2.23 (mu11p): Nr. 23 Besprechung mit einer Deputation von Angehörigen aller Parteien aus dem Ruhrgebiet und der dort augenblicklich kämpfenden Reichswehrformation. 8. April 1920

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Nr. 23
Besprechung mit einer Deputation von Angehörigen aller Parteien aus dem Ruhrgebiet und der dort augenblicklich kämpfenden Reichswehrformation. 8. April 1920

R 43 I /2716 , Bl. 77-82

Anwesend: Müller, Geßler, Koch, Giesberts; MinR Brecht; Oberstleutnant Hasse; RegR Kempner1; Breuer; 48 Deputationsmitglieder2.

Amtsvorsteher Rohde (SPD), Recklinghausen: Wir hatten bis zum Eintreffen der von uns sehnlichst erwarteten Reichswehr3 stärksten Terror, ausgesprochenen Bolschewismus. Die den Terror ausübenden Banden bestehen aus dem Abschaum der Menschheit. Wir bitten, diese Leute nicht mit der im Ruhrgebiet wohnenden Arbeiterschaft zu verwechseln, die nichts mit diesen gemein haben will. Es ist uns bekannt geworden, daß die Reichswehr, die uns von diesen Zuständen erlöste, wieder aus dem Ruhrgebiet zurückgezogen werden soll4. Wenn dies tatsächlich durchgeführt wird, bevor nicht sämtliche Waffen und Munition beschlagnahmt und die unsauberen Elemente vertrieben sind, wird ein sehr großer Teil der Zivilbevölkerung des Ruhrgebiets mit der Reichswehrtruppe gemeinsam fortziehen, da sie die dann bestimmt wieder eintretenden schlimmen Zustände keinesfalls nochmals zu erleben gewillt ist. Wir verlangen, daß die Reichswehr solange dableibt, bis wieder die alten, ruhigen Zustände zurückgekehrt sind. Von den geplanten Orts- und Einwohnerwehren[50] wollen wir nichts wissen; vielmehr soll die Ruhe durch staatliche Organe, gleichgültig ob es sich um Reichswehr oder grüne Polizei handelt, gewährleistet sein. Hauptsächlich müssen es starke Kräfte sein, die hinter der Regierung stehen und die Macht über das Lumpenproletariat haben5. Wir haben den Eindruck, als ob die Regierung in dieser ganzen letzten Zeit falsch über die bei uns herrschenden Zustände unterrichtet worden sei. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin, daß die seitens der Regierung zur Information in unser Gebiet geschickten Beamten und Kommissare sich nicht an die Mehrheitsparteien beziehungsweise deren Vertreter wandten, sondern sich ihre Informationen bei den Vollzugsräten holten, deren Aussagen selbstverständlich gefärbt waren. Was die bisher erfolgte Abgabe von Waffen betrifft, so führe ich als Beispiel, wie ungenügend dieselbe vor sich ging, nur an, daß in Hüls und Erkenschmidt [!], in welchen Orten die roten Banden von der Ortswehr mehrere hundert Gewehre erbeuteten, nur 3 beziehungsweise 5 unbrauchbare Gewehre abgegeben wurden. In Dunghaufen und Hühnerställen wurden zufällig nachträglich noch größere Posten Gewehre, Handgranaten und Munition aufgefunden.

Reichswehrminister Dr. Geßler gibt eine kurze Übersicht der Lage, wie sie sich der Reichsregierung darstellt, und beleuchtet eingehend die verschiedenen Gesichtspunkte, die die Reichsregierung zu ihren Maßnahmen bestimmten. (Druck der Entente, Bielefelder Abkommen, Drohungen der Gewerkschaften, Presse, Benehmen der Reichswehr, besonders der Bayerischen Formation6). Er schlägt vor, daß Mitglieder der Deputation sich baldigst mit Legien in Verbindung setzen und diesem ebenso eindringlich wie hier über die Lage im Ruhrgebiet berichten.

Rohde, Recklinghausen antwortet: Wir stehen auf Seiten der Regierung.[51] Ich spreche für die gesamte werktätige besonnene Bevölkerung des Ruhrgebiets. Wir müssen so schnell wie möglich Ordnung und eigene Sicherheit haben.

