1.1 (vpa2p): Nr. 130 Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichstagspräsidium am 9. September 1932

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[527] Nr. 130
Aufzeichnung des Staatssekretärs Meissner über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichstagspräsidium am 9. September 19321

R 43 I /1016 , Bl. 21–25 Durchschrift2

Anwesend: v. Hindenburg; StS Meissner; RTPräs. Göring; RTVPräs. Esser, Graef (Thüringen), Rauch.

[Bildung einer arbeitsfähigen Mehrheitsregierung]

Reichstagspräsident Göring berichtete über die Neuwahl des Präsidiums3 und stellte das neue Präsidium dem Herrn Reichspräsidenten vor.

Der Herr Reichspräsident dankte für den Besuch und sprach seine besten Wünsche für die Geschäftsführung und die Erfüllung der Aufgaben des Präsidiums aus4. Insbesondere bitte er, bei den Verhandlungen des Reichstags die Würde der Volksvertretung zu wahren.

Der Herr Reichspräsident bat dann die Herren, Platz zu nehmen.

Alsdann sprach als erster Reichstagspräsident Göring: Der Reichstag sei in seiner großen Mehrheit der Auffassung, daß die Möglichkeit eines arbeitsfähigen Reichstags durchaus gegeben sei. Da andere Auffassungen und Behauptungen verbreitet seien, lege er Wert darauf, diese Auffassung, welche die der Mehrheit des Reichstags darstelle, dem Herrn Reichspräsidenten darzulegen.

Vizepräsident Graef: Ich bin nicht der Auffassung, daß das Reichstagspräsidium dazu berufen sei, politische Ansichten zum Ausdruck zu bringen; es ist dies auch das erste Mal, daß das geschieht. Ich möchte gegen diese Tätigkeit des Reichstagspräsidiums meinerseits Einspruch erheben. Was die Arbeitsfähigkeit des Reichstags betrifft, glaube auch ich, daß der Versuch gemacht werden[528] muß, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus liegt aber kein Anlaß vor, politische Vorschläge zu machen. Meine politischen Freunde haben es begrüßt, daß der Herr Reichspräsident dem Spiel der Parteien mit der Regierung ein Ende gemacht und eine unabhängige Regierung geschaffen hat. Wir wollen ihm hierbei nicht in den Arm fallen und sind überzeugt, daß weite Kreise des deutschen Volkes hier hinter uns stehen.

Vizepräsident Esser: Es ist nicht sonderbar, wenn das Reichstagspräsidium dem Herrn Reichspräsidenten seine Auffassung darlegt, namentlich nachdem der Herr Reichspräsident durch die Form des Empfanges das Präsidium stillschweigend hierzu aufgefordert hat. Im übrigen habe Reichstagspräsident Göring diese Absicht dem Reichstag verkündet und keinen Widerspruch gefunden5; er könne also im Namen des Reichstags sprechen. Der Sinn unserer Darlegungen ist der: Der Reichstag hat die verfassungsmäßige Aufgabe, an den Geschicken Deutschlands mitzuarbeiten, und er möchte diese Aufgabe erfüllen. Wir sind mit gutem Willen unter Ihrer Führung zu dieser Mitarbeit bereit. Man kann die Wege, die zum Wohle Deutschlands gegangen werden müssen, verschieden auffassen, aber man muß alles versuchen, um eine Lösung zu finden. Die jetzige Regierung arbeitet ohne Erfüllung der verfassungsmäßigen Vorschrift, die ein Vertrauen des Reichstags hierzu verlangt. Der alte Reichstag ist aufgelöst worden, weil die Vertrauensfrage voraussichtlich verneint worden wäre; der jetzige Reichstag ist das Ergebnis einer Volksmehrheit, die sich gegen diese Art Regierung ausgesprochen hat. Ich erinnere an den Empfang des Reichstagspräsidiums am 80. Geburtstag des Herrn Reichspräsidenten; der Herr Reichspräsident hat sich damals dahin ausgesprochen, er und der Reichstag seien beide vom Volke gewählt und müßten daher zusammenarbeiten. Meine Bitte geht dahin, der Herr Reichspräsident wolle, ehe er seine endgültige Entschließung faßt, die Führer der großen Parteien empfangen und sich von ihnen darlegen lassen, wie sie die politische Lage auffassen. Das ist kein Spiel der Parteien, sondern der Versuch, die Parteien einzurangieren zur Mitarbeit zum Wohle des deutschen Volkes.

