2.2 (cun1p): Nr. 2 Kabinettssitzung vom 22. November 1922, 17 Uhr

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Nr. 2
Kabinettssitzung vom 22. November 1922, 17 Uhr

R 43 I /1381 , Bl. 79 f.

Anwesend: Cuno, Oeser, Hermes, Becker, Albert, Brauns, Geßler, Heinze, Stingl, Groener, Müller1; StS Hamm; MinDir. Meissner; MinR v. Bornstedt, Kempner; ORegR Offermann; RegR v. Stockhausen; Protokoll: MinR Wever.

Der Reichskanzler erklärte das neue Kabinett für konstituiert und bedauerte, daß er schon heute die Herren hierher gerufen habe; es sei aber keine Stunde zu verlieren.

[4] Rein äußerlich würde er vorschlagen, die Kabinettssitzungen möglichst kurz, präzise und pünktlich abzuhalten, im Kabinett als Träger der einzelnen Ressortverantwortlichkeit nur die Herren Minister und Staatssekretäre zuzuziehen; in den Sitzungen sollten die Herren Ressortchefs selbst das Wort nehmen, während die Staatssekretäre nur ergänzend vortragen sollten. Ferner wolle er nur diejenigen Sachen, die allgemeiner, grundsätzlicher Natur seien, zur Sprache bringen und etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Ressorts gegebenenfalls durch eine Chefbesprechung zum Austrag bringen. Er nehme an, daß die Herren Kabinettsmitglieder mit diesen Grundsätzen einverstanden seien. Materiell hätte er den ganz besonderen Wunsch, daß sie in aller Offenheit und Freundschaft wie Kameraden gemeinsam, sachlich und objektiv das Beste für das Vaterland zu leisten versuchen sollten. Wer ihn kenne, würde dies nicht als Phrase bezeichnen. Er habe seine Stellung verlassen, die auch wichtig sei für das Reich. Er sei bereit, sich ganz und restlos für das Vaterland einzusetzen. Er bäte die Herren Minister, ihm morgen früh aus dem Kreise ihrer Ressorts diejenigen Gedanken mitteilen zu wollen, die sie in seiner Rede am Freitag2 verwertet wissen wollten. Die Rede würde sich ganz auf den Boden der Note der Reparationskommission3 stellen, um auch schon die Kontinuität zum Ausdruck zu bringen. Er glaube, daß man keine Bemerkungen darüber hinaus machen dürfe, die etwa so verstanden werden könnten, als ob wir mehr oder weniger anbieten wollten.

Der Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes machte Mitteilung über die beabsichtigte Sparaktion (Vereinfachung der Verwaltung), die in den Grundlagen von ihm mit dem Präsidenten des Rechnungshofes des Deutschen Reichs besprochen worden sei. Er würde in einer der nächsten Sitzungen den Antrag stellen, den Präsidenten des Rechnungshofes mit der Durchführung der Sparaktion zu beauftragen4. Er würde empfehlen, daß man am Freitag vormittag [24. 11.] die Richtlinien beschließe und dann schon in der Rede im Reichstag hiervon Kenntnis gebe. Herr Saemisch würde Präsident des Rechnungshofes bleiben und auch im wesentlichen mit seinen Beamten die Arbeit ausführen. Staatsrechtliche Bedenken beständen hiergegen nicht. Herr Saemisch würde nicht dem Reichsfinanzministerium attachiert werden, sonden den Auftrag unmittelbar vom Kabinett erhalten; er werde auch das Reichsfinanzministerium nachzuprüfen haben. Auf Anfrage des Reichsverkehrsministers, ob Herr Saemisch selbständig zu entscheiden habe, erwiderte der Reichsminister der Finanzen daß, soweit eine Übereinstimmung mit dem Ressortminister nicht stattfinde, das Kabinett entscheiden solle.

Der Reichsschatzminister gab zu bedenken, ob die Ankündigung in der Kanzlerrede zweckmäßig sei, da nach den bisherigen Erfahrungen vielleicht mit einem Lächeln darüber quittiert werden würde.

[5] Der Reichsminister des Innern schloß sich dieser Auffassung an und meinte, daß man nur die große Linie einhalten und sich in Einzelheiten nicht verlieren solle.

Der Reichsminister der Finanzen schlug vor, über die Aufnahme eines diesbezüglichen Passus in die Kanzlerrede erst zu entscheiden, wenn der Wortlaut des Sparbeschlusses vorliege.

Der Reichskanzler erklärte sich hiermit einverstanden und betonte, daß größte Sparsamkeit selbstverständliche Pflicht sei5.

Der Reichswehrminister bat, doch in gewissen Zeitabständen zusammenzutreten, um über auswärtige, innere und Wirtschaftspolitik sich unter den Herren Ministern aussprechen zu können.