Heussler, Dortmund (SPD): Bei Beginn des Kapp-Putsches in Berlin wandte sich die gesamte Arbeiterschaft zuerst gegen das reaktionäre Militär7. Nach Beginn des Linksputsches stellten sich aber sehr bald die ordentlichen Elemente auf die Seite des nunmehr gegen den Bolschewismus kämpfenden Militärs. Als das Abkommen in Bielefeld abgeschlossen wurde, war die Rote Armee nur noch ein Haufen indisziplinarischer Kerle und hätte durch kräftiges Durchgreifen der Reichswehr sehr bald unschädlich gemacht werden können. In Dortmund wurden beispielsweise 65 000 gewerkschaftliche Arbeiter von nur 9000 Syndikalisten, die sich zur Roten Armee bekannten, terrorisiert. Diese Mehrheit war nicht in der Lage, sich gegen den Terror zu wehren, da sie keine Waffen hatte. Die terrorisierende Minderheit hatte sich ihre Waffen aus den Depots der Einwohner- und Sicherheitswehren zusammengeholt. Da nach dem Bielefelder Abkommen kein Durchgreifen seitens der Reichswehr erfolgte, kam die Rote Armee wieder hoch und erzwang durch ihren Terror im Bezirk Dortmund den Generalstreik8. Jetzt heißt es durchgreifen, nicht nur bis zur Ruhrlinie, sondern das Bergische Land muß ebenfalls durchsucht werden, da sich dort sonst die ganzen Lumpenproletarier zusammenziehen9. Oberbürgermeister Cuno in Hagen hat in diesen Tagen eine Rolle gespielt, die unverantwortlich ist. Er hat der Reichsregierung ungenaue Angaben gemacht dadurch, daß er behauptete, daß das Bielefelder Abkommen bis Mülheim Wirkung habe. Dies war nicht wahr10. Dort herrschte noch der Terror, der sich durch Knebelung der Presse und Erpressungen von Geldern bei den Banken zeigte. Auch wir fordern, daß die Reichswehrtruppen solange im Ruhrgebiet bleiben, bis der letzte Mann der roten Bande entwaffnet ist. Die Truppe muß bleiben, wenn auch jetzt noch verschiedentlich Mißtrauen der Arbeiter gegen die Truppe besteht, da diese immer wieder durch Lausbübereien, wie zum Beispiel Tragen von schwarz-weiß-roten Fahnen und Ankleben von Zetteln an den Warenhäusern mit der Aufschrift: „Kauft nicht bei Juden“, die Stimmung gegen sich aufbringt.[52] Hier bitten wir dringend, daß der Reichswehrminister eingreift, um das Mißtrauen der Arbeiter nicht wachsen zu lassen. Wenn jetzt nicht durch die Truppe ganze Arbeit gemacht wird, werden bald genau dieselben Zustände mit noch mehr Blutvergießen eintreten. Die intellektuellen Urheber des Bolschewismus sitzen im Hagener Gebiet. Sie haben durch raffinierte Mittel, wie falsche Unterschriften, die Sicherheitsorgane der verfassungsmäßigen Regierung zum Niederlegen der Waffen bewogen.

Lindemann, Dortmund (Zentrum), führt ebenfalls aus, wie grausam die Bolschewisten in seinem Bezirk herrschten. Er erzählt ferner: Die von der Regierung übersandten Kommissare mußten sich ihre Information vom Oberbürgermeister und von den Mitgliedern der Mehrheitsparteien unter Anwesenheit der Vollzugsräte geben lassen. Da die Aussagenden absolut in der Gewalt der Vollzugsräte waren, ist es klar, daß sie ihre Aussagen unter dem Druck der drohenden Lebensgefahr nicht wahrheitsgemäß machen konnten. Das Bielefelder Abkommen wurde auch in Dortmund nicht gehalten. Am gleichen Tage noch gingen ¾ der in Dortmund befindlichen roten Bewaffneten zur Front ab.

Wir verlangen die Ausführung folgender Punkte:

1)

Restlose Säuberung des Ruhrgebiets von Waffen und Munition;

2)

Ausweisung lästiger Ausländer;

3)

strengste Bestrafung der Verbrechen an Leben und Eigentum;

4)

Abschaffung der Ortswehren, Aufhebung sämtlicher Waffendepots, da dieselben doch nur letzten Endes Waffendepots der Bolschewisten sind11;

5)

genügender Schutz der arbeitswilligen Bevölkerung durch Polizei, zu deren Unterhalt die Reichsregierung beisteuern muß.

Reichskanzler bittet, die folgenden Redner sich kurz zu fassen, da draußen weitere Deputationen warten.

