2.203.1 (bau1p): [Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur Beendigung des Kapp-Lüttwitz-Putsches.]

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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RTF

[Die Verhandlungen des Reichsjustizministers Schiffer zur Beendigung des Kapp-Lüttwitz-Putsches.2]

Kabinettssitzung. Von Berlin nichts Neues3. Aus München böse Nachrichten. Die neue Beamtenregierung4 benimmt sich so dumm wie alle Beamtenregierungen. Sie verbietet den Streik und will die Streikführer verhaften. Sie verhängt in Nürnberg, das ruhig ist, den Belagerungszustand. Sie hält ihre Reden nur gegen Links. Ich will mich äußern, da kommt mein Telefongespräch mit Schiffer5. Das ist nun unerhört und wirkliche Felonie. Der Reichskanzler sagt: Die können nichts machen. Wir lehnen die Sache ab und es bleibt bedeutungslos. Aber es schwächt uns doch, scheint mir.

[704] Der Reichskanzler kommt wieder: „Ich bin überrascht, ich habe ganz anderen Bericht. Schiffer spricht mit Hülsen. Die Lage ist bedrohlich. Die einzige Differenz sei Rückziehung der Truppen. Die Verhandlungen mit Kapp dagegen sind gescheitert. Denn Hirsch sagt, daß die Berliner Funktionäre ganz auf meinem Standpunkt stehen. Schiffer habe ich gesagt, daß ein Vergleich ganz unmöglich ist.“

Geßler: Preger hat mit mir gesprochen: Schiffer ist nicht für Verhandlungen, sondern für Rücktritt. Die alte Regierung muß nach Rückkehr folgende 4 Maßnahmen treffen: Amnestie an das Militär, Reichstagswahlen innerhalb von 60 Tagen, Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk, Umbildung der Regierung.

Koch: Ich bleibe bei meinem Bericht, Schiffer verhandelt nicht mit Kapp, sondern beschließt vorher mit seinem Gremium, was geschehen soll. Nachher erfolgt dann der Rücktritt. Schiffer hat mir übrigens gesagt – ich habe das zu sagen vergessen –, daß er seine Person zum Opfer zu bringen bereit sei für das, was er beschließen lasse. Man wird uns nacher vorwerfen, daß wir ein doppeltes Spiel treiben, wenn wir nicht erfüllen, was der Vizekanzler beschließen läßt.

Reichskanzler Ich bin doch dafür, daß wir Kapp verständigen, daß niemand in Berlin Recht hat, zu verhandeln oder zu beschließen.

Reichspräsident Entschieden dagegen. Wir können ohne Kenntnis der Dinge Schiffer nicht desavouieren. Wir wollen Alberts Ankunft abwarten.

Alles ist einig, daß Erfolg verpfuscht, wenn tatsächlich solche Beschlüsse gefaßt werden, aber Ebert siegt mit der Auffassung, daß die Sachlage unklar ist und zunächst nichts geschehen darf, ehe Albert da ist6.

[…]

Fußnoten

2

Nachdem am 16. 3. Vertreter der Regierungsparteien in Gegenwart von RJM Schiffer eine auch den Absichten der Rechtsparteien und der Putschisten entgegenkommende Haltung in den umstrittenen Fragen der Neuwahl des RT, der Umbildung des RKab. und der Wahl des RPräs. durch das Volk eingenommen hatten, fanden in der Nacht vom 16. zum 17. 3. unter Führung Schiffers Ausgleichsverhandlungen mit Vertretern der Putschisten mit dem Ziel, Kapp und Lüttwitz zum Rücktritt zu bewegen, statt. – Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 218, Abschnitt IV.

3

Zum Informationsstand der RReg. vgl. Dok. Nr. 199. – In seinem Tagebuch vermerkt RIM Koch am 17. 3., morgens 7.45 Uhr: „Keine Nachricht in der Nacht aus Berlin. Aber bisher wohl keine Entscheidung“ und um 9.30 Uhr: „Aus Berlin nicht viel Neues. Kapp doch noch im Amt. Auch wohl noch Lüttwitz. Gilsa berichtet beim Frühstück, daß Schiffers Verhandlungsbereitschaft ihnen doch den Rücken sehr gestärkt habe. Trotzdem der Zusammenbruch heute zu erwarten. Jetzt muß man kalt Blut behalten und warten. Nur wenn wir fest bleiben, ist der Aufruhr von Links abzudämmen. Für diesen schon manche Symptome“ (Nachl. Koch-Weser , Nr. 25, S. 75). – Kapp tritt am 17. 3. gegen 10 Uhr als „Reichskanzler“ von seinem Amt zurück (Einzelheiten s. Dok. Nr. 200).

