die Richtlinien reichten nun aber nicht mehr aus.

Bei übermäßiger Auslandsverschuldung müsse eine Währungskrisis eintreten, da die deutsche Wirtschaft die erforderlichen Devisen nicht aufbringen könne. Auf lange Sicht müsse in Aussicht genommen werden, die Devisenverpflichtungen durch eine Gesamtsumme abzulösen. Diese Summe müsse negoziabel gemacht werden, der Markt müsse sie aufnehmen können. Je geringer dann die allgemeine Auslandsverschuldung Deutschlands sei, desto besser sei dies möglich. Er denke sich die Gesamtsumme, die angeboten werden könne, etwa in Höhe von 10 Milliarden.

Die Berechtigung Deutschlands, die privaten Schulden vor den Reparationsverpflichtungen abzudecken, gäbe der Reparationsagent zu, er bestreite dieses Recht aber hinsichtlich der öffentlichen Anleihen. Solange er im Amte sei (noch 1½ Jahre), werde die Mark im Kurse nicht absinken. Der Notenumlauf müsse nötigenfalls eingeschränkt werden, das würde zu einer sehr schweren Geldkrise führen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß der Reichsbankpräsident in den Grundzügen der Reparationspolitik und der Auslandsverschuldung mit der Meinung des Kabinetts übereinstimme und daß die Verhandlungen über die Beratungsstelle in der vereinbarten Weise fortgesetzt werden sollen32.

Fußnoten

2

Dok. Dr. 286.

3

Siehe hierzu das Schreiben des Rbk-Direktoriums an den Präs. der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 21.9.27 (R 43 I /635 , Bl. 113–119).

4

Siehe Dok. Nr. 195.

5

Siehe Dok. Nr. 226, P. 9.

6

Siehe Dok. Nr. 286, Anm. 2.

7

Gemeint ist wohl die Ministerbesprechung vom 21.6.27; siehe Dok. Nr. 254.

8

Dok. Nr. 260.

9

Dok. Nr. 286.

10

D. h. bei der Begebung der ersten Auslandsanleihe Preußens im September 1926.

11

Dieses Schreiben des Generalagenten für Reparationszahlungen an den RFM vom 20.9.26 ist auszugsweise abgedr. im Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen vom 10.12.27, S. 110 f.; Abschrift des Schreibens und dt. Übersetzung in R 2 /2513 , Bl. 22–38 sowie in R 2 /3211 , Bl. 138–154.

11a

Gemeint ist offenbar das Antwortschreiben des RFM an den Generalagenten für Reparationszahlungen vom 27.11.26, Abschrift in R 2 /3211 , Bl. 166–168.

12

Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen vom 10.6.27.

13

Abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 155.

14

Vgl. hierzu Dok. Nr. 312, dort auch Anm. 4.

15

Siehe oben Anm. 11.

16

Die Kompetenzen des aus sieben dt. und sieben ausländischen Mitgliedern zusammengesetzten Generalrats der Rbk waren im Bankgesetz vom 30.8.24 festgelegt (RGBl. II, S. 235 ).

17

Tatsächlich war die „Beratungsstelle für Auslandskredite“ bereits Anfang 1925 errichtet worden, nachdem die Länder untereinander und mit der RReg. am 23.12.24 „Richtlinien über die Aufnahme von Auslandskrediten durch Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände“ vereinbart hatten. Siehe Dok. Nr. 260, Anm. 8.

Zu den oben erwähnten Besprechungen Schachts in den Vereinigten Staaten im Oktober 1925 vgl. die diesbezüglichen Mitteilungen Schachts in seiner Berichterstattung vom 5.12.25: diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 244, dort bes. S. 960 ff.

18

Siehe hierzu Dok. Nr. 260, Anm. 10 und Dok. Nr. 277, P. 3.

19

Einen solchen Antrag hatte der Vertreter des Rbk-Direktoriums in der Sitzung der Beratungsstelle für Auslandskredite am 20.9.27 gestellt; siehe Dok. Nr. 301, Anlage.

20

Siehe oben Anm. 12.

21

Muß heißen: Artikel 248 (des VV). Zum diesbezüglichen Schriftwechsel zwischen dem Generalagenten und dem RFM siehe oben Anm. 11 und 11a.

22

Siehe ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 136.

23

Siehe oben Anm. 17.

24

Eine Änderung der Richtlinien war auf Drängen Schachts im Februar 1926 erfolgt. Siehe diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 269, Anm. 6.

25

Siehe Dok. Nr. 310, Anlage.

26

RFMin., RWiMin. und Rbk-Direktorium.