Riesener, Arbeitersekretär (Zentrum), Gladbeck/Westfalen: Ich spreche im Auftrage der ordnungsliebenden Elemente, die sich gegen die Herrschaft des Pöbels auflehnen. Auch wir glauben die Reichsregierung nicht richtig informiert. Man soll uns Gewerkschaftler aus dem Ruhrbezirk hören. Das Ultimatum Watters wirkte glänzend; wenn es durchgeführt [worden] wäre, wären Millionen Mark dem Reich gespart geblieben. Durch die Nichtausführung des Ultimatums, blieb mein Bezirk weiter unter dem Terror. Vor der Stadt Dortmund stand die Reichswehr, Gewehr bei Fuß, durch Befehl gebunden und konnte uns nicht helfen. Wir im Lande müssen gehört werden; die Regierung soll ihre Selbständigkeit wahren und sich nicht nur durch Berliner Einflüsse bestimmen lassen. Wir brauchen die Reichswehr dringend. Wir haben den Eindruck, daß die rote Bande in der Hauptsache aus Ausländern besteht. Ich stellte z. B. Türken, Serben und Russen fest, die seinerzeit durch den Reichsarbeitsnachweis12 ins Ruhrgebiet gekommen waren. Wir ordentlich Gesinnten wollten arbeiten, wir wurden gehindert durch die Maschinengewehre dieser Lumpen. Wir selbst hatten keine Waffen. Beschützen Sie uns Arbeitswillige.[53] Wir wollen die Reichswehr, die wir mit persönlicher Lebensgefahr herangeholt haben, solange behalten, bis kein Gewehr mehr im Ruhrgebiet in unrechten Händen ist.

Voßnacke, Duisburg (DDP): Die Regierung war vollständig unorientiert. Leute aus dem Ruhrbezirk müssen gehört werden. Ich als Kriegsteilnehmer kann Kriegsgreuel beurteilen. Das, was wir hier erlebt haben, war tausendmal schlimmer. Die Gewerkschaftsführer bis einschließlich USP mußten flüchten. Die Reichswehr rückte zu spät ein. Die Reichswehr mußte das Wattersche Ultimatum halten. Wir haben unter dem Eindruck, daß die Regierung uns im Stich läßt, die Brocken hingeschmissen. Was von Übergriffen in der Reichswehr gesagt wird, ist alles kleinlicher Natur. Wir haben uns glänzend mit der Reichswehr vertragen. Auch wir fordern restlose Säuberung des Ruhrgebiets von Waffen und Munition, und ihr Zurückziehen erst, wenn wieder vollständige Ruhe im Lande gewährleistet ist.

Ein Soldat gibt Schilderung der Zustände in Essen und verlangt Wiedereinführung des Standgerichts, da sonst die Reichswehr machtlos ist13.

[54] Reichskanzler teilt mit, daß Legien am 9. IV. 4 Uhr nachm. eine Besprechung mit Mitgliedern der anwesenden Deputation stattfinden lassen will.

Wachtmeister Krimmling, Reichswehr-Jäger X.: Wir stehen hinter der Regierung. Uns sind die Hände gebunden durch Aufhebung des Standrechts. Das Standrecht hielt alle, Zivil und Soldaten in Schach. Wir wollen keine Politik und wehren uns dagegen, daß die Reichswehr als Ware behandelt wird. Wir kämpfen aus ehrlichster Überzeugung. Was die Ablieferung der Waffen angeht, so ist bis jetzt keine brauchbare Waffe abgegeben. Die Bürgerwehren sind die Waffendepots für die Rote Armee, da sie sich im Falle des Aufstandes sofort dieser Waffen bemächtigen. Uns nimmt keiner die Waffen ab, solange wir leben. Die Regierung muß die schärfsten Maßnahmen treffen, damit die Zustände im Ruhrgebiet geändert werden. Wir haben Vertrauen zu unseren Vorgesetzten und zur Regierung. Durch Aufhebung des Standrechts wurde die rote Bande wieder frech. Leute, die wir beim Schießen mit Dum-Dum-Geschossen angetroffen haben und die wir nach Aufhebung des Standrechts nicht mehr standrechtlich erschießen durften, höhnten uns und äußerten, daß sie höchstens ein paar Jahre Zuchthaus kriegen würden. Wir stehen den Arbeitern sympathisch gegenüber und vertragen uns gut mit ihnen.

Ein Unteroffizier macht ähnliche Ausführungen und fordert ebenfalls Wiedereinführung des Standrechts.