Der Reichswirtschaftsminister machte Mitteilung von der Welfischen Bewegung6 und empfahl in der Kanzlerrede scharf von separatistischen Neigungen abzurücken.

Der Reichsarbeitsminister empfahl in der Kanzlerrede die Interessen der Allgemeinheit und die Geschlossenheit des deutschen Volkes in den Vordergrund zu stellen. Bezüglich der Ausführungen über Separatismus bestünde die Gefahr, daß die Ausführungen mißverstanden werden könnten7.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

Fußnoten

1

Der REM Müller sah sich bereits am 25. 11. zum Rücktritt genötigt. Die SPD-Abgeordneten Breitscheid und Sollmann hatten ihn in der RT-Sitzung vom 24. 11. der engen Verbindung zu rheinischen Separatisten bezichtigt (RT-Bd. 357, S. 9112  f. und 9139 ff.). RJM Heinze suchte in einer anschließenden Aussprache mit REM Müller und MdR Sollmann die Vorwürfe zu klären (Bericht Sollmanns vor dem RT am 25. 11., Bd. 357, S. 9173). Daraufhin wurde in der Ministerbesprechung vom 25. 11., 8.30 h, das Ausscheiden Müllers beschlossen (Protokoll dieser Besprechung fehlt, Hinweis in R 43 I /1346 , Bl. 334). Das Rücktrittsgesuch Müllers an den RPräs. verliest der RK am 25. 11. vor dem RT (RT-Bd. 357, S. 9151 ). Von Hamburger Geschäftsfreunden wird dem RK am 27. 11. über ein Gespräch mit Breitscheid berichtet, in dem es u. a. heißt: „Daß der RK sich so schnell von Herrn Müller getrennt habe, sei klug und richtig gewesen, denn außer dem vorgebrachten Material hätten sie [die SPD] gegen diesen Herrn noch weiteres Material in Händen. Er deutete insbesondere an, daß Herr Müller nicht nur gegen die Getreideumlage, auch nachdem sie Gesetz geworden sei, agitiert, sondern den Landwirten für ihre Weigerung zur Ablieferung die Unterstützung der französischen Behörden in Aussicht gestellt habe. Die Gefahr für das Rheinland sei zur Zeit so groß, wie wohl noch in keinem Augenblick seit dem Waffenstillstand, und es bedürfe seiner Meinung nach nur eines leisen Anstoßes, um die gefährlichsten Separationsbestrebungen auszulösen.“ (R 43 I /2662 , Bl. 227-234).

2

Regierungserklärung Cunos vor dem RT am 24.11.22 (RT-Bd. 357, S. 9099  ff.).

3

Gemeint ist offenbar die dt. Note an die Repko vom 14.11.22, abgedruckt im Weißbuch des AA ‚Die den Alliierten seit Waffenstillstand übermittelten deutschen Angebote und Vorschläge zur Lösung der Reparations- und Wiederaufbaufrage‘, dem RT als RT-Drucks. Nr. 6138  am 28.7.23 zugeleitet, sowie in ‚Ursachen und Folgen‘ Bd. IV, S. 416 ff. und im Weißbuch des AA ‚Aktenstücke zur Reparationsfrage vom 12. 7. – 11.12.1922‘, S. 53 ff.

4

Geschieht in der Kabinettssitzung vom 23. 11., über die ein Protokoll fehlt (s. Dok. Nr. 4).

5

Die Regierungserklärung spricht nur allgemein von den Grundsätzen höchster Leistung und höchster Sparsamkeit in der Verwaltung, schweigt sich über die geplante Einsetzung eines Reichssparkommissars aber völlig aus.

6

Die Deutsch-Hannoversche Landespartei, die sog. Welfenpartei, entfaltete zu dieser Zeit eine lebhafte Agitation mit dem Ziel, die Regierungsbezirke Stade und Lüneburg mit Hilfe einer Volksabstimmung aus dem preußischen Staatsverband herauszulösen. Aufgrund der frz.-belg. Ruhrbesetzung ersucht die Welfenpartei später um Vertagung der Abstimmung und zieht schließlich mit Schreiben vom 25.6.23 ihren Antrag ganz zurück (Akten dazu in R 43 I /1846 , Bl. 67).

7

Entsprechend dieser Anregung fehlen in der Regierungserklärung Cunos Hinweise auf separatistische Bewegungen in Deutschland. Der 35seitige Entwurf der Regierungserklärung mit zahlreichen und umfangreichen handschriftlichen Verbesserungen Cunos und Hamms findet sich im Nachlaß Cuno  im Archiv der HAPAG. Hier liegt auch ein 14seitiger Entwurf der Regierungserklärung, ausgearbeitet von Hasselmann, dem Syndikus der HAPAG und Mitglied der DVP (Nachlaß Cuno im Archiv der HAPAG, Aktenmappe A 23 ‚Politik Nov. 1920 bis Okt. 1922‘).

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