1.9.4 (bru3p): Anlage zu P. 2 der Ministerbesprechung vom 27. Oktober 1931, 16.30 Uhr:

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Anlage zu P. 2 der Ministerbesprechung vom 27. Oktober 1931, 16.30 Uhr:

R 43 I /1165 , Bl. 149–154 Durchschrift

Gedanken zum Wirtschaftsprogramm.

A.

Zwei Ziele

1.

Anpassung aller volkswirtschaftlichen Aufwendungen im weitesten Sinne an die internationalen Rohstoffpreise und an die Vermögens- und Einkommenslage in Deutschland.

2.

Abstimmung der einzelnen Aufwendungen und Werte aufeinander entsprechend ihrem volkswirtschaftlichen Zusammenhange und ihrer Bemessung bei möglichst freiem Spiel der wirtschaftlichen Kräfte.

B.

Die Wege

1.

Nicht Inflation.

Wenn es möglich wäre, den Wert der Mark von einem zum anderen Tage von 100% auf 80% des Goldbetrages herabzusetzen mit der Wirkung, daß alle wirtschaftlichen Aufwendungen nominell in gleicher Höhe bleiben, dann wäre in diesem Ausmaße das Ziel der Verbilligung (A 1) erreicht. Gleichzeitig wären aber auch die Vermögenswerte, die auf Reichsmark lauten, um 20% verringert. Die Enteignung der Inflation würde wiederholt.

Das Ziel der Abstimmung der einzelnen Aufwendungen und Werte aufeinander würde durch diese Maßnahme nicht erreicht. Die Relationen blieben dieselben.

Der Weg ist nicht gangbar. Die Mark würde als Währung vernichtet. Niemand würde darauf vertrauen, daß es bei der 20%igen Herabsetzung bliebe. Mit Zwangskursen ist Vertrauen nicht zu schaffen.

[1849] Die Preise und Löhne würden auch unter Strafandrohungen nicht auf dem Nennwerte gehalten werden können. Sie würden ungleichmäßig, wahrscheinlich aber in höherem Maße steigen als der gewollten Geldaufwertung entspräche.

2. Würde die Mark in ihrem vollen Werte erhalten, die halbe Mark etwa als Schilling zur Rechnungsgrundlage gemacht, so würde an der Vorstellung der Wertbegriffe nichts geändert. Die neue Rechnungseinheit würde voraussichtlich nur dazu führen, daß sich die Preise in ihr gegenüber der Mark verdoppeln.

3. Notwendig sind deswegen Maßnahmen, die das Wirtschaftsleben aus der Erstarrung lösen. Das freie Spiel der Kräfte muß wieder stärker wirken können als bisher. Es wird versucht werden müssen, große organische Änderungen im Wirtschaftsmechanismus schlagartig durchzuführen.

a)

Die Preise sind durch wirtschaftliche Bindungen noch immer in stärkerem Maße festgelegt als es dem Grundgedanken der freien Wirtschaft entspricht. Diese Bindungen werden gelockert werden müssen, ähnlich wie es bei den Markenartikeln bereits geschehen ist. Vielleicht könnte dabei eine Verbindung mit den Vorkriegsverhältnissen hergestellt werden durch zwei Stichtage, etwa Mitte 1913 und Mitte 1930. Der Preisschutz könnte in Höhe von etwa 20% versagt werden, soweit die Preise das Mittel ihrer Bemessung an den beiden Stichtagen überschreiten. In Einzelfällen könnte nebenbei noch gegen besondere starre Bindungen vorgegangen werden.

b)

Der Auflockerung kartellmäßiger Bindungen werden Eingriffe in das Tarifsystem entsprechen müssen. Es wird dabei nicht so sehr darauf ankommen, die Löhne generell herabzusetzen, als durch Verkleinerung der Tarifgemeinschaften nach ihrer örtlichen und sachlichen Ausdehnung die Arbeitnehmer näher an die Arbeitgeber heranzubringen. Je mehr dies gelingt, desto stärker wird die Tatsache wirken, daß beide an der Erhaltung des Betriebes interessiert sind. Die Arbeitnehmer werden dann eher Lohnermäßigungen zustimmen, die mit der Tragfähigkeit des Betriebes im Einklang stehen. Der Lebensbedarf der Arbeiterfamilien muß aber sichergestellt werden, auch wenn weitere Entlassungen die Folge wären. Ob andererseits in einzelnen Tarifgemeinschaften die Möglichkeit gegeben ist, Lohnherabsetzungen von der Mehreinstellung von Arbeitern abhängig zu machen, möchte im Einzelfalle geprüft werden. Durch die Aussicht auf Lohnermäßigungen würde auf die Tarifgemeinschaft dann ein Druck dahin ausgeübt, daß die in ihr zusammengeschlossenen Werke die Arbeiter im Wege freier Vereinbarung unter sich unterbringen. Würde jedem einzelnen Werke die Lohnherabsetzung in Aussicht gestellt bei Mehreinstellung von Arbeitern, so würden die leistungsfähigen Betriebe davon zum Nachteil der leistungsschwächeren Gebrauch machen.