Meinecke, Gladbeck (Vertreter der Bürgerschaft) [Zentrum]: Wir stehen im Einverständnis mit den loyaldenkenden Staatsbürgern hinter der Regierung. Als das Ultimatum verlängert und nicht gehalten wurde, gingen die Unruhen wieder los. Erpressungen durch die rote Bande. Greueltaten etc. Wenn die Reichswehr zu früh aus dem Ruhrgebiet zurückgezogen wird, gehen wir alle mit zurück.

Es folgen Vorwürfe gegen die Reichsregierung, die der Reichskanzler energisch zurückweist.

ReichspostministerGiesberts führt aus, daß die Reichsregierung auch andere Sorgen hat. Schlesien und überhaupt die Ostgrenze des Reichs, an der polnischer Einmarsch droht, ferner die Auseinandersetzung mit der Entente wegen des Einmarsches in die neutrale Zone und wegen der Besetzung Frankfurts etc., Stellungnahme der Gewerkschaften, Bielefelder Abkommen usw.

Ein Soldat bringt wiederum Greueltaten im einzelnen und fordert Einführung des Standrechts.

Ein Wachtmeister desgleichen.

Riesener (Arbeitersekr. Zentrum, Gladbeck) bittet den Reichskanzler um eine Erklärung seitens der Regierung. Ebenso will ein Soldat wissen, was er seinen Kameraden, zu denen er morgen an die Front zurückkehrt, sagen soll.

Der Reichskanzler geht auf die verschiedenen Fragen erneut ein, weist Vorwürfe gegen die Regierung zurück und stellt nochmals die außerordentlichen Schwierigkeiten fest, mit denen die Regierung bei dem Fassen ihrer Entschlüsse kämpfen mußte. Er betont, wie verschiedentlich die Wünsche aus dem Ruhrgebiet selbst, die ihm durch viele andere Deputationen dargetan wurden, sind und macht gleichzeitig eine kurze Mitteilung über eine am Nachmittag[55] gehabte Unterredung mit dem englischen Geschäftsträger14, der ihm mitteilte, daß große Teile der im Ruhrgebiet arbeitenden Bergleute, die sich zur Roten Armee geschlagen hatten, in das von England besetzte Gebiet herüberfluten und die im Saarkohlengebiet weiterarbeiten wollen. Er führt weiter aus, daß an eine Wiedereinführung des Standrechts nicht gedacht werden kann, dagegen würden außerordentliche Militärgerichte eingerichtet, die das Standgericht ersetzen sollten.

Es folgt noch eine längere Debatte über Standrecht und andere Fragen der Reichswehr.

Zum Schluß wird festgestellt, daß die nachfolgend genannten Mitglieder der Deputation am 9. 4., nachmittags 4 Uhr im Berliner Gewerkschaftshause mit den Vertretern der Berliner Gewerkschaften zusammentreffen sollen15:

Rhode, [MSPD] Recklinghausen16,

Fielenbach, [MSPD] Dinslaken,

Alberty, [MSPD] Oberhausen,

Wingold, [MSPD] Bottrop,

Friedr. Röse, [MSPD] Waltrop,

Emil Eichholz, [MSPD] Gladbeck i./W.,

(evtl. Redakteur Henseler) [MSPD, Dortmund].

Fußnoten

1

Ein Protokollführer ist für diese Niederschrift nicht angegeben; sie könnte jedoch von Kempner angefertigt worden sein.

2

Die Deputation setzte sich zusammen aus 22 Angehörigen der Reichswehr und der Freikorps, 5 der Sicherheitspolizei, 8 der MSPD, 8 des Zentrums, 3 der DDP, 1 der DVP und einem wahrscheinlich parteilosen Bergmann (Anwesenheitsliste mit Namen in R 43 I /2716 , Bl. 83 f.).

3

Recklinghausen, das in der 50 km-Zone lag, war am 2./3. 4. von Reichswehrtruppen besetzt worden (Aufzeichnung Hauptmann von Fumettis, 3.4.20; R 43 I /2728 , Bl. 182).

4

Zu den gegensätzlichen Ansichten über den Aufenthalt von Reichswehrtruppen im Ruhrgebiet s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 21.