Vizepräsident Rauch stimmt den Ausführungen Essers zu.

Vizepräsident Graef erklärt: Dagegen, daß der Herr Reichspräsident die Führer der großen Parteien empfange, habe er nichts einzuwenden.

Reichstagspräsident Göring: Ich habe diesen Schritt zu dem Herrn Reichspräsidenten nicht aus eigener Willkür getan, sondern weil der Reichstag mich einstimmig dazu ermächtigt hat, einschließlich der Parteifreunde Graefs. Graef spricht nur namens einer verschwindenden Minderheit, das übrige Präsidium aber namens der großen Mehrheit des Hauses. Bei meiner hohen Verehrung für den Generalfeldmarschall, meinen Führer im Weltkriege, hätte ich diesen Schritt nicht unternommen, wenn er nicht von der Sorge um die Zukunft des Vaterlandes getragen wäre. Es soll auch nicht so aussehen, als ob wir in irgend einer Form auf den Herrn Reichspräsidenten einwirken wollen, sondern es soll nur von dem Rechte der Volksvertretung, mit dem Herrn Reichspräsidenten den Kontakt aufrechtzuerhalten, Gebrauch gemacht werden. „Reichspräsident und[529] Reichstag gehören zusammen“, hat der Herr Reichspräsident selbst nach seiner Vereidigung vor dem Reichstag gesagt6.

Der Herr Reichspräsident In der Auffassung scheinen die Herren sich also nicht ganz einig zu sein. Mein Standpunkt ist der, daß das Reichstagspräsidium zur Führung der Geschäfte des Reichstags berufen ist, aber nicht ein Organ des Reichstags zu politischen Verhandlungen. Daran muß ich festhalten. Was die gegenwärtige Reichsregierung anlangt, so habe ich für meine Person keinen Grund, ihr den Laufpaß zu geben, weil es einige Parteien wünschen. Ich bin mit dem derzeitigen Ministerium durchaus einverstanden und billige auch sein von vaterländischen Motiven getragenes Vorgehen. Ich sehe keinen Anlaß, das Ministerium ganz oder teilweise aufzugeben. Wenn der Reichstag anderer Auffassung ist, so kann er von seinem verfassungsmäßigen Rechte – das ich ihm nicht absprechen will – Gebrauch machen und ein Mißtrauensvotum beschließen. Aber auch in diesem Falle bin ich nicht entschlossen, mich von der Reichsregierung zu trennen7.

Vizepräsident Esser: Zur wirtschaftlichen Gesundung ist es notwendig, daß wir politische Ruhe im Lande haben. Neuwahlen usw. würden diese Ruhe nicht aufkommen lassen, und das wäre dem wirtschaftlichen Aufstieg schädlich. An dauernder politischer Unruhe müssen auch die besten Absichten der Regierung scheitern. Daher bitte ich den Herrn Reichspräsidenten nochmals, vor seinen letzten Entscheidungen die Führer der großen Parteien zu empfangen und mit ihnen die Lage zu besprechen, ob sich nicht eine andere Lösung gibt.

Der Herr Reichspräsident Dagegen bin ich grundsätzlich nicht abgeneigt, aber ich muß mir die Dinge noch überlegen und behalte mir meine Entschließung noch vor8.

(Dauer der Besprechung 20 Minuten)

Berlin, den 9. September 1932.

Für die Niederschrift:

gez. Dr. Meissner

Fußnoten

1

Die Aufzeichnung auch abgedr. in Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 90. – Angaben über den Beginn des Empfangs fehlen in den Akten der Rkei; nach „VB“ vom 11./12. 9. soll er um 11.30 Uhr stattgefunden haben. – Zur Vorgeschichte des Empfangs (Briefwechsel zwischen RT-Präsidium und Hindenburg) s. die Mitteilungen des RK in der Ministerbesprechung am 31. 8. (Dok. Nr. 121, P. 1).