4

Zum Regierungswechsel in Bayern s. Schultheß 1920, I, S. 57–59.

5

Randvermerk Kochs: „S[iehe] nächste Seite.“ – Über das Gespräch liegt in Kochs Tagebuch folgende Aufzeichnung vor: „Sofort nach dem Gespräch notiert und Ebert u. Bauer vorgetragen. Ich rufe eben, 12.15 Uhr, Schiffer an. Ich erkläre Minister Schiffer zunächst, daß die Lage günstig sei, der ganze Westen in unserer Hand einschließlich Sachsen. Antwort: ‚Das ist schon nicht richtig, ich bin besser unterrichtet.‘ Ich bleibe dabei. Ich erkläre weiter, daß die Kappregierung vor dem Zusammenbruch steht und daß deshalb dringend zu warnen ist, irgendwelche Verhandlungen fortzusetzen. Er erklärt, sämtliche Parteien ständen auf seinem Standpunkt. Nach Namenfrage werden mir von den Sozialdemokraten genannt: Südekum, Hirsch, Polizeipräsident Ernst und Göhre. Demokraten habe ich außer Gothein keine Namen verstanden. Von der Rechten: Becker, Stresemann und Delbrück. Ich erkläre, daß an den Bedingungen des Rücktritts unbedingt festgehalten werden müsse und Verhandlungen nicht möglich seien. General Maercker werde in wenigen Stunden kommen und die Bedingungen des Rücktritts überbringen. Er erklärt, in Berlin komme der Bolschewismus, wenn man sich nicht sofort einige. Der Rücktritt von Kapp und Lüttwitz sei natürlich zu fordern. Sämtliche Parteien ständen auf dem Standpunkt, daß man die vier Punkte beschließen müsse: Reichstagswahlen binnen kurzer Frist, Reichspräsident durch das Volk, Amnestie und Koalitionsministerium sämtlicher Parteien. Antwort an Schiffer: Wenn Sie dies tun, werden Sie unfehlbar desavouiert werden. Wir haben hier einen Überblick, und Sie sind verängstigt durch die Berliner Lage sowie durch falsche Nachrichten. Es steht alles auf dem Spiel. Sie werden der Vernichter der Demokratie und des Reichs, wenn Sie jetzt ein Gegenspiel betreiben. Schiffer antwortet: ‚Dann muß ich mich eben opfern, ich kann nicht anders handeln.‘ ‚Der Reichskanzler ersucht Sie durch mich ausdrücklich, von allen Verhandlungen abzusehen. Deutschland steht am Vorabend des Bolschewismus, wenn ein solcher Vergleich geschlossen wird. Die gesamte Arbeiterschaft würde sich das nicht gefallen lassen.‘ In diesem Moment wurden wir unterbrochen. Als ich nach 2 Minuten wieder Verbindung bekam, war Schiffer gerade fort und Oeser am Telefon. Ich habe Oeser dasselbe nochmals gesagt. Er erwiderte: ‚Ihre Mitteilungen sind mir sehr wertvoll und geben mir ein ganz neues Licht, ich will sie alsbald verwerten‘“ (Nachl. Koch-Weser , Nr. 25, S. 79; von Koch am 18. 3. korrigierter Entw. ebd., Nr. 24, S. 129 f.). – Mit bezug auf dieses Gespräch schreibt Koch im Rückblick auf den Stuttgarter Aufenthalt der RReg., daß er durch sein „Dazwischenfahren“ den RPräs. und den RK „manchmal verärgert habe“. Lohmann habe ihm erzählt, daß Ebert und Bauer sich ungehalten über die Tatsache äußerten, daß er dieses Gespräch mit Schiffer führte. Als man anschließend in kleinem Kreise darüber konferiert habe, habe Ebert in aufgeregtem Ton Lohmann das – allerdings auch nach Kochs Meinung übereifrige und unnötige – Mitschreiben verwehrt. Anschließend habe sich Ebert bei ihm, und Koch bei Ebert für den Übereifer seines Mitarbeiters entschuldigt. „Es ist nicht ganz unmöglich, daß Ebert und Bauer Schiffer für genug gewarnt hielten und nun der Sache ihren Lauf lassen wollten, da ihnen an sich die rasche Lösung erwünscht sein mußte. Aber ich kann eher annehmen, daß sie einfach meine Mitwirkung nicht wünschten, da sie zu verhandeln hatten. Ich hatte aber als Parteifreund alle Veranlassung, auf Schiffer einzureden“ (Tagebuchaufzeichnung vom 21.3.20; Nachl. Koch-Weser, Nr. 25, S. 123).

6

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 202.

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