c)

Hand in Hand mit diesen Maßnahmen müssen Erleichterungen der öffentlichen Lasten gehen, die auf der Wirtschaft ruhen. Die öffentliche Verwaltung ist übersetzt. An einen starken Abbau ihrer Aufgaben und ihres Personals wird nicht vorübergegangen werden können. So muß es möglich sein, die Steuern zu ermäßigen und die Tarife der öffentlichen Unternehmungen herabzusetzen.

d)

Die sozialen Lasten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen der Wirtschaftskraft angepaßt werden. Es wird notwendig sein, in dieser Richtung bis an die Grenze des politisch Erreichbaren zu gehen.

e)

Gelingt es, Preise und Löhne, öffentliche und soziale Lasten um etwa 20% zu senken, so ist es innerlich berechtigt und geboten, auch die Zinslast entsprechend[1850] zu ermäßigen. Das würde also bedeuten, daß der Reichsbankdiskont um 20% herabgesetzt würde. Die Entlastung der Wirtschaft und die Steigerung des Geldwertes würde diese Maßnahme möglich machen, die nötigenfalls durch Kreditrestriktionen zu stützen wären.

Im übrigen könnte ein Zinssatz von 2% über Reichsbankdiskont als Höchstsatz bestimmt werden, dessen Überschreitung die Nichtigkeit des Vertrages und gegebenenfalls Wucherfolgen nach sich zöge, wenn der Fordernde nicht beweist, daß im Einzelfalle ein höherer Satz als der allgemeine berechtigt ist.

Herabsetzung des Zinsfußes festverzinslicher Papiere, also Zwangskonvertierung in diesem Sinne wäre im Gesamtrahmen der wirtschaftlichen Maßnahmen nötig und zu rechtfertigen, denn die Kaufkraft der Zinsen würde die gleiche bleiben.

Der Wert der Markforderungen, insbesondere der Sparguthaben würde in der Kaufkraft steigen. Der Sparsinn würde angeregt. Die Belastung der Schuldner würde sich, in Gold gesehen, nicht erhöhen, wohl aber in Warenwerten betrachtet. Eine ungerechte Mehrbelastung würde dies aber nicht bedeuten, weil die Goldbewertung die gleiche bleibt und sich die Zinslast entsprechend verringert.

Entsprechend der Zinssenkung und der allgemeinen Wirtschaftsauflockerung müßten auch die Mietzinsen um etwa 20% herabgesetzt werden. Bei den überhöhten Mieten gewerblicher Räume wäre außerdem noch ein Schiedsverfahren vorzusehen, in dem eine weitere Ermäßigung erfolgen könnte.

f) Im internationalen Verkehr würde der Wert der Mark durch die gesteigerte Solidität der Wirtschaft steigen, im Warenverkehr würde die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Waren zunehmen. Der Vorsprung, den das Papierpfund bedeutet, wäre eingeholt.

Die deutschen Zölle könnten entsprechend dem ermäßigten Preisniveau herabgesetzt werden.

Gelingt es, die Deflation so schlagartig durchzuführen, dann ist damit zu rechnen, daß die Schrumpfung der Wirtschaft aufhört und daß auf solider Basis ein langsamer Aufstieg möglich ist. Zum mindesten sind dann die Voraussetzungen gegeben, unter denen eine Weltwirtschaftsverständigung in Deutschland den neuen Auftrieb bringen kann. Ob diese Wirkung bei einer Senkung des Niveaus der volkswirtschaftlichen Aufwendungen in weitestem Sinne um 20% oder mehr erwartet wird, ist eine Ermessensfrage.

[Feßler]

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