2

Von Meissner am 9. 9. an den StSRkei übersandt (R 43 I /1016 , Bl. 20).

3

Vgl. Anm 12 zu Dok. Nr. 120.

4

Im amtlichen Kommuniqué über diesen Empfang ist lediglich der vorstehende Satz des RPräs. wiedergegeben und hinzugefügt: „Hieran schloß sich eine kurze Aussprache über die politische Lage.“ (WTB-Bericht Nr. 1915 vom 9. 9. in R 43 I /1016 , Bl. 27). – Dagegen brachte „VB“ am 11./12. 9. einen ausführlichen „Bericht“, in dem es nach einleitendem Hinweis darauf, daß Göring bei der „Auf- und Rückfahrt“ in der Wilhelmstraße von „etwa 1500 SA-Männern und Parteigenossen“ mit lauten Heil-Rufen begrüßt worden sei, u. a. weiter hieß: „Als die kurze politische Aussprache begann, protestierte der deutschnationale Vizepräsident Graef dagegen, daß eine solche Aussprache mit dem formellen Besuch verbunden würde. Pg. Göring trat diesem Sabotageversuch sofort entschieden entgegen. Auch Vizepräsident Esser widersprach ihm scharf, worauf der Reichspräsident die Herren ruhig anhörte, die ihm darlegten, daß eine Zusammenarbeit mit dem gegenwärtigen Reichstag sehr wohl möglich sei. Herr Graef hatte auch noch die seltene Kühnheit zu erklären, das ‚von den Parteien unabhängige (!?!) Kabinett Papen sei ein Fortschritt‘.“ Nicht erwähnt wurde in dem „VB“-Artikel allerdings die nachdrückliche Erklärung Hindenburgs, daß er an dem Präsidialkabinett Papen unbedingt weiter festhalten wolle.

5

Vgl. Anm 7 zu Dok. Nr. 121.

6

Hindenburg nach seiner Vereidigung vor dem RT am 12.5.25 u. a.: „Reichstag und Reichspräsident gehören zusammen, denn sie sind beide unmittelbar aus den Wahlen des deutschen Volkes hervorgegangen. Aus dieser gemeinsamen Grundlage allein leiten sie ihre Machtvollkommenheiten her. Beide zusammen erst bilden die Verkörperung der Volkssouveränität, die die Grundlage unseres gesamten heutigen Verfassungslebens bildet. Das ist der tiefe Sinn der Verfassung, auf die ich mich soeben durch mein Manneswort feierlich verpflichtet habe.“ (RT-Bd. Nr. 385, S. 1721).

7

Die vorstehenden Ausführungen des RPräs. halten sich weitgehend an einen Redeentwurf, den Meissner nach einer Vorbesprechung mit Papen angefertigt und am 8. 9. an den StSRkei zur vertraulichen Kenntnisnahme übersandt hatte. Nach dem Entwurf sollte Hindenburg dem RT-Präsidium antworten: „Was die von Ihnen berührte Frage einer Neubildung der Reichsregierung anlangt, so muß ich es mir versagen, hierüber mit dem Reichstags-Präsidium Verhandlungen zu führen. Das Reichstags-Präsidium ist zwar die zur Führung der Geschäfte des Reichstags berufene Stelle, aber nicht ein Organ des Reichstags zu politischen Verhandlungen, insbesondere zu solchen über die Neubildung der Reichsregierung. Die gegenwärtige, vom Reichskanzler von Papen geführte Reichsregierung besitzt in vollem Maße mein Vertrauen, und ich habe keinen Anlaß, die Bildung einer anderen Regierung ins Auge zu fassen oder hierüber zu verhandeln. Wenn der Reichstag anderer Auffassung ist als ich und zu der Regierung von Papen kein Vertrauen hat, so kann der Reichstag den in der Verfassung vorgesehenen Weg gehen und dies in einem Mißtrauensvotum zum Ausdruck bringen. Jedenfalls muß ich es zur Zeit ablehnen, wegen der Bildung einer neuen oder anders zusammengesetzten Reichsregierung zu verhandeln.“ (R 43 I /1016 , Bl. 18–19).

8

Zur Frage eines Empfangs der Parteiführer s. weiter Dok. Nr. 132, P. 1.

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