5
 

In ähnlicher Hinsicht äußerte sich auch der GehLegR Mertens vom Auswärtigen Amt in einem Schreiben an den stellvertretenden Vorsitzenden des Interalliierten Heeres-Überwachungsausschusses, General Barthélemy, am 8.4.20: „Die Herausziehung der Truppen aus der neutralen Zone und ihre Ablösung durch Polizeikräfte hat naturgemäß eine ruhige innere Gesamtlage zur unbedingten Voraussetzung. Andernfalls wird der Augenblick der Ablösung von den kommunistischen Führern zu einem erneuten Versuch benutzt werden, die Gewalt an sich zu reißen und dadurch die Früchte der zurzeit im Gange befindlichen Säuberungsaktion zu zerstören. Die Unruhen der vergangenen Wochen haben gezeigt, daß namentlich das rheinisch-westfälische Industriegebiet leicht dem Treiben ordnungsfeindlicher Elemente ausgesetzt ist und daß es nur durch Bereitschaft wirksamer militärischer und polizeilicher Kräfte vor Ruhestörungen zu bewahren ist. Ganz besonders fordert die tiefgehende Erregung, die nach den Ereignissen in den letzten Wochen in der gesamten Bevölkerung des Ruhrgebiets nachzittern wird, gebieterisch, daß mit dem Herausziehen der Truppen nur allmählich und zonenweise begonnen wird“ (R 43 I /175 , Bl. 301 f.). Am Vormittag des 8. 4. hatte Hauptmann Friderici vom RWeMin. der Rkei telefonisch u. a. mitgeteilt: „Die Frage, binnen welcher Zeit die 20 Bataillone, 10 Schwadronen und 2 Batterien übersteigenden Truppen [s. Anm. 10 zu Dok. Nr. 10] aus der neutralen Zone zurückgezogen werden können, kann auch nicht annähernd beantwortet werden. Es ist zu unterscheiden zwischen dem jetzt im Gang befindlichen einmaligen ‚Durchkämmen‘ des Gebiets und seiner ‚Sanierung‘. Auch wenn ersteres bald beendet sein würde, würde doch letzteres einige Zeit erfordern, zumal die Sicherheitspolizei neu aufgezogen werden muß und die Staatsanwaltschaften und Gerichte nur bei Anwesenheit von Truppen die Untersuchung der vorgekommenen Verbrechen führen können“ (R 43 I /2728 , Bl. 247).

6

Zum Auftreten der Gruppe Epp im Ruhrgebiet s. C. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 207 f.

7

Vgl. hierzu auch die Aufzeichnung MinR Brechts über „Die Vorgänge im Ruhrgebiet im März 1920“ auszugsweise in Anm. 2 zu Dok. Nr. 2.

8

In einem geheimen Lagebericht des PrStMin. heißt es dazu am 27. 3.: „In Dortmund wurde infolge eines falschen Gerüchts der Generalstreik proklamiert. Sämtliche Zeitungen wurden vom Vollzugsausschuß verboten. Mehrere tausend Mann rückten bewaffnet aus. Heute wurde der Generalstreik wieder abgerufen“ (P 135/11760).

9
 

In der telefonischen Information des Hauptmann Friderici (s. Anm. 5) wurde ausgeführt: „Die Zusage der RReg., das bergisch-märkische Land nicht zu besetzen, hat zur Folge gehabt, daß dieses Gebiet von den Teilnehmern an dem Aufruhr als Asyl betrachtet wird. Das birgt die Gefahr in sich, daß bei Nichtbesetzung des bergisch-märkischen Landes die Aufrührer nach Abzug der Truppen wieder auftauchen und die Bewegung alsdann wieder aufflammt. Die Zusage der RReg., entspricht daher den militärischen Bedürfnissen nicht. Es erscheint ratsam, sich dem Ausland gegenüber nicht auf Nichtbesetzung dieses Gebiets festzulegen, da die Verhältnisse sich so gestalten können, daß Besetzung dringend erforderlich wird“ (R 43 I /2728 , Bl. 247).

10

Zur unterschiedlichen Beurteilung der Rolle des OB Cuno s. C. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 251 ff., und H. Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 200 f.

11

S. dazu auch C. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 108.

12

Zum Reichsarbeitsnachweis s. die VO des Bundesrats vom 14.6.16 (RGBl. S. 519 ) und die VO des Demobilmachungsamts vom 9.12.18 (RGBl. S. 1421 ).