27

Das durch WTB Nr. 1740 vom 7.10.27 veröffentlichte Kommuniqué lautete: „Unter dem Vorsitz des Reichskanzlers fand heute nachmittag in der Reichskanzlei eine eingehende Aussprache des Reichskabinetts unter Beteiligung des Reichsbankpräsidenten und des Generaldirektors der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft über die Frage der Auslandsanleihen statt. Bei dieser Aussprache wurde völlige Einmütigkeit darüber erzielt, daß für Deutschland auch in der nächsten Zukunft die Aufnahme langfristiger Auslandsanleihen nicht entbehrt werden könne und wirtschaftlich und finanzpolitisch durchaus berechtigt sei. Ferner herrschte darüber Übereinstimmung, daß jede unter Berücksichtigung der heutigen Gesamtlage nicht dringliche oder unwirtschaftliche Ausgabe in Deutschland, sei es aus Auslandsanleihen oder aus anderen Quellen, unbedingt zu vermeiden sei. Um diese Gesichtspunkte in die Wirklichkeit zu übertragen, wurde eine Ausgestaltung der Beratungsstelle für Auslandsanleihen ins Auge gefaßt. Es soll insbesondere die Möglichkeit geschaffen werden, Bedenken, die bei der Antragsberatung auftauchen, durch erneute, mit besonderen Sicherheiten versehene Prüfung Rechnung zu tragen. Hierüber wird unter Mitwirkung der Reichsbank mit den Ländern, die auch seinerzeit mit der Reichsregierung die Richtlinien der Beratungsstelle vereinbart haben, alsbald Fühlung genommen werden.“ (R 43 I /656 , Bl. 287). Zur Neufassung der Richtlinien für die Beratungsstelle siehe unten Anm. 32.

28

Siehe Dok. Nr. 312.

29

Siehe die Aufzeichnung über diese Besprechung in: ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 11.

30

Schurman.

31

Siehe Dok. Nr. 312, Anm. 18.

32

In den folgenden Tagen einigten sich der RFM, der RWiM und der RbkPräs. auf eine Neufassung der „Richtlinien über die Aufnahme von Auslandskrediten durch Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände“, die künftig für die Prüfung von Auslandsanleihen durch die Beratungsstelle für Auslandskredite maßgebend sein sollten. Dieser Richtlinien-Entwurf wurde den Länderregierungen am 12.10.27 vom RFM übermittelt (R 43 I /656 , Bl. 337–339), und am 19./20. 10. fanden hierüber Verhandlungen mit Vertretern der Länder im RFMin. statt, wobei der Entwurf in einigen Punkten abgeändert wurde (siehe dazu: Dietrich-Troeltsch, Kommunalkredit, Reparationen und föderalistisches Prinzip, S. 885 ff.). Den Text der mit den Ländern vereinbarten neuen Richtlinien übersandte der RFM am 3.11.27 an die Reichsminister mit der Mitteilung, daß die Richtlinien inzwischen in Kraft getreten seien (R 43 I /656 , Bl. 337–339). Abdruck der Richtlinien vom Oktober 1927 in: MinBl. für die pr. innere Verwaltung Nr. 19 vom 9.5.28, S. 503 f.; Ott, Die Beratungsstelle für Auslandskredite beim Reichsfinanzministerium, S. 175 ff.; Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, II. Teil, in: Jahrbuch des öffentl. Rechts der Gegenwart 17 (1929), S. 26 ff.

Durch die neuen Richtlinien wurden die bisher gültigen vornehmlich in folgender Hinsicht geändert: 1. wurde der Geltungsbereich der Richtlinien insofern erweitert, als künftig auch Auslandsverkäufe von Kommunalobligationen durch Hypothekenbanken der Prüfung durch die Beratungsstelle unterliegen sollten; desgleichen solche Auslandskredite, für die bereits bestehende Bürgschaften von Ländern und Gemeinden wirksam wurden. 2. sollte die Beratungsstelle bei der Prüfung von Anleiheprojekten der Länder und Gemeinden noch stärker als bisher die allgemeinen wirtschafts- und währungspolitischen Verhältnisse berücksichtigen. 3. wurde das Berufungsverfahren neu geregelt: Falls von der Beratungsstelle ein Anleiheprojekt gegen die Stimme des Sachverständigen des RFMin. oder des RWiMin. oder des Rbk-Direktoriums befürwortet wurde, konnte der überstimmte Sachverständige eine nochmalige Beratung beantragen; einen solchen Antrag konnte auch der Vertreter des das Gutachten einholenden Landes stellen. An der erneuten Beratung sollten der RFM, der RWiM und der RbkPräs. oder deren ständige Stellvertreter teilnehmen. Alle Entschließungen der Beratungsstelle sollten – wie schon bisher – mit Stimmenmehrheit erfolgen. Die Mitglieder der Beratungsstelle waren verpflichtet, die Verhandlungen und insbesondere die Stimmverhältnisse bei den Beschlußfassungen geheimzuhalten.

Extras (Fußzeile):