13

Die Standgerichte waren auf Grund einer VO des RPräs. vom 13.1.20 mit Zusätzen des Befehlshabers des Wehrkreisbezirkes VI vom 17. 1. und 15.3.20 bei der Truppe eingerichtet worden. Aufgehoben worden waren sie durch VO der RReg. vom 3. 4., die am 4. 4. in Kraft getreten war. Dazu heißt es in einer „Denkschrift“ des Wehrkreiskommandos VI vom 5.6.20 „über die Mängel der außerordentlichen Strafrechtspflege im rheinisch-westfälischen Industriegebiet“: „Die sofort arbeitsfähigen und Erfolg versprechenden Standgerichte sind der Truppe zu einer Zeit wieder genommen worden, wo die außerordentlichen Truppengerichte teilweise überhaupt noch nicht, teilweise höchst mangelhaft ihre Tätigkeit ausüben konnten.“ In einer Anmerkung dieser Denkschrift wird bemerkt: „Es sind im März/April 205 standgerichtliche Todesurteile gefällt, davon 50 vollstreckt worden. Soweit diese Urteile nicht vollstreckt worden sind, ist auf Grund der VO des RPräs. vom 3.5.20 ein neues Verfahren vor außerordentlichen Kriegsgerichten oder, wo solche nicht bestehen, vor den ordentlichen Gerichten einzuleiten.“ Über die Standgerichte selbst wird ausgeführt: „Solange Kampfhandlungen und aktives Einschreiten des Militärs zur Unterdrückung von Aufständen größeren Stils notwendig sind, sind der Truppe angegliederte Gerichte – Standgerichte – mit einem besonders abgekürzten Verfahren unentbehrlich. Begründung: a. Eine dem Verbrechen auf dem Fuße folgende Justiz von abschreckender Wirkung – Todesstrafe – ist gegenüber einem verbrecherischen heimtückischen Feinde geboten. b. In Standgerichten sieht die Truppe zugleich eine Art gesetzlich geregelter Notwehr; denn eine wohlorganisierte ‚Rote Armee‘ bedeutet selbst da, wo sich gerade keine Kampfhandlungen abspielen, den Dauerzustand eines gegenwärtigen rechtswidrigen und ernsten Angriffs c. Bei blutigen Kämpfen, besonders mit einem grausamen heimtückischen Feind, steigert sich die Erregung der Truppe und damit das Verlangen nach einer schnellen und ausreichenden Sühne für das Blut der gefallenen Kameraden. Die Gefahr einer wilden Justiz an eingebrachten Aufrührern wird erheblich verringert, wenn die Truppe weiß, daß ein sofort in Wirksamkeit tretendes, gesetzmäßig berufenes Standgericht Schuldige der verdienten Strafe zuführen. d. Die im Verfahren benötigten Zeugen sind meist Militärpersonen, die mit der Truppe wieder abrücken, so daß es fast zur Unmöglichkeit wird, die Zeugen in einem späteren Zeitpunkt wieder zu erreichen. Auch hat die Truppe (besonders wenn viele Gefangene gemacht werden) oft nicht die Zeit, einen genauen Tatbericht für jeden einzelnen Täter aufzustellen; die zahlreichen, bei gemeinsamer Tat ergriffenen Täter werden oft an verschiedene Stellen abgeliefert oder die Papiere gehen unter den Erschwerungen, auf die die Ablieferung an bestimmte Strafanstalten leicht stößt, verloren. Die Erfahrung lehrt, daß zahlreiche abgeschobene Aufrührer mangels Beweises straffrei ausgehen, ja ohne Verfahren wieder auf freien Fuß kommen und dann ihre verbrecherischen Handlungen im verstärkten Maße fortsetzen. – Das standgerichtliche Verfahren muß kurz und bündig sein. Eine unbedingt einwandfreie Rechtsprechung ist aber geboten, um allen öffentlichen Angriffen, an denen es nie fehlen wird, entgegentreten zu können“ (R 43 I /2718 , Bl. 86-100).

14

S. hierzu die Telegramme Nr. 218 und 219 Lord Kilmarnocks an Earl Curzon (DBFP 1st series vol. IX, p. 348 sq. No. 323, 324).

15

Aufzeichnungen über diese Besprechung wurden nicht ermittelt.

16

Zu Dankesworten Rhodes an die Reichswehr, die er bei diesem Empfang ausgesprochen haben soll, s. H. Spethmann, Die Rote Armee an Rhein und Ruhr, S. 222. Sie sind auch wiedergegeben in der Anlage 37 zum Bericht des RWeMin. vom 7.7.20 über „die Notwendigkeit des Einmarsches von Reichswehrtruppen in das rheinisch-westfälische Industriegebiet im März/April 1920“ (R 43 I /2718 , Bl. 132-159).

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